Protokoll der Sitzung vom 08.07.2016

Wir haben eine Reihe von Modernisierungsmaßnahmen getroffen, auf die ich jetzt nicht näher eingehen will. Denn es gibt auch Punkte – da beginnt meine Stimmung dann ein wenig umzuschlagen –, die ich mir anders gewünscht hätte, zum Beispiel im Bereich der Beteiligung von Menschen an unserer Demokratie.

Wir haben das Verhältnis von Parlament zu Regierung, unsere eigenen Rechte, in vielen Punkten sehr viel besser und deutlicher gestaltet. Nur hätte ich mir gewünscht, dass wir die unmittelbare Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern auch stärker hätten verankern können.

Das gilt für den Bereich der direkten Demokratie; das gilt für den Bereich der Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund an Kommunalwahlen; das gilt nicht zuletzt, sondern ganz besonders für die Beteiligung von Menschen von 16 Jahren an aufwärts an dem politischen Willensbildungsprozess in unserem Land. Ich bedauere ausdrücklich, dass es da nicht zu einer größeren Lösung gekommen ist.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Lassen Sie mich nach dem Grundsatz „Alle Gewalt geht vom Volke aus“ noch den sehr positiven Punkt erwähnen, dass in Zukunft alle Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter durch den Landtag gewählt werden. Ich finde, dass das eigentlich überfällig war, und bin stolz darauf, dass ich da an eine lange Traditionslinie anschließen kann.

Deshalb habe ich den sozialdemokratischen Innenminister aus dem Jahre 1950 erwähnt, weil es schon damals eine sozialdemokratische Forderung war, alle Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter zu wählen – nach dem Motto: Das ist jetzt wirklich gut geworden, und das wollen wir auch weiter so behalten.

Meines Erachtens verdient gerade die Tatsache, dass die amtierenden Richterinnen und Richter durch diese Regelung nicht bedrängt werden, eine besondere Erwähnung.

Lassen Sie mich dann allerdings noch einmal auf die Dinge zurückkommen, die nicht so gelungen sind.

Ich will an dieser Stelle einem Punkt eine ganz deutliche Absage erteilen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen, dass das Grundgesetz in NordrheinWestfalen gilt. Deshalb waren wir bereit und sind wir immer noch bereit, über eine verfassungsrechtliche Verankerung Schuldenbremse nachzudenken. Das ist nicht der Punkt.

Allerdings darf man das nicht nur L’art pour l’art machen; wenn, dann muss es auch in mehreren Punkten Substanz haben. Wir werden das, da es in der Verfassungskommission gescheitert ist, einfachgesetzlich unter Beweis stellen müssen und können, denke ich.

Es geht zum einen um die Frage des schonenden Umgangs mit Steuergeldern. Es geht aber auch um die Frage der Handlungsfähigkeit unseres Gemeinwesens. Und es geht insbesondere um die Frage, wie wir unsere Kommunen davor schützen, zu Ausfallbürgen für die Einhaltung dieses abstrakten Politikstils zu werden.

Alles das findet jetzt leider nicht statt – genauso wenig, wie die Individualverfassungsbeschwerde umgesetzt werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da waren wir – ich gebe es zu – zunächst ein wenig sperrig, weil wir gefragt haben, wo der Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande liegt. Wir hätten uns aber überzeugen lassen, wenn es zu einem Gesamtkompromiss gekommen wäre. Das wäre durchaus auch bezogen auf die Eigenstaatlichkeit unseres Bundeslandes ein wichtiger Punkt gewesen.

Herr Dr. Wolf, ich konzediere das an dieser Stelle ausdrücklich, weil wir in der Kommission darüber ja auch sehr konstruktiv miteinander diskutiert haben. Zwar war das dann alles Entscheidende im Ergebnis aus der Sicht der Öffentlichkeit womöglich eine Petitesse. Ich kann Ihnen aber nur eines sagen: Das ist keine Petitesse, sondern ein ganz wichtiger Punkt.

Wir sind in der Frage des kommunalen Wahlrechts – das ist mir richtig schwer gefallen – nicht weitergekommen, weil ganz klar war, dass CDU und FDP nicht dazu bereit gewesen wären, innerhalb der Verfassungskommission unserem Vorschlag, das in der Landesverfassung zu regeln, zu folgen. Zum einen gab es juristische Bedenken, zum anderen grundsätzliche Bedenken. Damit kann ich dann auch schlecht leben.

Aber bezogen auf die Frage des Wahlalters hatte ich eigentlich, als ich gesehen habe, wer denn in der Verfassungskommission mitmacht – wer rechnen kann, ist klar im Vorteil –, Folgendes überlegt: Das steht in den Programmen der Sozialdemokraten, der Grünen, der Piraten und der FDP. Die CDU hat sich diesbezüglich noch nicht definitiv geäußert. Also war

ich davon ausgegangen, die Absenkung des Wahlalters sei möglich.

Dass das nachher der Punkt geworden ist, an dem es gescheitert ist, verwundert mich noch heute, insbesondere weil ja – da will ich gar keinen Urheberrechtsstreit ausfechten – ein Kompromiss unterwegs war.

Die Frage, wer in der Lage ist, eine so verantwortliche Entscheidung wie eine Wahlentscheidung zu treffen, ist geklärt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da hilft es, sich mit den entwicklungspsychologischen Gutachtern oder aber mit der Bertelsmann Stiftung auseinanderzusetzen. Ich kenne die Diskussion aus dem Jahre 1972, als ich mit 18 das erste Mal wählen durfte. Damals lautete auch die Frage: Sind die denn schon reif dazu?

Das kann man eins zu eins weiterspielen, glaube ich. Da geht es aber noch nicht einmal um die Frage, wer individuell wählen kann – diese Frage stellen wir an anderer Stelle ja auch nicht –, sondern um den Mehrwert für die Demokratie in unserem Lande.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Da empfehle ich allen, die es nicht glauben, die Bertelsmann Studie, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich zitiere von Seite 20:

„Die Erstwahlbeteiligung erweist sich als strategischer Hebel für die Gesamtwahlbeteiligung: Steigt die Erstwahlbeteiligung um ein Drittel, führt das allein langfristig zu einem Wiederanstieg der Gesamtwahlbeteiligung auf etwa 80 Prozent.“

Das ist nicht nur eine Frage; das ist wissenschaftlich hinterlegt. Darüber kann man schmunzeln. Aber ich würde es zumindest einmal überprüfen, statt direkt einen Stab darüber zu brechen. Es geht nämlich langfristig darum, die Legitimation all derer, die hier arbeiten, zu verbessern und zu sichern.

Und dann kommt der Punkt, der mich nach wie vor ein wenig ratlos zurücklässt: Ist es wirklich so wichtig für diejenigen gewesen, dass der gegenwärtig amtierende Landtag das nicht entscheiden darf? Wo liegt denn die Ratio für diesen Weg?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Doch eigentlich nur in der Frage, dass man diesen Kompromiss doch nicht wollte,

(Martin Börschel [SPD]: So ist es!)

sondern eine Möglichkeit gesucht hat, sich aus der Nummer wieder herauszustehlen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So ist es nämlich!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns dem Kompromissvorschlag zugewandt, dies nur aus der

Verfassung zu streichen. Das hätte eine Änderung revidierbar gemacht.

Insoweit haben wir nach wie vor kein Verständnis dafür. Alles andere, was hätte vereinbart werden können – egal ob Schuldenbremse, direkte Demokratie oder Individualverfassungsbeschwerde –, wäre unmittelbar durch den amtierenden Landtag verabredet und beschlossen worden. Nur diese eine Frage sollte in ferner Zukunft entschieden werden, obwohl wir uns einig darüber waren, dass das erst ab 2022 gelten soll.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedaure, dass dieser politische Korb gescheitert ist.

Lassen Sie mich als Letztes etwas wehmütig sagen: Es ist für jemanden, der kommunalpolitisch sozialisiert ist wie ich, schwer zu ertragen, dass wir es nicht wenigstens in zwei Punkten, nämlich bei der Frage der Stellung der Kommunen im Gesetzgebungsverfahren und bei der Frage der Kommunalverfassungsbeschwerde, die dann in der Verfassung verankert worden wäre, hinbekommen haben, uns kommunalfreundlich zu zeigen.

Allerletztes Wort zu diesem Projekt: Kolleginnen und Kollegen, wer das dann von der Frage der Konnexität abhängig gemacht hat, muss sich fragen lassen, warum er direkt nicht zu Anfang Konnexität als Gesprächspunkt mit eingebracht hat. Da wären wir auch offen gewesen. Aber noch bei der Sachverständigenanhörung war es eher so, dass die CDU das gar nicht auf dem Schirm hatte.

Genug der Schelte! Ich will an dieser Stelle trotz allem ein für mich persönlich, aber auch für uns alle positives Fazit dessen ziehen, was jetzt tatsächlich in den weiteren Gesetzgebungsweg eingehen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass wir da etwas gemacht haben, dessen Wert sich auch dem einen oder anderen, der öffentlich berichtet, womöglich erst im Laufe der nächsten Jahre erschließen wird.

Die Arbeit in dieser Verfassungskommission hat für mich persönlich einen ganz wichtigen Punkt markiert. Es kommt selten vor, dass man das, was man für wichtig hält, in dem Raum und in diesem politischen Umfeld mitgestalten kann. Das haben Sie mir ermöglicht. Dafür will ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die beteiligt waren, noch einmal herzlich bedanken. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Lienenkämper.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einsetzung der Verfassungskommission war vor fast genau drei Jahren. Am 11. Juli 2013 haben wir in diesem Hohen Hause den Beschluss gefasst, die Verfassungskommission einzusetzen.

Heute haben wir die erste Lesung des Abschlussberichtes und der daraus resultierenden Empfehlungen der Kommission an dieses Haus. Das zeigt schon: In diesen drei Jahren ist intensiv gearbeitet worden. In diesen drei Jahren hat es 15 Sitzungen der Kommission, neun große Obleuterunden, Sachverständigenanhörungen und ein Symposium gegeben. Die Individualverfassungsbeschwerde ist da erörtert worden. Umfangreiche Gutachten zur landesrechtlichen Verankerung der Schuldenbremse und anderer Punkte sowie viele Debatten mit Vereinen, mit betroffenen Mitbürgern, mit Verbänden, mit Experten, innerhalb der Fraktionen und mit vielen Bürgerinnen und Bürgern hat es gegeben.

Ich kann sagen: Die Verfassungskommission und damit das gesamte Haus haben es sich in dieser Zeit nicht einfach gemacht. Wir haben hart miteinander gearbeitet.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mich bei allen Expertinnen und Experten und bei allen Kolleginnen und Kollegen für diese Arbeit und die gute Atmosphäre herzlich bedanken.

(Beifall von allen Fraktionen)

Im Ergebnis und in der Gesamtbetrachtung kann sich das Bündel an Vorschlägen, das wir gemeinsam erarbeitet haben, sehen lassen. Wir hatten nie die Intention, die Verfassungskommission einzurichten, um irgendwelche Koalitionsverträge, Parteiprogramme oder Parteitagsbeschlüsse für Wahlen umzusetzen, sondern wir wollten an definierten Punkten unserer Verfassung arbeiten.

Von Anfang an haben wir gesagt: Wir halten diese Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen für eine gute Verfassung. – Sie ist in den ganzen Jahren nur 21 Mal geändert worden, weil richtigerweise mit der Zweidrittelmehrheit die Hürde für eine Änderung relativ hoch ist und weil die Verfassung so gut ist, dass sie nicht ständig geändert werden muss.

Das war auch jetzt das Prinzip. Diese Verfassung ist eine gute Verfassung. Aber auch jede gute Verfassung muss an die Zeiten angepasst werden. Das war für uns der Rahmen der Beratungen der Verfassungskommission. In diesem Rahmen ist das Ergebnis der Kommission absolut vorzeigbar.

Insbesondere freue ich mich darüber, dass es gelungen ist, die Stellung des Parlaments in der Verfassung erheblich zu steigern.

Wir haben das technische Problem mit der parlamentslosen Zeit gelöst und einen Alterspräsidenten