Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Vielen Dank, Herr Hovenjürgen. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Thiel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich brauche den ersten Teil meiner Rede nicht zu ändern. Der Satz lautet: Dass die CDU ein ernsthaftes Anliegen in einem flachen Wahlkampfantrag versenken würde, war zu erwarten. Das Lamento ist Ihr Lieblingslied, und gefangen im Banne Ihres eigenen ewigen Klagens kommen Sie über reines Bramarbasieren nicht hinaus.

(Zurufe von der CDU: Boah ey! – Ein Philo- soph!)

Schauen Sie nach, dann können Sie sich hinterher darüber echauffieren!

Um was geht es eigentlich? Der Minister für Infrastruktur, also der Verkehrs- und Bauminister für NRW, weist schon lange darauf hin: Wir müssen Deutschland reparieren. Wir stehen alle gemeinsam vor einer geradezu historischen Infrastrukturkrise. Marode gewordene Infrastruktur muss dringend erneuert werden. – Das wissen wir alle, das wollen wir alle, so sagen es auch alle.

Es gibt jetzt Finanzierungszusagen im Bundesverkehrswegeplan, die für NRW ein großer Gewinn sind, und daran haben viele Akteure hart gearbeitet. Nun geht es darum, diese Mittel so schnell wie möglich in

NRW auf die Straße, auf die Schiene und auf die Wasserwege zu bringen. Das ist unser Thema heute.

Eine gute Infrastruktur ist wichtig für Wohlstand und für Beschäftigung, für die Mobilität der Menschen und für die Wirtschaft, für das Industrieland Nordrhein-Westfalen. Wohlstandsfähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Es geht nun darum, für die Reparatur unserer Infrastruktur die Unterstützung der Menschen zu gewinnen. Denn klar ist: Es geht um Baustellen, es geht um viele Baustellen und um eine lange Phase von Baustellen. Früher waren Baustellen ein Zeichen von wirtschaftlichem Erfolg, der den allgemeinen Wohlstand nährte, also dem Nutzen der Allgemeinheit diente und daher auch akzeptiert wurde. Das gilt heute nicht mehr so ohne Weiteres.

Eine Autobahnbrücke zu reparieren, ist sicher von allgemeinem Interesse und sollte auch schnell gemacht werden, um Benachteiligung für viele möglichst gering zu halten. Wenn der gesellschaftliche Wert eines Projektes aber in der Umsetzung in den Hintergrund gerät, weil nur noch schwierige Teilaspekte diskutiert werden, dann drohen am Ende ein Scheitern oder aber kostenintensive und kräftezehrende Prozesse, die sich endlos hinziehen, alle ermüden und die Entwicklungen lähmen.

Richtig ist auch: Der Widerstand von Bürgerinnen und Bürgern oder Bürgerinitiativen versteckt sich oft hinter grünen Argumenten, aber eigentlich will man keine Veränderung oder hat Angst, das eigene Grundstück könnte an Wert verlieren, oder Ähnliches.

Wegen dieser Haltung hat der Minister völlig recht, wenn er von einer durchgrünten Gesellschaft warnt. Das kennen wir bei so gut wie allen Großprojekten und Großvorhaben in Deutschland. Ob Stuttgart 21, die Elbphilharmonie, die CO-Pipeline, eine Flughafenerweiterung oder Ähnliches, es geht immer auch um die Akzeptanz der Bevölkerung. Wir wissen aber auch, bei Akzeptanz gelingen selbst schwierige und große Projekte oder Investitionen.

„Im Interesse des Industriestandortes ist es geboten, Blockaden oder Verzögerungen durch eine frühzeitige und gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu verhindern.“

So die Initiative „Zukunft durch Industrie“ in ihrem Kommunikations-Leitfaden für Industrie- und Infrastrukturprojekte. – Die Industrie hat längst erkannt, dass eine glaubwürdige, vollständige und transparente Kommunikation Voraussetzung für Akzeptanz ist. Die Firma CURRENTA hat hier im Landtag einen ersten firmenbezogenen Akzeptanzbericht vorgestellt und ist stolz auf ihre Vorreiterrolle, genau in diesem Sinne Transparenz für Akzeptanz herzustellen.

Es geht um Respekt und Vertrauen, um ein gutes Miteinander. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, mit Ihrem Antrag wollen.

Sie wollen die Beteiligung der Öffentlichkeit zurückdrehen. Sie greifen den § 32 Abs. 2 des Landesplanungsgesetzes an. Dabei geht es genau darum, Akzeptanz für Großprojekte zu erreichen; das ist übrigens ein europaweites Phänomen. Darum verlangt die EU bei ihrer Industriepolitik die Beteiligung der Öffentlichkeit zum Beispiel bei Raumordnungsverfahren. Sie verlangt bei Raumordnungsverfahren eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung in einem möglichst frühen Verfahrensstand. Dem folgt das deutsche Raumordnungsrecht und dem wiederum das Landesplanungsgesetz.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände führt dazu in einer Stellungnahme aus, dass die Verbesserung der Akzeptanz von Großprojekten grundsätzlich begrüßenswert ist, dass es zielführend ist, eine frühzeitige und umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung auch elektronisch vorzusehen.

Das wollen Sie zurückdrehen? Sagen Sie Ihren Wählerinnen und Wählern in NRW, dass Sie keine frühzeitige und umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung wollen. Ja, was wollen Sie denn dann? Wollen Sie Großprojekte par ordre du mufti?

Wir setzen auf einen anderen Weg – auf einen modernen Weg. Wir wissen, Dialog schafft Zukunft. Die Akzeptanzinitiative des Wirtschaftsministers für den Industriestandort NRW zeigt den Weg der Landesregierung auf, die Öffentlichkeit bei der Gestaltung von Großprojekten mitzunehmen. Ziel ist dabei nicht der Ausschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung, wie Sie es nahelegen, sondern das Gegenteil. Es geht um ein grundlegendes Verständnis der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, um gegenseitiges Verständnis. Dann kann Bürgerbeteiligung Verfahren sogar beschleunigen und letztlich zu guten Ergebnissen beitragen.

Es geht auch darum, mit einem Missverständnis aufzuräumen. Wir wissen zum Beispiel, dass bei Bauvorhaben für Windenergieanlagen eine kommunale Verhinderungsplanung unzulässig ist. Wir müssen bei der Ausübung von Beteiligungsrechten, zum Beispiel bei Planungen, ebenfalls dazu kommen, dass Verhinderungsbeteiligung unzulässig wird.

Dazu gehört ein rechtlicher Rahmen, der zum Beispiel bei der Normensetzung wie bei Grenzwerten oder Effizienzanforderungen das Nachhaltigkeitsprinzip nicht aus dem Auge lässt, nämlich das Gleichgewicht von wirtschaftlichen, sozialen und Umweltbelangen, und natürlich auch das technisch Mögliche beachtet.

Der Eindruck, es gehe nur noch darum, möglichst ambitionierte Umweltstandards gegen alles andere

durchzusetzen, muss im Interesse des Allgemeinwohls wieder korrigiert werden. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass wir für unsere Existenz die Umwelt in Anspruch nehmen. Es geht bei Beteiligungsverfahren darum, dafür einen Ausgleich zu finden.

Das erreichen wir nicht durch ein Zurückdrehen von Beteiligungsrechten, wie die CDU es hier fordert. Eine Infrastruktur ist erst dann gut, wenn auch die Gesellschaft sie mitträgt. Darum ist der Weg des Bündnisses für Infrastruktur das Mittel der Wahl beim Projekt „Wir reparieren Deutschland“.

Mein Appell an die CDU: Hören Sie auf, zu lamentieren. Packen Sie mit an zum Wohle der Menschen in Nordrhein-Westfalen! – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Thiel. – Für die Fraktion der Grünen spricht der Kollege Rüße.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal andersherum anfangen, weil die Bürgerbeteiligung – Herr Thiel hat es auch gesagt – von Ihnen die so scharf kritisiert worden ist. Ich möchte in den Vordergrund stellen, dass Bürgerbeteiligung für unsere Demokratie, für eine lebendige Demokratie ein enormer Gewinn ist. Im Moment sind zwar nicht alle Parlamentarier hier versammelt, aber unter uns sind jede Menge Menschen, die sich aus vielerlei Gründen zuerst vor Ort eingemischt haben – weil vielleicht eine Straße nicht so geführt wurde, wie sie geführt sein sollte – und erst danach in die Politik gefunden haben.

Also, lassen Sie uns das erst einmal positiv sehen, dass Bürgerbeteiligung auch dazu führt, Bürgerinnen und Bürger für unsere Demokratie zu gewinnen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Lassen Sie mich noch einen Satz sagen – und darüber sollte unter uns Parlamentariern Einvernehmen herrschen –: Wer eine lebendige Demokratie haben will, der muss Debatten und auch den Streit um das bessere Argument aushalten, und der muss es in einem Rechtsstaat auch aushalten, wenn sich Verfahren verzögern. Wenn das Ergebnis am Ende stimmt, wenn es zu einem Kompromiss kommt und alle sagen, dass sie damit leben können und das akzeptieren, dann ist doch viel gewonnen – anstatt Politik von oben zu betreiben den Menschen etwas aufzustülpen, von dem sie noch Jahre später sagen: Das hätten wir nie gewollt, wenn wir uns dagegen hätten wehren können.

Liebe CDU, mit Ihrem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, enttäuschen Sie mich eigentlich völlig, denn dieser Antrag zeigt, dass Sie eigentlich nur 50 Jahre

zurück wollen. Sie wollen nicht nach vorne. Sie können in der heutigen Gesellschaft eine Lösung, wie Sie sie heute präsentieren, nicht mehr anbieten. Das geht einfach nicht mehr, wenn Sie so gegen Bürgerinnen und Bürger vorgehen wollen, wie Sie es vorschlagen.

Ich sage Ihnen noch eines: Seit dem Berliner Flughafen, seit „Stuttgart 21“ wissen wir doch, dass die Hauptprobleme großer Infrastrukturprojekte nicht der Widerstand von Bürgerinnen und Bürgern sind, sondern fehlerhafte Planung und mangelhafte Durchführung von Projekten. Da müssen wir ansetzen, anstatt zu versuchen, die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu beschneiden.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, wir können hier im Parlament in Sonntagsreden auch nicht von mündigen Bürgern reden, aber dann, wenn es uns nicht mehr passt, wenn es im Planungsprozess Widerspruch gibt, den Bürgerinnen und Bürgern ihr Mitwirkungsrecht ganz schnell wieder nehmen wollen.

Ich persönlich – ich habe mit vielen Bürgerinitiativen zu tun – bin immer wieder überrascht, wie viel Freizeit dafür geopfert wird und wie viel Sachverstand die Menschen sich aneignen. Ich finde, wir sollten zutiefst dankbar dafür sein, dass sich die Menschen so intensiv einbringen.

Herr Rüße, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hovenjürgen zulassen?

Ja, immer.

Sehr geehrter Herr Rüße, erstens haben wir die Mitwirkungsrechte nicht angezweifelt. Wir haben nur infrage gestellt, ob sie an allen Stellen wirklich so ausgeprägt sein müssen, ob das alles noch korrekt ist. – Das ist als Erstes die Feststellung.

Jetzt kommt die Frage: Was halten Sie denn davon, dass, wenn bei der B474n, die im Moment in Revision ist …

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Bei welcher?)

Bei der B474n. Das ist ein Straßenbauprojekt in Waltrop und Datteln. Dazu hat der stellvertretende Landesvorsitzende des BUND angekündigt, dass er Grundstücke in seinen Besitz gebracht hat, mit denen er im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens erneut die Behinderung des Projekts betreiben wird, sollte Straßen.NRW den Prozess gewinnen. Ist es das, was Sie meinten?

(Christof Rasche [FDP]: Genau da! Sehr gute Frage!)

Herr Kollege Rüße, bitte schön.

Herr Hovenjürgen, Sie wissen natürlich, dass ich genau das nicht meine. Aber Sie müssen es in einem Rechtsstaat – und wir leben in einem Rechtsstaat – aushalten, wenn das so ist. Das ist der Punkt.

Ich sage Ihnen eines: Ein Herr Erdogan in der Türkei würde solche Probleme schnell lösen. Klar, das geht da ratzfatz. Aber wir leben hier in einem demokratischen Rechtsstaat.

(Beifall von den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Toller Vergleich! Wie platt ist das denn!)

Wir haben hier Verfahrensschritte einzuhalten, und das wird dann auch so funktionieren.

Meine Damen und Herren, liebe CDU, der Kollege Klocke hat es auch schon erwähnt: Ihre eigenen Mitglieder vor Ort verhalten sich teilweise ganz anders, als Sie es in Ihrem Antrag fordern. Herr Klocke hat auch die B61 und den Stadtverband Oeynhausen erwähnt. Ich zitiere aus einer Verlautbarung des Stadtverbandes:

„Daher wird sich der CDU-Stadtverband mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in das Aktionsbündnis einbringen. Ziel ist es, alle weiteren Planungen zu verhindern. Machen Sie mit, setzen Sie mit Ihrer Unterschrift ein Zeichen, dass ein derartig unüberlegtes Verkehrsvorhaben sofort wieder aus den Planskizzen verschwindet.“