Protokoll der Sitzung vom 05.10.2016

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Bitte schön, Herr Kollege Abel.

Ich würde am liebsten mit einer Gegenfrage antworten, aber ich sage einfach: Ja, das ist mir bewusst. – Ihnen sollte allerdings auch bewusst sein, dass das Bundesverfassungsgericht in beiden von mir erwähnten Urteilen die pauschale Befreiung ohne die Bedürftigkeitsprüfung als verfassungswidrig erklärt hat. Diese Systematik wird erneut durchbrochen.

Wenn man anderthalb Jahre Zeit hatte und dann auch noch mit einer satten Mehrheit innerhalb der Großen Koalition das Gericht auf diese Art und Weise missachtet, dann kann ich dazu nichts anders als: Das ist Murks, und das entspricht nicht unseren Vorstellungen.

(Beifall von Oliver Keymis [GRÜNE])

Ich glaube, mit unseren Vorstellungen von gerechten Erbschaftsteuern erzielen wir auch über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit. Natürlich muss es bei Betriebsübergaben Ausnahmen für die Firmen geben, die sich das nicht leisten können, sodass die Übernahme eines Betriebes im Falle einer Erbschaft nicht verunmöglicht wird. Wir benötigen die Ausnahmen. Aber das kann man doch nicht pauschal bis zu einem Vermögen von 90 Millionen € machen. Das steht nun wirklich ganz klar in den Urteilen.

Die Verbesserungen, die unser Finanzminister gemeinsam mit der grünen Finanzministerin Monika Heinold aus Schleswig-Holstein erreicht hat, haben diesen Kompromiss näher an das gebracht, was das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber als Hausaufgaben aufgegeben hat. Das ist gemessen am Ausgangspunkt und der von mir erwähnten Blockadehaltung der CSU ein großer Erfolg. Ich denke da etwa an die Stundungsregelung, an die versteckten Luxusgüter – Herr Zimkeit hat auch die Oldtimersammlungen erwähnt – sowie an die Verschärfung des Ausschüttungsverbotes.

Ob diese Verbesserungen ausreichend sind und den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, das bleibt abzuwarten. Die Klagewahrscheinlichkeit ist hoch. Die Anforderungen an eine gerechte Erbschaftsteuer sind dadurch jedenfalls nicht erfüllt. Wir werden deswegen weiterhin als Fraktion und auch als Partei dafür einstehen, dass Vermögen und Erbschaften stärker als bisher in die Finanzierung unserer gesamtstaatlichen Aufgaben, in die Finanzierung für gute Schulen, für ein gutes

Straßen- und Schienennetz sowie in die Finanzierung wichtiger Zukunftsaufgaben einbezogen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dafür werden wir streiten.

Einen letzten Punkt möchte ich zum Schluss noch ansprechen – da hat Herr Kollege Witzel auch recht –: Was muten Sie den kleinen und mittleren Unternehmen, die vielleicht kurz vor einer Unternehmensnachfolge stehen, eigentlich an Rechtsunsicherheit zu?

Das Bundesverfassungsgericht wird sich erneut mit dieser Thematik befassen. Ich glaube, dass die Kollegin Britta Haßelmann aus dem Deutschen Bundestag recht hatte, wenn sie hat mit dem Satz geschlossen hat, mit dem auch ich schließen möchte: Das hier ist die Erbschaftsteuerreform vor der nächsten Erbschaftsteuerreform. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Kern.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Nachdem das Verfassungsgericht Ende 2014 der Privilegierung von Unternehmenserben eine Absage erteilt hat, legt die Große Koalition nun endlich eine Erbschaftsteuerreform vor, die aber leider nichts wesentlich verbessert. Ich bin mir entgegen der Ansicht des Kollegen Abel relativ sicher, dass das kein großer Wurf ist, und würde mich da eher Ihren Schlussworten anschließen wollen.

An dieser Stelle müssen wir aber einmal Folgendes festhalten: Offensichtlich ist die Lobby der Vermögenden und Superreichen mittlerweile so stark, dass es in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr möglich ist, eine vernünftige Substanzbesteuerung hinzubekommen.

Ihren Anfang nahm diese bedauerliche Entwicklung 1998, als das Bundesverfassungsgericht die unrealistisch niedrige Bewertung von Immobilien bei der Vermögensbesteuerung als verfassungswidrig einstufte. Doch eine realistische Bewertung von Immobilienvermögen durch den Gesetzgeber blieb aus, und zwar mit der Folge, dass durch die gewollte Untätigkeit des Gesetzgebers die Vermögensbesteuerung in Deutschland seither ausfällt.

Genau wie damals, 1998, bei der Vermögensteuer, unterlässt es die Politik auch heute, diesmal bei der Erbschaftsteuer, eine angemessene Besteuerung si

cherzustellen. Im Ergebnis ändert sich mit der vorgelegten Reform nichts. 99 % aller Firmenerben werden auch in Zukunft weitgehend bzw. komplett von der Erbschaftsteuer verschont bleiben. Das betrifft nicht nur kleine Familienunternehmen und Handwerksbetriebe.

Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen gelten bis zu 90 Millionen €. Die jetzt gefundene Neuregelung der Erbschaftsteuer dürfte wieder verfassungswidrig sein; denn sie stellt erneut das Verhältnis von Regel und Ausnahme auf den Kopf. Schauen Sie sich allein die Entwicklung des übertragenen Vermögens und die darauf anfallende Erbschaftsteuer in den letzten zehn Jahren an. Raten Sie einmal, welcher Graph hier durch die Decke geht.

(Nicolaus Kern [PIRATEN] hält ein Blatt mit ei- ner grafischen Darstellung hoch.)

Ich gebe Ihnen einen kleinen Tipp: Das Steueraufkommen ist es nicht.

Ich weiß, Sie kommen immer mit dem Argument – auch Herr Dr. Optendrenk hat es eben getan –: Es geht doch um den Schutz der Arbeitsplätze. – Ich weiß aber auch: Es gibt bisher keinen einzigen dokumentierten Fall, bei dem aufgrund der Erbschaftsteuer Arbeitsplätze weggefallen sind. Das ist also ein reines Scheinargument.

(Zuruf von der FDP)

Fragen Sie doch außerdem mal die Arbeitnehmer, was sie davon halten, wenn durch fehlende Steuereinnahmen die Autofahrt zur Arbeit zu einem Schlaglochslalom wird, wenn sie in einem überfüllten Bus fahren müssen bzw. dieser erst gar nicht kommt oder wenn die Klassenräume ihrer Kinder verrotten.

(Zuruf von Christian Haardt [CDU])

Und dann kommt immer noch das Loblied auf die Familienunternehmen. Ja, richtig, sie gewährleisten oftmals gute Arbeitsbedingungen. Aber von welchem Feudalstaatsmodell gehen Sie denn da aus, wenn die Schaffung guter Arbeitsbedingungen angeblich allein von Familienunternehmen abhängig ist?

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist eine wichtige Säule!)

Das ist doch wie im Mittelalter. Da tritt doch eine Logik von Hartz-IV- und Leiharbeitsfanatikern zutage. Ein moderner, guter Sozialstaat sorgt durch gute Gesetze selber für gute Arbeitsbedingungen, ob in Familienunternehmen oder in multinationalen Konzernen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich komme noch auf Ihren Antrag zu sprechen. Die FDP-Fraktion fordert im vorliegenden Antrag eine Flat-Tax bei der Erbschaftsbesteuerung – soll heißen: egal ob privat oder betrieblich, 10 % auf alles, außer auf Tiernahrung.

(Ralf Witzel [FDP]: Darauf auch!)

Nein, liebe FDP, das ist kein Lösungsweg hin zu einer gerechteren Gesellschaft.

Das nächste Jahrzehnt wird zur Dekade der Erben. Nach Schätzungen des DIW werden jährlich bis zu 300 Milliarden € vererbt. Ohne eine echte Erbschaftsteuerreform wird diese Entwicklung die schon jetzt grassierende Vermögensungleichheit noch weiter befeuern. Bereits jetzt haben die ärmsten 40 % der Bürger in Deutschland praktisch gar kein Vermögen. Das reichste Prozent der Deutschen besitzt knapp 30 % des privaten Vermögens. Damit weist Deutschland die höchste Vermögensungleichheit im Euroraum auf. So macht man Politik für Superreiche – nicht mit uns!

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten lehnen daher sowohl die Neuregelung der Großen Koalition als auch das Flat-Tax-Modell der FDP ab. Ich nehme zur Kenntnis, dass der Unterschied zwischen FDP und Grünen bei dieser Frage nur noch ungefähr 5 % ausmacht; auch das ist interessant.

Herr Kollege, die Redezeit ist deutlich überschritten.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir fordern eine sozial gerechte Erbschaft- und Schenkungsteuer, die – natürlich unter Berücksichtigung von Freibeträgen – Erbschaften und Schenkungen in Millionenhöhe hoch besteuert. So könnten wir die soziale Spaltung unserer Gesellschaft wirkungsvoll überwinden und eine ausreichende Finanzierung des Gemeinwesens sicherstellen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Als Nächstes hat sich der fraktionslose Abgeordnete Schulz gemeldet.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Flat-Tax – der Markt ist eröffnet. Es gibt in Bundesrat und Bundestag etwas abzustimmen, nämlich eine Steuerreform.

Ich sage einmal so: Wir haben die ja schon am 18. März dieses Jahres diskutiert, und wir haben auch am 7. Juli hier im Hause über den Vorentwurf diskutiert. Seit dem 22. September 2016 liegt der Vorschlag des Vermittlungsausschusses vor, und seitdem sind wir wahrscheinlich einen Schritt weiter,

nämlich im Abgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichts über das, was da jetzt als Reform vorgelegt worden ist.

Die FDP schlägt eine Flat-Tax vor. Auch die Flat-Tax entzieht Unternehmen selbstverständlich Vermögen; das muss man ganz klar sehen. Andererseits enthält die Regelung, wie sie jetzt die sogenannte Reform vorsieht, mehr Ausnahmen, als dass irgendetwas klar geregelt würde.

Der Präsident des ifo-Instituts, der sich im Übrigen auch für eine Flat-Tax im Bereich der Erbschaftsteuer – allerdings in Höhe von nur 8 % – einsetzt, hat dazu gesagt: Durch Ausnahmen bleibt die Gerechtigkeit auf der Strecke; ohne die Ausnahmen ist die Steuer für Unternehmen wirtschaftlich nicht tragbar.

Insofern bin ich bei Ihnen, Herr Kollege Witzel, wenn die FDP sagt: Das Ding muss eigentlich weg, und wir brauchen etwas Neues, etwas Gerechtes. Ja, etwas Gerechtes. Die Stimmen derer werden lauter, und es werden mehr, die sagen, im Bereich der Erbschaftsteuer könnte es tatsächlich gerechter zugehen, wenn wir eine Flat-Tax einführten.

Wie hoch die am Ende sein muss, darüber wird man sicherlich Berechnungen anstellen müssen. Das DIW sieht die Höhe bei etwa 12,5 %. Dann würde in etwa das gleiche Steueraufkommen entstehen, wie es jetzt der Fall ist. Das wird natürlich dadurch höher, dass der Umfang der Erbschaften einfach größer wird.

Insgesamt muss man allerdings sagen, wird man Ihren Antrag so nicht einfach durchgehen lassen können. Ich meine, Ziffer 1, der Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, passt eigentlich immer. Da bin ich vollkommen bei Ihnen.

Unter Ziffer 2 sprechen Sie hinsichtlich der Besteuerungssituation im Bereich Flat-Tax von „einfach“; da gibt es von mir ein klares Ja. Es gibt bei „gerecht“ ein Doppel-Ja. Es wäre schön gewesen, wir hätten im Ausschuss etwas breiter behandeln können, ob die Sache mit der Flat-Tax grundsätzlich erreicht werden könnte. Ich glaube, das wird hier direkt zur Abstimmung gestellt, wobei das natürlich auf die derzeit im Beratungsverfahren befindliche Steuerreform zielt.

Was ich jedoch nicht mitmachen kann, ist „niedrig“. So, wie es hier ausgeführt wird, geht das zu weit. Eine weitere Belastung der Bevölkerung insgesamt soll vermieden werden. Das geht meines Erachtens einen Schritt zu weit.