Protokoll der Sitzung vom 05.10.2016

dass sich Minister Groschek nicht um diese Bürgerinitiativen und um die Menschen in Leverkusen und auch nicht um die dortigen Tunnelvorschläge kümmert.

Was sagen die Menschen in Leverkusen? Ich zitiere aus dem „Leverkusener Anzeiger“:

„Eine Antwort des Ministers gab es nicht, wohl aber öffentliche Aussagen abfälliger Art über gute und böse Bürgerinitiativen sowie einen Schulterschluss mit Industrie und Gewerkschaften im ‚Bündnis für Infrastruktur‘ gegen ‚Autobahn-Verhinderer‘„

Es gibt mehrere Bürgerinitiativen in Leverkusen – nicht nur diejenige, die die entsprechenden Parteien im Rat unterstützen, sondern da ist noch Diskussion drin. Da beschweren sich die Bürgerinitiativen zu Recht, dass Minister Groschek sie einfach übergeht und an anderer Stelle von durchgrünter Gesellschaft und von der Schuld der Bürgerinitiativen spricht. Die Bürgerinitiativen indes sind nicht daran schuld, dass die A1-Brücke verfallen ist und jetzt dringend saniert bzw. neugebaut werden muss. Das ist nicht die Schuld der Bürgerinitiativen; das ist die Schuld der Politik.

Das als Beispiel zu nehmen und sich an anderer Stelle hinzustellen und zu sagen, der Minister höre nicht auf die Leverkusener, der Minister übergehe die Tunnelvorschläge in Leverkusen, ist wirklich paradox.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich habe schon die Drohung vernommen, die FDP wolle dem Bündnis für Infrastruktur beitreten. Letztlich kann man festhalten: Schuld sind nicht die Tierschutzvereine oder Naturschutzverbände. Auch die Planungspriorisierung ist nicht schuld. Denn eine Planung ohne Priorisierung ist keine Planung. Wenn man Planung machen will, muss man auch priorisieren; das ist klar.

Die Bürgerinitiativen sind ebenfalls nicht schuld. 90 % der Bürgerinitiativen machen das auch nicht aus reinem Eigennutz, sondern weil sie vor Ort etwas bewegen wollen.

(Jochen Ott [SPD]: Ja, vor Ihrer eigenen Haus- tür!)

Auch die Menschen in Leverkusen wollen keinen Stillstand.

Der Mehraufwand für Bürgerbeteiligung lohnt sich. So, wie die Menschen in NRW heute die Bürgerbeteiligung wahrnehmen, müssen sie den Eindruck haben, alles sei bereits entschieden. Das muss geändert werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin froh, dass dieser Tagesordnungspunkt zu so prominenter Zeit aufgerufen wurde. Er hat für mich in der Tat einiges Neues gebracht hat. So viel fraktionsübergreifende Einigkeit für einen expansiven Straßenbau habe ich hier noch nie vernommen. Daher freue ich mich.

(Christof Rasche [FDP]: Bei den Grünen?)

Ja. Wenn ich das Plädoyer des Kollegen Klocke richtig verstanden habe, war es auch eines für expansiven Straßenbau, und zwar da, wo dieser priorisiert ist. Also: kein Geld zurückgeben, sondern Bundesgeld in Baggerfahrten und Bauen umsetzen. Mehr Einigkeit gab es in diesem Hohen Haus noch nie.

(Beifall von der SPD)

Diese Diskussion ist daher ein freudiges Ereignis für mich. – Erster Punkt.

Zweite Anmerkung. Ich bin im Sommer 2012 ins Amt gekommen. Da war der Landesstraßenbetrieb, so wie ich ihn vorgefunden habe, mit drei unterschiedlichen Geschäftsführern, die drei unterschiedliche Parteibücher hatten, aufgestellt. Der Landesbetrieb Straßen.NRW hat jetzt unter meiner Verantwortung nur eine Geschäftsführerin, und zwar ohne Parteibuch. Damit will ich Mitgliedschaften in Parteien nicht auf- oder abwerten, vielmehr geht es mir darum, Unterschiede zu charakterisieren.

Als ich das Amt übernommen habe, haben wir da korrigiert, was die Möglichkeiten der Planung anbelangte. Im ersten Quartal 2016 gab es 100 Ingenieurinnen und Ingenieure mehr, als 2013 vorhanden waren. Es gab also nicht nur einen Stellen-, sondern auch einen realen Personalaufwuchs.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört! – Christof Ra- sche [FDP]: Wie: „Hört, hört“?)

Wir haben inzwischen die größten Vergabeetats seit Bestehen des Landesbetriebs. Im letzten Jahr haben wir über 40 Millionen € ausgereicht, in diesem Jahr stehen 54 Millionen € zur Verfügung. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landesbetriebs haben wir für

Sonderbaumaßnahmen doppelt so viel Geld zugewiesen bekommen wie Bayern, nämlich über 700 Millionen €, wohingegen Bayern mit Dingen wie Ortsumfahrungen für knapp 350 Millionen € aus irgendwelchen Schubladen herumkrebst.

(Jochen Ott [SPD]: Hört gut zu!)

Insgesamt sind die Bundesländer gar nicht mehr dazu in der Lage, Projekte anzumelden. Wir hingegen haben zusätzliche Projekte, für die Planfeststellungsbeschlüsse ergehen und die baureif werden:

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

A40, A43, B59, B61 – wir können demnächst bauen, was die Bagger hergeben, allerdings unter einer Voraussetzung: dass damit ein Maß an planerischer Umsetzungsvernunft einhergeht. Die Klagemauer muss überwindbar sein und darf nicht unüberwindbare Ausmaße annehmen. Außerdem benötigen wir ein Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz, das dem Interesse der Mehrheit Ausdruck verleiht – bei allem Minderheitenschutz, der in einer Demokratie selbstverständlich ist.

Eine nationale Autobahnausbaumaßnahme dient eben nicht nur den Anwohnerinnen und Anwohnern an der konkreten Ausbaustelle, sondern sie dient allen das Bundesautobahnnetz nutzenden Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern.

(Beifall von der SPD und Ilka von Boeselager [CDU])

Deren Interesse ist hier im Parlament abzuwägen gegenüber den Partikularinteressen, mit denen wir uns selbstverständlich ernsthaft auseinandersetzen.

Für jede Bundesstraßenbaumaßnahme kann ich den ökologischen Nutzen beziffern – nicht beschreiben, sondern beziffern –: weniger Abgas, weniger Stau, mehr Möglichkeiten für Flora und Fauna. Das gilt für den beabsichtigten Lückenschluss der A1, das gilt für die Ausbaumaßnahme A33, wo wir Fledermausfanggitter gebaut haben, sieben Grünbrücken auf 12 km, und diverse andere Maßnahmen. Alles ist darstellbar, alles ist berechenbar. Das, was wir versiegeln, kaufen wir als naturgeschützte Flächen zusätzlich hinzu, sodass der Landesbetrieb inzwischen einer der größten Grünbetriebe in der Bundesrepublik Deutschland ist.

Deshalb sage ich mit Fug und Recht: Wenn wir schlussendlich zum Bauen kommen, dann können wir tatsächlich sagen: Wir sind die Guten – für die Menschen sowieso, aber auch für Flora und Fauna –, weil der Zustand der Umwelt nach dem Bau besser ist als vor dem Bau.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Jetzt komme ich noch einmal zu den Vorwürfen im Zusammenhang mit der Priorisierung: Derjenige, der den ganzen Kram abgeräumt hat, der seinerzeit

durch Rot-Grün als „nachrangig“ einpriorisiert wurde, der am erfolgreichsten die Spreu vom Weizen getrennt hat, war Alexander Dobrindt.

Warum? – Weil sein Entwurf zum neuen Bundesverkehrswegeplan mehr als 50 % der Projekte, die RotGrün auf „nachrangig“ gestellt hatte, jetzt in den Orkus überführt hat. Es heißt: Die brauchen wir nicht mehr zu planen; das ist so nachrangig, das kommt gar nicht mehr in die Tüte. – Von 78 Projekten bleiben gerade noch 38 übrig, mit denen sich das Land nach Ansicht von Dobrindt irgendwann mal befassen soll. 40 Projekte sind Geschichte – nicht durch uns, sondern durch Dobrindt.

(Beifall von der SPD)

Die könnten nur noch korrigiert und wiederbelebt werden, wenn der Deutsche Bundestag so unvernünftig wäre, sie wiederaufleben zu lassen. Ob das geschieht, wissen wir am 2. oder 3. Dezember dieses Jahres. Da wird das Gesetz zum Bundesverkehrswegeplan verabschiedet. Danach folgen die Ausbauplanung und der Bedarfsplan.

Wenn der Bedarfsplan auf dem Tisch liegt, können wir eine funktionale Priorisierung vornehmen, die selbstverständlich ist. Wir werden ja nicht nach A, B, C oder sonstigen dysfunktionalen Kriterien planen, sondern nach Verkehrswert, Baureife und Baudisposition, was Umleitungs- und Baustellenverkehre angeht. Es wird eine funktionale Priorisierung der neuen Ausbaugesetze geben, die irgendwann im Frühjahr als gesetzliche Wirklichkeit den Landtag erreichen werden.

Zur Planfeststellungspraxis: Das Landesnatur

schutzgesetz geht an keiner Stelle über das Bundesnaturschutzgesetz hinaus. Wenn überhaupt, dann müsste das Bundesnaturschutzgesetz angegriffen werden, nicht das neue Landesnaturschutzgesetz.

Zusätzliche Schwierigkeiten bei der Planung könnte möglicherweise das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz bringen, das im Bundestag geändert werden soll, weil aus der EU Kritik daran geübt wurde. Obwohl wir in der EU ein einheitliches Umweltrecht haben, wird es in der Praxis ganz unterschiedlich angewandt. Da brauchen wir Harmonisierung; denn es ist ein Unterschied, ob man, wie in Dänemark, für den Neubau einer alten Brücke mit einem Schnellhefter für den Planfeststellungsbeschluss auskommt oder wie bei uns 1.500 Aktenseiten produzieren muss, bevor überhaupt etwas passiert.

Daher war meine Anregung – die Dobrindt dann aufgegriffen hat –, eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, damit das Planungsrecht zügiger zu einem Ergebnis kommen kann.

(Beifall von der SPD)

Auch da wird es nicht weniger, sondern mindestens die gleiche demokratische Legitimität geben, aber zügigere Verfahrensabläufe.

Wir sind im Gespräch. In der Arbeitsgruppe sind wir mit der Verantwortung für einen Teilbereich – Behörden-zu-Behörden-Planungen – prominent vertreten. Das ist unser Schwerpunkt bei diesem Prozess. Spätestens im März nächsten Jahres können wir über die Ergebnisse auch hier in Ihrem Hohen Haus diskutieren. Ich jedenfalls freue mich nach dem heutigen Tag erst recht, Verkehrsminister dieses Landes sein zu dürfen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 2 Minuten, 25 Sekunden überschritten. Die anderen Fraktionen hatten aber auch zum großen Teil ihre Redezeit überschritten. Von daher hebt sich das weitgehend auf. Ich sehe auch keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/13021 – Neudruck – an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann das nicht? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4 G9 für Nordrhein-Westfalen jetzt!