Protokoll der Sitzung vom 06.10.2016

Ich gehöre zu denjenigen in meiner Partei, die mit Blick auf ein notwendiges Zuwanderungsgesetz sagen, dass es dann auch tatsächlich notwendig sein wird, zu sagen, wo sich die Menschen niederlassen sollen und wo tatsächlich für sie schnell Integrationshilfen organisiert werden können. Das hat etwas damit zu tun, dass man eben steuern muss.

Wenn Sie sich Zuwanderungsgesellschaften wie zum Beispiel Kanada oder auch die USA anschauen, die eine lange Tradition mit Zuwanderung haben, dann sehen Sie, dass sie unter anderem über Wohnsitzauflagen steuern. Damit ist nicht die Freizügigkeit auf ewig ausgesetzt, sondern es geht darum, ob man es nicht schaffen kann, die Menschen in einer gewissen Zeit – in unserem Fall jetzt drei Jahren – dazu zu bringen, zu versuchen, Wurzeln zu schlagen, und zwar dort, wo man ihnen auch am besten Hilfe geben kann.

Ich will Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimatstadt schildern. Wir haben seit Januar 2016 zu den nach Essen zugewiesenen gut 5.000 Personen zusätzlich 1.650 Personen in unserer Stadt, die als anerkannte Schutzsuchende aus anderen Bundesländern zugezogen sind. Die Betreuer dieser Menschen sagen, dass diese Personen zum Teil in den anderen Bundesländern bzw. Städten die Aufforderung bekommen haben, ruhig die Stadt zu verlassen. Das geschah mit folgendem Hinweis: Wenn ihr meint, dass ihr bessere Hilfen zum Beispiel in Essen finden könnt, dann geht dahin.

Jetzt ist die Frage, wie das denn in einer Stadt stattfinden kann, die kein Umland hat, die wenig Flächen hat und in der es anerkanntermaßen im Augenblick ein großes Problem mit dem Wohnungsbau gibt. Deshalb ist es gar nicht dumm, zu überlegen, ob man nicht versuchen sollte, die Menschen dahin zu bringen, wo für sie auch Leistungen und Infrastruktur vorhanden sind.

Diese 1.650 Menschen sind jetzt da. Es wird garantiert niemand aus Essen zurückgewiesen werden. Insofern kann ich Ihnen schon sagen: Das Aussetzen der Wohnsitzauflage, wie Sie es fordern, wäre an dieser Stelle überhaupt nicht das Problem. Das Problem ist, dass sich die Menschen in einer Stadt mit so wenig Fläche und im Augenblick wirklich nicht üppig vorhandenem Wohnraum in bestimmten Bereichen ansiedeln.

Da rede ich nicht von Gettobildung, sondern davon, dass sich Nachbarschaften, die sich ohnehin schon eine ganze Zeit lang in täglicher Integration geübt haben, ein Stück weit überfordert fühlen können. Das muss ich anerkennen, Frau Brand, ob ich diese Einschätzung nun teile oder nicht. Ich muss erst einmal anerkennen, dass es so ist, und dann versuchen, den Menschen deutlich zu machen, wie wir vor Ort gemeinsam die 1.650 Personen, die zum Teil schon

ihre Kinder in der Schule haben, die schon Sprachkurse besuchen und die in viel zu kleinen und teilweise nicht wirklich guten Wohnungen leben, schnell in die Stadtgesellschaft integrieren können.

Ich akzeptiere aber nicht, dass in anderen Bundesländern gesagt wird: Wir werden keine Härtefallregelung machen. Wir machen keine Wohnsitzauflage. Wir lassen die Leute dahin ziehen, wohin sie wollen. – Das ist meist in den Bundesländern der Fall, in denen es tatsächlich keinen Zuzug in der Art und Weise gibt, wie wir ihn beispielsweise im Ruhrgebiet und in unseren Ballungsräumen oder großen Städten erleben.

Frau Brand, das ist der Hintergrund, warum wir sagen: Eine Wohnsitzauflage in der Form, wie sie die Landesregierung jetzt durch ihren Erlass hinzubekommen versucht, ist eine durchaus sinnvolle Sache.

Ich kann Folgendes nachvollziehen; das Problem sehe ich ganz genauso: Man sollte auf der Bundesebene – wir haben das schon sehr oft gehabt; das ist eine Kritik, die ich auch in Richtung meiner eigenen Parteifreunde auf der Bundesebene geäußert habe – nicht solche Gesetze machen und dann einfach eine Rückwirkung herstellen, ohne dass wirklich klar ist, wer sie eigentlich aushalten muss. Hier müssen es die Kommunen vor Ort dann machen. Es gibt diesbezüglich leider auf der bundesgesetzlichen Ebene überhaupt keine konkreten Hinweise, wie denn die Ausländerbehörden das tun sollen – bis auf den Hinweis, dass nach dem konkreten Erlass die Länder zuständig sind.

An dieser Stelle gibt es eine Rückwirkung, die mit dem Rückstau bei der Registrierung zusammenkommt. Das kann im Einzelfall tatsächlich für den Einzelnen zu ungünstigen Konstellationen führen.

Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Ausländerbehörden nach dem Erlass auch tatsächlich in die Lage versetzt sehen, im Sinne der Menschen und auch ziemlich einhellig zu reagieren.

Ich möchte aber noch einen Punkt loswerden, bei dem ich die Landesregierung lobe. Wie manche hier wissen, tue ich das nicht oft. Ich finde eine Sache wirklich richtig. Bei der Zuweisung von anerkannt Schutzsuchenden wird die Landesregierung in Zukunft schauen, welche anderen Zuwanderungsbewegungen es in den letzten Jahren gegeben hat. Das spricht insbesondere die Kommunen an, die eine Zuwanderung aus Südosteuropa haben. Das ist in meiner Heimatstadt ein Problem, aber ein eher kleineres. Ich weiß allerdings, dass es in den Nachbarstädten Duisburg oder Gelsenkirchen sehr wichtig ist.

An dieser Stelle geht es darum, anzuerkennen, dass auch Menschen aus Südosteuropa tatsächlich eine Menge an Integrationsleistungen und auch eine Menge an Integrationshilfen brauchen, um Fuß zu

fassen und in unserer Gesellschaft Wurzeln zu schlagen. Denn das ist ja das, was wir wollen. Dass die Landesregierung erklärt, darin seien die Kommunen zu unterstützen, indem man Besonderheiten, die in den einzelnen Kommunen bei der Zuwanderung tatsächlich feststellbar sind, berücksichtige, halte ich für ausgesprochen richtig. Das finden wir von unserer Seite durchaus vernünftig.

Es bleibt am Ende so – das löst Ihren Kummer auf, glaube ich –, dass die Ausländerbehörden zuständig sind. Das führt in der Kombination mit der von mir schon angesprochenen Rückwirkung im Augenblick sicherlich zu einer Vielzahl von Problemen und auch zu einer Menge Verdruss bei denjenigen, die Geflüchtete unterstützen wollen und ihnen helfen wollen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sich das in den nächsten Wochen und Monaten im Sinne der Menschen wird auflösen können, so wie wir es in Nordrhein-Westfalen immer getan haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Kuper.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich zunächst einmal an die Piraten wenden. Frau Kollegin Brand, Sie haben Ihren Antrag im Sinne der Betroffenen und einer gelungenen Integration sicherlich gut gemeint. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass er auch gut gemacht ist. Im Gegenteil: Dieser Antrag der Piraten ist aus unserer und meiner Sicht falsch und geht an der Praxis und den Bedürfnissen in unseren Städten und Gemeinden völlig vorbei. Daher werden wir ihn auch ablehnen.

Integration kann man nicht dem Zufall überlassen, sondern muss gestaltet werden. Diese Wohnsitzauflage ist eine von vielen integrationsfördernden Maßnahmen, letztlich entwickelt aus dem Bundesintegrationsgesetz.

Meine Damen und Herren, in Bezug auf die Frage, ob wir so etwas brauchen oder nicht, kann man sich mit zwei Zahlen schon ganz gut orientieren, denke ich. In Nordrhein-Westfalen sind wir derzeit mit 29 % der anerkannten Flüchtlinge bundesweit das Flüchtlingsland Nummer eins. Auf Platz 2 folgt Niedersachen mit nur 11 %. Das spricht aus unserer und meiner Sicht eine ganz deutliche Sprache der Notwendigkeit des Handelns.

Insofern ist die Wohnsitzauflage für uns als Union ein geeignetes Integrationsinstrument. Sie ist doch gerade dazu geeignet, irgendeine Art von Ghettobildung zu verhindern und die Integrationsmöglichkei

ten vor Ort in den Städten und Gemeinden zu optimieren. Sie ist notwendig, um die Integrationsleistungen, die auch begrenzt sind, besser steuern zu können und eine gleichmäßigere Verteilung innerhalb der Städte und Gemeinden zu erreichen.

Wir wollen die Integration der Menschen in eine Stadtgesellschaft fördern. Auf der anderen Seite dürfen wir aber nicht Städte und Ballungsräume mit der Integrationsaufgabe überfordern. In der Vergangenheit hat sich eben doch gezeigt, dass Asylberechtigte nach ihrer Anerkennung den Wohnsitz wechseln und es zu sehr ungleichen Verteilungen kommt.

In Bezug auf die Frage, ob das notwendig ist, möchte ich noch einmal eine Zahl nennen. Wenn man sich die räumliche Verteilung der anerkannten Flüchtlinge anschaut und nur die Top Acht der Nicht-EUAusländer oder Asylzugänge nimmt, dann zeigt sich, dass rund die Hälfte dieser Personen in lediglich 33 von 402 Kreisen und kreisfreien Städten lebt.

Wenn Sie meinen, dass das eine gleichmäßige Verteilung ist, die keinerlei Handlungsnotwendigkeiten erzeugt, kann ich das nicht verstehen.

(Beifall von der CDU)

Da können wir Ihre Haltung auch nicht weiter teilen.

Meine Damen und Herren, wir haben über dieses Thema der Wohnsitzauflage schon bei der Einbringung des Gesetzes in der vergangenen Plenarrunde sehr intensiv diskutiert. Ich möchte es mir und Ihnen ersparen, all die Gründe, die damals genannt worden sind, hier zu wiederholen.

Deshalb danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit bis hierhin. Sollte der Bedarf entstehen, werde ich meine restliche Zeit für eine zweite Runde nutzen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir halten die vorübergehende Steuerung der Migration von anerkannten Flüchtlingen – über die reden wir hier ja – auch innerhalb Nordrhein-Westfalens derzeit für notwendig. Wir halten das auch für eine integrationsfördernde Maßnahme und nicht für eine integrationshemmende Maßnahme.

Denn anders, als Sie es dargestellt haben, Frau Kollegin Brand, sind das keine Märchen, die erzählt werden. Kollegin Altenkamp hat die Situation in Essen dargestellt. Ich kann auch noch andere Städte benennen. Es ist daten- und faktenbasiert nun einmal

so, dass wir Wanderungsbewegung haben. Die betroffenen Städte sagen, dass für sie integrationspolitisch eine ganz schwierige Planungslage entsteht, wenn dort 1überproportional viele Menschen zuwandern.

Denn was ist für Integration notwendig? Was brauchen wir da? Für eine Integrationsinfrastruktur brauchen wir die drei großen Bereiche Wohnen, Arbeit und Bildung.

Wir haben mit dem Integrationsplan eine Menge auf den Weg gebracht, um alle Städte und Gemeinden hier gut auszustatten.

Ich nehme nur einmal das Beispiel Wohnen. Das ist für mich derzeit auch das zentrale Argument für eine befristete Wohnsitzauflage. Wohnen ist ein Menschenrecht. Wenn wir dieses Recht der Menschen nicht erfüllen können, müssen wir hier steuernd eingreifen.

Zwar haben wir die Wohnraumförderung in diesem Jahr von 800 Millionen € auf 1,1 Milliarden € erhöht. So viel zu Ihrer Feststellung, die Landesregierung wirke dieser Situation nicht entgegen! Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Aber wir haben in NordrheinWestfalen einen zusätzlichen Bedarf an preiswertem Wohnraum in Höhe von 200.000 Wohnungen. Die Prognosen gehen davon aus, dass wir bis 2020 über 300.000 zusätzliche Haushalte haben. Sie wollen alle mit Wohnraum versorgt werden. Das sind nicht nur, aber auch Flüchtlinge.

Man sollte sich nur einmal anschauen, wo Wohnraum fehlt. Ich selbst komme aus Düsseldorf. Dort fehlt preiswerter Wohnraum. Natürlich können Sie sagen – das tun Sie in Ihrem Antrag auch –, das sei in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Ja, das kann ich für meine Heimatstadt sagen. In Düsseldorf ist über Jahre zu wenig preiswerter Wohnraum geschaffen worden.

Aber dieses Lamentieren nützt nichts, wenn die Menschen keine Wohnung finden und die anerkannten Geflüchteten dann in den Flüchtlingsunterkünften bleiben müssen, die für die Geflüchteten zur Verfügung stehen sollen, und nicht in den Wohnungsmarkt integriert werden können.

Alle diese Probleme müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Eine Verweigerung von Realität hilft uns auch nicht weiter.

Deswegen glaube ich und glauben wir, dass dieses Instrument für eine begrenzte Zeit angewandt werden sollte. Es gilt erst einmal nur für drei Jahre. Die Menschen bleiben erst einmal drei Jahre lang in den Kommunen, in denen ihre Asylverfahren durchgeführt werden, oder sie werden aus der Landeseinrichtung direkt zugewiesen.

Ihr Idealismus in allen Ehren! Auch ich finde es schöner, wenn sich anerkannte Flüchtlinge frei bewegen

können und das alles wunderbar funktioniert. Aber wir müssen erst einmal die Voraussetzungen für eine flächendeckende Integrationsinfrastruktur schaffen, die den Bedürfnissen dieser Menschen gerecht wird.

Deswegen werden wir Zeit brauchen. Politik sollte ehrlich sein. Ehrlicherweise wird das Zeit brauchen. Für diese Zeit brauchen wir hier eine Steuerung, um die Kommunen nicht zu überfordern. Am Ende ist das auch im Sinne der Geflüchteten, damit wir sie tatsächlich schneller integrieren können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vieles wurde gesagt, aber noch nicht von jedem.

Wir hatten das Thema – Kollege Kuper hat es angesprochen – bereits beim Plenum im letzten Monat und werden es auch wieder haben. Ich möchte trotzdem kurz die Gelegenheit nutzen, zu sagen, warum wir Liberale grundsätzlich für eine Wohnsitzauflage sind, so wie wir auch für eine Erweiterung der Schulpflicht bis 25 waren.

Wir sind nämlich der Meinung, dass wir Menschen, die zum Teil mit sehr geringen Vorkenntnissen über unsere Gesellschaft und zum Teil mit einem geringen Bildungsstand zu uns kommen, anders an die Hand nehmen müssen, als es momentan in der Praxis passiert, damit sie dann, wenn wir sie gebildet und ausgebildet haben, die Chance haben, genauso selbstbestimmte und gleichberechtigte Mitglieder dieser Gesellschaft zu werden, wie wir das sind.