Protokoll der Sitzung vom 06.10.2016

Diese zunehmende Regulierung und Einschränkung von selbstständigen und neuen Arbeitsformen ist aber nicht nur in diesem Antrag zu finden. Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze stellt unter anderem unter dem Schlagwort „Bekämpfung vermeintlichen Miss

brauchs von Werkverträgen“ Soloselbstständige unter Generalverdacht, wenn Einzelunternehmer und gerade auch Freelancer im IT-Bereich zu Scheinselbstständigen erklärt werden sollen.

Wir werden uns diesen Tendenzen auch weiterhin entgegenstellen. Wir wollen nicht, dass unter dem Schlagwort des digitalen Arbeitswandels immer mehr reguliert wird, dass versucht wird, selbstständige Tätigkeiten zurückzudrängen. Wir treten hingegen für eine Stärkung der Gründungskultur und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Selbstständige ein. Wir wollen so die Chancen der neuen digitalen Arbeitswelt für mehr Freiheit und mehr Menschen nutzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegen Schneider. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und im Stream! Wir haben hier jetzt schon einiges über Click- und Crowdworking gehört. Inhaltlich hat das die Kollegin Spanier-Oppermann, wie ich finde, hervorragend zusammengefasst.

Ich möchte jetzt gerne auf den Grundantrag zurückkommen, den wir Piraten gestellt haben. Es geht hier um Click- und Crowdworking, um Chancen und Risiken des digitalen Arbeitswandels. Wichtig ist, beides zu beleuchten. Wenn man das eine herausstellt und das andere vergisst, wird man dem Problem nicht gerecht.

Auf der einen Seite gibt es mehr Freiheit und mehr Flexibilität. Ich sehe das übrigens auch als Chance

zu mehr Eigenverantwortung. Auch die Einstiegshürden für die Aufnahme von Arbeit werden tatsächlich gesenkt, wenn man das richtig anpackt.

Auf der anderen Seite können wir uns aber auch schon einmal anschauen, wie es in den Märkten läuft, in denen Click- und Crowdworking schon einen ziemlich hohen Anteil hat, zum Beispiel in den USA. Da leben im Endeffekt schon fast 30 Millionen Menschen von dieser Methodik, arbeiten zu können. Man sieht dort sehr deutlich, dass die Stundenlöhne sehr stark nach unten gehen und die eh schon kaum vorhandenen Sozialabgaben noch weniger werden.

Dazu kommt noch, dass wir das gleiche Problem wie bei vielen internationalen Verflechtungen haben. Dabei geht es um folgende Fragen:

Wo findet die Arbeit statt? Wo findet die Entlohnung statt? Wo müssen Steuern und Abgaben abgeführt werden? Wenn ein Unternehmen in Irland sitzt und hier jemanden beschäftigt, der digital für sie arbeitet, ist zu fragen: Wie regeln wir das, wo welche Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden? Das alles sind ungeklärt Dinge.

Liebe Susi Schneider, auch da werden hinterher verschiedene Dinge mit einem Zwang belegt werden, dem Zwang, sich am Sozialsystem zu beteiligen und da Steuern zu bezahlen, wo Gewinne anfallen. Diesen Zwang möchte ich immer wieder gerne durchsetzen. Sich hier hinzustellen und für die Sozialschmarotzer am oberen Ende der Einkommensskala Freiheit einzufordern, ist nicht richtig.

Benennen wir es einmal ganz deutlich: Diese Freiheit, die von der FDP immer angeführt wird, ist die Freiheit der reichen Menschen, da Steuern hinterziehen zu können, wo sie es überhaupt nur machen können. Und das ist widerlich! Das braucht man nicht. Ein Sozialstaat braucht das nicht. Das ist wirklich überflüssig!

(Beifall von den PIRATEN)

Ich komme noch einmal auf die Chancen und Risiken zurück. Es gibt wirklich viele Chancen. Die liegen nicht nur in der Flexibilisierung, sondern tatsächlich auch darin, dass sich Menschen verwirklichen können. Das ist ein Punkt, den die Digitalisierung der Arbeit mit sich bringt. Und das ist hervorragend.

Wir dürfen aber auch nicht aus den Augen verlieren, dass wir jetzt schon Scheinselbstständigkeit und Werkvertragsarbeitnehmer haben, die tatsächlich ausgebeutet werden.

Wenn wir das eins zu eins in die digitale Arbeitswelt mitnehmen, machen wir hier als Volksvertreter unseren Job definitiv falsch. Deshalb ist es richtig und gut, dass wir hier erforschen lassen, welche Leitplanken für unsere Gesellschaft sinnvoll sind. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass wir, Rot-Grün und Piraten, gemeinsam einen Entschließungsantrag entwickeln

und uns darauf einigen konnten, das zu erforschen. Denn es ist dringend notwendig.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schnell diese Entwicklung vorangehen wird. Wir reden jetzt über Click- and Crowdworking, Chancen digitaler Arbeitswandel Part 1. Wenn man sich anschaut, wie das aktuell schon viel weitergegangen ist:

In der Zeit, in der wir uns mit dem Thema beschäftigt haben, geht es zum Beispiel um Bitcoin – das sagt Ihnen eventuell etwas –, ein Zahlungssystem jenseits nationaler Kontrollmechanismen. Darüber kann man noch scherzen, ist bis jetzt ein Fall für Nerds, für Leute, die sich damit in der Tiefe beschäftigen wollen. Aktuell möchten UBS und andere Großbanken dieses Zahlungssystem als Zahlungssystem zwischen Großbanken ohne nationale Kontrolle weiterentwickeln. Das wird eine Umwälzung, die uns alle noch richtig hart treffen wird, wenn wir solche digitalen Dinge nicht endlich auf die Agenda setzen.

Kollege Preuß, Hinweis auf die Bundesebene, schön und gut. Sprechen Sie einmal mit Journalisten, die versuchen, in Bundestagsfraktionen kompetente Ansprechpartner zu dem Thema zu finden. Die werden da regelmäßig abgewiesen. Das ist nicht schön. Das muss besser werden. Deshalb werden wir dieses Thema immer und immer wieder hier auf die Agenda setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Als Nächster hat sich der fraktionslose Abgeordnete Daniel Schwerd gemeldet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und hinter den Bildschirmen! Wenn der Hyper-Kapitalismus auf Digitalisierung trifft, entstehen neue Formen von Lohnarbeit, Formen des Click- and Crowdworkings. Plattformen für die Vermittlung von Mikroarbeitspaketen ermöglichen einen neuen weltweiten Wettbewerb der Arbeitnehmer untereinander. Crowdworker verkaufen als formal Selbstständige ihre Arbeitskraft, wobei grundsätzlich der zum Zuge kommt, der das zum niedrigsten Preis tut. Das ist gnadenlos und global.

Es entsteht ein neues digitales Prekariat ohne soziale Absicherung, ohne Arbeitnehmerrechte, ohne eigene Interessenvertretung, ohne Gewerkschaft. In Amazon Mechanical Turk zum Beispiel entscheiden die Auftraggeber, ob sie mit der Leistung der Arbeitnehmer zufrieden sind. Wenn nicht, dann zahlen sie einfach nichts. Sie vergeben Aufträge an mehrere zugleich und bezahlen nur den Besten. Selbst auf deutschen Crowdworking-Plattformen kommt man

oft nur auf Stundenlöhne von 3 oder 4 €, so wird berichtet. Offizielle Statistiken gibt es keine.

Man kann nicht so tun, als dürfe man die sozialen Errungenschaften hier nicht durchsetzen, die in vielen Jahren des Arbeitskampfes und des gewerkschaftlichen Bemühens erreicht worden sind. Nein, man muss sie sogar durchsetzen.

Natürlich müssen Mindestlöhne auch hier gelten, sonst verschwindet bald die gesamte Arbeit in solche Erwerbsformen, und der Mindestlohn ist eine schöne Erinnerung ohne praktische Relevanz.

Natürlich muss es auch hier eine vernünftige Alters- und Krankenversorgung geben.

Natürlich müssen Auftragnehmer den Auftraggebern auf Augenhöhe begegnen dürfen.

Hier ist der Gesetzgeber gefragt, notwendige Rahmenbedingungen durchzusetzen. Da sind auch die Gewerkschaften gefragt, eine neue digitale Vernetzung dieser Arbeitnehmer zu organisieren. Wie das alles genau gehen soll, das ist oft noch unklar. Da ist wissenschaftliche Begleitung nötig. Wir brauchen auch verlässliche Statistiken.

Click- and Crowdworking hat nicht nur Nachteile, es bietet ja auch Chancen. Es schafft ganz neue Arbeitsmöglichkeiten. Es kann Arbeit zu denjenigen bringen, die bislang keine Möglichkeit hatten, sie anzunehmen, etwa weil sie alleinerziehend sind, weil sie nicht mobil sind. Es ist eine Chance für Geringqualifizierte. Denn die Übernahme solcher Arbeitspakete ist meist nicht an Voraussetzungen gebunden. Es bietet eine Möglichkeit, sich erst im Kleinen an neue Aufgaben heranzuwagen, und es erlaubt einen hohen Grad individueller Freiheit, was Arbeitszeiten und Arbeitsorte angeht.

Das Ganze muss eben fair ablaufen. Wir leben in einem Sozialstaat, und wir haben soziale Verantwortung auch für den Rest der Welt. Wir haben gewisse Standards durchzusetzen. Das soll dann bitte auch getan werden. Rechtsfreie Arbeitsräume sollten wir uns nicht leisten. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schmeltzer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In den Beratungen zu diesem Antrag konnten wir schon einiges über Click- und Crowdworking lernen, insbesondere, dass es den Clickworker nicht gibt. Je nachdem, um welche Auftragsformen es sich handelt, findet sich der Clickworker in ganz

unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und Einkommenssituationen wieder.

Es gibt zum Beispiel den Studenten, der zwischendrin aus Spaß an der Freude mal eben die Öffnungszeiten seiner Stammkneipe überprüft. Es gibt das Designbüro, für das die Onlineplattformen nur eine alternative Form der Akquise von Aufträgen darstellt.

(Lachen von Susanne Schneider [FDP])

Und es gibt die Reinigungskraft, die zu niedrigster Bezahlung von Auftrag zu Auftrag durch die Stadt hetzt.

Wir haben es also eben nicht mit einem Phänomen, sondern eigentlich mit einem ganzen Bündel zu tun, von Nebenerwerb über Projektarbeit bis hin zu modernem Tagelöhnertum.

Auch wenn wir uns einig sind, dass wir aller Voraussicht nach die Regelungen zur sozialen Absicherung ebenso wie die zum Arbeitsschutz oder zur Mitbestimmung weiterentwickeln müssen, sogar die Experten tun sich schwer, konkrete Vorschläge zu machen, wie Click- und Crowdworking in unsere soziale Marktwirtschaft eingebunden werden kann. Das Thema führte erst kürzlich sogar zum Eklat auf dem Juristentag hier in Nordrhein-Westfalen. Aus Verärgerung unter anderem über Beschlussvorschläge zu Schutzrechten von Crowdworkern blieb ein Teil der Teilnehmenden den Abstimmungen fern.

Unter diesen Voraussetzungen halte ich es zurzeit für verfrüht, Gesetzesinitiativen und Regelungsvorschläge schon jetzt auf den Weg zu bringen. Es ist noch nicht ersichtlich, welches Ausmaß und welche tatsächliche Wirkung das Phänomen des Crowdworking hat, geschweige denn haben wird. Es fehlen eben noch Erkenntnisse, die als Grundlage für allgemeine Regelungen herangezogen werden könnten. Einfache Lösungen, wie den Mindestlohn auf Selbstständige anzuwenden, wird es nicht geben.

Die grundlegenden Pfeiler unseres Wirtschaftssystems wie die Vertragsfreiheit müssen unangetastet bleiben. Darüber hinaus sollte vermieden werden, für jede Beschäftigtengruppe eigene Gesetze zu machen. Möglicherweise sollte die Soloselbstständigkeit insgesamt kritisch in den Blick genommen werden.

Außerdem sind Clickworker nicht die einzige Herausforderung, die sich uns im Rahmen der Digitalisierung der Arbeitswelt stellt. Allerdings halten uns gerade die Anträge der Piraten dies immer wieder vor Augen.

Deshalb halte ich es einerseits für richtig, wie im Antrag gefordert mehr Informationen zum Umfang von Click- und Crowdworking zu den Auswirkungen und die Arbeitsbedingungen einzuholen und weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen.

Andererseits bin ich der Auffassung, dass die Herausforderungen der Digitalisierung in der Arbeitswelt umfassender angegangen werden müssen.

Herr Kollege Preuß, Sie haben dankenswerterweise eben noch mal die Initiative der Bundesregierung angesprochen.

Aber auch die Initiativen der Landesregierung dürfen wir hier nicht vergessen. Darauf habe ich schon im letzten Tagesordnungspunkt hingewiesen. Mit der Allianz „Wirtschaft und Arbeit 4.0“, in der die Spitzen der Sozialpartner, die Landesregierung, vertreten durch den Wirtschaftsminister Garrelt Duin, die Wissenschaftsministerin Svenja Schulze und meine Person als Arbeitsminister, und eben die Wissenschaft vertreten sind, werden wir deshalb Transparenz über die Entwicklungen, Chancen und Risiken sowie mögliche Konsequenzen der Digitalisierung von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft herstellen. Wir werden die Sozialpartner, die betrieblichen Verantwortlichen, die Beschäftigten und fachlich ausgewiesenen Institutionen konsequent an diesem Prozess beteiligen und die Herausforderungen, Veränderungsprozesse und notwendigen Regulierungen demokratisch gestalten.

Gemeinsam müssen wir die digitale Arbeitswelt gestalten, um zu vermeiden, dass Insellösungen die Arbeitswelt weiter auseinandertreiben und unterschiedliche Auffassungen unversöhnlich einander gegenüber stehenbleiben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.