Protokoll der Sitzung vom 01.12.2016

Ja! Wir können es jetzt Altersweisheit nennen, aber, Herr Minister, ich kann versprechen: Das bleibt nicht so.

Ich sehe keine bessere, weil der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse an die Polizei weitergeben darf. Insofern kommt es ja fast einer katholischen Beichte gleich, wenn ich mich dem Verfassungsschutz offenbare. Ob das jetzt glücklich ist, ob es nicht noch etwas Besseres, etwas Smarteres gibt, als diesen Menschen, die weg wollen, zu sagen: „Ihr müsst euch dem Verfassungsschutz offenbaren.“, darüber können wir gemeinsam diskutieren. Aber zu sagen: „Das darf auf keinen Fall beim Verfassungsschutz angedockt sein.“, halte ich für Quatsch, weil keiner die radikalisierte Szene besser kennt als der Verfassungsschutz. Das mag zwar auf Anhieb schwer verständlich sein, in der Sache halte ich es aber doch für begründet.

Dann meinen die Grünen – und das ist das Allerschärfste –: Verbotsanträge müssen sehr gut begründet sein. – Kennen Sie einen, der einen Verbotsantrag schlecht begründet hat? Das ist mal vorgekommen, aber sicherlich nicht wissentlich – beim NPD-Verbotsverfahren. Das würde ich noch nicht mal der Landesregierung vorhalten – passen Sie auf:

das zweite Mal jetzt –, dass sie ihre Anträge schlecht begründet.

(Minister Ralf Jäger: Wenn Sie so weiterma- chen, kann ich heute Nacht nicht schlafen, Herr Hegemann! – Heiterkeit – Hendrik Schmitz [CDU]: Das ist Taktik!)

Warten Sie mal ab.

Das ist wirklich ein Punkt, an dem wir uns nicht gegenseitig die Zähne einhauen müssen.

Die SPD-Fraktion schreibt in ihrem Entschließungsantrag am Ende, die Landesregierung soll den Landtag über die Fortschritte des Präventionsprogramms unterrichten. – Davon gehe ich aus. Das macht der Minister auch. Bei allem, was er weiß, macht er eine große Öffentlichkeitsarbeit – erst die Öffentlichkeit, dann der Landtag –, aber er verschweigt nichts. Und Sie fordern auch, die Landesregierung soll den Landtag betreffend mögliche Nachfolgeorganisationen des verbotenen Vereins „Die wahre Religion“ in Kenntnis setzen, wenn dadurch keine Ermittlungsziele gefährdet werden. – Sie sollen nicht nur dem Landtag irgendwas mitteilen, sondern Sie sollen diese Leute von der Straße holen!

(Beifall von Hendrik Schmitz [CDU] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Außerdem sollten Sie den Bundesinnenminister unterstützen. Aber dann sagen Sie ja noch – und jetzt kommt Ihre Pressearbeit –: Das war Anliegen von Nordrhein-Westfalen, dass der Bundesinnenminister das macht. – Es war das Anliegen des Landes Hessen, das den Anstoß gegeben hat. Aber so ist das, so machen Sie das: Sie proklamieren eine große Woche der Betroffenheit und negieren gleichzeitig all das, was ein Staat sich nicht gefallen lassen darf – Angriff auf Polizisten, auf Rettungskräfte.

(Bernhard von Grünberg [SPD]: Mein Gott, das Gerede ist ja furchtbar!)

Dann wiederholen Sie das, was die CDU ein halbes Jahr vorher gefordert hat und von Ihnen nicht mal zur Kenntnis genommen worden ist, und dann macht die Ministerpräsidentin eine Riesenschau daraus. Wenn es der Sache dient, ist dies ja okay.

Ich sage nur: Wir sollten uns nicht in der Frage entzweien, wie man den Salafismus konsequent bekämpft. Dazu zählen nicht irgendwelche Plüschaussagen der Piraten.

Das sind für mich Kriminelle, und der Staat muss sich solidarisch zeigen und jungen Menschen, die gefährdet sind, alle Wege der Unterstützung ermöglichen. Wir sind auf einem richtigen Weg, was aber nicht heißen soll, dass wir nicht noch etwas besser machen können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal geschehen hier Dinge, die kaum fassbar sind. Herr Hegemann, dass Sie – zu Recht – den Minister mindestens zweimal für seine gute Arbeit loben, hätte ich nicht von Ihnen erwartet. Respekt für diese späte Erkenntnis. – „Respekt“ hieß im Übrigen auch eine Woche im November, Herr Hegemann, es war die „Woche des Respekts“.

Ich will für uns allerdings auch deutlich unterstreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen – und da unterscheiden wir uns in diesem Haus hoffentlich nicht voneinander –: Wir wollen und werden nicht hinnehmen, dass verbrecherische, terroristische Organisationen unter dem Vorwand einer religiösen Mission versuchen, junge Menschen für ihre gewalttätigen, verfassungsfeindlichen Ziele zu rekrutieren.

Was der gewalt- und hassorientierte politische Salafismus betreibt, hat mit Religion nichts zu tun bzw. ist eine Verhöhnung von Religion. Diese Blasphemie schadet dem Zusammenleben, soll die Gesellschaft spalten und richtet besonders bei den Menschen, die als Muslime unter uns leben und Mitbürgerinnen und Mitbürger im besten Sinne sind, erheblichen Schaden an. Das nehmen wir in NRW gemeinsam nicht hin.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will mich deshalb bei allen ausdrücklich bedanken, die daran gearbeitet haben, die verfassungsfeindliche Organisation „Die Wahre Religion“ zu verbieten und deren Kampagne „Lies!“ zu unterbinden. Das war in Ordnung, und ich betone ausdrücklich, dass wir über die politische Einigkeit in diesem Punkt erfreut sind, und das auch über Grenzen und Ebenen hinweg tragen.

Die Sicherheitsbehörden – und jetzt fängt es an, ein wenig differenzierter zu werden – nicht zuletzt in NRW haben die notwendigen Fakten für ein wirksames Verbot zusammengetragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist die Krux unserer freien und demokratischen Ordnung, dass es mehr als einer Willensbekundung bedarf, um einen Verein oder eine Vereinigung rechtswirksam zu verbieten – der politische Aufruf ist das eine, die juristischen Voraussetzungen für ein Vereinsverbot sind das andere.

Bei aller Wertschätzung der gemeinsamen Überzeugung, dass wir zu Recht ein Verbot begrüßt haben, hat das eigentliche Verbotsverfahren aber die Exekutive bewirkt und damit – das lässt sich nachweisen – lange vor allen parlamentarischen Initiativen begonnen. Da

für unser ausdrücklicher Dank an die beteiligten Behörden aller Ebenen, und ein besonderer Dank an unser MIK, das LKA sowie die Abteilung 6 des MIK.

Wir meinen, dass der Bewirkungsanteil der Opposition demgegenüber eher überschaubar war und es einigermaßen anmaßend wäre, wenn wir jetzt versuchen, uns durch politische Akte jeweils die Urheberschaft an dieser Sache zu sichern. Meiner Auffassung nach sollten wir die Arbeit der Exekutive gemeinsam und mit der gebotenen Zurückhaltung begleiten und unterstützen.

Eines Antrages von CDU und FDP bezogen auf die Nachfolgeorganisationen hätte es nicht bedurft, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn man sich mit Verbotsverfahren auskennt, hat man das im Prinzip als Wissensschatz; dies muss im Wissensschatz vorhanden sein. Denn eines ist klar: Die Behörden müssen sich selbstverständlich um die Nachfolge bzw. um mögliche Nachfolgeorganisationen kümmern, nur – jetzt fängt es an, komplizierter zu werden – müssen das dann auch tatsächlich Nachfolgeorganisationen sein, und da ist das eine oder andere, was hier eben aufgezählt wurde, offensichtlich juristisch nicht so einfach, wie es sich rhetorisch darstellt.

Darüber hinaus die Bestrebungen von Moscheevereinen: Sie betonen an der Stelle ebenfalls eine Selbstverständlichkeit. Ich könnte Ihnen jetzt aufgrund einer anderen Funktion sagen, wo man Ihren Wissensdurst nachhaltig stillen könnte, wenn es darum geht, dass diese Bestrebungen auch bei uns beobachtet werden. Zwar muss ich mich aus gutem Grund zurückhalten, ich will jedoch deutlich sagen, dass „Wegweiser“ der richtige Schritt ist.

Dem Kollegen Hegemann, der soeben für die CDU gesprochen hat, bin ich völlig dankbar: Im Himmel ist mehr Freude über einen reuigen Sünder als über 1.000 Gerechte. Vor ungefähr drei Wochen haben Sie hier noch einen Antrag präsentiert, der die konzeptionelle Ausgestaltung von „Wegweiser“ hinterfragen wollte und die angeblichen Schwachpunkte des Konzeptes bekämpfen sollte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, willkommen im Klub.

„Wegweiser“ ist eine total gute Veranstaltung, die dazu dienen soll, junge Menschen vor der Gefahr zu bewahren, sich in die Fänge dieser Rattenfänger zu begeben. Wir finden das toll.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist auf jeden Fall intensiver und besser, als in einem sonderbaren Akt der Integration Mitglieder von salafistischen Vereinigungen in den Verfassungsschutz auf Bundesebene aufzunehmen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen – lassen Sie mich das abschließend sagen –, hätte hier in Nordrhein-Westfalen einmal passieren sollen! Ihre Aufschreie hätte ich nicht hören wollen.

Ich bin froh darüber, dass wir an der Stelle im Grunde genommen ziemlich einer Meinung sind. Allerdings ist unser Entschließungsantrag etwas kritischer und geht etwas sorgsamer mit den Fakten um, weshalb ich um Zustimmung bitte. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Verbot der Organisation „Die Wahre Religion“ ist auch aus meiner Sicht ein wichtiger und erfolgreicher Schlag gegen die gewaltbereite, verfassungsfeindliche salafistische

Laut Bericht des Verfassungsschutzes war „Lies!“ in 2015 das mitgliederstärkste Netzwerk des verfassungsfeindlichen Salafismus. Etwa 20 % der nach Syrien und in den Irak ausgereisten Salafisten hatten zuvor Kontakt mit diesem „Lies!“-Netzwerk und diesen „Lies!“-Ständen. Ich finde, das zeigt sehr deutlich, welche Rolle „Lies!“ bei der Anwerbung und der Radikalisierung insbesondere von jungen Menschen hatte.

Deshalb ist dieses Verbot ein richtiger Schritt gegen den verfassungsfeindlichen Salafismus in NordrheinWestfalen, aber auch bundesweit.

Das Verbot – Sie haben es alle gelesen – wurde von den Behörden über ein Jahr lang vorbereitet und dann endlich vor zwei Wochen vollzogen. Herr Hegemann, Sie haben kritisiert, dass wir Grüne hier vorgetragen haben, so ein Verbot müsse gut vorbereitet und begründet sein. – Dazu sage ich: Natürlich, es gebietet der Rechtsstaat, dass man das Verbot

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

eines Vereins gründlich vorbereitet. Das verlangen ja auch die Gerichte. Wenn es zu einem Verfahren kommt und es bestätigt werden muss, dann muss so ein Verbot selbstverständlich gut vorbereitet sein. Nordrhein-Westfalen war mit seinen Behörden an der Vorbereitung und Durchführung des Verbots maßgeblich beteiligt. Das ist auch richtig so, weil „Lies!“ in Nordrhein-Westfalen sehr aktiv war.

Ja, es stimmt, die FDP hatte bereits im Mai dieses Jahres einen Antrag mit der Forderung eingebracht, die Aktivitäten der „Lies!“-Kampagne zu unterbinden. Zu dem Zeitpunkt waren die Behörden bereits an dem Verbot dran, sodass es dafür nicht den FDP-Antrag gebraucht hat.

Dass wir im Oktober dieses Jahres einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu dem Thema hinbekommen haben, mit dem wir uns politisch deutlich von „Lies!“ distanzieren und gemeinsam als Landtag auf die Gefahren dieser Kampagne und dieser Organisation hinweisen, finde ich ein wichtiges Signal.

Ja, es geht jetzt in der Tat darum, dass man die Aktivitäten von möglichen Nachfolge- und Ersatzorganisationen unterbindet. Das verlangt ja auch das Vereinsgesetz. Nach dem Vereinsgesetz sind Nachfolge- und Ersatzorganisationen automatisch verboten, wenn es Nachfolgeorganisationen verbotener Vereine sind. Es ist selbstverständlich Aufgabe der Sicherheitsbehörden auch hier in Nordrhein-Westfalen, dass man entsprechende Maßnahmen einleitet, wenn man diese Erkenntnisse hat.

Repressive Maßnahmen gegen verfassungsfeindliche Vereine und Organisationen, wie das bei der „Wahren Religion“ der Fall war, sind absolut richtig.

Ich will aber hier noch einmal klar sagen – das wissen wir ja nicht zuletzt aus der Arbeit gegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus –, dass mit dem Verbot von Vereinen, von Organisationen die Meinungen nicht aufhören. Natürlich sind Verbote wichtig, weil es die Aktivitäten erheblich stört und behindert, aber Einstellungen sind aufgrund eines Verbotes nicht aus den Köpfen verschwunden.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir weiter an den Punkten Prävention und Intervention arbeiten. Ich glaube, das bleibt im Bereich des verfassungsfeindlichen Salafismus eine Daueraufgabe auch für unsere Gesellschaft.

Über den Haushalt 2017 haben wir gestern und heute diskutiert. Mit diesem Haushalt haben wir noch einmal Mittel bereitgestellt, um die „Wegweiser“-Stellen auf 25 Standorte weiter auszubauen und um das Personal in diesen Stellen aufzustocken. Ich habe bereits heute Morgen in meiner Haushaltsrede zum Einzelplan 03 gesagt, dass jetzt das Innenministerium öffentlich macht, wie viele Mittel für die Arbeit des Verfassungsschutzes bereitgestellt werden und wie groß der Bereich für die Projekte „Wegweiser“ im Etat des Verfassungsschutzes ist: Für „Wegweiser“ wird sogar etwas mehr ausgegeben, als Sachmittel für den Verfassungsschutz bereitgestellt werden. Ich finde, es ist ein Erfolg unserer rot-grünen Koalition, dass wir „Wegweiser“ und die Prävention deutlich ausbauen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch für die Landeszentrale für politische Bildung im Einzelplan 07 haben die Fraktionen von Rot und Grün einen Änderungsantrag eingebracht, um auch weiterhin Präventionsarbeit zu leisten. Ich will jetzt gar nicht so viel über die Haushaltsanträge sprechen, sondern nur noch mal verdeutlichen, dass wir ressortübergreifend, themenübergreifend an das Thema

„gewaltbereiter Salafismus“ herangehen. Ich glaube, dass das der richtige Ansatz ist.