Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion dem Kollegen Becker das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kommen angesichts der Uhrzeit zur wahrscheinlich schwersten Geburt dieses heutigen Plenartags, vielleicht auch der ganzen Legislaturperiode, nicht nur was die komplizierte Aussprache angeht, sondern auch, wenn man bedenkt – ich sage das mit einem Augenzwinkern –, dass am 20. März 2013 die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs stattgefunden hat.

Auf den ersten Blick – das sage ich Ihnen auch als Vorsitzender eines Ausschusses in einer Kommune, der mit Abgabenrecht befasst ist – ist es verlockend, eine Regelung zu treffen, nach der man nicht die konkrete Baumaßnahme in einem einmaligen Betrag abrechnet, sondern das Ganze auf ein Gebiet verteilt. Am Ende ist es aber so: Bezahlt werden muss es. Und am Ende kommt auch die Summe zusammen, egal wie wir das drehen und wenden. Aus diesem Grund und mehreren anderen Gründen sind wir der Auffassung, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen werden.

Erstens. Eine Verringerung der Belastung ist auch schon im Rahmen des bestehenden Beitragsrechts

möglich. Wir können mit Vorausleistungen und in den Kommunen mit entsprechenden Raten bzw. Abschlagszahlungen arbeiten, sodass das Argument, man mute den Bürgerinnen und Bürgern weniger Beiträge zu, auf diese Art und Weise entkräftet ist.

Zweitens. Wir müssen ja erst einmal ein größeres Gemeindegebiet als Abrechnungseinheit zusammenbringen, was wahrscheinlich in den Kommunen zu vielen lustigen Diskussionen – „lustige“ in Anführungsstrichen – führen wird, aber vor allem auch dazu führen wird, dass die Grundstückseigentümer zwischen den Bauleistungen und den entsprechenden Gebühren keinen direkten Zusammenhang mehr erkennen können, was in der Summe zu Akzeptanzproblemen führen kann.

Schließlich haben wir uns erkundigt, wie das in anderen Bundesländern gehandhabt wird. Sie wissen, dass es in einigen Bundesländern möglich ist, entsprechende Regelungen zu treffen. Dort findet das in der Praxis kaum Anwendung. Das wundert uns nicht, weil wir ja in der Anhörung von den kommunalen Spitzenverbänden und anderen Verbänden gehört haben, dass sie davon nicht so überzeugt sind und das eigentlich ablehnen.

Aus diesen Gründen werden wir gleich diesen Gesetzentwurf ablehnen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Nettelstroth.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Becker, was war eigentlich der Ausgangspunkt, als wir 2013 kurz nach der seinerzeitigen Landtagswahl diesen Gesetzentwurf eingebracht haben? – Der Ausgangspunkt war, dass wir es in Nordrhein-Westfalen, weil wir eben einen so hohen Kommunalisierungsgrad haben, immer schwerer haben, vor Ort Straßen zu refinanzieren. Das führt dazu, dass die entsprechende Straßenbaulast immer mehr auf die einzelnen Bürger übertragen wird.

Wir haben zum Beispiel in Bielefeld die Situation, dass bei Anliegerstraßen ca. 80 % von den Anliegern zu zahlen sind. Das führt zu den berühmten Zeitungsartikeln, die Sie auch alle kennen, wonach die arme Rentnerin für ihr Häuschen 40.000 € berappen muss, weil die Straße neu hergestellt werden muss, und nicht weiß, woher sie das Geld nehmen soll.

Diese Artikel wiederum führen dazu, dass viele Bürger keine veränderten und neuen Straßen wollen. Wir führen die Diskussion auch in Bielefeld, zum Beispiel in der Sennestadt, wo Anwohner sagen: Nein, wir wollen keine neue Straße, weil wir befürchten,

hinterher mit riesigen Beträgen belastet zu werden. Vor allem wollen wir keine Neuerungen, die dazu führen, dass womöglich hinterher der Aufwand, der auf uns umgelegt wird, vergrößert wird.

Vor diesem Hintergrund machen wir ein Angebot. Die Abrechnungseinheiten, die Sie auch aus Ihrer kommunalpolitischen Tätigkeit kennen, bleiben bestehen. Sie haben nach wie vor die Möglichkeit, den Straßenbaubeitrag wie bisher abzurechnen. Wir schaffen eine neue Option, einen zweiten Weg. Wir sagen, hier kann man durch wiederkehrende Straßenbaubeiträge – Klammer auf: in einem Bereich, wo das möglich ist, denn in der Tat setzt das voraus, dass ich einen Bezirk abgrenzen, dieses Gebiet benennen kann – vor Ort in der Kommune im Rahmen einer subsidiären Handlung entscheiden, an welcher Stelle man das bezirklich machen will, weil sich das so fassen lässt, und an welcher man es bei den alten Beiträgen belassen will.

Sie haben eben eingewandt, dass wir uns damit sehr viel Zeit gelassen haben. Das ist richtig. Das haben wir deshalb getan, weil es uns um die Sache ging. Sie wissen, dass sich das Bundesverfassungsgericht im April des Jahres 2014 unter anderem mit dieser Frage befasst hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass man eine solche Regelung verfassungskonform treffen kann. Es gibt – Sie haben es angesprochen – in der Tat einige Bundesländer, zum Beispiel Rheinland-Pfalz, das Saarland, Thüringen, die diese Option eingeführt haben.

Da es diese Option erst seit einigen Jahren gibt, muss es nicht verwundern, dass sie noch nicht umfassend genutzt worden ist. Nichtsdestotrotz haben wir viele Anfragen auch gerade aus kleineren Kommunen, die geradezu darum bitten, dass man ihnen diese Möglichkeit einräumt, alternativ zu der bisherigen Abrechnung der Straßenbaubeiträge die sogenannten wiederkehrenden Straßenbaubeiträge abzurechnen.

Die Evaluation und die neuen Erkenntnisse haben wir zum Anlass genommen, einen Änderungsantrag zu formulieren, mit dem unser Gesetzentwurf – um den geht es hier heute – entsprechend verändert wird.

Wir haben heute die Chance, den Kommunen eine weitere Alternative zu verschaffen und im Rahmen der Subsidiarität den Kommunen vor Ort die Entscheidung zu überlassen, ob sie bei der alten Regelung verbleiben oder Bezirke so schneiden und vorfinden wollen, dass sie wiederkehrende Beiträge nutzen. Diese Chance sollten wir den Kommunen geben. Deshalb werbe ich nochmals dafür: Stimmen Sie bitte heute unserem Gesetzentwurf zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

Meine Damen, meine Herren! Herr Präsident! Herr Nettelstroth, das ist durchaus charmant, was Sie vorgetragen haben, durch wiederkehrende Straßenausbaubeiträge Ihrem Beispiel der alten Oma gerecht zu werden, die mit einem Gebührenbescheid über 25.000 € konfrontiert wird.

(Zuruf von der CDU: Das ist die Wahrheit!)

Aber Sie sollten sich auch noch mal zu Gemüte führen, was unter anderem in der damaligen Anhörung beispielsweise durch die kommunalen Spitzenverbände bzw. ihre Vertreter vorgetragen worden ist.

Der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände führte unter anderem aus:

„Nach dem OVG NRW können wir bereits jetzt mehrere Straßenzüge, die in irgendeinem … Zusammenhang stehen …, zusammenzufassen und als eine Anlage abrechnen.“

Das bedeutet, die Last für die Gebäudeeigentümer wird minimiert.

Gesagt wurde auch, dass Vorausleistungen und Ratenzahlungen möglich sind.

Weiter sagte der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände:

„Das heißt: Das, was man sich von den wiederkehrenden Beiträgen erhofft, können wir in Nordrhein-Westfalen zum großen Teil schon heute machen.“

Soviel zu den Ausführungen der kommunalen Spitzenverbände.

Wenn man sich im Detail mit der Situation in den Bundesländern beschäftigt, in denen wiederkehrende Straßenausbaubeiträge eingeführt worden ist, stellt man fest, es gibt diverse Knackpunkte, die bis heute noch nicht ausgeräumt sind. Insofern macht es Sinn, die Entwicklung in diesen Bundesländern zu beobachten und sich des Themas möglicherweise in einigen Jahren noch mal anzunehmen.

Ich will drei Beispiele nennen:

Erstens. Thema „Abrechnungsgebiete“: Sie sprechen davon, es muss ein räumlicher und funktionaler Zusammenhang zu erkennen sein. Wie der im Detail auszusehen hat, ist völlig offen.

Wir kennen die Kreativität der Kommunen. Da gibt es Kommunen, die sagen: Unser Stadtgebiet ist so klein, so räumlich und funktional zusammenhängend, dass wir es als ein Abrechnungsgebiet betrachten. Möglicherweise fallen die hintenüber, wie wir das beispielsweise bei einer Klage erlebt haben – Sie

haben darauf Bezug genommen –, die dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden ist.

Zweitens. Thema „Abrechnungsmaßstab“: Sie müssen differenzieren nach Grundstücksgrößen, nach Art der möglichen Nutzung, nach dem Maß der möglichen Nutzung. Das ist besonders schwierig in Gemischtgebieten, in denen es einerseits gewerbliche Nutzung und andererseits Wohnbebauung gibt. Auch hier haben wir eine Situation, in der es mit Sicherheit in der jeweiligen Kommune Streit geben würde.

Drittens. Thema „Zweite Grundsteuer“: Ich will Ihnen die Erfahrungen aus Bayern nennen. Beispielsweise befürchtet „Haus und Grund“ in Bayern, dass auf die Art und Weise eine zweite Grundsteuer eingeführt wird. Es wird nicht zu Unrecht gesagt – das gilt auch für viele NRW-Kommunen –: In vielen Jahren ist die Instandsetzung komplett runtergefahren und im Rahmen der Gefahrenabwehr nur das Notwendigste gemacht worden. Wenn sich die Kommune jetzt für wiederkehrende Straßenausbaubeiträge entscheidet, macht sie das, wozu sie eigentlich verpflichtet war und kleidet Instandsetzungsmaßnahmen in Sanierungsmaßnahmen, um sie über wiederkehrende Straßenausbaubeträge zulasten der jeweiligen Gebäudeeigentümer abzuwickeln.

Letzter Punkt: Wenn Sie in diesem Zusammenhang eine neue Gebühr einführen, muss man der Bürgerschaft auch deutlich machen: Was kriegt ihr eigentlich dafür? – Wir kennen Situationen, in denen teilweise in 20, 30, 40 Jahren in Siedlungsbereichen nicht viel gemacht worden ist. Lediglich im Rahmen von Gefahrenabwehr sind irgendwelche Löcher geflickt worden. Wenn die Gebäudeeigentümer über 20 bis 30 Jahre zu entsprechenden Gebühren herangezogen werden, wird es großes Unverständnis geben.

Insofern glaube ich nicht, dass wir gut beraten sind, Ihrem Vorschlag zu folgen, den Kommunen eine entsprechende Option zu geben. Wir haben eine bewährte Abrechnungspraxis nach dem KAG, die gerichtsfest ist. Daher macht es keinen Sinn, die Kommunen auf einen so unsicheren Pfad zu bringen – mit der Konsequenz, dass sie möglicherweise, bezogen auf die Frage, inwieweit das umsetzbar ist, hinterher vor einem Scherbenhaufen stehen.

Insofern lautet meine Empfehlung: Lasst uns mal abwarten, wie die Erfahrungen in anderen Ländern aussehen! In vier bis fünf Jahren kann man sich gerne noch mal darüber unterhalten, ob das sinnvoll ist – Ja oder Nein. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Thema „Wiederkehrende Straßenausbaubeiträge“ noch

nicht ausgereift. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Krüger. – Für die FDP spricht Kollege Höne.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kurze Drucksachennummer – das ist gerade in einem anderen Zusammenhang schon angesprochen worden – zeigt, wie lange wir uns schon mit diesem Antrag beschäftigen: über die vergangenen Jahre mal mehr oder weniger intensiv.

Das Problem, das in diesem Antrag seitens der Kolleginnen und Kollegen der Union beschrieben wird, bleibt allerdings vom Grundsatz her unserer Meinung nach korrekt beschrieben: Hohe und oft genug für die Anwohner unerwartet zu entrichtende Beiträge stellen einen finanziellen Schock, eine starke finanzielle Belastung dar.

Als Lösung werden wiederkehrende Ausbaubeiträge für alle Bürger – im Zweifelsfall unabhängig von einer direkten Betroffenheit – vorgeschlagen. Dieser Vorschlag hat die Freien Demokraten aus vier maßgeblichen Gründen abschließend nicht vollends überzeugen können:

Erstens. Das Kommunalabgabengesetz berechtigt die Kommunen, Abgaben in Form von Steuern, von Gebühren, von Beiträgen zu erheben – in eigener Verantwortung nach eigener Satzung. In der Ausgestaltung gibt es einen hohen Grad an kommunaler Eigenverantwortung.

Das betrifft zum Beispiel – Kollege Krüger hat das gerade schon angesprochen – auch die Möglichkeit, schon heute verschiedene Straßenzüge miteinander zu kombinieren und zusammenzufassen.

An dieser Stelle ist es auch mit Blick auf die Frage, ob die Dinge erwartet oder unerwartet auf die Bürger zukommen, umso wichtiger – unabhängig vom diskutierten Antrag – immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Kommunen im Dialog mit den Bürgern bleiben, frühzeitig über geplante Baumaßnahmen informieren und bei dem, was geplant ist, Transparenz schaffen.

Zweitens. § 8 des Kommunalabgabengesetzes bietet die Möglichkeit, sowohl angemessene Vorauszahlungen zu verlangen als auch eine Aufteilung der Kosten vorzunehmen.