Protokoll der Sitzung vom 05.04.2017

Seit Mitte Dezember erleben wir vor allem vonseiten der Landesregierung unter Rot-Grün das diametrale Gegenteil. Niemand hat bislang auch nur ansatzweise die politische Verantwortung für die Geschehnisse und das, was schiefgelaufen ist, übernommen – Verantwortung für das, was schon jetzt nicht anders denn als Exekutivversagen, als Staatsversagen durch Untätigkeit bezeichnet werden muss.

Aufklärung im politischen und exekutiven Sinne ist keine Dienstleistung im juristischen Sinne. Politik schuldet gerade in Krisensituationen einen Erfolg. Stellt sich dieser nicht ein oder verschlechtert sich eine Situation gar bis hin zu einer vagen Informations- und Faktenlage, ist diese Politik gescheitert.

Was wir insbesondere aus den umfangreichen Berichten der Medien lernen, aber auch aus den Sitzungen des Innenausschusses des Landtags und nicht zuletzt aus dem bisher vorliegenden Kenntnisstand aus der Tätigkeit des entsprechenden Untersuchungsausschusses, ohne dies abschließend zu bewerten, ist: Es gibt einen massiven Graben zwischen Ermittlungsbehörden und Innenministerium. Es gibt nachgerade einen Canyon zwischen dem Innenministerium und dem Innenminister.

Das, was da an Fehlern angehäuft wurde, ist in einem Maße verantwortungslos, dass es heute wundern muss, dass der verantwortliche Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen noch immer auf diesem Platz sitzt, und zwar nach dem Motto: Egal, was passiert, ich war es nicht, habe dafür nicht die Verantwortung zu übernehmen und werde wohl jemanden finden, der schuld ist, falls nicht, sind es eben alle anderen, aber ich jedenfalls nicht.

Herr Minister Jäger, Sie und die Ihnen unterstehenden Behörden sind in Sachen Amri an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen? – Nein, ich sage, Sie sind nicht einmal ansatzweise in die Nähe dieser Grenzen gekommen, mit Ausnahme des Landeskriminalamts, und das wollten Sie offenbar nicht hören.

Sie, Herr Minister, haben stattdessen die Justiz zu ersetzen versucht, indem Sie Rechtsfolgen antizipiert haben, die bis heute keinen einzigen Richterspruch für sich sprechen lassen. Nebelkerzen wurden gezündet und die Übernahme exekutiver Verantwortung im politischen Raum abgelehnt. Daraus kann nur eine Folge resultieren: Rücktritt oder, Frau Ministerpräsidentin, Entlassung. Denn andernfalls, Frau Ministerpräsidentin, fällt das Problem, mit welchem Herr Minister Jäger seit Monaten zu kämpfen hat – sogar seit Jahren, wenn wir an andere Ereignisse wie Hogesa oder die Silvesternacht denken –, auf Sie selbst zurück.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dann ist das Problem Ihr Problem, Frau Ministerpräsidentin, und heute stehen Sie nicht einmal auf dem Rednertableau, was mich einigermaßen verwundert,

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Wie soll das denn gehen? Ich muss doch am Freitag aussagen!)

sich allerdings damit entschuldigen lässt, dass Sie am Freitag im Ausschuss Rede und Antwort stehen müssen.

Frau Ministerpräsidentin, ich schließe mich den Forderungen der Opposition gänzlich an, insbesondere denen der FDP: Entlassen Sie Ihren Innenminister. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Bevor ich Herrn Minister LerschMense für die Landesregierung das Wort erteile, möchte ich mich an Frau Kollegin Brand wenden.

Frau Kollegin Brand, ich werde förmlich prüfen lassen, ob ich Sie für die Assoziation, die Sie mit Ihrem letzten Satz in den Raum gestellt haben, offiziell und formal rügen kann. Denn es ist eine Unverschämtheit gewesen, in dieser Weise den Minister oder auch Kollegen anzugehen. Das geht hier nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Lersch-Mense das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss untersucht derzeit alle Fragestellungen rund um das schreckliche Attentat auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember des vergangenen Jahres.

Einen inhaltlichen Zwischenbericht wollten Sie hier im Plenum nicht diskutieren. Sie haben gleichzeitig aber eine Aktuelle Stunde beantragt, und das lässt, glaube ich, deutlich werden, dass es hier nicht wirklich um Sachaufklärung geht, sondern um politische Inszenierung und Skandalisierung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ar- min Laschet [CDU]: Sagen Sie was zu den E- Mails!)

Meine Damen und Herren, die Aufklärung des schrecklichen Attentats vom 19. Dezember 2016 sollte nicht von Wahlkampfüberlegungen getrieben sein, sondern sich auf eine Kernfrage konzentrieren: Hätte der schreckliche Anschlag verhindert werden können? Wie kann eine Wiederholung nach Möglichkeit ausgeschlossen werden? Diese Frage gehört in der Tat in den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss und muss dort beantwortet werden.

Herr Laschet, ich darf darauf hinweisen: Was mögliche Rechtsänderungen angeht, so sind wir in der Bundespolitik dabei, die eigentlich fatale Dreimonatsfrist für die Besorgung von Passersatzpapieren zu verlängern, und das ist doch schon ein Zeichen dafür, dass auch auf der Rechtssetzungsebene Konsequenzen gezogen werden, die auch gezogen werden müssen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Gerne nehme ich aber auch zu Fragen Stellung, meine Damen und Herren, die eher am Rande dieser zentralen Fragestellung liegen.

Herr Laschet, Sie haben gefragt, ob denn alle Akten dem Gutachter vorgelegen hätten. Der von der Landesregierung bestellte unabhängige Gutachter hatte

uneingeschränkten Zugang zu allen Dokumenten und Akten, die dem Zugriff der Landesregierung unterfielen. Das heißt nicht, dass er alle Akten hatte. Denn leider hat der Generalbundesanwalt eine Einsicht in die von ihm geführten Verfahren abgelehnt,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Hört, hört!)

sodass auch das Landeskriminalamt dem Gutachter in diesen Teil seiner Akten keine Einsicht gewähren durfte.

Der Vorwurf, die Landesregierung habe den Zugriff des Gutachters beschränkt oder ihm Unterlagen vorenthalten, entbehrt jeder Grundlage.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Prof. Kretschmer hat im Zuge der Präsentation seines Gutachtens ausführlich seine Schlussfolgerungen zur Möglichkeit einer Abschiebeanordnung dargestellt. Die Frage des Erlasses einer Abschiebeanordnung war seit März 2016 Gegenstand der Erörterung in der Sicherheitskonferenz und im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum.

Wenn Sie, Herr Stamp, jetzt die Aussage Ihres Gutachters relativieren, dass § 58a Aufenthaltsgesetz nicht zu ziehen gewesen sei, dann bleibt aber, dass auch der Bundesinnenminister diese Schlussfolgerung gezogen hat, dass nämlich für eine Ausweisung nach § 58a keine ausreichenden Grundlagen vorhanden gewesen seien, und darauf zielte auch die mögliche mündliche Intervention der Ausländerbehörde Kleve, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ihr eigener Gut- achter sieht das anders!)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat Herrn Prof. Kretschmer beauftragt, nachdem die Oppositionsparteien eine gemeinsame Beauftragung durch den Landtag abgelehnt hatten. Ausschlaggebend war für uns, einen fachlich kompetenten, von den Regierungsparteien unabhängigen Gutachter zu benennen, der bisher auch nicht im Auftrag der Landesregierung gearbeitet hat.

Herr Prof. Kretschmer hat inzwischen mehrfach, unter anderem im Untersuchungsausschuss, die Unabhängigkeit der Untersuchung und seiner Person unterstrichen. Er hatte bereits Mitte Dezember 2016, also vor dem Attentat, einen Ruf an die Uni Bielefeld erhalten. Das dortige Auswahlverfahren war also abgeschlossen. Die Entscheidung, ihm die Stelle an der Uni Bielefeld anzubieten, war längst gefallen, als wir ihn mit dem Gutachten beauftragt haben. Also, wo liegt da ein Interessenkonflikt?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Uni Bielefeld hat sich hierzu in einer Pressemitteilung geäußert und die Abläufe eindeutig dargestellt. Im Übrigen werden – darauf ist schon hingewiesen worden – Professorinnen und Professoren

von den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen autonom und nach Abschluss eines aufwendigen Auswahlverfahrens berufen. Ihr Dienstherr ist nicht das Land, ihr Dienstherr sind die Rektoren bzw. Präsidenten der jeweiligen Hochschule.

Wo und worauf soll die Landesregierung Einfluss genommen haben? Wenn Sie öffentlich solch schwere Vorwürfe erheben, dann bitte mutmaßen Sie nicht nur, sondern belegen Sie diese Vorwürfe auch konkret!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie sprechen in Ihrem Antrag auf diese Aktuelle Stunde auch einen internen Mailverkehr der Staatskanzlei an, der dem Untersuchungsausschuss vorliegt und der am Sonntag Gegenstand einer Berichterstattung in der „Bild am Sonntag“ war. Bei dieser Mail

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

handelt es sich um einen Auftrag, den ich gegeben habe, eine übersichtliche Chronologie sämtlicher Geschehnisse um Anis Amri zu erstellen, um die Öffentlichkeit umfassend zu informieren; denn zu diesem Zeitpunkt lag, wie Sie nachprüfen können, eine vollständige Chronologie nicht vor, sondern nur eine unvollständige Chronologie.

Ferner ging es darum, den zutreffenden Sachverhalt zu den Moscheebesuchen aufzuklären. In der Mail wird ausdrücklich Bezug genommen auf den Bericht des Leiters des Verfassungsschutzes von Nordrhein Westfalen am 5. Januar 2017 im Innenausschuss. Herr Freier hat dort ausgeführt:

„Es sind keine Netzwerke, sondern von diesen zwölf Moscheen ist es eine Moschee, die wir beim Verfassungsschutz als salafistisch beeinflusst sehen. Die anderen Moscheen sind türkisch, albanisch, bengalisch.“

Ich habe lediglich darum gebeten – und das geht aus der Mail eindeutig hervor, wenn Sie sie vollständig zitieren würden –, diese Information, die Herr Freier gegeben hat, auch öffentlich zugänglich zu machen. Was daran vertuschend, verbergend und verharmlosend sein soll, das kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Ich weise ausdrücklich den Vorwurf als ehrverletzend zurück, es sei darum gegangen, Herrn Amri zu verharmlosen oder seinen salafistischen Hintergrund zu negieren. Was sollten wir daran für ein Interesse haben? Das ist eine böswillige Unterstellung! – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion hat sich der Kollege Laschet gemeldet.

(Dietmar Bell [SPD]: Schlechter werden kann es ja nicht!)

Also, die Ministerpräsidentin ruft mir zu: Vielleicht entschuldigt er sich jetzt einmal.

(Andreas Bialas [SPD]: Nein, das war ich!)

Ich möchte aber, Frau Ministerpräsidentin, noch einmal um Antwort bitten – nicht durch Verbalinjurien von Herrn Römer, sondern vielleicht durch Sie persönlich. – Herr Römer, das war unterirdisch, aber darüber brauchen wir nicht weiter zu reden.