Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

(Zuruf von der CDU: Wie viele Einwohner ha- ben die?)

Wir müssen uns eigentlich fragen: Warum haben wir bzw. die seit Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen regierenden Parteien diese direkte Demokratie bis jetzt immer verweigert? – Behauptet wird teilweise in Deutschland, historisch betrachtet gäbe es schlechte Erfahrungen mit der direkten Demokratie. Allerdings ist genau das Gegenteil der Fall. Wenn überhaupt, dann haben wir schlechte Erfahrungen mit fehlender oder mangelhafter direkter Demokratie. Dass man das den Menschen weismachen möchte, ist allerdings Teil des politischen Spiels.

Jetzt komme ich noch einmal in abgewandelter Form auf meine Kritik von vorhin zurück. Nichts gegen den

Herrn Kollegen Jostmeier. Ich verstehe auch hier einen kurzen Wortbeitrag. Was ich nicht verstehe, ist, dass wir über eine Verfassungsänderung reden. Ich schaue mich kurz um: Ich komme nicht auf 129 Leute. Das heißt, dieser Antrag hat allein durch Nichtanwesenheit keine Chance, angenommen zu werden. Dann ziehe ich ihn hiermit offiziell zurück.

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

(Minister Ralf Jäger: Der ist zurückgezogen! – Michele Marsching [PIRATEN]: Ich habe den Antrag zurückgezogen! Es muss keiner mehr reden! Danke!)

So einfach geht es nicht.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Doch, ja! Sie können ja noch widersprechen! Entschuldi- gung!)

Das ist ein Antrag der Piratenfraktion. Der ist jetzt zuerst einmal im Verfahren. Deshalb erteile ich zunächst einmal für die Landesregierung Herrn Minister Jäger das Wort.

Herr Präsident! Sie haben natürlich recht. Aber da es ansteht, dass dieser Antrag doch am Ende des Verfahrens zurückgezogen wird, werde ich nicht weiter plädieren. – Herzlichen Dank.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Danke!)

Damit wir das auch formal ganz sauber hinbekommen, stelle ich fest:

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nach § 84 Abs. 2!)

Es gibt in der Tat für eine antragstellende Fraktion die Möglichkeit, einen Antrag zurückzuziehen.

Ich gebe hiermit zu Protokoll, dass Herr Kollege Marsching für die Piratenfraktion den Gesetzentwurf der Piratenfraktion Drucksache 16/14002 – Neudruck – zurückgezogen hat und dass wir deshalb nach Ende der Aussprache nicht mehr zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf kommen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Wenn dem keiner widerspricht!)

Regt sich dagegen Widerspruch? – Es gibt eine Wortmeldung seitens der CDU. Bitte.

Ich weise zur vollständigen formalen Richtigkeit des Ablaufes auf § 84 Abs. 2 hin.

Eben deshalb, lieber Herr Kollege, habe ich die Frage gestellt, ob es Widerspruch dagegen gibt. Genau darauf bezog sich meine Frage.

Ich frage also noch mal: Gibt es inzwischen Widerspruch gegen die Rücknahme des Gesetzentwurfs? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Ich stelle also noch mal fest, dass der Gesetzentwurf der Piratenfraktion Drucksache 16/14002 – Neudruck – von der antragstellenden Fraktion nach Beendigung der Aussprache zurückgezogen wird und der Landtag aus diesem Grund dazu keine Beschlussfassung mehr vornimmt.

Wir sind somit am Ende von Tagesordnungspunkt 10.

Ich rufe auf:

11 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das

Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid – Zweites Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren

Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/14006

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses Drucksache 16/14684

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion erneut Herrn Kollegen Prof. Bovermann das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Unterschied zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt ist die Frage der Erleichterung von Volksbegehren in der Verfassungskommission nur am Rande behandelt worden. In der schon angeführten Anhörung von 2014 waren die Sachverständigen gebeten worden, sonstige Hürden für die Durchführung direktdemokratischer Verfahren zu benennen. Nur ein Sachverständiger hat damals eine Verlängerung der Eintragungsfristen gefordert. Auch in den nachfolgenden Verhandlungen war dieser Punkt kein Thema mehr.

Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Piraten hat der Hauptausschuss ein schriftliches Anhörungsverfahren durchgeführt. Dabei wurde von den Sachverständigen und den kommunalen Spitzenverbänden insbesondere auf den hohen Verwaltungsaufwand für die Kommunen hingewiesen. Die Kommunen

müssten zusätzlich Räumlichkeiten und Personal bereitstellen, wenn die Frist für die amtliche Listenauslegung auf zwölf Monate verlängert wird.

Insgesamt wurde kein Handlungsbedarf für eine Gesetzesänderung gesehen. Selbst der Verein Mehr Demokratie – sonst immer glühender Befürworter direkter Demokratie – hat in seiner Stellungnahme keine weiteren Proargumente angeführt und sieht andere Erleichterungen für wichtiger an.

Außerdem gibt es keine empirischen Belege für die These, dass es sich bei der bisherigen Frist für die amtliche Listenauslegung um eine Hürde für das Zustandekommen eines Volksbegehrens handelt. Vielmehr spricht vieles dafür, dass interessierte Bürger eher am Anfang der Unterschriftensammlung unterschreiben, wenn das Thema aktuell ist.

Zudem ist die freie Unterschriftensammlung, die ja erst mit dem Ersten Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren 2011 eingeführt wurde, das mobilisierende Instrument, das auch dem Grundgedanken direkter Demokratie entspricht. Auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen dürften die Bürger eher anzusprechen sein, während der Gang zum Rathaus schon einen gewissen Aufwand erfordert.

Um weitere Erfahrungen zu sammeln, sollte das aktuelle Volksbegehren abgewartet und ausgewertet werden. Das von den Piraten gewünschte sofortige Inkrafttreten der neuen Fristen würde ohnehin in ein laufendes Volksbegehren eingreifen, und die Stelle müsste im Gesetzentwurf entsprechend geändert werden.

Schließlich zeigt auch der vergleichende Blick auf andere Bundesländer, dass die Regelung in NordrheinWestfalen ausreicht und eine Änderung nicht notwendig ist. In den meisten Ländern gibt es entweder eine freie Unterschriftensammlung oder eine amtliche Listenauslegung. Nur wenige Länder sehen beide Möglichkeiten mit gleicher Dauer vor. Ein statistischer Zusammenhang von Fristen und dem Zustandekommen von Volksbegehren ist nicht erkennbar.

Nordrhein-Westfalen hat mit zwölf Monaten die längste Frist für die freie Unterschriftensammlung. Das ist demokratie- und bürgerfreundlich.

Zusammenfassend zitiere ich den Sachverständigen Prof. Morlok aus seiner Stellungnahme:

„Insgesamt scheint somit die vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht erforderlich.“

Zitat Ende.

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer der Aussage, dass die SPD diesem Gesetzentwurf wie schon im Hauptausschuss nicht zustimmen wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Bovermann. – Für die CDUFraktion spricht Herr Kollege Jostmeier.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in Wahlkampfzeiten. Spätestens wenn das Plenum heute oder morgen vorbei ist, werden die Wahlkampfmethoden noch stärker werden. Aber mir fällt es schwer, der Darstellung von Prof. Bovermann, wie die Diskussion im Hauptausschuss abgelaufen ist und wie die Debatten im vergangenen halben Jahr und auch in der Verfassungskommission stattgefunden haben, etwas entgegenzusetzen und zu sagen, das sei falsch gewesen.

Meine Damen und Herren, die schriftliche Sachverständigenanhörung, die wir im Hauptausschuss durchgeführt haben, hat in der Tat dazu geführt, dass die Sachverständigen sagten: Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ist nicht notwendig. Die bisherige Rechtslage rechtfertigt keine Änderung, weil der Aufwand der Kommunen in dieser Weise begrenzt ist.

Was für uns noch wichtig ist und was ich vielleicht hinzufügen kann, ist, dass vor allem die kommunalen Spitzenverbände dafür plädiert haben, diese Regelung beizubehalten. Und nicht zuletzt kommt hinzu: Wir haben ja zurzeit das laufende Volksbegehren G8/G9. Vielleicht warten wir da ab, in welcher Weise das durchläuft, um dann möglicherweise in der kommenden Wahlperiode die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen und ggf. Änderungsvorschläge zu machen. – Herzlichen Dank. Das heißt, die CDU stimmt auch diesem Vorschlag der Piraten nicht zu.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wir werden heute ablehnen. Der Verlauf ist schon beschrieben worden. Ich glaube auch, es gibt wirklich wichtigere Sachen in diesem Bereich, die man dringlicher regeln müsste. Nichtsdestotrotz waren wir offen in der Einführungsdebatte, Herr Kollege Marsching, das hatte ich Ihnen auch gesagt.

Es gibt ein paar offene Fragestellungen immer noch für uns, etwa: Wie verhindern wir, dass wir so eine Regelung oder so eine Verfassungsänderung jetzt beschließen? Was ist mit den laufenden Geschichten wie G9 zum Beispiel? Wie beeinflusst das? Und natürlich haben wir – das ist auch in der Anhörung dargestellt worden – Verwaltungsmehraufwand. Das sind natürlich gewichtige Argumente, die derzeit dagegen sprechen.

Es ist am Ende des Tages noch nicht so perfekt, dass wir sagen: Ja, wir heben unsere Hand, das müssen wir unbedingt machen. – Deswegen heute unsere Ablehnung. Aber in der nächsten Legislaturperiode kann man vielleicht diesen Punkt noch einmal angehen und gucken,