Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Krückel, typischer Fall von „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Diese Variante lag im Bundesrat schlichtweg nicht zur Beschlussfassung vor. Die Forderung, die Kosten für die Finanzierung der kalten Progression allein auf den Schultern des Bundes zu finanzieren, lag nicht vor. Deswegen konnte man sich dazu auch nicht verhalten. Der Bund hätte es auch abgelehnt; zumindest sind das meine Informationen.

(Christian Lindner [FDP]: Die sind falsch!)

Gut, Herr Lindner. Wenn der Bund das übernimmt, dann kann Herr Schäuble uns ja einen Brief des Inhalts schreiben „Wir übernehmen das alles, zahlen alles“ – allerdings nicht, um das direkt hinzuzufügen, um es über die Umsatzsteuer möglicherweise zu kompensieren und den anderen aufzudrücken, die wenig verdienen.

Ich möchte kurz schildern, warum es hier geht. 360 Millionen € würde die Finanzierung kosten. Das hat die Kollegin eben schon dargestellt. Richtig ist, dass der Grundfreibetrag im Bundesrat im Einvernehmen im Rahmen des Jahressteuergesetzes angepasst worden ist.

Jetzt kann man auch noch einmal deutlich machen, welche Finanzierungslücken die FDP in diesem Landeshaushalt auftut. 450 Millionen € wollte sie nicht bei der Grunderwerbsteuer, 710 Millionen € lehnen Sie offensichtlich bei der Frage der Besoldung ab. 360 Millionen € kommen jetzt bei der Frage der kalten Progression hinzu. Das sind schon einmal 1,5 Milliarden €, für die die FDP die Gegenfinanzierungsvorschläge für den Landeshaushalt schuldig bleibt.

Eine Frage tut sich in dem Zusammenhang auch noch auf: 2010 hatten Sie eine schwarz-gelbe Bundesregierung und auch eine Mehrheit im Bundesrat. Warum haben Sie damals nicht gehandelt? Damals haben Sie einen Schwerpunkt darauf gelegt, eine Umsatzsteuerentlastung für Mövenpick herbeizuführen. Sie haben das Land damit mit 650 Millionen € auch zusätzlich belastet. Das tragen wir Jahr für Jahr als Last auch noch mit uns herum.

Eines machen Sie nie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Wenn man Gesetze macht und

wenn man Prioritäten setzt, gibt es Gewinner, und es gibt Verlierer.

(Ralf Witzel [FDP]: Es gibt nur Gewinner!)

Natürlich, es gibt immer nur Gewinner. Immer nur Windfall Profits. Wenn die FDP an der Macht ist, regnet es Geld vom Himmel. Im Normalfall gibt es Gewinner und Verlierer. Die 360 Millionen € sind zu finanzieren. Eine relativ einfache Möglichkeit wäre gewesen, den Steuersatz für Besserverdienende, und zwar Spitzenverdiener, anzuheben, möglicherweise eine zusätzliche Progressionslinie einzuschieben. Schwups, hätte man es relativ einfach finanziert gehabt. Das wollte die FDP nicht.

Sie wollen gar nicht die kalte Progression beseitigen. Ich werfe Ihnen vor: Sie wollen ein bisschen Show machen, Sie wollen nicht an der Lösung mitarbeiten. Und dann suggerieren Sie, als wenn wir kleinere mittlere Einkommen nicht entlasten wollten.

(Ralf Witzel [FDP]: Sieht ganz so aus!)

Das ist das Rezept der FDP: sehr durchsichtig, aber nicht zielführend.

(Beifall von der SPD)

Um noch einmal zu verdeutlichen, wovor wir stehen: Wir müssen Prioritäten für Landesaufgaben setzen. Deswegen ist es richtig, dass der Finanzminister sehr genau darauf achtet – Sie werfen ihm ansonsten vor, dass er es nicht tut –, wo die Euros hingehen, die wir möglicherweise gar nicht haben. Denn wir müssen in diesem Land einen Hochschulpakt in einer Milliarden-Größenordnung finanzieren, wir müssen Inklusion in der Schule finanzieren, wir müssen mehr U3-Betreuung finanzieren, und wir müssen auch die Schäden reparieren, die SchwarzGelb bei der Ausfinanzierung der Kommunen hinterlassen hat.

Und weil das so ist, müssen wir auf jeden Euro achten. Wir müssen im Bundesrat darauf achten, dass der Bund nicht Rechnungen schreibt, die er den Ländern zustellt, aber selber nicht bezahlen will und sich gleichzeitig feiern lassen will. Das passt einfach nicht zusammen. Das lehnen wir ab.

(Ralf Witzel [FDP]: Es gibt eine Kompensati- on!)

Fertig? Lieber Kollege Witzel, eines sei noch hinzugefügt: Sie kommen mit dem Antrag acht Monate zu spät. Deswegen müssen wir uns nicht groß aufregen. Die Gegenfinanzierungsmodelle haben auf dem Tisch gelegen. Die haben sie abgelehnt. Sie tragen Schuld daran, dass die kalte Progression weiterhin so erhoben wird, wie sie erhoben wird. Sie haben die falschen Prioritäten gesetzt. Deswegen gehören Sie in diesem Jahr abgewählt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schulz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und am Stream! Der Antrag der FDP ist einer, den man nicht nur hier, sondern auch in Ausschüssen, in der Gesellschaft kontrovers diskutieren kann, wahrscheinlich sogar auch muss. So ist es geschehen in einer Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages. Das ist jetzt ein Jahr her. Das war am 19.03.2012. Da ging es in der Beratung um die Frage, ob das mit der kalten Progression, so wie es die Bundesregierung seinerzeit vorgeschlagen hat, überhaupt funktioniert, und vor allen Dingen darum, ob es finanzierbar ist.

Wir dürfen eines feststellen: Die Mehrheit, egal welcher Fraktion sie nun angehört, im Bundesrat hat gesagt: Nein, es ist nicht finanzierbar. Nein, das bekämpft Symptome und ist keine Steuerpolitik im eigentlichen Sinne. Ja, man muss die kleinen und mittleren Einkommen entlasten, aber vor allen Dingen muss man dafür Sorge tragen, dass sie nicht definitiv zusätzlich zu der in der Progression befindlichen Schwächung auch noch inflationäre Einbußen hinnehmen müssen. Insofern verstehe ich den Antrag der FDP richtig, dass gerade dieser Aspekt mit diesem Vorhaben, die kalte Progression abzuschaffen, bewirkt werden soll.

Aber so kontrovers das auch im Kreise der Sachverständigen diskutiert wird, dürfen wir eines nicht aus den Augen verlieren, nämlich nach wie vor die Finanzierbarkeit. Von der Bundesregierung wurde gerne angeführt, dass wir eine Erhöhung des Steueraufkommens im Jahre 2014 um knapp 100 Milliarden € gegenüber 2010 haben würden.

So weit, so gut. Aber das reicht bei Weitem nicht aus, um Schieflagen innerhalb der durch das Steuersystem und durch die gesamten Steuergesetze hergestellten eventuellen auch sozialen Ungerechtigkeiten auszugleichen. Denn eins dürfen wir bitte nicht vergessen: Wir dürfen hier keine Wahlgeschenke in Aussicht stellen, die am Ende die nachfolgenden Generationen ausgleichen müssen. Wir haben zurzeit in der Bundesrepublik Deutschland eine Verschuldung von 2.100 Milliarden €. Wir denken überhaupt noch nicht daran, das zu tilgen, gleichwohl sagen wir aber, wir möchten bestimmte Einkommen entlasten.

Ja, und ich muss auch eine Kritik in Richtung des Herrn Finanzministers äußern, der da sagt – ich zitiere mit Genehmigung des Gerichts …

(Heiterkeit)

Entschuldigung, nicht des Gerichts, sondern des Präsidiums –

… aus der „Neuen Westfälischen“ –:

„So wünschenswert eine steuerliche Entlastung vor allem für Klein- und Normalverdiener ist, so wenig kann der Gesamtstaat auf das Geld verzichten, dass eine Aufhebung der inflationsbereinigten Progression kostet.“

Sehr verehrter Herr Minister, damit schlagen Sie natürlich Ihrer Wählerschaft gewaltig ins Gesicht. Das muss man ganz klar sagen. Die kleinen und mittleren Einkommen sind diejenigen, die den Bärenanteil zum Steueraufkommen der Bundesrepublik

Deutschland beitragen. Hier zu einer Entlastung zu kommen, ist sicherlich wünschenswert. Was aber unseres Erachtens nicht passieren darf, ist, dass hier, unabhängig von der Frage, ob der Grundfreibetrag angehoben werden soll, und dieses möglicherweise auch jährlich unter Berücksichtigung entsprechender Kriterien, die auch mit dem Inflationsausgleich zusammenhängen, keine Kompensation durch einseitiges, möglicherweise auch sehr kurzgesprungenes Drehen an der Steuerschraube im Bereich der Progression möglich ist.

Insofern geht die Kritik auch in Richtung FDP. Es ist nicht steuerkonzeptionell, was hier vorgelegt wird. Es ist ein Bekämpfen bzw. ein Behandeln einzelner Symptome und fügt sich nicht ein in ein gesamtstaatliches, gesamtfiskalisches Konzept, zu dem selbstverständlich auch gehört, dass wir berücksichtigen, dass seit Jahrzehnten im Bereich der Spitzenbesteuerung nichts Wesentliches unternommen worden ist. Das betrifft die Einkommensteuer, das betrifft möglicherweise auch die Besteuerung von Vermögen etc. pp. Da ist seit 1958 eher abgebaut als aufgebaut worden. – So viel zu den Fragen der Kompensation.

Ich persönlich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Der Antrag geht mir nicht weit genug und er ist vor allem nicht dezidiert genug, sodass ich mich persönlich bezüglich dieses Antrages nur ablehnend aussprechen kann. Dies ist auch die Empfehlung an meine Fraktion. In der vielfältigen in der Sachverständigenszene geführten Argumentation sagen die einen: Das sollte man machen. – Die anderen sagen: Man könnte es eventuell machen. – Die anderen finden: Das kann man unter dem Finanzierungsvorbehalt auf keinen Fall machen.

(Christian Lindner [FDP]: Wer sagt das? Nennen Sie einen!)

Dann nenne ich einen, der ganz klar gesagt hat, dass das nicht so sein soll. Das ist Prof. Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin. Dies hat er in der Anhörung geäußert. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung steht nicht gerade positiv diesem Aspekt der einseitigen und singulären Befassung der kalten Progression gegenüber. Auch die sagen definitiv: Ja, man muss das Problem angehen, aber bitte im Rahmen eines gesamten Steuerkonzepts. – Da höre und lese ich momentan von der Bundesregierung nichts.

(Christian Lindner [FDP]: Man darf die schwachen Schultern nur dann entlasten, wenn man die starken Schultern belastet!)

Das ist damit nicht gesagt. Damit ist lediglich gesagt, dass eine Diskussion, durchaus auch unter Einbeziehung der Sachverständigenebene, geführt werden muss, wie eine Steuergerechtigkeit, die heute hier im Saal schon häufig angesprochen worden ist, von A bis Z, also quer durch die gesamte Gesellschaft, hergestellt werden kann. Das erreichen wir auf keinen Fall, indem wir nur einen Bereich, zum Beispiel den Bereich der Progression, herausnehmen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Wie gesagt, ich lehne den Antrag ab. Ich stelle es meiner Fraktion frei, dies ebenso zu tun bzw. sich enthaltend oder auch zustimmend zu dem Antrag der FDP zu stellen. Allerdings muss ich ganz ehrlich sagen: Angesichts der Verkürzung der Problematik durch den Antrag kann ich nur raten, diesen abzulehnen. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke schön, Herr Kollege Schulz. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Legendenbildung geht weiter. Wenn man alleine schon von dem Begriff der kalten Progression ausgeht und sich dann hin und wieder ansieht, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird, dann wird der Eindruck erweckt, dass, wenn man einen Euro mehr in der Lohntüte hat, nachher weniger herauskommt als vorher. Dass dann der Grenzsteuersatz größer als 100 % sein müsste, sollte man doch zumindest im Hinterkopf haben.

Wir reden darüber, dass mit der Erhöhung des Preisniveaus und der damit einhergehenden Erhöhung von Löhnen und Gehältern der Durchschnittssteuersatz tendenziell ansteigt, im schlimmsten Fall, nämlich dann, wenn man die oberste Progressionsgrenze erreicht hat, um 45 Cent von einem Euro. Dann kann man sich schon ausrechnen, dass die Horrormärchen, die hier erzählt werden, dass am Ende von 60 € nur 4 € übrig bleiben, zumindest nicht in der kalten Progression und der Gestaltung des Einkommensteuertarifs begründet sind.

Jetzt geht es weiter. Was ist denn bislang von der Bundesregierung vorgeschlagen worden? Ich will jetzt gar nicht beschreiben, wie sich das genau hinter dem Komma verhält, aber es waren im Wesentlichen drei Tranchen von je 2 Milliarden €. Die erste Tranche war die Freistellung des Existenzminimums – verfassungsrechtlich gefordert – von der Lohn- und Einkommensteuer. Das haben wir gemeinsam ge

macht, das muss auch gemacht werden. Aber selbst da muss man sich einmal klarmachen: Das zu versteuernde Jahreseinkommen, auf das keine Steuern gezahlt werden, wird von bisher 8.000 € auf künftig ungefähr 8.300 € ausgedehnt. Um diesen Teil einkommensteuerfrei zu stellen, brauchen Sie 10 bis 20 Millionen €. Es kostet aber 2 Milliarden €. Warum? – Weil nämlich dieser Grundfreibetrag allen zugutekommt. Das bedeutet: Selbst die, die mehr als 50.000 € im Jahr haben – das sind ungefähr 20 % der Einkommensbezieher –, bekommen 20 % der 2 Milliarden €, die dieses Paket kostet. Also gehen alleine schon 400 Millionen € an Einkommensbezieher mit einem Jahreseinkommen von mehr als 50.000 €. Die erste Legende, dass nur in einem kleinen, notwendigen Bereich etwas gemacht worden wäre, während alle anderen nichts davon haben, ist damit schon widerlegt.

Als Nächstes ging es darum, dass der gesamte Verlauf des Einkommensteuertarifs um die 300 €, um die das Grundeinkommen erhöht worden ist, nach rechts verschoben wird. Das hätte weitere

2 Milliarden € gekostet. Der Bund hat aber mitnichten erklärt, dass er sich daran beteiligen will, sondern er hat nur erklärt: Verschiebt man das Ganze nicht nur nach rechts, sondern zieht es auch noch nach hinten, sodass die höheren Einkommen noch stärker freigestellt werden – das kostet weitere 2 Milliarden € –, dann würde er sich beteiligen, aber nur dann, wenn das Gesamtpaket von uns gemeinsam verabschiedet wird.

Daraufhin haben alle sozialdemokratischen und grünen Finanzminister im Bundesrat gesagt: In einer Zeit, in der der Bund immer nur vordergründig behauptet, er habe einen strukturell ausgeglichenen Haushalt, während – was wir wissen – er und ganz überwiegend auch die Länder Defizite machen, will er im öffentlichen Gesamthaushalt auf 6 Milliarden € verzichten?

Wir haben gefragt, woher das kommen soll. Ein Ausgleich kann nur über zwei Wege erfolgen: Entweder nehmen Sie in Höhe dieses Betrages mehr Schulden auf – das wollen, können und dürfen wir nicht, weil die Schuldenbremse zu erreichen ist –, oder aber Sie müssen Leistungen des Staates kürzen. Wenn Sie von der FDP, die im Bundestag nicht für die Schuldenbremse gestimmt hat, sich jetzt nicht nur für die Schuldenbremse feiern lassen wollen, sondern auch eine Steuerbremse wollen, dann sollten Sie übersetzen, was das wirklich heißt. Damit fordern Sie nämlich gleichzeitig eine Bildungsbremse, eine Infrastrukturbremse und eine Sicherheitsbremse. Das müssen Sie dann fordern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krückel?