Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

(Beifall von der FDP)

Deshalb geht es hier selbstverständlich um Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Leistungsgerechtigkeit bedeutet nämlich, dass von den Tariferhöhungen nicht nur der Staat profitiert. Das hat er in den letzten Jahren genug getan. Das letzte Mal wurde die kalte Progression im Jahr 2010 ausgeglichen. Seitdem haben wir Rekordsteuereinnahmen zu verzeichnen. Es gibt also ausdrücklich kein öffentliches Einnahmeproblem, sondern ein zu expansives Ausgabeverhalten. Das wird in jeder Debatte wieder deutlich.

Der Bund hat sich daher entschlossen, bei der Beseitigung der kalten Progression den Verzicht auf weitere Steuermehreinnahmen auf Länderseite zu kompensieren, sodass Nordrhein-Westfalen unter dem Strich kein Nachteil entsteht.

Damit, Herr Finanzminister, ist auch ganz objektiv die letzte Hürde beseitigt. Früher haben Sie hier gerne vorgetragen, dass es ja eine schöne Gelegenheit wäre – auch für den Landeshaushalt –, wenn sich der Staat einen größeren Anteil an den Arbeitnehmereinkommen auf dem Steuerwege genehmigt. Dieses Argument fällt weg, weil der Bund erklärt hat, dass die Länderhaushalte über die Kompensationsregelungen bei der Umsatzsteuer keinen Schaden nehmen.

Nachteilig für Ihre Landeskasse ist das nicht. Es erhöht aber die Motivation der Beschäftigten weit mehr als das, was Sie unter Leistungsgerechtigkeitsgesichtspunkten verstehen und gerade eindrucksvoll in Ihrer Tarifpolitik bei Ihren eigenen Landesbeamten praktizieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Landtagsfraktion spricht Frau Kollegin Andres.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP beantragt, die Blockade bei der kalten Progression zu beenden. Klingt im ersten Moment gut. Wer findet schon die kalte Progression sexy? – Niemand.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie!)

Nein, Herr Witzel, niemand. – Aber auf den zweiten Blick zeigt sich wieder einmal, dass die FDP lediglich ihre Klientelpolitik betreibt

(Zurufe von der FDP: Oh!)

und wie realitätsfern sie sich offenbar in ihrem Paralleluniversum bewegt.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Denn: Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre, zeigt sich, dass es seit 1998 eine ganze Reihe von Entlastungen bei der Einkommensteuer gab. Genau genommen betrug die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei der Einkommensteuer je nach Steuerklasse zwischen 4,5 % und 9,7 % des zu versteuernden Einkommens.

Damit lag der Steuersatz ganz erheblich unter dem inflationsbereinigten Satz von 1998, und die kalte Progression wurde mehr als ausgeglichen. Natürlich kamen diese Steuersenkungen zu einem großen Teil den eher wohlhabenden Haushalten zugute.

Wären diese Entlastungen bei der Einkommensteuer nicht eingetreten, hätten laut IMK – Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung – alleine in 2011 Bund, Länder und Kommunen 51 Milliarden € mehr eingenommen. Rein rechnerisch hätte die Bundesrepublik damit mit Verzicht auf die Steu

erentlastungen in den letzten zehn Jahren kein Defizit, sondern sogar einen Überschuss erwirtschaftet.

Die uneingeschränkte Verabschiedung dieses Gesetzes, so wie von der FDP gewünscht, würde Mindereinnahmen von rund 6 Milliarden € bundesweit und für Nordrhein-Westfalen von rund 400 Millionen € bedeuten. Laut IMK würde die maximale Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger 0,6 % des zu versteuernden Einkommens betragen. Das macht bei einem Jahresbrutto in Höhe von zum Beispiel 30.000 € gerade einmal 14 € im Monat aus.

Was man den Menschen auf der einen Seite an Entlastungen zugestehen würde, müsste man ihnen an anderer Stelle durch höhere Zinskosten infolge höherer Verschuldung oder durch Leistungskürzungen wieder wegnehmen. Dadurch würden einmal mehr die weniger wohlhabenden Haushalte überproportional getroffen. Meine Damen und Herren, verantwortungsbewusste, zukunftsorientierte Steuerpolitik sieht anders aus.

Die verfassungsgemäße Erhöhung des Grundfreibetrags in zwei Stufen um 350 € haben wir mitgetragen. Das alleine bedeutet für Nordrhein-Westfalen einen Kostenfaktor in Höhe von 260 Millionen €. Die darüber hinausgehende Forderung der FDP, die Tarifeckwerte zu erhöhen, können und wollen wir nicht mittragen, da sie über das verfassungsmäßig Vorgeschriebene hinausgeht und es eben keine ausreichende Kompensation für die Länder und Kommunen geben wird.

(Beifall von der SPD)

Wir wollen die Schuldengrenze 2020 erreichen. Das schaffen wir nicht alleine durch Ausgabenkürzungen mit Augenmaß. Vielmehr werden wir auch Mehreinnahmen zu generieren haben. Dazu fordern wir eine höhere Einkommensteuer auf hohe Einkommen, eine Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine Finanztransaktionsteuer.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofiz- adeh [GRÜNE])

Was wir auf gar keinen Fall wollen – und zwar so was von auf überhaupt gar keinen Fall –, sind Steuergeschenke auf Pump. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, lassen Sie sich doch bitte vom Fraktionsvorsitzenden der CDU beraten, dem ich mich ausnahmsweise mal anschließen möchte. Herr Laumann hat im Interview mit der „Emsdettener Volkszeitung“ gesagt – mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich zitieren –:

„Ich habe große Zweifel, ob es für Steuersenkungen tatsächlich die notwendigen Spielräume gibt. Steuersenkungen bedeuten nicht nur für den Bund Mindereinnahmen, sondern auch für die Länder. Einen Puffer dafür kann ich in den Haushalten der Länder nicht erkennen. Es gibt

einen erheblichen Investitionsbedarf. Steuersenkungen auf Pump sind unmoralisch.“

(Beifall von der SPD – Hans-Willi Körfges [SPD]: Recht hat er!)

Herr Laumann, dem habe ich nichts hinzuzufügen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Andres. Dies war Ihre erste Rede vor dem Hohen Haus. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Für die CDU-Landtagsfraktion spricht nun Herr Kollege Krückel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Erfolg Deutschlands beruht auf dem Fleiß und der Tatkraft seiner Bürgerinnen und Bürger. Um ihn für die Zukunft zu bewahren, müssen wir auch im Steuersystem die richtigen Anreize setzen.

Trotz guter Tarifabschlüsse in den vergangenen Jahren, die auch zum Inflationsausgleich beitragen sollten, werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund der Wirkung der kalten Progression nicht nennenswert mehr Geld in der Tasche haben; denn die kalte Progression wirkt als intransparente Besteuerung. Das Mehr an Einkommen wird höher besteuert, und zwar insbesondere in den unteren Einkommenssegmenten.

Nehmen wir als Beispiel einen Handwerker mit 2.000 € brutto im Monat. Dieser Handwerker zahlt monatlich 255 € Steuern. Nun bekommt dieser Handwerker eine Lohnerhöhung – nehmen wir an, 3 %. Das sind 60 € im Monat. Von diesen 60 € im Monat gehen erst einmal 16 € an den Staat. Das sind die Steuern auf die Lohnerhöhung. Der Lohn steigt um 3 %. Die Steuern steigen um 6 %. Auf die Sozialabgaben, die bekanntlich linear steigen, will ich an dieser Stelle nicht eingehen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das wäre aber sinnvoll!)

Wenn dann noch die Inflationsrate entsprechend ist – im Jahr 2012 lag sie bei 2 % –, sind von der Lohnerhöhung weitere 40 € weg. Dem Handwerker in meinem Beispiel bleiben von 60 € Lohnerhöhung real noch 4 €. Und das soll gerecht sein? Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Leistung muss sich lohnen und darf nicht durch eine leistungsfeindliche Steuerpolitik bestraft werden.

(Beifall von der CDU)

Und die kalte Progression ist leistungsfeindlich. Sie ist weder ökonomisch vernünftig noch sozial gerecht.

SPD und Grüne sind unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit unterwegs. Realität sind aber massive Steuererhöhungen für viele Bevölkerungsschichten und Verschärfung der Progression für die breite Mittelschicht der Facharbeiter und Handwerker.

Nun könnte man meinen, dass SPD und Grünen zumindest die kleinen und mittleren Einkommen am Herzen liegen. Aber auch hier Blockadehaltung! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur konsequenten Abschaffung der kalten Progression wurde auf Betreiben der nordrhein-westfälischen Landesregierung abgelehnt.

Herr Finanzminister, ich hoffe, dass Sie endlich zu einer seriösen Finanzpolitik zurückkehren. Es reicht nicht aus, in Talkshows als Robin Hood unterwegs zu sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie müssen gestalterisch Ihre Hausaufgaben machen. Das gilt im Einkommensteuerrecht und auch bei der drohenden Vermögensteuer. Ihre Schätzungen, dass weniger als 150.000 Personen von der Vermögensteuer betroffen seien und trotzdem ein Aufkommen von 11,5 Milliarden € erzielt werde, glaubt nicht einmal Ihr Kollege Nußbaum, SPDFinanzsenator in Berlin. Mir liegt ein Brief von Herrn Nußbaum an seine SPD-Finanzministerkollegen vor – also auch an Sie, Herr Finanzminister –, in dem er die Vermögensteuerschätzungen auf der Basis der im „manager magazin“ veröffentlichten Liste der 300 reichsten Deutschen für unzureichend hält und die Aufkommensschätzung bezweifelt. Insgesamt seien keine ausreichenden statistischen Daten vorhanden, so Senator Nußbaum. Dies zeigt, wie unseriös und undurchdacht Sie handeln.

(Beifall von Lutz Lienenkämper [CDU])

Steuererhöhungen sind weder geeignet, die viel zitierte Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, noch eignen sie sich, die nachhaltige Konsolidierung der Haushalte herbeizuführen. Einzig und allein wird den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land Kaufkraft entzogen, und zwar insbesondere im Segment der Bezieher mittlerer Einkommen. Das ist zutiefst unsozial und leistungsfeindlich.

Sehr geehrte Frau Kollegin Andres, Sie sind ja vom Fach. Sie kennen auch die Progressionskurve im Einkommensteuerrecht. Die Progression schlägt nach der Eingangsbesteuerung insbesondere bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 24.000 € besonders hart zu. Das ist jedem selbst Unkundigen ersichtlich, der einen Blick auf die Progressionskurve wirft. Insofern sind wir von der CDU-Fraktion der Meinung, dass wir die Entlastung der Bezieher unterer Einkommen herstellen können.

Wenn dies der Bund so ausgestalten kann, dass die Länder davon nicht betroffen sind, dann haben wir eine große Sympathie für den Antrag der FDP und werden diesen unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Krückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Krückel, typischer Fall von „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Diese Variante lag im Bundesrat schlichtweg nicht zur Beschlussfassung vor. Die Forderung, die Kosten für die Finanzierung der kalten Progression allein auf den Schultern des Bundes zu finanzieren, lag nicht vor. Deswegen konnte man sich dazu auch nicht verhalten. Der Bund hätte es auch abgelehnt; zumindest sind das meine Informationen.