Protokoll der Sitzung vom 26.09.2013

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nicht auf die allerjüngste Vergangenheit zurückkommen, weil der Antrag schon vor der Bundestagswahl gestellt wurde. Ich kann verstehen, dass die eine oder der andere unter prinzipiellen Aspekten Bedenken gegen Sperrklauseln hat. Das halte ich für legitim. Ich halte es allerdings – vorsichtig ausgedrückt – für gewagt, nein, lassen Sie mich ein bisschen klarer werden, eher für unverschämt, denjenigen, die eine geringfügige Sperrklausel bei Kommunalwahlen einführen möchten, undemokratisches Denken zu unterstellen.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Wir haben es an der Stelle mit den Bedingungen für kommunales Ehrenamt zu tun. Der Kollege Herrmann, der sehr kundig darüber nachgedacht hat,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Danke!)

wie sich Ehrenamt im Augenblick zum Teil darstellt, muss doch auch zur Kenntnis nehmen, dass Tagesordnungen von Meterlänge es vielen Fraktionen und Gruppierungen, Einzelbewerberinnen und Einzelbewerbern, die in Räten sitzen, sehr schwer machen – auch vorsichtig ausgedrückt –, das kommunale Engagement überhaupt noch mit einer normalen beruflichen Tätigkeit in Einklang zu bringen.

Wir müssen es denjenigen, die in unseren Kommunalparlamenten Verantwortung tragen, ermöglichen, das neben einer normalen Beschäftigung zu tun. Insoweit geht es uns nicht darum, demokratische Spielregeln außer Kraft zu setzen, sondern wenn wir über Sperrklauseln diskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann geht es uns auch darum, die Bedingungen für das Ehrenamt in Kommunalparlamenten zu verbessern.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich an der Stelle etwas zu dem seltsamen Versuch sagen, die prinzipielle Abneigung gegen Sperrklauseln mit einem Gesetz zu verbinden: Gesetze sind nicht dazu da, politische Grundüberzeugungen in Form von Resolutionen zum Ausdruck zu bringen. Wir diskutieren gerne mit Ihnen und nehmen auch den Antrag zum Anlass,

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Wozu dann eine Schuldenbremse?)

liebe Kolleginnen und Kollegen, im Detail über die Frage zu reden, ob das sinnvoll ist oder nicht. Eins ist aber auf jeden Fall Unsinn: in ein Gesetz hineinzuschreiben, was Handlungsmöglichkeiten und Handlungsregeln bestimmt, was man gerne nicht hätte. Im Augenblick haben wir die Situation, dass wir keine Sperrklausel haben. Das durch einen doppelten Ausschluss noch einmal bestätigen zu wollen, ist schlichtweg unsinnig.

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Herrmann zulassen?

Bitte schön.

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade von langen Tagesordnungen gesprochen. Meinen Sie nicht, man sollte eher die Regeln der Zusammenstellung einer Tagesordnung überarbeiten, als die Menschen, die vielleicht die Anträge stellen, aus den Parlamenten herauszuhalten? Eine andere Art und Weise zu finden, mit langen Tagesordnungen umzugehen, wäre doch besser, als einfach die Bewerber auszuschließen.

Bitte schön, Herr Kollege Körfges.

Ich glaube auch, es gibt andere Möglichkeiten, Tagesordnungen in jeder Beziehung in Parlamenten und Beschlussgremien zu entschärfen. Nur, je mehr Gruppierungen und Fraktionen dazugehören, umso größer ist doch der Druck auf den Einzelnen und die Einzelne, sich darstellen zu wollen. Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal in einem Stadtrat mit acht, neun, zehn, elf Einzelgruppierungen oder Fraktionen anwesend waren. Das hat häufig etwas von „Und täglich grüßt das Murmeltier“, ritualisiertem Abbeten grundsätzlicher Kapitalismuskritik und ähnlichen Dingen mehr, je nachdem, mit wem Sie gerade zu tun haben,

(Beifall von der SPD)

und das auf der Basis – damit komme ich zum Gleichgewicht der Stimmen – von wenigen hundert abgegeben Stimmen in Großstädten. Denn einen Irrtum will ich an der Stelle ganz deutlich bekämpfen: Wir haben ein Ungleichgewicht des Stimmenwertes gerade in den Großstädten, weil es häufig einfacher ist, das erste Mandat zu bekommen, als mit der gleichen Stimmenanzahl ein weiteres Mandat für große Parteien und Fraktionen. Das ist wissenschaftlich untersucht. An der Stelle sind wir auch gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Mit dem Missverständnis, dass Sperrklauseln generell verfassungswidrig seien, hat sogar das Bundesverfassungsgericht an einigen Stellen erkennbar aufgeräumt. Zu Recht sagt das Bundesverfassungsgericht, dass wegen der Bedeutung der Gleichheit der Wahl besonders hohe Hürden an Sperrklauseln anzulegen sind. Das bedeutet aber, dass auch das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit von Sperrklauseln für gegeben hält, allerdings im Bereich der einfachgesetzlichen Regelungen auf kommunaler Ebene nur dann, wenn die Funktionsfähigkeit der entsprechenden Gremien entscheidend gefährdet ist. Da gebe ich Ihnen recht.

Aber jetzt – darauf rekurrieren Sie mit der Debatte ein bisschen – gibt es eine neue Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in Berlin, liebe Kolleginnen und Kollegen. Er bezieht sich auf eine Regelung, die in der Berliner Landesverfassung angelegt ist, und erkennt diese Dreiprozentregelung als absolut gültig an – mit der Begründung, es sei eine besondere Sache, wenn man so etwas in einer Landesverfassung festlege.

Ich will Ihnen jetzt nicht versprechen, dass wir hier ganz kurzfristig eine solche Initiative ergreifen können. Ich glaube aber – und das will ich versprechen –, dass es auch unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit kommunaler Demokratie lohnt, sich sehr zeitnah und sehr intensiv anzuschauen, was in Berlin wie genau geregelt worden ist; denn es ist

nicht nur nicht ehrenrührig, sich für eine kommunale Sperrklausel einzusetzen, sondern auch im Interesse der kommunalen Gemeinschaft, der Bürgerinnen und Bürger und des kommunalen Ehrenamtes, wenn wir hier ernsthaft über die Wiedereinführung einer kommunalen Sperrklausel nachdenken.

Für alle Höchstbedenkenträger füge ich hinzu: nicht im Bereich der Höhe der Bundestagssperrklausel und nach meiner Ansicht auch nicht im Bereich von 3 % – da unterscheiden sich hier die Meinungen , …

Herr Kollege Körfges …

… aber in dem Bereich, der es ausschließt, dass Einzelbewerber mit wenigen Stimmen komplette Stadträte durcheinanderwirbeln können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das halten wir für durchaus vertretbar. Wir meinen, dass es auch dem hohen Anspruch gerecht wird, den unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker verdient haben. In dieser Haltung fühlen wir uns durch viele Stimmen aus der kommunalen Praxis bestätigt.

(Beifall von der SPD)

Mein Gott, sind das Sätze. – Herr Kollege Körfges, es gibt eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Herrmann.

Ja, Herr Kollege Herrmann.

Bitte schön.

Danke schön. – Ich kenne die Regelung aus Berlin. Ich kenne auch dieses Urteil. Würden Sie mir recht geben, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Stadtstaat Berlin als Großstadt und dem Flächenland Nordrhein-Westfalen sowie zwischen der Situation in den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen und der Situation in unseren kommunalen Gremien gibt?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Verfas- sungsrechtlich nicht!)

Es gibt einen Unterschied zwischen der Rolle Berlins als Stadtstaat und der Rolle Nordrhein-Westfalens als Flächenland. Unsere Räte und die Berliner Bezirksverordnetenversammlungen sind aber absolut vergleichbar, Herr Kollege, weil es dort tatsächlich um kommuna

le Selbstverwaltung in überschaubaren Gebieten geht.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Ich halte einen weiteren Aspekt für ganz wichtig. Diese Problematik betrifft doch nicht die kleinen Kommunen mit kleinen Räten und auch nicht die Mittelstädte, sondern insbesondere großstädtische Kommunalparlamente. Hier sind die Bedingungen absolut mit den Bedingungen in Berlin vergleichbar. Das kann man auch in Bezug auf eine verfassungsrechtliche Überprüfung durchaus ähnlich sehen.

Ich gebe zu, dass wir uns damit beschäftigen müssen. Daher bin ich sehr gespannt darauf, wie die weiteren Beratungen im Ausschuss verlaufen. An dieser Stelle muss ich mich auch bedanken; denn Sie haben uns mit diesem Antrag die Gelegenheit gegeben, das ganze Thema kurzfristig und zeitnah aufzurufen. Sie dürfen sich darauf verlassen, dass wir darauf zurückkommen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Biesenbach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Körfges, ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt in einer solchen Breite Ihrer Rede zugestimmt habe.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Oh! Habe ich et- was falsch gemacht?)

Ob Sie etwas falsch gemacht haben? Darauf komme ich gleich noch ein Stückchen zurück. Ich glaube, an einigen Ecken fehlt noch etwas, ja.

99 % dessen, was Sie gesagt haben, kann ich also vorbehaltlos unterstützen. Da muss ich nichts mehr ergänzen. Wiederholungen brauchen wir nicht.

Lassen Sie mich noch einige Zahlen nennen, die deutlich machen, warum der Ansatz einer moderaten Sperrklausel der richtige ist.

Schon das Ergebnis der Kommunalwahl 2004 war, dass wir in den Räten der Großstädte mindestens acht bis maximal 13 Fraktionen, Gruppierungen bzw. Einzelmandatsträger hatten. Wenn sie alle zu einem Tagesordnungspunkt reden wollen, ist der Nachmittag vorbei.

Bereits im Jahr 2009 stellte Prof. Dr. Bogumil von der Ruhr-Universität Bochum bei einer Untersuchung fest, dass die Zahl der Ratsfraktionen sowie Gruppierungen und Einzelmandatsträger durchschnittlich, und zwar bis in die kleinen Kommunen hinein betrachtet, um jeweils vier pro Stadt angewachsen ist. Wer Kommunalpolitik betreibt – viele von uns sind ja noch Kommunalpolitiker –, weiß, dass dabei nicht unbedingt sehr viel Gehaltvolles

herumkam, sondern lediglich sehr viel Zeit verloren ging. Herr Kollege Körfges, in einer dpa-Mitteilung werden Sie auch mit den Worten zitiert, Sitzungen bis nach Mitternacht seien an der Tagesordnung und mit Beruf und Familie kaum noch zu vereinbaren.

Diese Einschätzungen teilen wir alle. Darum haben wir schon vor Monaten hier dieses Thema angesprochen und angeboten, nach einer Lösung zu suchen, die eine moderate Sperrklausel ermöglicht. Im Übrigen kam die Idee, die Berliner Regelung zu transformieren, auch von uns. Darüber habe ich mit den Berliner Verfassungsrechtlern intensiv gesprochen. Sie halten das auch für machbar.

Nun gibt es aber ein paar Besonderheiten, die ich nicht unerwähnt lassen will. Wir brauchen nicht den Antrag der Piraten. Wir müssen auch nicht warten, bis das Verfahren abgelaufen ist; denn dann ist es zu spät. Schon vor Monaten haben wir angefangen, anzubieten, darüber zu reden. Am 13. August 2013 lautete eine dpa-Mitteilung: „NRW-SPD erwägt Sperrklausel gegen zersplitterte Kommunalparlamente“. Auch daraufhin habe ich Ihnen sofort angeboten: Die CDU ist gesprächsbereit; wir machen mit.

Jetzt bitte ich Herrn Kollegen Priggen, zuzuhören; denn an ihn richtet sich die nächste Bitte ganz besonders.