Protokoll der Sitzung vom 16.10.2013

Mit Einverständnis der Präsidentin würde ich gerne aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 12. Oktober 2013 zitieren. Dort steht auf der Titelseite zu diesem Ländervergleich:

„Nordrhein-Westfalen ist längst zu einem der großen Schandflecken der deutschen Bildungspolitik geworden: …“

Sie können das gerne in diesem sehr aktuellen Artikel nachlesen.

Diese Tatsache alleine ist schon traurig genug. Aber glauben Sie allen Ernstes, Frau Ministerin Löhrmann, dass Ihre aktuelle Schulpolitik daran für die Zukunft etwas zum Positiven verändern wird? Glauben Sie wirklich, dass die Verunsicherung bei Schülern, Lehrern und Eltern, die Sie mit Ihrem heutigen Schulrechtsänderungsgesetz zu verantworten haben, einen qualitativ besseren Unterricht hervorbringen wird? Meinen Sie nicht auch, dass die Verunsicherung innerhalb der Lehrerschaft bezüglich des Inklusionsgesetzes sich auch auf unsere Schüler ausbreitet? Meinen Sie nicht auch, dass diese Verunsicherung letztlich auch eine Stellschraube für die schulischen Leistungen ist, die im Rahmen der IQB-Studie untersucht und bewertet worden sind? Diese Leistungen werden auch später noch einmal bewertet. Glauben Sie, dass Sie dann eine Verbesserung erzielen? Das Gegenteil wird der Fall sein.

Es ist die eine Sache, die Änderungen des Schulrechts und die Änderungen in der Schulpolitik etwas überheblich als großen Wurf anzukündigen. Eine andere Sache ist es aber, diesen Ankündigungen

Taten folgen zu lassen – Taten, denen nicht eine ideologische Prägung anzumerken ist, sondern Taten, die eine wirkliche Veränderung zum Positiven hin erkennen lassen und ihr Augenmerk auf die Qualität richten. Bis zum heutigen Tage fehlt uns als CDU-Fraktion jeglicher Hinweis auf Qualität im inklusiven Unterricht.

(Beifall von der CDU)

Wir fordern Taten, die Sachlichkeit, Durchdachtheit und Verlässlichkeit ausstrahlen; Taten, die den Lehrern einen stabilen Fahrplan und einen roten Faden an die Hand geben und eben nicht Verunsicherung hervorrufen; Taten, bei denen die Lehrer wissen, was die strukturellen Veränderungen für sie bedeuten; Taten, bei denen die Schüler wissen, wie die Inklusion umgesetzt werden wird und in welcher Art ihre Klasse demnächst unterrichtet wird. Taten, Frau Löhrmann, Taten sind gefragt – nicht die Art von weißer Salbe, die Sie uns Monat für Monat verkaufen wollen!

Wie lange sprechen wir jetzt schon über die Inklusion und das Schulrechtsänderungsgesetz? – Bestimmt eineinhalb Jahre. Und Sie haben bis heute nichts zur Qualität gesagt.

(Zuruf von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Die Lehrerinnen und Lehrer im Land, mit denen man spricht, wissen nicht, wie sie Qualität in diesem Unterricht umsetzen sollen. Wir haben es zahlreich in diesem Hause eingefordert. Von Ihnen ist bisher nichts gekommen. Im Gegenteil: erst mit heißer Nadel um einen ideologischen Kern herumgestrickt und dann gemerkt: Ach, du Schreck, so kann ich das aber nicht machen!

Man sieht es an den Änderungen in den vergangenen 24 Stunden. In diesem Strickwerk sind Maschen drin, die so groß sind, dass sie mit einem Flicken nicht mehr zu stopfen sind. Ihnen wird Ihre eigene Schulpolitik auf Schritt und Tritt um die Ohren gepfeffert – von Schülerverbänden, von Lehrerverbänden, von Elternvertretungen, von der Wissenschaft, von Praktikern, von Theoretikern, also eigentlich von fast allen.

Es ist dringend an der Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass hier etwas gewaltig schiefläuft. Lassen Sie sich doch einmal vom Blick über den ideologischen Tellerrand überraschen! Vielleicht finden Sie dort Lösungsansätze, die zielorientiert, sachgerecht, angemessen und verhältnismäßig sind und unsere Schülerinnen und Schüler nach vorne bringen.

Seit dreieinhalb Jahren sind Sie nunmehr in der Verantwortung – eine verdammt lange Zeit für Experimente. Experimente kann man sich aber schon gar nicht dann erlauben, wenn man bereits die rote Laterne trägt.

(Beifall von der CDU)

Dann ist es höchste Zeit, umzusteuern und die Unterrichtsqualität in den Blick zu nehmen. Die jungen Menschen in unserem Land haben ein Recht auf gute Bildung, denn die ist der Schlüssel für ihre Zukunftsgestaltung. Lassen Sie dafür vernünftige und durchdachte Taten folgen! Es geht um nicht weniger als um die Zukunft unseres Landes.

Um es einmal mit den Worten meines Fraktionsvorsitzenden Laumann zu formulieren: Wer nicht rechnen kann, kann auch nicht Ingenieur werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die Fraktion der SPD spricht Herr Kollege Feuß.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist jetzt schon sehr viel über diese Studie gesagt worden. Ich will mich ein wenig mit dem befassen, was Herr Kaiser als zentral benannt hat, nämlich der Analyse. Er hat sehr stark den Aspekt der Fachlichkeit betont. Wenn ich die Qualität von Unterricht verbessern will, dann ist Fachlichkeit nur eine Seite der Medaille. Ich muss auch die notwendige Vermittlungskompetenz haben.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Von daher ist es wichtig, dass in der Universität demnächst darauf geachtet wird, dass gerade bei der Besetzung der Stellen für die naturwissenschaftlichen Fächer und Mathematik neben den fachlichen Aspekten auch der Aspekt der Didaktik eine entscheidende Rolle spielt. Denn erst wenn die Lehre an der Universität ein gutes Modell ist, dann können die angehenden Lehrer in der Schule das auch entsprechend umsetzen.

Von Ostwestfalen lernen, heißt Gutes lernen.

(Beifall von der SPD)

Letzte Woche Freitag war der Jahresempfang der Universität Bielefeld. Die Universität Bielefeld vergibt seit Jahren einen Preis für gute Lehre, der an Dozentinnen und Dozenten unter 40 Jahren geht. Diesmal wurde eine Frau aus dem Bereich Physik und Didaktik der Physik ausgezeichnet. Es ist sehr wichtig, dass die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an den Universitäten das Modell sind, das dann auch dafür sorgen kann, dass es in der Schule ankommt.

Ich selber habe auch studiert. Es gibt aber auch andere, die das in der Schule erlebt haben. Manchmal gilt nämlich der Spruch: Alles schläft und einer spricht, diesen Zustand nennt man Unterricht. – Das zeigt, sprachlicher Input reicht nicht aus, sondern ich muss auch dafür sorgen, dass es bei den Kindern ankommt. Und da ist der Aspekt der Vermitt

lung von entscheidender Bedeutung. Die Fachlichkeit alleine reicht nicht aus.

Darüber hinaus ist wichtig, dass die Lehrerinnen und Lehrer in den Fächern Mathematik, Biologie und Physik ein anderes Rollenverständnis entwickeln. Wenn ich Kolleginnen und Kollegen insbesondere an Gymnasien und in der Sekundarstufe II frage: „Welche Fächer unterrichtest du?“, dann sagen die: Ich bin Physiker und Chemiker. – Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist der absolut falsche Ansatz. Das sind nicht Physiker und Chemiker, sondern das sind Physiklehrer und Chemielehrer.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Der Aspekt der Vermittlung muss immer wieder mit bedacht werden. Wenn Lehrerinnen und Lehrer noch dieses Rollenverständnis haben, dann können sie noch so viel Unterricht machen, dann kommt bei den Kindern, bei den Schülerinnen und Schülern relativ wenig bis gar nichts an. Von daher müssen wir dafür sorgen, dass auf allen Ebenen der Aspekt der Vermittlung eine zentrale Bedeutung bekommt, damit die Schülerinnen und Schüler in unserem Land gerade in diesen Fächern besser werden.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Das, was Frau Beer gesagt hat, ist zu begrüßen, nämlich dass wir uns die Experten von außen in den Ausschuss holen; Frau Löhrmann hat von den Leuten aus Sachsen gesprochen. Wir dürfen aber nicht nur die Fachwissenschaftler holen, sondern wir müssen auch die Fachdidaktiker einbeziehen, um der Frage nachzugehen: Wie kann ich das in den Horizont der Kinder rücken, damit das Ganze dort auch ankommt?

Sie waren ja auch alle in der Schule. Physik, Chemie, Mathematik waren bei den meisten wahrscheinlich nicht die Bringer-Fächer. Ich hatte einen Chemielehrer, der das vorne in der Klasse ganz hervorragend entwickelt hat. Und was haben wir hinten gemacht? – Wir haben Schiffeversenken oder Käsekästchen gespielt.

(Ministerin Svenja Schulze: Was?)

Das zeigt, dass die Verbindung nicht geklappt hat.

Es kommt nicht darauf an, den Stoff herunter zu rattern, sondern es muss dafür gesorgt werden, dass er bei den Schülerinnen und Schülern ankommt, dass outputorientiert vermittelt wird, dass er sitzen bleibt, und zwar nicht nur bis zum nächsten Test. Im Pädagogen-Deutsch sagt man auch, dass es ein Outcome gibt, dass er wirklich haften bleibt. Das ist wichtig.

Und das lernt man auch nur dann, wenn es gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern andere Herangehensweisen gibt. Da kann ich Ihnen wieder ein gelungenes Beispiel aus Ostwestfalen nennen, nämlich von der Universität Bielefeld, und zwar die

Form teutolab, wo naturwissenschaftliche Experimente schon im Grundschulalter gemacht werden können. Es zieht sich über alle Schulstufen hinweg, dass der Ansatz des Lehrens und des Lernens heute ein anderer ist, und dazu gehören eben auch kooperative Lernformen.

Ich will Ihnen eine kleine praktische Aufgabe stellen, die den neuen Ansatz im Fach Mathematik in der Grundschule deutlich macht: Vier Kinder sollen gerecht drei Pizzen verteilen. – Sie können sich jetzt einmal überlegen, wie Sie das machen würden. Bei den Kindern gibt es natürlich unterschiedliche Lösungsansätze. Ein Kind sagt vielleicht: Jedes Kind bekommt eine halbe Pizza, dann sind schon einmal zwei Pizzen weg, und eine Pizza bleibt noch übrig, die vierteln wir dann. – Das ist ein möglicher Lösungsweg. Und jemand, der die Strukturen gut überblicken kann, wahrscheinlich ein schlaues Mädchen, sagt: Wir vierteln alle drei Pizzen, dann haben wir zwölf Teile, die wir teilen, und dann hat jeder genau das Gleiche. – Dieser Ansatz von Mathematik ist etwas anderes als dieses sture Päckchenrechnen.

Von daher ist der Ansatz, eine gute Lehrerausbildung zu machen, ein ganz wichtiger Aspekt, die Unterrichtsqualität zu steigern. Ich bin überzeugt, dass wir es bei der konstruktiven Atmosphäre, die hier herrschte – vielleicht vom letzten Beitrag abgesehen –, schaffen werden, uns in Nordrhein-Westfalen weiter nach oben zu arbeiten: in die UEFA-PokalRänge, Champions League, und irgendwann sind wir ganz oben. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Feuß. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Stamp.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich begrüße es auch sehr, dass wir hier eine sehr sachliche Aussprache über die Befunde, die uns vorliegen, führen. Es ist auch gut, dass wir uns im Plenum austauschen, um zu prüfen, in welche Richtung es geht.

Ich habe aber bisher noch keine wirklichen Vorschläge zum Turnaround vernommen. Mich treibt die Sorge um, dass wir zu sehr die Debatte nach dem Motto führen: Gut, dass wir mal darüber gesprochen haben. – Auch bei einer sachlichen Aussprache besteht manchmal die Gefahr, dass man sich zu stark verliert.

Frau Beer, Sie haben angesprochen, Kinder müssen angezündet werden, Kinder müssen brennen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: So habe ich das nicht gesagt! – Reiner Priggen [GRÜNE]: Das könnte missverstanden werden!)

Wir haben verstanden, Frau Beer, was Sie sagen wollten, und Sie wissen auch, was ich sagen will. Deswegen brauchen wir das jetzt nicht ins Lächerliche zu ziehen.

Meine Tochter Franziska ist fünfeinhalb Jahre alt. Ich erlebe derzeit, mit wie viel Begeisterung sie versucht, Schreiben zu lernen, wie sie sich anstrengt, Worte richtig zu schreiben, wie wissbegierig sie ist. Das gilt für ihre Freundinnen und Freunde ganz genauso. Die kommen im nächsten Jahr in die Schule. Da merke ich, dass sie für die Sache brennen, dass sie für Bildung brennen. Diese Kinder brennen bereits. Da müssen wir nur aufpassen, dass wir das Feuer unterwegs nicht austreten. Das ist doch die eigentliche Herausforderung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Darum, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, dass die Tendenz zur immer leistungsloseren Schule, die Tendenz zur einen Schule für alle mit möglichst geringen Leistungsanforderungen der falsche Weg ist.

(Beifall von der FDP)