Protokoll der Sitzung vom 18.12.2013

ausgesetzt. Dass man mit denen vorher nicht einmal geredet hat, ist eine Frage des politischen Stils. Aber, meine Damen und Herren, seien Sie doch ehrlich! Sie machen es deswegen, weil sie nicht wissen, wie sie es anders bezahlen sollen.

Ich will Ihnen nur sagen, so kann man das auf Dauer nicht machen. Wir brauchen einen attraktiven, modernen, innovativen öffentlichen Dienst, der auch an der wirtschaftlichen Entwicklung des Gesamtvolkes teilhaben muss. Deswegen ist das Verweigern von Strukturreformen in diesem Bereich ein schwerer Fehler, wenn es darum geht, den Haushalt zu konsolidieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das macht doch keiner!)

Meine Damen und Herren, unser Land hat sich für eine grundlegende Energiewende entschieden. Ich persönlich denke, dass die Energiewende, die wir in den nächsten Jahren gestalten müssen, gerade für unser Bundesland Nordrhein-Westfalen über sehr viele Arbeitsplätze entscheiden wird – vor allen Dingen über gewerbliche Arbeitsplätze.

In meiner letzten Rede möchte ich Ihnen sagen: Ich bin ein Mensch, der gewerbliche Arbeitsplätze mag. Ich habe nichts gegen Dienstleistungen; aber ich weiß, dass gewerbliche Arbeitsplätze in der Regel auch Arbeitsplätze mit vernünftigen Löhnen sind. Auch darauf kommt es an. Sie können nicht jede industrielle Produktion durch Logistik ersetzen, so wichtig Logistik auch ist. Deswegen müssen wir die Energiepreise sehr im Auge behalten.

Vor dem Hintergrund will ich heute gerne sagen, dass die Große Koalition, die in diesen Tagen in Berlin gebildet wird, aus meiner Sicht alternativlos richtig ist, weil ich nicht weiß, wie man ansonsten eine solche Energiewende gestalten soll, ohne von Lobbygruppen und anderen Interessengruppen abhängig zu sein.

Aber die Energiewende muss gelingen. Das ist eine Herkulesaufgabe. Deswegen ist die Entscheidung der Bundesregierung, die Verantwortung für Wirtschaft und Energie und für die Energiewende in die Hände eines Ministeriums zu legen, richtig; denn auf Bundesebene hat sich die Aufteilung auf mehrere Häuser nicht bewährt.

(Christian Lindner [FDP]: Hier auch nicht!)

Deswegen wollte ich nur einmal anfragen, Frau Ministerpräsidentin,

(Heiterkeit von der CDU)

ob es nicht richtig wäre, dass Sie mir zum Abschied den Gefallen tun, die Verantwortung für die Energiewende in einem Haus zu bündeln, statt sie auf drei Häuser verteilt zu haben, wie es in NordrheinWestfalen der Fall ist.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist sowieso schwierig, finde ich, wenn man in Berlin sagt, das müsse in einer Hand gebündelt sein, das sei unabdingbar für den Erfolg, und im eigenen Bundesland hat man das über die Staatskanzlei, das Wirtschaftsministerium und das Umweltministerium auf drei Häuser verteilt. Also einigen Sie sich doch einmal im Kabinett, wer zuständig ist!

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die nach der Energiewende größte Herausforderung für unser Land, vielleicht sogar darüber hinaus, die wir in den nächsten Jahren irgendwie bewältigen müssen, die Frage des Umgangs mit einer älter werdenden Gesellschaft ist. Davor können wir nicht weglaufen. Es wird demnächst sehr viele Ältere geben.

Meine Damen und Herren, ich mache mir da auch Sorgen. Ich komme aus einer Gemeinde, in der alle Hausärzte heute Mitte 50 sind. Wenn ich in die Nachbargemeinde schaue, woher der Kollege Grunendahl kommt, stelle ich fest, dass der Hausarzt dort schon 62 Jahre alt ist. Wir alle wissen: Unsere Hausärzte werden immer älter; zwei Drittel sind schon über 50 Jahre. Wir reden seit Jahren darüber, dass wir mehr Hausärzte aus unserem Ausbildungssystem für Ärzte gewinnen müssen. Ich muss Ihnen aber ganz ehrlich und verzweifelt sagen: Es tut sich nichts.

Ich weiß nur als jemand, der das große Glück gehabt hat, in einem Mehr-Generationen-Haushalt zu leben: Ich habe zweimal in meinem Leben mitgemacht, dass alte Menschen – ganz einfach weil sie alt waren – zu Hause gestorben sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Das bekommen Sie zu Hause nur hin, wenn Sie im Dorf, im Stadtteil noch einen Hausarzt haben, der dann auch Hausbesuche macht und Menschen und Familien in diesen letzten Wochen begleitet.

(Beifall von der CDU)

Deswegen muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – ich war ja auch mal Gesundheitsminister –: Ich stehe ratlos davor. Wir alle wissen, was da los ist. Wir wissen auch, dass es dann, wenn ein junger Mensch heute anfängt, Medizin zu studieren, zehn Jahre dauert, bis er Hausarzt sein kann. Aber nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in allen anderen Bundesländern wird nichts getan, um dieses Problem zu lösen. Wenn wir das jetzt noch ein paar Jahre schleifen lassen, können wir das gar nicht wieder aufholen.

Meine Damen und Herren, wenn wir dann glauben, dass wir uns die Ärzte aus dem Ausland holen können: Ob es richtig ist, sich Ärzte aus Ländern zu holen, die eigentlich viel weniger Geld haben als wir, ein so teures Studium zu bezahlen, damit habe ich ein bisschen Probleme.

(Beifall von der CDU)

Ich will Ihnen auch ganz offen sagen: Wenn ich einmal alt bin, würde ich mich schon freuen, wenn ich dann von einem Arzt begleitet würde, den ich auch noch verstehen kann.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Punkt: Die Frage der Pflege wird eine Riesenherausforderung. Sie ist es schon. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man diesen Teil am liebsten ausblendet. Es ist ja auch wahr: Pflegebedürftig zu sein, ist mit Sicherheit nicht schön. Ich glaube auch nicht, dass man einen solchen Lebensabschnitt schön gestalten kann, aber ich bin fest davon überzeugt, dass man ihn in einer Gesellschaft menschlich und würdevoll gestalten kann.

Wenn ich dann so unterwegs bin, muss ich feststellen: Ich habe einen riesigen Respekt vor den vielen Familien, die das zu Hause leisten, vor allen Dingen dann, wenn die Menschen an Demenz erkrankt sind. Ich bin froh, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein System aufgebaut haben, über viele Jahre – in der Zeit, in der ich dabei war, aber auch schon in den Jahren davor –, in dem wir viele Leute haben, die über ein gering bezahltes Ehrenamt diese Menschen ein Stück entlasten.

Wenn ich in die Heime komme, höre ich immer nur: Ja, Bürokratie über Bürokratie! – Das höre ich schon seit zehn Jahren. Auch da ändert sich nichts. Manchmal hat man den Eindruck, dass es manchen Menschen wichtiger ist, das wir Bürokratie haben, als dass diejenigen, die pflegen, auch einmal auf der Bettkante sitzen und mit dem Menschen reden können, der pflegebedürftig ist.

(Beifall von der CDU)

Im Übrigen täte es beiden gut – denjenigen, die pflegen, und denjenigen, die pflegebedürftig sind.

Ich bin in Krankenhäusern gewesen, in denen mir davon erzählt wurde, wie es ist, wenn ein an Demenz Erkrankter zum Beispiel operiert werden muss. Da dieser Mensch sowieso nicht einordnen kann, wo er ist, wird er nach der Operation wach und weiß gar nicht, wo er ist, und bekommt Angst. Dann sagen die Verantwortlichen im Krankenhaus: Woher sollen wir das Personal nehmen, das sich da eine Stunde oder anderthalb Stunden auf die Bettkante setzen und mit diesem Menschen reden kann? – Es ist eine riesige Herausforderung für unsere Krankenhäuser, Demenzpatienten zu behandeln. Ich sage Ihnen das voraus. Es ist jetzt schon ein Problem, und es wird ein noch größeres werden.

An diesem Beispiel sehen Sie, dass diese Frage der Menschlichkeit in der Pflege eine große Herausforderung für uns alle bleibt. Ich möchte gerne, dass Deutschland immer ein Land bleibt, in dem uns völ

lig klar ist, dass jeder Mensch eine unverletzliche Würde hat und auch Menschen in diesem Lebensstadium eine unverletzliche Würde haben.

Im Übrigen glaube ich, dass jeder Mensch seine Würde – wir haben bald Weihnachten – deswegen hat, weil jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und daraus seine Würde verliehen bekommen hat, die ihm niemand nehmen kann und auch niemand nehmen darf.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme nun zu dem Punkt, dass ich mich – das sage ich schweren Herzens – entschieden habe, eine Aufgabe in diesem Bereich als Bevollmächtigter der Bundesregierung zu übernehmen. Die beiden Koalitionsparteien in Berlin haben eben ausgemacht, dass es eine solche Stelle im Gesundheitsministerium geben soll, die auch mit Mitarbeitern ausgestattet sein wird. Da ist es so – so wird mir jedenfalls gesagt; ich weiß das alles ja auch noch nicht konkret –, dass man mit all diesen Weisungssträngen nichts zu tun hat, dass man sich aber um die Leute kümmern und sagen soll, wie man es vielleicht ein bisschen besser machen kann.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wie der Killewald!)

Warten Sie es mal ab! – Ich kann Ihnen nur sagen, dass mir die Entscheidung, nach 23 Jahren ein Mandat aufzugeben und demnächst keines mehr zu haben, nicht leicht gefallen ist. Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit: Abgeordneter in diesem Land zu sein, ist eine tolle Sache. Die Wahrheit ist auch, dass der Parlamentarismus die größte Schutzmacht für bedürftige Leute ist, die es überhaupt gibt. Es geht nämlich den Menschen, die behindert, benachteiligt oder pflegebedürftig sind, nirgendwo so gut wie da, wo Demokratie ist.

(Allgemeiner Beifall)

Ich kann Ihnen sagen: Ich bin in meiner Bundestagszeit auch manchmal im Ausland gewesen. Manchmal war ich in Ländern, die zwar eine Regierung, aber keine Demokratie haben. Dass Länder eine Regierung haben, ist normal, diese haben alle Länder; aber leider haben nicht alle Länder ein freigewähltes Parlament. Das ist eigentlich das Besondere. Wenn ich in diesen Ländern war, die keine Demokratie haben, und gefragt habe „Wo sind denn Eure behinderten Kinder?“, habe ich manchmal keine Antwort bekommen. Wenn ich da einmal gefragt habe „Wo sind Eure psychisch Erkrankten?“, hat man gar keine Antwort bekommen.

1990 – damals brach die DDR zusammen – habe ich, als ich in einem Altenheim in der Nähe von Schwerin war, erlebt, wie es da aussah: Dort gab es 6-Bett-Zimmer. Die dementen Leute waren teilweise im Bett angeschnallt. Ein Badezimmer gab es nicht. Da hing noch die Zinkbadewanne an der Wand. Meine Damen und Herren, an dem Tag habe ich mir

geschworen: Ich lasse mir von Sozialisten nie wieder etwas über Sozialpolitik sagen.

(Beifall von der CDU)

Ich finde, da könnte auch die SPD ruhig klatschen; denn Sozialdemokratie und Sozialismus der DDR-Prägung, das ist schon noch ein Unterschied.

(Beifall von der CDU – Heiterkeit)

Das aber macht deutlich, wie wichtig der Parlamentarismus gerade für diese Menschen ist. Deswegen ist es ein Segen, dass wir ihn haben. Auch deswegen ist es ein Bestandteil meines Lebens geworden bzw. gewesen, ein solches Mandat über 23 Jahre zu haben. Jetzt werden Sie sagen: Warum macht der das denn? – Es ist doch vollkommen klar: Wenn man solch eine Funktion wie ich habe, dann steht das eine oder andere in der Zeitung darüber, was die Beweggründe sein können. Aber ich sage Ihnen: Ich bin seit längerer Zeit immer wieder – nicht von irgendjemandem, sondern von der Bundeskanzlerin – angesprochen worden, ob ich mir das denn vorstellen kann. Das war bei mir ein Prozess von fast drei Wochen.

Dabei habe ich gedacht: Warum denn ich? Ich bin doch eigentlich glücklich und zufrieden. Dann sagen die anderen Leute: Denk einmal darüber nach, was für ein Typ du so bist, vielleicht kannst du das doch besser als andere. Und so weiter. Ich sage Ihnen aber mal ganz ehrlich, dass ich gedacht habe: Ich war 25 Jahre in einem Kommunalparlament und 15 Jahre lang Sozialpolitiker im Bundestag. Hier in NRW war ich einmal Gesundheits- und Sozialminister. – Ich bin ein Mensch – so war ich eigentlich immer –, der immer ganz besonders die Leute gemocht hat, die es nicht so einfach haben. Das war schon als Kind so.

Dann habe ich mir gesagt: Mach das! Ich hoffe, dass ich aus dieser Stelle etwas machen kann, dass die Menschen, um die es geht – nicht die Apparate, nicht die Interessenverbände; was die über mich sagen, ist mir, glaube ich, ziemlich egal –, vielleicht denken: Es ist vielleicht ganz gut, dass wir da so einen Typen haben.

Dafür bin ich dann am Ende sogar bereit, das Liebste, was ich neben meiner Familie habe, nämlich mein Mandat, aufzugeben; weil ich mich dieser Verantwortung stellen will. Ich weiß, dass jetzt der eine oder andere denkt: Die CDU hat ein Problem mit der Doppelspitze, das musste jetzt gelöst werden. Ich kann Euch nur eines sagen: Wer mich kennt, der glaubt doch wohl nicht, dass ein KarlJosef Laumann einen Schritt geht, den er nicht freiwillig geht.

In diesem Sinne alles Schöne und Gute, eine gute Zeit in diesem Parlament und Glückauf für Nordrhein-Westfalen!

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen. – Langanhaltender lebhafter allge- meiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Laumann. Mit Ihrer, wie Sie selbst gesagt haben, wahrscheinlich letzten Rede hier im Parlament haben Sie noch einmal sehr eindrucksvoll bewiesen, nicht dass Sie fehlen werden, sondern warum Sie hier dem Landtag von Nordrhein-Westfalen fehlen werden.

Im Namen der Kolleginnen und Kollegen wünsche ich Ihnen von Herzen alles Gute, vor allen Dingen Erfolg bei Ihrer neuen Aufgabe in Berlin und Freude bei dem, was Sie tun; denn nur dann wird Ihnen das auch gelingen. Sie sind in der Tat kein klassischer Beamtentyp.