Protokoll der Sitzung vom 04.07.2012

Auch der Projektträger Bayer hat sich nie mit Ruhm bekleckert. Bayer machte peinliche und schlimme Fehler bei der Prüfung und Planung und musste letztendlich feststellen, dass Flyer-Drucken alleine nicht ausreicht. Das Ergebnis ist uns allen bekannt.

Seit 2007 wird vor den Verwaltungsgerichten über die Rechtmäßigkeit der Pipeline gestritten. Dieser gesamte Prozess hat gezeigt: Wer die Sorgen der Menschen ignoriert und seiner gesellschaftlichen Verantwortung auch als Unternehmen nicht nachkommt, bekommt letztendlich die Quittung. Wenn es um die Sicherheit von Menschen geht, braucht es ein Höchstmaß an Sensibilität und Transparenz im Umgang mit den Fragen, mit den Ängsten und mit der Kritik betroffener Bürgerinnen und Bürger. Dies ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um überhaupt Akzeptanz für wichtige Industrieprojekte wie die CO-Pipeline zu erlangen.

Die SPD-Fraktion hat immer wieder über die COPipeline diskutiert. Wir haben das gründlich getan und uns die Sache nie leicht gemacht. Wir haben die Argumente der Bürgerinitiativen aufgenommen. Und wir haben damals durch verschiedene parlamentarische Initiativen dafür gesorgt, dass die Sicherheitsfragen und die Bauausführungen in der gebotenen Intensität bearbeitet wurden.

Im März 2011 hat letztmalig ein Verwaltungsgericht über die CO-Pipeline beschlossen. Erst kürzlich hat der Bauträger angekündigt, die beanstandeten Mängel zu beheben, und hat entsprechende Antragsunterlagen bei der Bezirksregierung in Düsseldorf vorgelegt. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf haben die Kläger Berufung eingelegt. Die Verhandlung in nächster Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster wird vermutlich im nächsten Jahr stattfinden.

Die Koalitionsparteien haben sich schon in ihrem letzten Koalitionsvertrag, aber auch in dem aktuellen verpflichtet, für eine bessere Transparenz beim CO-Pipeline-Projekt zu sorgen. Dazu soll dieses Gutachten auch dienen.

Die Ausschreibungskriterien zeigen, dass hier nicht der Chemiestandort infrage gestellt wird, sondern dass einige technische und wirtschaftliche Fragen der CO-Produktion in NRW geklärt werden sollen. Gemäß dem Rohrleitungsgesetz hat die Landesregierung die Auswirkungen des Gesetzes zu überprüfen und den Landtag vom Ergebnis dieser Prüfung zu unterrichten. In diesem Zusammenhang wird eben auch geprüft, ob es technisch machbare und wirtschaftlich sinnvolle Alternativen zur COPipeline gibt.

Deshalb wird nun ein verfahrenstechnisch

chemiewirtschaftliches Gutachten ausgeschrieben, in dem auf Grundlage von Genehmigungs- und Betriebsdaten eine Alternativenprüfung vorgenommen wird. In die Untersuchung sollen auch mögliche Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren einbezogen werden.

Dabei sind unter anderem folgende Aspekte zu bearbeiten: Analyse der Entwicklung der CO-Versorgung und der CO-Bedarfe, Darstellung der verfügbaren technischen Verfahren zur CO-Herstellung. Wie kann der für die Kunststoffproduktion insbesondere in Krefeld-Uerdingen benötigte COBedarf durch Erneuerungsanlagen am Standort gedeckt werden?

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich komme zum Schluss.

Meine Damen und Herren, die Erfassung und Bearbeitung dieser Fragen und Aspekte für einen wichtigen Sektor des Wirtschaftsstandorts ist Handeln einer Landesregierung. Was hieran sensationell oder skandalös sein soll, ist trotz Ihrer aufgeregten Argumentation nicht überzeugend. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Wüst.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass das erste wirtschaftspolitische Thema, über das wir hier in der Sache mal etwas ausführlicher sprechen können, auch ein industriepolitisches Thema ist. Das ist ja fast ein Lackmustest, an dem sich weisen wird, ob sich die innerhalb der regierungstragenden Fraktionen veränderten Mehrheitsgewichte auch in der Sache auswirken können. Ich bin da sehr gespannt.

Herr Minister Duin, ich bin sehr gespannt, ob nach den zugegebenermaßen guten Worten, die ich von Ihnen in zwei Veranstaltungen zum Thema „Industrie“ gehört habe, auch in der Sache etwas folgt. Dass man Ihnen gleich in der ersten Sitzung das Klimaschutzgesetz zugemutet hat, würde ich an Ihrer Stelle als Foulspiel verstehen.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

Aber ich fand es jedenfalls schön, dass Sie an zwei Stellen gesagt haben, Sie stehen für die Industrien, nicht nur für die neuen, modernen und grünen, sondern auch für die alten, die Grundstoffindustrie und Ähnliches. Bei diesem Thema kann man das beweisen. Es geht nicht nur mit Dialog; am Ende muss man auch entscheiden. Der zukünftige BDIPräsident Grillo hat es Ihnen Anfang der Woche noch ins Stammbuch geschrieben. Hier ist ein Punkt, wo man in der Tat das aktuelle Thema in den Kontext stellen muss.

Sie auf der Regierungsbank halten sich zugute, vorsorgende Sozialpolitik zu machen. Ich kaufe Ihnen das ab. Die beste vorsorgende Sozialpolitik ist allerdings eine vernünftige Wirtschaftspolitik – und das ist in Nordrhein-Westfalen immer auch Industriepolitik. Und diese Art der vorsorgenden Sozialpolitik hat einen unschlagbaren Vorteil: Man muss dafür keine neuen Schulden machen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dieses Feld ist so wichtig, weil in der Industrie die Beschäftigten attraktive Arbeitsplätze haben, weil da gut ausgebildet wird, gut verdient wird. Die Grundlage unserer wirtschaftlichen Stärke in NordrheinWestfalen liegt auch in den Bereichen Dienstleistungen, Handel, Handwerk. Das ist die Grundlage unserer Wertschöpfung. Industrie ist also kein Selbstzweck, sondern Grundlage für soziale Sicherheit und für Wohlstand.

Die Industrie stellt heute allerdings ein paar andere Anforderungen als früher. Wir haben eine viel stärkere Arbeitsteilung, was am Ende nichts anderes heißt, als dass man bestimmte Produktionsschritte voneinander abkoppelt, die dann in Netzwerken stattfinden. Das zeigt sich nirgendwo besser als beim Chemieverbundstandort, an dem wir eben nicht wie in Antwerpen ein großes Areal haben, wo alles stattfindet, sondern an dem wir mit Uerdingen, Leverkusen, Marl usw. Verbundstandorte haben, die man verbinden muss. Darum geht es hier im

Detail. Schneidet man einen Teil heraus, kappt man eine Verbindung, gefährdet man Arbeitsplätze, Wertschöpfung in allen Teilen des Netzwerkes. Deswegen ist dieses Thema hier so bedeutsam.

Man kann eine Entscheidung so oder so treffen. Aber in den internationalen Benchmarks für die Frage von Nachfolgeinvestitionen im Bereich der Chemieanlagen ist das, was einmal weg ist, schwer zurückzubekommen. Was vor 20 Jahren gebaut wurde, jetzt ausgetauscht wird, steht für die nächsten 20, 30 Jahre. Alles, was jetzt nicht hier steht, steht irgendwann woanders. Deswegen ist das Rausreißen eines Kuchenstücks, das Rausreißen eines Verbindungsstücks so fatal und wird sich am Ende auswirken.

Herr Schmeltzer, wir haben hier in der Tat vor fünf Jahren schon über das Leitungsgesetz gesprochen. Sie haben gesagt „auseinandergesetzt“. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir uns darüber am Anfang gar nicht auseinandergesetzt, sondern wir waren uns alle sehr einig bei dem, was wir gesagt haben: Man wollte es unter höchstmöglichen Sicherheitsstandards, aber es wollten alle. Und das „Aber“ war damals sehr viel kleiner als heute. Das „Aber“ kam bei allen, die sich jetzt Sorgen machen, erst, als der Protest aufkam. Ich glaube, so ist die Chronologie am Ende richtig. Daran sollte man Rot und Grün noch einmal erinnern.

Meine Position, unsere Position dazu ist ziemlich klar: Wenn der rechtliche Rahmen mit den örtlichen Gegebenheiten übereinstimmt – da hat es bei Bayer, bei den ausführenden Firmen Defizite gegeben, keine Frage –, wenn nach dem derzeitigen Stand der Technik alle notwendigen und möglichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen sind, dann muss Politik auch aufhören, immer neuen Sand ins Getriebe zu schmeißen. Dann muss man am Ende als Rechtsstaat auch zu seinen Verfahren stehen und sagen: Ja, dann kann es auch stattfinden. – Alles andere wären keine fairen, verlässlichen Rahmenbedingungen.

Deshalb, Herr Remmel, kann ich mich nur darüber wundern, dass Sie sagen, jetzt müsse man noch ein Gutachten machen, um als Staat noch mal die wirtschaftliche Opportunität zu prüfen. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir Firmen jetzt vorrechnen, ob sich das, was sie tun, lohnt oder nicht lohnt? Ich halte das für Verschwendung von Steuergeld, was Sie da tun. Das ist Augenwischerei. Das ist nur noch mal der Versuch, ein Signal an die Bürgerinitiativen zu geben und zu sagen: Hey komm, irgendwas habe ich noch probiert, das hat vielleicht am Ende nicht geklappt. – Mit verantwortungsvoller Politik hat das nichts zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Politik immer jedes Risiko scheut, jede Positionierung scheut, auch scheut, mal zu kämpfen, sich auch mal unbeliebt zu machen oder sich auch

mal einen Teil der Bevölkerung zum Gegner zu machen, dann macht Politik es sich zu einfach. Verantwortung trägt man. Das heißt aber auch, dass sie manchmal wiegt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung in diesem Bereich wahr! – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wüst, das war ja ein richtiges rhetorisches Feuerwerk hier heute Morgen. Dagegen war es vorhin beim Zahnarzt fast spannend.

Am Anfang einer Legislaturperiode ist man ja immer sehr gespannt zu sehen, was die politischen Mitbewerber so an Schwerpunkten setzen.

Herr Lindner, Sie sind ja im Verlauf der Rede von Herrn Brockes dann auch dazu gestoßen. Das war offensichtlich nicht so spannend, was Herr Brockes da so präsentieren würde. Jedenfalls gemessen an den großen Erwartungen – Stichworte: personelle, inhaltliche Erneuerung –, die Sie in den zahlreichen Talkshows in den letzten Wochen geweckt haben, ist das, was Sie hier inhaltlich bieten, doch sehr dürftig.

Zum zweiten Mal innerhalb von gerade mal zwei Wochen kommen Sie mit einem medial zugegebenermaßen gesetzten Thema, aber ohne neue Inhalte oder gar in die Zukunft weisende Vorschläge zu präsentieren.

Sie haben ja vollkommen recht: Verlässliche Rahmenbedingungen für unseren Chemiestandort NRW sind in der Tat notwendig – Rahmenbedingungen, die allerdings auch die Nachhaltigkeit, die Bürger- und Umweltverträglichkeit dieses für uns wichtigen Wirtschaftszweiges betreffen.

Die Chemieindustrie ist der Innovationsmotor für die gesamte Industrie. Rund 70 % aller dort hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung. 2009 betrug der NRW-Anteil am gesamtdeutschen Umsatz der chemischen Industrie rund 29 %. Ein Viertel der Beschäftigten der deutschen Chemiebranche arbeitet bei uns hier in NordrheinWestfalen.

Eine nachhaltige Chemie ist also eine Schlüsselfrage für uns in Nordrhein-Westfalen. So müssen wir beispielsweise angesichts von Peak Oil und abzusehender Ölpreisentwicklung frühzeitig neue Rohstoffbasen etwa aus nachwachsenden Rohstoffen und neue Produktionsverfahren entwickeln. Denn zurzeit basiert die Chemie in Nordrhein-Westfalen noch zu drei Vierteln auf dem Öl.

Wir sollten uns dabei auch in Nordrhein-Westfalen an dem vom Umweltbundesamt zusammen mit der OECD entwickelten Konzept einer nachhaltigen Chemie orientieren. Ich möchte hier nur zwei Aspekte herausgreifen.

Erstens geht es um die qualitative Entwicklung, das heißt um den Einsatz ungefährlicher Stoffe oder, wo dies nicht möglich ist, von Stoffen mit geringer Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt sowie um ressourcenschonende Produktionsweisen und langlebige Produkte.

Zweitens – da kommen wir dann auch zum Thema „Bayer-CO-Pipeline“ –: Aktion statt Reaktion! Das heißt, Vermeidung, dass Chemikalien während ihres Lebensweges Umwelt und menschliche Gesundheit gefährden. Auch sollten nach dem Umweltbundesamt und der OECD Schadenskosten und damit wirtschaftliche Risiken der Unternehmen und Sanierungskosten für den Staat vermieden werden.

Gerade in diesem Punkt haben wir seit jeher berechtigte Zweifel daran, dass Bayer dieses Aktionstatt-Reaktion-Prinzip wirklich beherzigt, genauer: dass es in dieser Frage die Gefahrenabwehr vernachlässigt hat.

Wir Grüne haben nicht zuletzt deshalb von Anfang an die Auffassung vertreten, dass der Ausbau der Produktion von Kohlenmonoxid am Standort Uerdingen die bessere Alternative für alle Beteiligten ist. Wir haben dies jetzt auch noch einmal aktuell im rot-grünen Koalitionsvertrag deutlich gemacht. Darin haben wir auch festgestellt – ich zitiere –:

„Es wurde mit einer Vielzahl von Planungs- und Ausführungsfehlern sowie mit einer defizitären Kommunikationsstrategie“

defizitären Kommunikationsstrategie! –

„dazu beigetragen, dass vorhandene Zweifel an einem sicheren Betrieb der CO-Pipeline stetig verstärkt worden sind.“

Wir hatten ja zwischenzeitlich nicht nur Erdeinbrüche an der Trasse, sondern auch den vorläufigen Baustopp durch die Bezirksregierung in Düsseldorf. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf – Kollege Schmeltzer hat darauf hingewiesen – hat im Mai 2011 zudem Mängel an der Planfeststellung aufgezeigt.

Allerdings, Herr Brockes: Angesichts der zahlreichen Verfahrensfehler von Bayer und der äußerst mangelhaften Kommunikationsstrategie des Konzerns ist weder den Behörden noch der Landesregierung hierbei ein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: Es ist absolut notwendig, richtig und auch konsequent, dass unser Umweltminister nun eine umfassende Begutachtung in Auftrag gegeben hat. Darin werden wir die bisherigen Gerichtsurteile ebenso einfließen lassen wie Gefahrenanalysen, das bisherige Verhalten von Bayer und auch die Prüfung von

wirtschaftlich zumutbaren und bürgerfreundlichen Alternativen.

Abschließend noch mal zu Ihnen von der FDP: Es ist wieder einmal bezeichnend, dass Sie im Antragstext für diese Aktuelle Stunde doch eher populistisch argumentieren und überhaupt nicht auf die eben von mir erwähnten Sachverhalte eingehen, geschweige denn inhaltliche Perspektiven für den Chemiestandort liefern. Aber es ist eben ein Unterschied, ob ich hoch gefährliches Kohlenmonoxid durch die Gegend schicke oder zum Beispiel einen Teppich. Nur von Letzterem scheinen Sie ja wirklich etwas zu verstehen.