Protokoll der Sitzung vom 19.02.2014

(Zuruf: 2009!)

Seit Ihrem Amtsantritt im Jahre 2010, Frau Ministerin Löhrmann, ist der Unterrichtsausfall in Nordrhein-Westfalen nicht mehr erfasst worden. Obwohl

sich der Landesrechnungshof im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenstellung mehrfach mit dem Thema „Unterrichtsausfall“ beschäftigt hat und empfiehlt – ich zitiere aus dem Bericht vom 11. Juli 2011 mit Genehmigung der Präsidentin –, „an jeder Schule eine Unterrichtsausfallstatistik einzuführen, die aus Gründen der Gesamtschau für Ministerium und Schulaufsicht schuljahresweise zusammengeführt wird“, ist bisher rein gar nichts geschehen.

Sie handeln fakten- und konzeptionslos. Dieser Blindflug, sehr geehrte Damen und Herren, geht zulasten unserer Schülerinnen und Schüler!

(Beifall von der CDU)

Nur derjenige, der genau weiß, wie viel Unterricht tatsächlich ausfällt, kann auch etwas dagegen tun. „Man muss seinen Gegner kennen, um ihn wirksam zu bekämpfen“ wusste schon Clausewitz. Für Sie scheint es jedoch nicht so wichtig zu sein, ob Unterricht nun ausfällt oder nicht.

Anders ist es auch nicht zu erklären, dass die Vertretungspauschale im letzten Frühjahr direkt nach den Haushaltsberatungen von Ihnen ohne Vorankündigung um die Hälfte von 50 Millionen auf 25 Millionen gekürzt wurde. Auf welcher Basis haben Sie diese schwerwiegende Entscheidung eigentlich getroffen? Wie konnten Sie diese drastische Maßnahme verantworten, wo Sie doch kein Kind zurücklassen wollten?

Neben den schlechten Ergebnissen bei den Ländervergleichsstudien müssten Ihnen doch auch die Klagen aus Industrie, Handwerk und Gesellschaft über gravierende Defizite selbst in den Schlüsselqualifikationen Rechnen, Lesen und Schreiben zu Ohren gekommen sein. Wo und wann soll der fehlende Unterrichtsstoff denn überhaupt nachgeholt werden?

Zahlreiche Beschwerden über zunehmenden Unterrichtsausfall haben dann wohl vor den Sommerferien des vergangenen Jahres dazu geführt, dass Sie, Frau Ministerin Löhrmann, die flexiblen Mittel für den Vertretungsunterricht wieder auf zumindest 34 Millionen aufgestockt haben. Zahlen und Fakten als Grundlage dieser Entscheidung? – Fehlanzeige! Es bleibt bei Ihrem Stochern im Nebel.

Man stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen, das auf eine solch katastrophale Weise geführt würde, überhaupt eine Überlebenschance hätte.

(Beifall von der CDU)

Die Bedeutung einer Statistik zur Erfassung des Unterrichtsausfalls in Nordrhein-Westfalen hat jedenfalls der Haushaltskontrollausschuss dieses Landes erkannt und am 15. Januar 2013 einstimmig beschlossen, dass er – ich zitiere wieder mit Erlaubnis – „zur zukünftigen Ermittlung benötigter Planungs- und Steuerungsdaten für Politik und Bildungsadministration eine belastbare Erhebung von Unterrichtsausfällen unter der Berücksichtigung ei

ner realistischen Abbildung des Unterrichtsgeschehens für erforderlich“ hält.

Anstatt nun endlich ein Konzept vorzulegen, wie Unterrichtsausfall erhoben werden kann, und dieses zügig umzusetzen, wurde bisher lediglich ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu einigen recht überraschenden Einsichten kommt: Das Ermitteln von Unterrichtsausfall sei zu aufwendig; von sogar 700 neuen Lehrerstellen eigens für diese Aufgabe ist die Rede; schließlich und endlich sei Unterrichtsausfall auch gar nicht so entscheidend für Lernerfolg.

Na prima, sehr geehrte Damen und Herren! Dann bleiben vielleicht besser alle gleich zu Hause. Preiswerter wird es dann ohnehin.

(Beifall von der CDU)

Frau Löhrmann, dann nehmen Sie dieses Gutachten auch noch völlig unkritisch zum Anlass, dem Haushaltskontrollausschuss mitzuteilen, dass es nicht möglich sei, den Unterrichtsausfall in gewünschter Form zu ermitteln – und das vor dem Hintergrund, dass andere Länder selbstverständlich über eine derartige Statistik verfügen und unsere eigenen Schulpraktiker vor Ort bereits Vorschläge gemacht haben, wie eine derartige Erhebung aussehen könnte. Das alles können Sie doch nicht einfach ignorieren.

(Beifall von der CDU)

Es ist Ihre Aufgabe, als Landesregierung endlich ein tragfähiges Konzept vorzulegen. Aber Fehlanzeige!

Wie man Unterrichtsausfall erfolgreich bekämpfen kann, hat die CDU-geführte Landesregierung von 2005 bis 2010 gezeigt.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir haben damals den Unterrichtsausfall halbiert, sehr geehrte Damen und Herren!

(Beifall von der CDU)

Frau Ministerin Löhrmann, wenn Sie Ihre Arbeit nun nicht machen wollen oder können, dann sagen Sie das nicht nur dem Parlament, sondern sagen Sie es auch deutlich unseren Schulen, unseren Eltern, unseren Kindern und unseren Bürgerinnen im Land!

(Beifall von der CDU)

Wir fordern Sie auf, unverzüglich ein Konzept zur Messung von Unterrichtsausfall vorzulegen: damit wir wissen, wo und vor allen Dingen auch in welchen Fächern Defizite behoben werden müssen, damit unsere Schülerinnen und Schüler die gleichen Chancen auf Lernerfolg haben wie die Schülerinnen und Schüler in Bayern oder Sachsen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Hendricks das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Vogt, als Resümee Ihrer Rede kann ich nur feststellen: Das war ein Bauchplatscher, und zwar deshalb – darauf werde ich gleich noch näher eingehen –, weil die Geschichte der Unterrichtsausfallstatistik der CDU nun wahrlich kein Ruhmesblatt ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin La- schet [CDU]: Wie bitte?)

Meine Damen und Herren von der CDU, zurzeit wollen Sie aber auch gar nicht gemeinsam mit uns sachliche Überlegungen zum Wohle der Schüler und Schülerinnen anstellen. Vielmehr geht es Ihnen um Theaterdonner. Wenn das Thema „Unterrichtsausfall“ im Jahr 2005 so erfolgreich für einen gewesen ist, kann man es ja für die Kommunalwahl noch einmal aufwärmen.

(Armin Laschet [CDU]: Ja!)

Genau das wollen Sie gerade tun.

Frau Vogt, Sie haben eben gesagt, man müsse seinen Gegner kennen. Nach dieser Rede wissen wir, wo unser Gegner sitzt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mit dieser Rede weichen Sie aber auch von dem ab, was wir als Parlamentarier gemeinsam verabredet haben; denn am 22. Januar 2014 haben wir uns im Schulausschuss mit allen Fraktionen darauf verständigt, zunächst das Gutachten mit den Gutachtern zu diskutieren und erst danach zu einer Schlussfolgerung zu kommen. Wie wenig Ihnen an der Sachdiskussion gelegen ist, ist daran zu erkennen, dass Sie heute direkt über Ihren Antrag abstimmen lassen wollen, statt in eine sachliche Diskussion mit uns einzusteigen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nunmehr formuliert die CDU in ihrem Antrag, dass das Ministerium die Frage der Entwicklung eines Untersuchungsdesigns zur Erfassung von Unterrichtsausfall dem Parlament zuschieben wolle. Das ist ein merkwürdiger Vorwurf, meine Damen und Herren. Ich habe nicht den Eindruck, dass das MSW uns hier etwas zuschiebt, sondern denke, dass wir uns mit gutem Grund auf das beschriebene Prozedere einlassen.

Die Debatten der letzten Jahrzehnte in diesem Parlament haben gezeigt: Das Thema „Unterrichtsausfall“ ist nicht einfach. Es ist vor allen Dingen sehr hartnäckig. Ich werde gleich noch darauf eingehen.

Richtig ist in jedem Fall, dass die Ergebnisse des Gutachtens für uns alle überraschend waren. Umso

wichtiger ist es, dass die Landesregierung sich diese Ergebnisse nicht automatisch zu eigen macht, sondern sie mit dem Parlament und mit den Fachausschüssen diskutiert.

Die Gutachter plädieren dafür, Lehrerressourcen nicht in die Erfassung, sondern in die Vermeidung von Unterrichtsausfall zu stecken. Dieser Idee liegen Vorstellungen von Controlling und von politischer Verantwortung zugrunde, die ich nicht unbedingt teile. Sowohl als Haushaltsgesetzgeber als auch als politisch Verantwortliche benötigen wir Kontroll- und Planungsdaten, auf die wir nicht verzichten können.

Wir können auch nicht, wie die GEW gerade heute fordert, mehr Lehrer für Unterrichtsreserve und Vertretungsunterricht zur Verfügung stellen, wenn wir gar nicht wissen, auf welcher Grundlage sie eigentlich zugeteilt werden sollen.

Dies hat auch der Haushaltsausschuss mit seinem Beschluss vom Januar 2013 sehr deutlich gemacht, in dem er formuliert hat, dass er „zur zukünftigen Ermittlung benötigter Planungs- und Steuerungsdaten für Politik und Bildungsadministration eine belastbare Erhebung von Unterrichtsaufall unter Berücksichtigung einer realistischen Abbildung des Unterrichtsgeschehens für erforderlich hält.“

Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, dass definiert wird, was Unterrichtsausfall eigentlich ist.

Diese Definition haben Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU, in Ihrer Regierungszeit zur Absurdität geführt: Schulen wurden gedrängt, Klassenfahrten ausfallen zu lassen; Elternsprechtage wurden auf den Samstag verlegt; Fortbildungsmöglichkeiten wurden gestrichen; oder aber die Schule bekam den Pädagogischen Tag nicht mehr.

Zunächst hatten Sie 2005 das Versprechen abgegeben, mit einer schulscharfen Statistik den Unterrichtsausfall in jeder einzelnen Schule zu erheben. Ich darf Herrn Ministerpräsident Rüttgers aus seiner Regierungserklärung zitieren:

„Damit das in Zukunft auch jedem klar ist und damit Sie sehen, dass diese Koalition keine Angst vor Transparenz in diesem Bereich hat, werden wir eine Statistik über den Unterrichtsausfall erstellen und veröffentlichen, sodass in Zukunft jeder weiß, wie viel Unterricht ausfällt.“

Meine Damen und Herren, das war der Auftakt.

(Beifall von der SPD)

Die Geschichte geht dann ein bisschen anders weiter. In der Plenarsitzung am 31. Mai 2006 erneuerte Schulministerin Sommer das Versprechen des Ministerpräsidenten mit folgenden Worten: