Die dürfen zwar arbeiten, Steuern zahlen, investieren, ihre Kinder erziehen und hier wohnen, aber wählen dürfen sie zum Beispiel nicht, weil sie die staatsbürgerschaftlichen Rechte dazu nicht haben- und das in einem Einwanderungsland wie Deutschland. Im Vergleich mit EU-Bürgerinnen und –Bürgern oder Aussiedlerinnen und Aussiedlern sind sie so gesehen Einwanderinnen und Einwanderer zweiter Klasse, auch wenn sie ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben.
Hätte sich die CDU bewegt, gäbe es schon seit Jahren die Mehrstaatigkeit. SPD, Grüne, Linke und auch die FDP sind dafür. Wahrscheinlich könnte ein solcher Beschluss im Bundestag einstimmig gefasst werden – als Zeichen an die vielen, die zwar Deutsche sein, aber ihre Wurzeln – für den Fall, dass sie hier geboren sind – und die Lebensleistung ihrer Eltern und Großeltern nicht verleugnen wollen.
Was im Koalitionsvertrag herausgekommen ist, ist ein löchriger und schaler Kompromiss, nicht der große Wurf, wie es uns manche glauben machen wollen. Die umstrittene Optionspflicht soll abgeschafft werden. Für die junge Generation ist das ein Gewinn, denn für die junge Generation wird Doppelstaatigkeit erlaubt, ermöglicht. Sie sind dann womöglich die ersten Doppelstaatler in ihrer Familie. Das ist schade, weil die Eltern ausgeschlossen bleiben.
Man könnte ja meinen, es ist selbstverständlich, dass Menschen, die hier geboren sind, hier auch ihre staatsbürgerschaftlichen Reche erhalten können. Aber schon hört man aus den Reihen von CDU und CSU die ersten Stimmen, die Bedingungen definieren wollen, die von „Voraussetzungen“, von „Integrationsleistung“ wie zum Beispiel guten Schulnoten sprechen.
Sehr geehrte Damen und Herren, das sind unsinnige Bedingungen, wie wir sie schon seit vielen Jahren von der Einbürgerung her kennen. Beispielsweise reicht bei einem deutschen Schulabschluss an einer deutschen Schule eine Fünf in Deutsch aus, um die Einbürgerung verweigert zu bekommen.
Solchen Bestrebungen erteilen wir eine klare Absage. Menschen, die hier geboren sind und gelebt haben und dennoch die türkische Sprache und Kultur pflegen wollen, sollen auch langfristig über ihren Ausweis dokumentieren können, dass sie unsere Kinder sind. Sie sollen ihre Rechte erhalten.
Einen weiteren wichtigen Punkt möchte ich noch aufgreifen: Was ist mit den Menschen, die ihren deutschen Pass schon abgeben mussten? Meistens wird denjenigen, die keinen Beibehaltungsantrag gestellt haben, mit dem 23. Lebensjahr der deutsche Pass automatisch entzogen, ohne dass sie sich bewusst für die eine oder andere Staatsbürgerschaft entschieden haben. Die müssen im Rahmen der Gleichbehandlung schnell und unbürokratisch auch die Möglichkeit erhalten, die denjenigen zukommen wird, die – wenn das Gesetz hoffentlich schnell, bald und vorbehaltslos verabschiedet wird – etwas machen können.
In diesem Sinne fordern wir die Bundesregierung auf, sehr schnell und sehr gut zu handeln und vor allem die Menschen, um die es geht, nicht weiter zu diskreditieren. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Yetim, Sie haben in Ihrer Rede von „tiefen Gräben“ gesprochen. Wenn wir das ganze integrationspolitisch betrachten, so war es kein CDU-Mann, der uns die tiefsten integrationspolitischen Gräben hinterlassen hat, sondern ein Sozialdemokrat namens Sarrazin.
Sie haben davon gesprochen, dass 2007 auf Bundesebene für alle EU-Bürger die Mehrstaatigkeit akzeptiert wurde. Das stimmt.
Aber ich frage Sie: Wer hat denn 2007 in Berlin mitregiert? Waren Sie das nicht auch? Hätten Sie sich damals nicht für diejenigen einsetzen können, für die Sie sich jetzt einsetzen? Sie haben das damals komplett verschlafen und versuchen jetzt, etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
Sie haben von der Vergangenheit gesprochen und Ihre Rede mit einem Zitat beendet. Ich möchte gerne mit einem Zitat anfangen und auf die jüngere Vergangenheit eingehen.
Sie alle wissen, wer das gesagt hat: Sigmar Gabriel, SPD-Parteichef und Vizekanzler, der dies den Delegierten auf dem SPD-Parteitag in Leipzig am 14. November letzten Jahres zurief.
Am 27. November wurde der Koalitionsvertrag von Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel vorläufig unterzeichnet, „vorläufig“, weil das Zustandekommen der Koalition letztendlich vom Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums abhing.
Am selben Tag meldete sich die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu Wort, sie sei mit dem Koalitionsvertrag von Union und SPD vollauf zufrieden. Zitat weiter: Wir haben viel erreicht, auch mehr, als ich gehofft habe! – Und weil das von der SPD so erfolgreich verhandelt worden sei, könne sie, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin, aus tiefster Überzeugung die Annahme der Vereinbarung mit CDU und CSU empfehlen.
Ich glaube, dass die Ministerpräsidentin damals die Wahrheit gesagt hat, auch „aus tiefster Überzeugung“. Genauso glaube ich, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der Empfehlung Ihrer Ministerpräsidentin und Parteichefin gefolgt sind.
Frau Kollegin Güler, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von der Kollegin Altenkamp.
Gleich gerne, am Ende meiner Rede. Ansonsten kann sie sich auch gerne für eine Kurzintervention entscheiden.
Rund 76 % der SPD-Mitglieder, die an dem Mitgliederentscheid teilgenommen haben, sprachen sich für den Koalitionsvertrag aus, inklusive des Passus, über den wir heute diskutieren, nämlich der Abschaffung der Optionspflicht.
Diese Chronologie zeigt eindeutig: Die SPDFraktion in Nordrhein-Westfalen kündigt mit diesem Antrag den Koalitionsvertrag auf, für den sie sich noch wenige Wochen zuvor voller Inbrunst eingesetzt hat.
Ich frage Sie: Glauben Sie ernsthaft, Sie kommen damit durch, dass Sie den Antrag damit verteidigen, eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts sei am Willen der CDU und CSU gescheitert?
Noch einmal: Sigmar Gabriel, Ministerpräsidentin Kraft, Minister Jäger und 76 % der SPD-Mitglieder haben sich für diesen Koalitionsvertrag ausgesprochen, den Sie jetzt verteidigen müssten, statt aufzukündigen.
Herr Minister Jäger, ich bin sehr gespannt auf Ihre Rede, ob Sie das, was Sie in Berlin mitverhandelt haben, hier mittragen oder ob Sie diesen Antrag unterstützen.
Was ist eigentlich mit Minister Schneider, der gerade nicht da ist? – Minister Schneider hat im Rahmen der Koalitionsverhandlungen als einziger aus dieser Runde an der Arbeitsgruppe Integration teilgenommen. Er hat diesen Kompromiss mitverhandelt, er ist sozusagen ein Teil dieses Kompromisses. So stellt man sich jetzt die Frage: Hat er schlecht verhandelt, oder fehlt ihm einfach die Unterstützung der eigenen Leute?
Gewiss, die SPD hat, wie zu jeder Wahl, auch zu dieser Wahl das Thema „Doppelpass“ zu einem zentralen Wahlkampfversprechen gemacht. Natürlich sind Ihre Wähler mit Zuwanderungsgeschichte jetzt enttäuscht. Natürlich versuchen Sie, dieses verloren gegangene Vertrauen wiederzugewinnen. Aber ich sage Ihnen: Sie erreichen das nicht mit einem solchen Showantrag!
Das Einzige, was Sie hier erreichen, ist, dass Sie den Koalitionsfrieden in Berlin, der eh schon angeknackst ist, weiter gefährden.
Wenn ich die Worte von Herrn Gabriel und Herrn Oppermann, der sich gestern noch als ein Stabilitätsanker der Koalition bezeichnete – richtig verstehe, dann tun diese im Moment alles, um zu beweisen, dass die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner ist und dass man vertrauensvoll mit ihr zusammenarbeiten kann.
Deshalb frage ich Sie: Was ist die Grundbotschaft dieses Antrags, der keine weitere Bundesratsinitiative anstoßen soll und auch nicht an die Landes-, sondern an die Bundesregierung gerichtet ist? Was wollen Sie uns mit diesem Antrag sagen? Dass die SPD doch nicht verlässlich ist? Oder will die Ministerpräsidentin etwa mit diesem Antrag lieber Herrn Gabriel ärgern? Ist das eigentlich eine Attacke gegen Herrn Gabriel, gilt der Antrag gar nicht uns?
Ich bin sofort fertig. – Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie mit diesem Antrag bei Ihren Berliner Kollegen Unterstützung bekommen. Die Berliner Opposition mag das sehr wohl unterstützen; aber ich glaube an die Verlässlichkeit der SPD.
Ich muss Ihnen sagen: Natürlich gibt es im Koalitionsvertrag auch den einen oder anderen Punkt, mit dem wir nicht leben können. Die Rente mit 63 – damit tun sich gerade die jüngeren Kollegen sehr schwer – ist hierfür nur ein Beispiel.