Protokoll der Sitzung vom 09.04.2014

Kommen wir zur Zeit ab 2030, zu einer neuen Leitentscheidung. Die Landesregierung und die sie tragenden Parteien und Fraktionen kennen ihre industriepolitische Verantwortung für das rheinische Braunkohlerevier. Niemand kann ernsthaft leugnen, dass sich seit der letzten Leitentscheidung einer Landesregierung zur Braunkohle – das war im Jahr 1991 – die Rahmenbedingungen in der europäischen und deutschen Energiewirklichkeit verändert haben. Diese gewollten Veränderungen haben bereits begonnen. Ich nenne die Stichworte: Liberalisierung der Energiemärkte, Energiewende, massiver Aufwuchs erneuerbarer Energien. – Es ist also ganz offensichtlich eine Notwendigkeit, jetzt eine neue Leitentscheidung ins Auge zu fassen und dem Rheinischen Revier eine klare und langfristige Perspektive auch für den Zeitraum nach 2030 zu bieten.

Das ist der Grund, warum die Landesregierung einen Prozess startet, der mit einer neuen Leitentscheidung bis Mitte 2015 abgeschlossen werden soll.

Inhalt der neuen Leitentscheidung sollen – ausgehend auch vom Koalitionsvertrag – unter anderem Festlegungen sein zur Kohlefördermenge, zu absoluten CO2-Emissionen aus der Braunkohleverstromung, zu Effizienzsteigerung und Flexibilisierung der Braunkohleverstromung und des Kraftwerkparks sowie zum Ausbau erneuerbarer Erzeugungskapazitäten im Rheinischen Revier.

Wie Sie wissen, sieht der geltende Braunkohlenplan Garzweiler II noch die Umsiedlung der Ortschaft Erkelenz-Holzweiler, des Hauerhofs sowie des Guts Dackweiler vor. Mit den Vorbereitungen für diese Umsiedlung hätte formal 2015 in einer reinen Abwicklung von Planungen aus den 1990er-Jahren begonnen werden sollen. Die Regierungsparteien haben nun ein klares politisches Ziel formuliert: Den 1.400 Einwohnerinnen und Einwohnern dieser Ortschaften soll eine Umsiedlung erspart bleiben. Faktisch geht es dabei um eine Verkleinerung der Abbaufläche, die auch energiepolitisch und energiewirtschaftlich begründet werden kann.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die neue Leitentscheidung wird im Dialog mit dem bergbautreibenden Unternehmen RWE, den Vertretern der Region und der Stadt Erkelenz, den Beschäftigten und weiteren Beteiligten entwickelt werden. Dazu werden die Gespräche rechtzeitig beginnen.

Wenn auf die letzten Umsiedlungen in Garzweiler II verzichtet wird, dann ist damit keine Gefahr für eine sichere Stromversorgung aus Braunkohle verbunden, denn auch ein kleineres Abbaufeld Garzweiler II wird mehr als ausreichen, um den Kohlebedarf im Revier über Jahrzehnte zu decken.

Noch einmal: Bei Garzweiler II geht es um eine räumliche Begrenzung der Abbaufläche, es geht

nicht um eine zeitliche Begrenzung. Die kann es nicht geben, denn die hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem davon, in welchem Umfang und in welchem Tempo die Braunkohle künftig in einem verkleinerten Gebiet abgebaut werden kann, und natürlich davon, welche weitere Kraftwerksentwicklung sich abzeichnet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir alle wollen doch, dass die Kraftwerke von RWE die Braunkohle effizienter nutzen, also mit immer weniger Kohle den Strombedarf decken können. Als Beispiel wird immer das neue Großkraftwerk Grevenbroich-Neurath mit 2.200 MW genannt. Es ist 2012 in Betrieb gegangen und – laut RWE – um rund 30 % effizienter und flexibler regelbar als die Altanlagen.

Mit den Abbaumengen der drei rheinischen Tagebaue insgesamt kann RWE weiter fest und langfristig planen. Die Fördermengen und die gesicherten Lagerstätten sind erkennbar groß genug, um die Kraftwerke in den kommenden 15 Jahren, aber auch weit darüber hinaus zu versorgen.

Meine Damen und Herren, Detailfragen sind im weiteren Prozess nach der Leitentscheidung zu klären: in einem Braunkohlenplanverfahren in dem dafür zuständigen Braunkohlenausschuss in Köln sowie in den nachgelagerten bergrechtlichen Verfahren. Diese Verfahren sind hochkomplex und werden mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Eines ist mir in diesem Rahmen besonders wichtig: Die Braunkohle hat im Gebiet zwischen Aachen, Düsseldorf, Köln und Bonn und damit für NordrheinWestfalen insgesamt eine wichtige Rolle für Wirtschaft und Beschäftigung. Heute steht sie unmittelbar für rund 11.000 Arbeitsplätze. Es ist eine große Aufgabe, den notwendigen Strukturwandel in den nächsten Jahrzehnten gemeinsam zu gestalten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das gemeinsam schaffen können.

Wir haben in dieser starken Region insgesamt mehr als 600.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir haben starke Branchen. Dabei denke ich an die Chemie, die Biotechnologie, an Handel und Logistik, aber auch an den Maschinenbau.

Vor allem haben wir in NRW eine jahrzehntelange Erfahrung, wie Strukturwandel gestaltet wird. Wir wollen und können auch im Rheinischen Revier einen Strukturwandel ohne soziale und ökonomische Brüche schaffen. Das ist unser Verständnis von einer vorausschauenden Wirtschaftspolitik.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, hat die Landesregierung ihre Initiative „Innovationsregion Rheinisches Revier“ gestartet, so wie wir es 2010 im Koalitionsvertrag verabredet hatten. Sie soll die unterschiedlichen Betroffenen aus Wissenschaft und Technolo

gie mit Unternehmen und Gewerkschaften zusammenbringen. Sie soll der Region mögliche Entwicklungsperspektiven anhand konkreter Projekte aufzeigen.

Ich begrüße sehr, dass die wesentlichen Akteure der Innovationsregion, vor allem die Kreise, die Kammern und auch RWE, gemeinsam die IRR GmbH Anfang März als Projektenwicklungsgesellschaft gegründet haben und sie maßgeblich unterstützen.

Auch das Land – das sage ich mit aller Deutlichkeit – wird die Region nicht im Stich lassen. Wir sind in den Gremien der GmbH hochrangig vertreten, und wir werden dort unseren Beitrag leisten. Darauf kann sich die Region verlassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es mag das Privileg der Opposition sein, sich nicht der Verantwortung für die eigenen Worte und Forderungen stellen zu müssen. Sie bleiben dem treu und den Menschen bisher konkrete Antworten schuldig; ich habe die Presse aufmerksam gelesen.

Hier und heute ist die Gelegenheit, Ihre Position klar darzustellen. Wollen Sie, dass die mehr als 1.400 Menschen in Holzweiler, Dackweiler und auf dem Hauerhof notfalls auch ohne wirklich zwingenden Grund umgesiedelt werden? Oder wollen Sie die Menschen weiter im Ungewissen lassen?

Der FDP-Abgeordnete Ralph Bombis aus dem Rhein-Erft-Kreis sagte – ich zitiere –, es sei nicht nachvollziehbar und falsch, dass Rot-Grün jetzt schon eine Vorfestlegung für die Verkleinerung des vierten Abbaufeldes getroffen habe. – Ich habe das am 3. April im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gelesen.

Man braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, was die Opposition gefordert hätte, wenn wir eine neue Leitentscheidung ohne ein klares Ziel eingeleitet hätten. Sie hätten lauthals geklagt, dass die Landesregierung nicht weiß, wo sie hin will. Das ist eine Oppositionsarbeit, die dieses Land nicht weiterbringt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Christian Lindner [FDP])

Sie haben ja gleich die Gelegenheit zu sprechen, Herr Lindner.

Vor Ort jedenfalls ist die Klarheit größer. Dort begrüßt die CDU, was wir entschieden haben und wie wir entschieden haben. Bürgermeister Peter Jansen hat klar formuliert – ich zitiere –: „Die Stadt Erkelenz begrüßt die Zusicherung der Landesregierung, Holzweiler zu erhalten.“

Ich bin sicher, die Landesregierung hat eine ausgewogene Entscheidung getroffen. Sie musste sie jetzt treffen. Wir dürfen eine neue Leitentscheidung nicht vor uns herschieben. Wir dürfen die Menschen im Rheinischen Revier, die Beschäftigten im Berg

bau und die Wirtschaft nicht über die Zukunft, über die Perspektiven im Unklaren lassen. Daher war es jetzt auch wichtig, zu sagen, dass die genannten Ortschaften da bleiben, wo sie sind.

Es ist und war richtig, für den Braunkohleabbau in Nordrhein-Westfalen die Perspektive bis 2030, aber auch darüber hinaus jetzt zu sichern, gleichzeitig aber auch die Herausforderung für morgen anzunehmen, dem Revier und der Braunkohleindustrie eine echte und nachhaltige Perspektive für die Zeit danach zu geben.

Ich fasse zusammen.

Wir haben in der Koalition vier Elemente in eine gute Balance gebracht: Sicherheit für Tausende Menschen im Braunkohlerevier; Innovationssicherheit für Unternehmen und Arbeitsplätze; sichere und bezahlbare Energie für Nordrhein-Westfalen und Deutschland; der subventionsfreie und heimische Energieträger Braunkohle bleibt langfristig erhalten; Flexibilität, um auf wandelnde Rahmenbedingungen infolge der Energiewende und den weiteren technologischen Fortschritt zu reagieren.

Ich bin mir sicher: Die Entscheidung der rot-grünen Regierungskoalition vom 28. März war eine gute Entscheidung für das Rheinische Revier und für Nordrhein-Westfalen insgesamt. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist der Fraktionsvorsitzende der CDU. Herr Kollege Laschet hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wie ich in Aachen wohnt, oft und regelmäßig nach Köln oder Düsseldorf fährt, der kommt beinahe täglich durch das Rheinische Revier. Die riesigen Kraftwerke mit ihren Kühltürmen und den in alle Himmelsrichtungen abzweigenden Überlandleitungen sind ihm ein täglicher Anblick. Er weiß, dass links und rechts der Autobahn tiefe Wunden, die wir der Natur zum Kohleabbau schlagen, sichtbar sind, die wir nach Ausbeutung so gut wie möglich wieder schließen.

Kohleabbau und Stromerzeugung im Rheinischen Revier, das ist seit Jahrzehnten Arbeit am Wohlstand der Menschen in Deutschland und an der industriellen Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Und es ist seit Jahrzehnten ein Ringen und Abwägen zwischen dem Umsiedeln, dem Heimatverlust und den schwierigen Umweltschäden auf der einen Seite und den Arbeitsplätzen und dem Wohl von Zehntausenden Menschen, das davon abhängt, auf der anderen Seite.

(Beifall von der CDU)

Deshalb bin ich stolz auf die Einsatzbereitschaft und die Professionalität, mit der Generationen von Menschen im Rheinischen Revier zu Werke gegangen sind. Wir sind stolz auf die moderne Kraftwerkstechnik, die dank wachsender Effizienz weltweit führend ist.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile die Empfindungen der Kolleginnen und Kollegen nicht, die auf Gruben, Kraftwerke und Kühltürme nur mit Abscheu blicken. Das ist das Herz unseres Landes gewesen, und auch das muss man sagen.

(Beifall von der CDU)

Nun ist die Frage: Wie sieht denn die Zukunft aus? Das ist die Frage, die wir beantworten müssen. Ehe wir sie beantworten, will ich drei Vorbemerkungen machen.

Erstens. Ich bin Mitglied einer Partei, die den Mut hatte, in Nordrhein-Westfalen den Ausstieg aus der subventionierten heimischen Steinkohle zu beschließen und diesen Ausstieg in der Regierungsverantwortung mit der FDP – mit Stimmen damals der Grünen – auch durchgesetzt hat. Das war nicht einfach. Aber das war eine klare Entscheidung zu einem Zeitpunkt, wo andere noch vom Sockelbergbau träumten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens. Ich bin Mitglied einer Partei, die nach vielem Ringen nach Fukushima den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hat und diesen Ausstieg …

(Lachen und Zurufe von der SPD)

Also, mich wundert es, dass man bei den Sozialdemokraten schon über Fakten lachen kann.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich kenne manche Leute, die das bis heute kritisieren. Wenn Sie aber sagen, dass das gar nicht stattgefunden hat, entgegne ich: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossen worden und gilt heute für unsere Partei.