Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vortrag des Kollegen von den Piraten suggerierte ja, als würden wir nicht über einen spekulativen Artikel im „Spiegel“ sprechen, sondern über den Entwurf einer Stiftungssatzung zur Finanzierung des Atomausstiegs. Ich finde, das ist maßlos überzogen. Man sollte das wirklich ein bisschen zurückdampfen. Was wir hier vorliegen haben, ist ein spekulativer Artikel im „Spiegel“, der weder vom Bund noch von den Unternehmen auch nur ansatzweise bestätigt worden ist. Insofern sollten Sie ein bisschen Dampf herausnehmen. Diese Diskussion kommt völlig zur Unzeit.
Ich will Ihnen sagen, was mir in den Sinn gekommen ist, als ich den Artikel im „Spiegel“ gelesen habe. Mir ist in den Sinn gekommen: Ja, das bestätigt noch einmal: Die Atomindustrie ist unkalkulierbar, und zwar in verschiedener Hinsicht. Sie ist unkalkulierbar in den ökologischen Risiken, die auf ganze Standortregionen und kommende Generationen verlagert wurden. Sie ist unkalkulierbar in den sozialen Risiken, die auf Menschen abgewälzt werden, die früher unzureichend geschützt in der Nukleartechnik gearbeitet haben oder zum Beispiel in der Nähe von Asse wohnen und um ihr Trinkwasser fürchten müssen. Und die Atomindustrie ist unkalku
lierbar, was ihre ökonomischen Risiken angeht. Das gilt für die eingeschränkte Versicherungspflicht der Betreiber und natürlich auch vor dem Hintergrund, dass sie versuchen, die Kosten des Rückbaus und der Endlagerung nicht selber tragen zu müssen, sondern zu sozialisieren. Insofern sehen wir: Die Kosten sind unkalkulierbar. Die Risiken sind unkalkulierbar. Deswegen ist es richtig gewesen, das Rot und Grün den Atomausstieg vereinbart haben.
CDU und FDP haben viel zu lange an der Atomkraft mit ihren unkalkulierbaren Risiken, die gerade von mir noch einmal skizzenhaft beschrieben worden sind, festgehalten. Sie haben dieses rot-grüne Atomausstiegsgesetz sogar wieder einkassiert. Erst Fukushima hat dazu geführt, dass auch sie zur Besinnung gekommen sind.
Auch die rechtliche Lage ist im Atomgesetz geklärt. Nach dem Verursacherprinzip trägt der Betreiber die Kosten für die Stilllegung der Anlagen sowie für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Bei kommerziell genutzten Kernkraftwerken sind das die Stromversorgungsunternehmen. Damit ist das schlicht und ergreifend geklärt.
Keine Frage: Nach den Bilanzvorschriften haben die Unternehmen durch Bildung von Rückstellungen dafür zu sorgen, dass sie zum Zeitpunkt der Stilllegung die benötigte Menge Geld da haben. Daran kann man durchaus – das will ich gar nicht in Abrede stellen – seine Zweifel haben. Man kann auch seine Zweifel daran haben, ob es den Energieversorgern gelingen wird, zum richtigen Zeitpunkt aus den gebildeten Rückstellungen Rücklagen zu machen, sodass sie auch in der Lage sind, das entsprechend zu bedienen. All diesen Fragestellungen muss man sich ohne jeden Zweifel widmen.
Die Frage ist nur: Wann muss man sich diesen Fragen widmen? – Ich glaube, es ist heute schlicht und ergreifend der völlig falsche Zeitpunkt, jetzt darüber zu spekulieren, was dann die richtigen Schritte sein könnten. Wir haben ja einige Herausforderungen vor uns. Wir haben die Frage vor uns: Wie sieht ein zukünftiges Marktdesign im Strommarkt aus? Wir haben die Frage vor uns: Wie sieht das mit dem Endlagersuchgesetz und seinem Ergebnis konkret aus? Erst wenn man all dies weiß, wird man sich mit der Frage beschäftigen können und müssen, wie die Umsetzung des Atomausstiegs konkret organisiert werden kann.
Unstrittig dabei ist aber: Der Atomausstieg kann niemals so organisiert werden, dass die unkalkulierbaren Risiken aus den Unternehmen herausgehen und in die Gesellschaft hineingehen. Es kann nicht sein, dass wir diese Risiken sozialisieren. Das kann keine Lösung dieser Problemlage sein.
Insofern kann ich nur mahnen, Ruhe zu bewahren. Der Zeitpunkt, wo wir alle Voraussetzungen kennen, um dann gemeinsam auch mit den Unternehmen
festzulegen, wie die Umsetzung konkret vonstatten zu gehen hat, liegt noch so weit vor uns, dass ich ganz beruhigt bin, weil die Piraten diese Diskussion maximal von der Zuschauertribüne verfolgen werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat liegt die Begründung für die Aktuelle Stunde in der Berichterstattung des „Spiegel“. Dort stand: „Eine Bad Bank fürs Atom“. Um den Abriss der Kernkraftwerke zu bezahlen, sollen die Energiekonzerne einen Großteil des Kostenrisikos auf den Staat abwälzen. Ich denke: Diese Debatte ist schon beendet, bevor sie richtig begonnen hat.
Aus Sicht der Energieversorgungsunternehmen mag das wahrscheinlich ein verständliches Ansinnen sein, obwohl sie nicht einmal selbst bestätigt haben, dass sie ein solches Ansinnen haben. Genauso sind die politischen Reflexe, die es in diesem Zusammenhang gibt und die uns aus meiner Sicht auch nicht weiterhelfen, erwartbar gewesen. Aber es ist wahrscheinlich so: Wenn ein solcher Vorschlag eine Woche vor einer nationalen Wahl gemacht wird, geht es weniger um Fachlichkeit, sondern mehr um politische Reflexe.
Konkret soll es darum gehen, die bestehenden Meiler in eine öffentlich-rechtliche Stiftung einzubringen, um den milliardenteuren Abriss der Atomkraftwerke und die Lagerung der radioaktiven Abfälle zu verwalten und dafür verantwortlich zu sein. Die Energieversorgungsunternehmen bringen Rückstellungen für Abriss und Entsorgung ein und – das ist zumindest ein interessanter Aspekt – verzichten auf weitere Klagen, wenn der Bund im Gegenzug die Gesamtrisiken übernimmt.
Ich sage: Das wird so nicht passieren. Ich sehe dafür keinen politischen Konsens, obwohl die Idee eines öffentlich-rechtlichen Fonds oder einer Organisation nicht neu ist. Dafür braucht man nicht den „Spiegel“. Dafür braucht man übrigens auch nicht die Piraten. Das hat in der aktuellen Debatte die Bundestagsabgeordnete Höhn in Erinnerung gerufen. Ich fand übrigens, Herr Minister, dass sich Ihre grüne Vorgängerin Höhn in die Debatte viel klüger eingebracht hat, als Sie, der Sie nur die Schlagzeile bedient haben. Ich fand es sehr klug, dass sie sozusagen den Finger in die Wunde gelegt hat.
Dass ich an dieser Stelle Frau Höhn loben muss, verwundert mich selbst. Aber in Abgrenzung zu Herrn Remmel mache ich das gern.
Unabhängig von der Debatte über eine „Bad Bank fürs Atom“ und unabhängig davon, dass wir hier sagen, diese Debatte sei damit beendet, wird sie weiterhin geführt werden müssen – übrigens auch weil es einen ganz konkreten Handlungsbedarf gibt. Das Ökoinstitut empfiehlt uns heute, sehr genau hinzuschauen, wie wir es weiter organisieren. Der Handlungsbedarf besteht darin, dass die Energieversorgungsunternehmen in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Situation sind. Die gesetzlich verpflichtend gebildeten Rückstellungen in den großen Energieversorgungsunternehmen sind sehr unterschiedlich gesichert. Die EVUs bilden Rückstellungen auf der Grundlage sehr komplizierter interner Kalkulationen. Unabhängige Wirtschaftsprüfer stellen jedes Jahr sicher, dass das Geld auch wirklich vorhanden ist.
Ich möchte übrigens sehr deutlich sagen, dass die EVUs ihren Verpflichtungen im Sinne des Verursacherprinzips bis jetzt vollumfänglich nachgekommen sind. Das ist ein Umstand, der in der Debatte oft vergessen wird. Beträchtliche Summen sind bereits in den Rückbau und in Stilllegungsprojekte geflossen. Ich erinnere nur an das Projekt Gorleben.
Einen Großteil der Kosten verursacht der Rückbau von Kernkraftwerken. Darüber werden wir auch aufgrund politischer Beschlüsse weiter zu reden haben.
Das Problem aus Sicht der EVUs besteht darin, dass es zurzeit keine Planungssicherheit mehr für sie gibt. Ihre Investitionen in Kernkraftwerke wurden auf Basis längerer Laufzeiten getätigt, die nach den Ereignissen von Fukushima durch die Politik verkürzt wurden. Einher geht die Förderung der erneuerbaren Energien, die sich negativ auf den Cashflow der EVUs auswirken. Investitionen, die vor Jahren getätigt wurden, rechnen sich heute nicht mehr, übrigens nicht nur in Kernkraftwerken, sondern genauso in Kohlekraftwerken und Gaskraftwerken.
Dazu kommen weitere politische Rahmenbedingungen, die wir selbst für die Energieversorgungsunternehmen erschweren. Zu nennen ist das Standortauswahlgesetz. Wir stellen wieder alles auf null, obwohl 1,7 Milliarden € in Gorleben investiert wurden, weil wir festgestellt haben, dass es keinen gesellschaftspolitischen Konsens für dieses Endlager gibt.
Deshalb ist die Frage, wie wir mit diesen Dingen weiter umgehen, losgelöst von der aktuellen Debatte zu führen. Ich finde das übrigens schon angelegt – ich möchte das auch dem Kollegen der Sozialdemokratie in Erinnerung rufen – als Debatte im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Auf Seite 43 heißt es – das zitiere ich gern –:
„Für den Rückbau, die Entsorgung und sichere Aufbewahrung von Materialien aus kerntechnischen Anlagen, die nicht der Erzeugung von Elektrizität dienen und gedient haben, werden Gespräche zwischen Bund und Ländern geführt, wobei auf Basis von entsprechenden Verhandlungsvereinbarungen auch die Aufteilung der Kosten neu geregelt wird.
Wir erwarten von den Kernkraftwerksbetreibern ihre Mitwirkung an der Energiewende und die Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung.“
„Ziel ist es damit, in Deutschland die Sicherheit des Restbetriebs der Kernkraftwerke und ihrer Entsorgung auch finanziell zu sichern und sozialverträgliche Lösungen für die Beschäftigten zu finden. Wir erwarten, dass die Kosten für den Atommüll und den Rückbau der kerntechnischen Anlagen von den Verursachern getragen werden. Über die Realisierung der rechtlichen Verpflichtungen der Energieversorgungsunternehmen wird die Bundesregierung mit diesen Gespräche führen.“
Genau an dieser Stelle stehen wir, unabhängig davon, was die Piraten beantragen oder was der „Spiegel“ schreibt. So einfach ist es manchmal.
Dass wir uns dieser Debatte stellen müssen, liegt gleichwohl auf der Hand. Zwei Diskussionspunkte möchte ich ganz kurz herausarbeiten.
Erstens: Die endgültige Entbindung der Energieversorgungsunternehmen von der Verantwortung kann es nicht geben. Die EVUs haben maßgeblich von der Kernenergieerzeugung profitiert und müssen daher auch für die Kosten aufkommen. Das ist die Position der CDU.
Zweitens: Aus meiner Sicht sollte verhindert werden, dass der Bund oder die Steuerzahler für den Teil der Kosten aufkommen, die nicht mehr abgedeckt werden können durch die entsprechenden Rückstellungen in Höhe von rund 30 Milliarden €. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns.
Übrigens finde ich den Vorschlag hanebüchen, dass am Ende auch der Staat im Rahmen eines Fonds oder einer Stiftungslösung die Atomkraftwerke betreiben soll, wie es im Artikel des „Spiegel“ suggeriert wird. Das ist in der Tat blanker Unsinn und würde sicherlich so nicht betrieben werden.
Trotzdem gilt: Die Kosten für die nukleare Entsorgung können wir, grob geschätzt, je nach neuem Standortausfall, mit 4 bis 6 Milliarden € kalkulieren. Bei jedem Atomkraftwerk, das stillgelegt und rückgebaut wird, reden wir von 500 Millionen €.
Insofern können wir die Kosten sicherlich grob über den Daumen kalkulieren, aber abschließend ist noch nicht klar kalkulierbar, wie hoch die Kosten des Atomausstiegs am Ende wirklich sein werden. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Netter Versuch: Die Stromkonzerne ernten Hohn und Spott für ihren Vorstoß, die Folgekosten der Atomkraft den Steuerzahlern aufzubürden. – So titelte die „Frankfurter Rundschau“ vorgestern vollkommen zu Recht.
Herr Kufen, Hohn und Spott könnte man angesichts der Zahlen, die Sie hier für den Rückbau eines einzelnen Atomkraftwerks zugrunde legen, an jener Stelle Ihres Redebeitrags wahrscheinlich auch auf Sie beziehen.
Herr Kufen, Herr Eiskirch, auch wenn wir jetzt nicht den letzten Beweis und die letzte Bestätigung haben, dass die Konzerne das, was wir beim „Spiegel“ gelesen haben, tatsächlich so beschlossen hätten – wir wissen doch, wie Politik funktioniert. Das ist möglicherweise erst mal nur ein Testballon, um zu sehen, wie die politische Landschaft reagiert. Und das ist nicht ungewöhnlich in der Politik. Deswegen ist es richtig, sich damit rechtzeitig auseinanderzusetzen.