Wer von den Menschen in unserem Land im Alltag Courage im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit verlangt, der muss selber Vorbild sein. Dies gilt besonders für politische Verantwortungsträger und ganz besonders für die Parlamentarier in diesem Raum.
Die vielbeschworene Gemeinsamkeit der Demokratinnen und Demokraten – und das irritiert mich an der bisherigen Diskussion – steht nämlich leider allzu oft nur auf dem Papier. Der Alltag des Umgangs zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen ist meist von Polemik, verbalem Populis
mus und Konfrontation um der Konfrontation willen geprägt. Umso wichtiger ist es, dass wenigstens an manchen Stellen Grenzen gewahrt und ungeschriebene Gesetze eingehalten werden. Und dazu gehört die Geschlossenheit der Demokratinnen und Demokraten.
Es fällt mir auch leicht, an diese Geschlossenheit zu appellieren; denn in den Geschichtsbüchern kann man nachlesen, dass sich noch kurz vor der Machtübernahme die unterschiedlichen Parteien der Opposition beschimpften, statt gemeinsam Flagge gegen die Nazis zu zeigen. Diese fehlende Gemeinsamkeit der Demokratinnen und Demokraten war eine entscheidende offene Flanke für die Machtübernahme.
Wir dürfen und wir wollen den Nazis in NordrheinWestfalen, in der Bundesrepublik insgesamt und überall auf der Welt keine Chance geben, die demokratischen Fraktionen gegeneinander auszuspielen. Die jüngsten Aktivitäten von Nazis in NordrheinWestfalen zeigen – nicht nur in Duisburg –, dass wir entschlossen und geschlossen vorgehen müssen. Denn Demokratie und Freiheit sind nicht selbstverständlich. Sie müssen immer wieder verteidigt werden. Dabei darf sich niemand, wirklich niemand seiner Verantwortung entziehen.
Das hat übrigens auch Johannes Rau erkannt, den ich – mit Erlaubnis des Präsidenten – zum zweiten Mal zitieren möchte. Er hat gesagt:
„Der Konsens der freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft ist nicht naturgegeben, er ist nicht ein für allemal gesichert. Dieser Konsens muss immer wieder erarbeitet werden – rational und emotional. Was den meisten von uns selbstverständlich erscheint, muss immer wieder neu begründet, benannt und vor allem im Alltag Wirklichkeit werden.“
Lassen Sie uns mit Johannes Rau in diesem Parlament gemeinsam an diesem und für diesen Konsens arbeiten. Ich rufe trotz der bisherigen Debatte ausdrücklich alle zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Demokratinnen und Demokraten auf. Wir müssen – ob in Vereinen, Verbänden, Kirchen oder mit allen anderen Menschen, die sich in den Kommunen engagieren – gemeinsam Rückgrat gegen Rechtsextremismus zeigen. Wir alle müssen beim Kampf gegen Rechtsextreme zusammenhalten. Denn dann und nur dann haben die Nazis in unserem Land keine Chance. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Schneckenburger das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine Bemerkung zu Herrn Dr. Orth. Herr Dr. Orth, ich empfand Ihren Beitrag als infam.
Sie haben mich persönlich angegriffen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das richtigstellen. Wenn Sie das liberale Gesicht der FDP sind, dann hat, finde ich, die liberale Politik der FDP heute abgedankt.
Ihre Parteikolleginnen standen in Dortmund mit einer Flagge der FDP vor dem Rathaus. Als es später in die politische Auseinandersetzung ging, haben die sich weggeduckt. Das stimmt. Sie haben nicht unterschrieben. Das stimmt aber auch: Sie standen vor dem Rathaus. Sie lassen also auch Ihre Kolleginnen und Kollegen in Dortmund im Stich, Herr Dr. Orth.
Sehr geehrter Herr Laschet, ich will nicht auf die Beiträge Ihrer Kollegen eingehen, will aber noch mal deutlich sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen Schulterschluss aller Demokratinnen und Demokraten brauchen. Dazu gehört auch die CDU in Nordrhein-Westfalen, in Dortmund wie in jeder anderen Stadt in Nordrhein-Westfalen.
Weil wir diese Einschätzung teilen, bitte ich Sie, wirklich noch mal zu überdenken, ob wir auch in einen zivilgesellschaftlichen Schulterschluss in der Auseinandersetzung vor Ort mit Nazis in Dortmund kommen können. Ich biete diesen Dialog ausdrücklich an. Ich bin der festen Überzeugung, dass das notwendig ist und dass wir als Zivilgesellschaft nur gemeinsam gegen die rechtsextremen Strukturen in Dortmund stehen können.
Herr Lohn, damit das nicht in Vergessenheit gerät, will ich Ihnen noch mal sagen: Im Jahr 2000 sind in Dortmund drei Dortmunder Polizisten von dem Neonazi Michael Berger ermordet worden. Das ist derselbe Neonazi, der ein guter Freund des Siggi Borchardt ist – SS-Siggi Borchardt, wie er sich nennen lässt –, der jetzt in den Dortmunder Rat eingezogen ist. Wir haben es nicht nur mit irgendwelchen Rechtsideologien zu tun, sondern wir haben es mit gewaltbereiten Neonazis zu tun.
Der Innenminister hat diesen Verein, dem die Neonazis angehören, in Dortmund zu Recht verboten. Nun nutzt dieser Verein die Hülle einer Partei – ich bin der festen Überzeugung, es ist nur die Hülle einer Partei –, um sich rechtsstaatlicher Strukturen zu bedienen. Dagegen können wir nichts tun. Das ist so.
Dortmund hat übrigens viel und lange Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Neonazis. Sie saßen im Rat der Stadt Dortmund lange Zeit hinter mir. Wir haben einen Weg gefunden, um mit ihnen umzugehen. Wir haben einen Weg gefunden, um in Dortmund keine Öffentlichkeit für sie zu bereiten.
Aber das, was jetzt in den Rat der Stadt eingezogen ist, hat eine neue Qualität. Damit gibt es auch keine Erfahrung. Darum will ich einfach noch mal herzlich einladen, dass wir das auch wirklich zusammen tun und nicht versuchen – wie ich es zu Beginn der Debatte empfand –, parteipolitische Geländegewinne zu machen.
Ich meine das ausdrücklich auch an die Adresse der Polizei, gerade der Polizei in Dortmund, gerichtet: Wir brauchen einen gemeinsamen Dialog. Es kann nicht so weitergehen.
Gerade, weil wir diesen Dialog brauchen, und weil ich der festen Überzeugung bin, dass man auch Fehler benennen muss, will ich die Probleme, die ich und viele andere Menschen in Dortmund mit dem Bericht haben, noch mal an zwei Stellen benennen.
Die Lebenswirklichkeit sagt einem: Auf einer Party in Deutschland wird Alkohol getrunken. Die einen trinken mehr, die anderen trinken weniger, die dritten trinken gar nichts. Das wird am Wahlabend sicher auch in Dortmund so gewesen sein. Dessen bin ich mir ganz sicher.
Frage: Haben die Menschen in Dortmund gehandelt, weil sie Alkohol getrunken hatten? Waren es betrunkene Politiker? – Nein, das waren Menschen, die spontan rausgegangen sind, weil sie einen Hinweis erhalten haben – ich könnte Ihnen erklären, woran man das gesehen hat –, dass vor dem Rathaus gleich Neonazis auftauchen werden. Sie haben sich dort versammelt und standen unter Stress. Da war Angst, da war Wut und da war vor allen Dingen sehr viel Stress in der Luft. Es gab keine gemeinsame Überlegung, dass man ein Rathaus blockiert. Vielleicht ist es im Ergebnis so gewesen, dass man nicht durch die Tür konnte, weil dort viele Menschen standen. Aber es gab keineswegs die Absicht, ein Rathaus zu blockieren. Es gab keinerlei Verabredungen.
An der Stelle erzeugt der Bericht einen falschen Eindruck. Ich will auch noch mal sagen, warum er einen falschen Eindruck erzeugt:
Ein Polizeibericht – das würde zur Redlichkeit auf Ihrer Seite dazugehören – kann nur das darstellen, was die Polizei vom Zeitpunkt ihres Eintreffens an erlebt hat. Alle körperlichen Übergriffe sind vorher gewesen.
Ich finde, Herr Innenminister – das will ich auch noch mal deutlich sagen –, das hätte der Bericht deutlich machen müssen, und zwar deswegen, weil der Polizei in Dortmund ein Livebericht vorliegt. 5 Minuten und 21 Sekunden lang hat jemand auf das Notrufband der Polizei in Dortmund gesprochen und gesagt: Hier kommen Neonazis. Sie greifen das Rathaus an. Einsatz von Pfefferspray. Einsatz von Gewalt. Bitte kommen Sie schnell! – Warum gibt es in diesem Bericht keinen Hinweis darauf? Das will ich noch mal sehr deutlich fragen. Für mich das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Ich glaube, die Menschen in Dortmund haben versucht, sich und andere vor Neonaziattacken zu schützen. Ihnen gebührt unser herzlicher Dank.
Herr Innenminister, Sie haben die Frage gestellt: Sie haben das Gute gewollt, haben sie es auch gut gemacht? – Ich kann das im Einzelfall nicht beurteilen.
In der Gesamtheit kann ich nur sagen: Wir brauchen eine mutige Zivilgesellschaft, die bereit ist, sich aufzustellen – auch vor den frisch gewählten Mitgliedern des Integrationsrates, die diesem Neonaziangriff schutzlos ausgeliefert gewesen wären.
Also: Die Sonne des Rechtsstaates scheint über allen Menschen gleich. Ich vertraue auf den Rechtsstaat. Er wird die Dinge aufklären. Davon gehe ich aus, das hoffe ich sehr. Ich hoffe auch sehr, dass alle Zeugenaussagen berücksichtigt werden.
Aber für mich ist unter dem Strich klar: Die Menschen in Dortmund haben das Richtige getan. Sie haben sich bemüht, sich in einer Situation aufzustellen, die ausgesprochen schwierig war.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, wir werden mit dieser Diskussion auch in der nächsten Zeit noch umgehen müssen. Ich wünsche mir sehr, dass sie bei allem Schlechten, das sie hat, auch bei allen schlechten und schwierigen Teilen der Debatte in Dortmund, dazu führen wird, dass sich mehr Menschen engagieren, dass die CDU in einen Konsens in Dortmund eintritt, dass sich die Zivilgesellschaft auch weiterhin mit breitem Rücken aufstellt und dass die Menschen ermutigt werden, rechtsextremem Terror nicht stattzugeben.
(Langanhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der SPD, den PIRATEN und Mi- nister Guntram Schneider)
Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Orth.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde bietet ja die Möglichkeit, sich mehrfach zu Wort zu melden und auf das einzugehen, was der eine oder die andere hier gesagt hat.
Insofern möchte ich zunächst einmal auf die Ausführungen des Herrn Ministers eingehen und ihm sagen, dass sein Wortbeitrag leider noch immer nicht zur Klarheit beigetragen hat.
Denn zu Recht wurde kritisiert, dass in dem Bericht Pauschalverurteilungen formuliert sind. „Betrunkene Politiker“ – das ist ein Begriff, von dem sich jeder angesprochen fühlen kann.