Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Antrag mit der Drucksachennummer 17/1619 des Niedersächsischen Landtags vom 17. Juni 2014.
Wenngleich der Piraten-Antrag somit nicht besonders originell ist, greift er ein wichtiges Thema auf, nämlich die medizinische Versorgung von Flüchtlingen, und ich denke, wir sind uns fraktionsübergreifend darin einig, dass diese Menschen in NordrheinWestfalen wie auch anderswo in Deutschland Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung haben müssen.
Allerdings habe ich erhebliche Zweifel, ob uns die in dem vorliegenden Piraten-Antrag enthaltenen Vorschläge diesem Ziel wirklich näherbringen. Zum einen fordert die Piratenfraktion darin die Übernahme des sogenannten Bremer Modells. Bremen hat bereits 2005 die Regelung abgeschafft, wonach Asylbewerber vor dem Arztbesuch zunächst zum Amt müssen, um sich einen Behandlungsschein zu holen. Der Stadtstaat stellt seitdem Asylbewerbern eine Krankenversicherungskarte der AOK zur Verfügung, und die Kasse rechnet die erbrachten Leistungen dann direkt mit der Bremer Sozialbehörde ab.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Vorgehensweise mag im Stadtstaat Bremen relativ leicht durchzuführen sein, weil Bremen – wir wissen es alle, aber ich betone es noch einmal an dieser Stelle – sowohl Land als auch Kommune ist. In Nordrhein-Westfalen ist das jedoch sehr viel schwieriger, weil wir hier sehr viele unterschiedliche Zuständigkeiten von Kommune und Land haben
Im Übrigen – Herr Kollege Stotko hat darauf hingewiesen – gibt es kein einziges deutsches Flächenland, in dem das Bremer Modell bislang übernommen wurde. Ob das Bremer Modell daher ausgerechnet als Vorbild für das große Flächenland Nordrhein-Westfalen taugt, möchte ich doch mit einem dicken Fragezeichen versehen.
Problematisch ist zum anderen aus meiner Sicht und aus Sicht der CDU-Fraktion die Forderung der Piraten nach einem anonymen Krankenschein. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:
illegal hier in Nordrhein-Westfalen aufhalten. Bei allem Verständnis für die daraus resultierenden Probleme in Bezug auf die Gesundheitsversorgung denke ich nicht, dass es sachgerecht wäre, den illegalen Aufenthalt dieser Personen in NordrheinWestfalen durch die Einführung eines anonymen Krankenscheins quasi durch die Hintertür zu unterstützen. Oberstes Ziel aller Fraktionen müsste es doch sein, diesen hilfsbedürftigen und bedauernswerten Menschen aus der Illegalität herauszuhelfen. Dazu sind wir bereit, und wir haben das in all den letzten Jahren auch immer wieder verdeutlicht.
Hinweisen möchte ich auf die hohe Missbrauchsgefahr, die ein anonymer Krankenschein mit sich bringt. Denn wie soll zum Beispiel verhindert werden, dass der anonyme Krankenschein an unberechtigte Personen weitergegeben wird, die sich damit anschließend auf Kosten der Allgemeinheit behandeln lassen? Auch zu dieser Problematik gibt es erheblichen Diskussionsbedarf, und deshalb freue ich mich natürlich darauf, dass wir im entsprechenden Ausschuss weiter darüber beraten werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundlage für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen bei uns in Deutschland sind nicht die Ansprüche, die wir haben, wenn wir krank sind, sondern § 4 Asylbewerberleistungsgesetz. Dort heißt es in Abs. 1:
„akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln … zu gewähren.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kruse, Sie haben gesagt, auch die CDU setze sich für eine angemessene medizinische Versorgung von Flüchtlingen ein. Dies ist aus Sicht der Grünen keine angemessene Versorgung von Flüchtlingen. Denn hier wird nur eine Notversorgung gewährleistet, und in der Tat könnte auch ich Beispiele aus meinem Wahlkreis nennen, in denen seitens des Sozialamtes abgelehnt wurde, Erkrankungen zu behandeln, was aus meiner Sicht absolut nicht geht.
Das heißt, diese Notversorgung ist aus unserer Sicht nicht nur europarechtlich nicht mehr kompatibel – auch auf europäische Ebene gibt es große Bedenken –, sondern stellt eine Diskriminierung dar und ist menschenrechtlich hoch problematisch. Hierauf gibt es nur eine Antwort, liebe Kolleginnen und
Kollegen – Herr Kollege Stotko hat es schon gesagt –: Dieses Asylbewerberleistungsgesetz brauchen wir nicht. Es gehört abgeschafft, und dafür setzt sich Rot-Grün auch auf Bundesebene eine.
Herr Herrmann, Sie haben einen Antrag von RotGrün aus Niedersachsen teilweise sehr schön abgeschrieben. Die Inhalte sind zwar richtig, aber ich denke, wir sind in Nordrhein-Westfalen eigentlich weiter. Wir brauchen alle diese Prüfaufträge hier nicht; schauen Sie sich doch einmal im Land um. Sie sprechen ja drei Punkte an.
Erster Punkt: Bei uns sind Kommunen beispielhaft auf einem guten Weg. In Münster sollen im Rahmen von Bündnisverhandlungen der neuen Ratsmehrheit Verhandlungen über genau ein solches Bremer Modell mit der örtlichen Krankenkasse geführt werden. In der Tat kann so etwas in einem Flächenland nur örtlich geschehen. Wie ich vom Kollegen Stamp hörte, werden auch in Bonn Gespräche geführt. Genau dahin gehört das auch. Die Kommunen haben sich auf den Weg gemacht. Deshalb muss das Land nicht mehr aufgefordert werden, zu prüfen, ob das geht. Die Kommunen machen es längst. Insofern sind wir auf einem guten Weg. Ich hoffe, dass dabei bald auch Ergebnisse herauskommen, die wir dann ins Land bringen können.
Zweiter Punkt: Beim anonymen Krankenschein gilt für mich genau das Gleiche wie beim ersten Punkt. Ein Modellversuch wäre hilfreich. Das könnte man einmal ausprobieren. Da sehe ich die Städte und die Kommunen ebenfalls in der Verantwortung. Ich glaube auch, dass es da eine hohe Bereitschaft gibt.
Dritter Punkt: In Ihrem Antrag sprechen Sie auch den wichtigen Punkt der Übermittlungspflichten an. Humanitäre Hilfen für illegale Flüchtlinge werden rechtlich mit Schleusertätigkeiten und anderen Taten gleichgesetzt. Das heißt, dass eine Kriminalisierung der Helfer erfolgt. – Herr Kruse, hören Sie zu; das ist schon ein wichtiger Punkt. – Wenn ein Arzt einem schwerkranken Menschen ohne Papiere hilft, ihn vielleicht sogar vor dem Tod bewahrt, ihm Nothilfe leistet, was auch immer, steht dieser Arzt in Deutschland mit einem halben Bein im Gefängnis. Das kann nicht sein, finde ich. Die Ärzte fordern seit Langem, dass diese Hilfen, zu denen sie sich nach ihrem hippokratischen Eid auch verpflichtet sehen, nicht kriminalisiert werden dürfen.
Zusammenfassend bedeutet das: Selbstverständlich sind die Dinge, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen, alle richtig. Wir brauchen hier eine bessere medizinische Versorgung. Deswegen setzen wir
uns weiter für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Die Flüchtlinge müssen ins System des SGB II überführt werden. Dann bekommen sie auch eine anständige gesundheitliche Versorgung.
Solange wir das nicht haben, unterstützen wir und sicherlich auch die Landesregierung – davon gehe ich aus; Herr Jäger wird das aber wahrscheinlich gleich selber sagen; ich will dem nicht vorweggreifen, Herr Minister –
diese kommunalen Initiativen. Insofern brauchen wir hier keine Prüfaufträge mehr; denn wir haben uns da schon auf den Weg gemacht. – Schönen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Stotko, eine Behauptung möchte ich hier in aller Entschiedenheit zurückweisen. Es ist keinesfalls so, dass rot-grüne Flüchtlingspolitik humaner ist als die von CDU und FDP. Das ist eine Unterstellung. So etwas will ich hier nicht stehen lassen.
Das hat im Übrigen auch der differenzierte Beitrag des Kollegen Kruse gezeigt. Ich finde es wichtig und auch bemerkenswert, dass die CDU hier klar erklärt hat, dass sie bereit ist, für Menschen ohne Papiere Brücken zurück in die Legalität zu bauen. Auch das halte ich für etwas, was man in den gemeinsamen Ausschussberatungen berücksichtigen und vielleicht auch in einem Expertengespräch erörtern sollte: welche Möglichkeiten der Legalisierung es gibt, ohne damit gleich Sogwirkung zu entfalten.
Das ist eine spannende Herausforderung; denn die Piraten haben hier ein wichtiges Thema angesprochen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt eben auch für Menschen ohne Papiere. Für diejenigen, die sich mit der Thematik vielleicht nicht so sehr beschäftigt haben, füge ich hinzu: Das sind nicht wenige, nicht wenige in Deutschland und auch nicht wenige in Nordrhein-Westfalen. So weiß ich aus meiner Heimatstadt Bonn mit einer sehr starken lateinamerikanischen Community, dass es dort auch sehr viele Menschen ohne Papiere gibt.
Für den Rechtsstaat besteht natürlich ein Konflikt. Herr Kruse hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Rechtsstaat auch das Recht durchsetzen muss und dass dazu auch das Aufenthaltsrecht gehört.
Dazu ist in Ihrem Antrag, den Sie ja aus Niedersachsen übernommen haben, vieles Richtige enthalten. Manches ist aber – die Vorredner haben das hier schon analysiert – doch noch reichlich unausgegoren.
Deswegen sind wir guten Mutes, dass hier eine ernsthafte und sachliche Debatte in den Fachausschüssen stattfinden kann. Wir werden uns aktiv daran beteiligen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen wollen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft wird. – So steht es in unserem Koalitionsvertrag. Damit haben wir ein klares Ziel gesetzt. Wir sind bereit, alles dafür zu geben, dass wir es auch erreichen. Dass das im Bundesrat in der Vergangenheit nicht gelungen ist, hält uns auch nicht davon ab, weiterhin mit guten Argumenten zu versuchen, die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern zu überzeugen.
Ich will nur einmal plastisch darstellen, was es bedeuten würde, wenn das Asylbewerberleistungsgesetz wegfiele. Dann hätten alle Menschen, die hier Asyl suchen, Zugang zu dem System nach dem Sozialgesetzbuch. Das hätte die dringend notwendige Entlastung nicht nur der Kommunen, sondern auch der Länder zur Folge. Vor allem würde es den Zugang zu medizinischen Leistungen vereinfachen. Aktuell ist er über das Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Die Gemeinden führen das in eigener Zuständigkeit aus, auch was die Art der Krankenversorgung angeht. Herr Stamp, deswegen haben wir in diesem Land in der Tat einen Flickenteppich. Eine Regelung unmittelbar durch das Sozialgesetzbuch hätte hingegen bundesweit Einheitlichkeit zur Folge.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden im Ausschuss über diesen Antrag und die Thematik insgesamt reden. Im Zuge dessen werden wir nach Lösungen suchen, um Menschen ohne geregelten Aufenthalt zu ermutigen, dringend nötige ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen und nehmen zu können. Ob und inwieweit das Bremer Modell auf Nordrhein-Westfalen übertragbar ist, ist gerade von verschiedenen Rednern diskutiert worden. Das gilt es natürlich zu prüfen.
Für mich ist ein Grundsatz wichtig: Humanitäre Hilfe gegenüber Menschen darf nicht kriminalisiert werden, ganz egal, welchen Aufenthaltsstatus diese Menschen haben.