Protokoll der Sitzung vom 12.09.2014

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das sind keine Rituale!)

Wir haben es mit einem Problem zu tun, das eben gerade nicht ausschließlich regional zu lösen und zu bekämpfen ist. Wer hier einen anderen Eindruck vermitteln will, lieber Herr Dr. Stamp, lieber Herr Kruse, der trägt zur Verharmlosung und nicht zur Lösung des Problems bei.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Besonders erschüttert hat mich, dass Sie hier eben Statements der bekennend gewaltbereiten Salafisten dazu benutzt haben, unsere Landesregierung

anzugreifen. Ich kann mich nur fragen: Was geht bei Ihnen vor? Denn der gewaltbereite Salafismus ist – da sind wir nahe beieinander; und ich hatte mir von der heutigen Debatte einen Schulterschluss aller Demokraten, aller Menschen in diesem Lande versprochen –

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

die am stärksten wachsende verfassungsfeindliche Bestrebung. Das gilt – die Zahlen können Sie doch überall nachlesen – eben nicht nur für NordrheinWestfalen. Das gilt für alle Bundesländer. Es gilt für das benachbarte westliche Ausland. Von daher ist der Versuch, hier parteipolitischen Geländegewinn zu verzeichnen, etwas, was nicht der Bekämpfung des Salafismus dient. Im Gegenteil, wir machen hier ein Spiel, worüber diejenigen, die wir eigentlich gemeinsam bekämpfen sollten, sich im Ergebnis noch freuen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich weigere mich, im Zusammenhang mit dem totalitären Anspruch dieser Gruppierungen den Ausdruck „Religion“ zu verwenden. Gewaltorientierter politischer Salafismus ist religiös verbrämte Gewaltverherrlichung und religiös verbrämte Menschenverachtung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Wir wollen dagegen vorgehen, Herr Dr. Stamp, und wir werden dagegen vorgehen. Im Gegensatz zu dem, was Sie hier abliefern, begrüße ich ganz ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, die Organisation Islamischer Staat als terroristische Vereinigung zu verbieten. Das verbessert auch die Möglichkeiten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hasspredigern, die zur Teilnahme am Dschihad aufrufen, für ihre Taten verantwortlich zu machen. Darum sollte es uns doch gemeinsam gehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In unserer Gesellschaft besteht doch ein breiter Konsens über Grundwerte. Zu dem unveränderlichen Verfassungskern unseres Grundgesetzes gehören das Demokratieprinzip, die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die daraus folgenden Grundrechte. Wer aktiv die Abschaffung dieser Prinzipien anstrebt, extremistische Auslegungen der Religion als Ordnungs- und Herrschaftssystem über Demokratie und Menschenrechte stellt, stellt sich gegen die Verfassung unseres Landes, meine Damen und Herren.

Da sind – ich gebe jedem recht, der diese Meinung vertritt – alle repressiven Mittel, die uns zur Verfügung stehen, auszuschöpfen. Von daher geht Ihre Kritik an der Landesregierung völlig daneben. Herr Jäger, die Polizeipräsidentin von Wuppertal und auch die Zivilgesellschaft haben umgehend qualifiziert reagiert und denjenigen ihre Grenzen aufge

zeigt, die ganz bewusst das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen wollten.

Repression – jetzt komme ich zu dem eigentlichen Teil, der uns unterscheidet – alleine reicht jedoch nicht.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Herr Dr. Stamp, Sie hatten einen Ansatz darin. – Ich darf jetzt einmal ein „Kompliment“ in Richtung CDU machen: Wir haben ein öffentlich tagendes Parlamentarisches Kontrollgremium zur Begleitung der Arbeit des Verfassungsschutzes. Bei dessen letzter Sitzung haben wir uns ausdrücklich mit dem Thema „Prävention“ in diesem Bereich beschäftigt. Von der CDU war – ich nehme den Kollegen Kruse aus, der aus Gesundheitsgründen nicht anwesend war – niemand da. Null Personen von der CDU waren anwesend, um sich an dieser Stelle des Themas anzunehmen bzw. sich ihm zu stellen. Da verspielt man auch ein Stück Glaubwürdigkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin froh darüber, dass Muslime in unserem Land, die selbst empfinden, dass es ihnen schadet, da es ja auch Bestrebungen sind, die sich gerade auch gegen unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger richten, gemeinsam mit allen anderen Bürgerinnen und Bürgern – ich bin der Frau Ministerpräsidentin dankbar, dass wir in der Ansprache keine Unterschiede mehr machen – als Zivilgesellschaft aufstehen. Auch bin ich froh darüber, dass die Landesregierung – da sind wir in NordrheinWestfalen relativ allein unterwegs, meine Damen und Herren – mit einem Präventionsprogramm an der Stelle die nötige Basis für Vernetzung schaffen will.

Wir können und wollen uns nicht bieten lassen, dass eine fundamentalistische religiöse Überzeugung sich staatliche Autorität anmaßt. Wir müssen diejenigen, die für so etwas ansprechbar sein könnten, sehr frühzeitig begleiten. Wir müssen gesellschaftliche Signale aufnehmen und gemeinsam mit den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die muslimischen Glaubens sind, die Zivilgesellschaft stärken.

Nur so, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir nachhaltig unsere Werte und unsere Wertegemeinschaft sichern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die pauschalen Vorwürfe, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen nicht; sie treffen uns aber auch nicht.

Ich lade Sie noch einmal ganz ausdrücklich dazu ein – Sie werden demnächst die Gelegenheit haben, dieser Einladung Folge zu leisten –, mit uns gemeinsam anzutreten. Man kann nämlich nicht bei der Haushaltsdebatte über Stellen philosophieren und dann eine Stellenausweitung an der Stelle nicht mittragen wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir werden Sie, gerade wenn es um das Thema „Prävention“ geht, einladen, sich im Rahmen der Haushaltsberatungen mit uns für noch mehr …

Die Redezeit.

… zivilgesellschaftliches Engagement und für noch mehr Durchdringung der Gesellschaft zur Abwehr dieser Bestrebungen einzusetzen. Dann bin ich mal gespannt, ob Sie sich an unserer Seite befinden.

Ich kann nur sagen: Die Landesregierung leistet an der Stelle ordentliche Arbeit. Wir müssen versuchen, dass diese Arbeit zivilgesellschaftlich vernetzt wird, und uns überall, nicht nur hier mit rhetorischen Floskeln, sondern auch vor Ort in unseren Wahlkreisen, …

Die Redezeit.

… diesen Bestrebungen entgegenstellen. Denn unsere Grundordnung, unsere Demokratie ist es allemal wert, sich für diese Ziele einzusetzen.

Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in ihrer langen Geschichte immer wieder für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gekämpft. Wir haben uns von Ihnen in diesen Fragen nicht belehren zu lassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Präsenz der CDU im Parlamentarischen Kontrollgremium – in der letzten öffentlichen Sitzung waren Sie ja mal wieder nicht da – würde vielleicht bei Ihnen auch zu der Erkenntnis führen, dass das Thema „Salafismus“ eines der Hauptthemen unserer Sicherheitsbehörden ist, des Verfassungsschutzes, aber eben auch der Polizei hier in Nordrhein-Westfalen. Vielleicht beteiligen Sie sich einfach mal an den Debatten in den Fachgremien des Landtags und reden dann vielleicht hier auch mal ein bisschen differenzierter über das Thema.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn ich meine schon, dass wir die differenzierte Debatte über das Thema brauchen. Wir sind uns einig, dass wir hier ein großes Problem haben und dass das Vorhaben einer radikalisierten Gruppe, einen Teil unserer Gesellschaft, und zwar junge Mus

liminnen und Muslime, durch vermeintliche Sittenwächter kontrollieren zu lassen, einen fundamentalen Angriff auf die freiheitlichen Werte unserer Gesellschaft darstellt.

Unsere Gesellschaft zeichnet sich gerade durch diese Werte und Grundrechte aus. Dazu gehört auch, dass junge Menschen – egal, welcher Herkunft, egal, welchen Glaubens – selbstbestimmt entscheiden können, ob sie abends feiern gehen, ob sie Bier trinken, ob sie in der Disko tanzen gehen. Maßgeblich dafür sind die deutsche Gesetzgebung und nicht die Regeln von selbsternannten Tugendwächtern. Alle Versuche, den Rechtsstaat hier zu unterlaufen und Menschen einzuschüchtern, dürfen wir als Gesellschaft nicht dulden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb war die Klarstellung des Innenministeriums, was das Tragen dieser Westen angeht, dass es sich hier um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und das Uniformverbot handelt, richtig. Das konsequente Handeln der Polizei in Wuppertal hat ja auch dazu geführt, dass diese Aktion relativ schnell unterbunden werden konnte. Das ist auch gut so.

Der Salafismus ist die am schnellsten wachsende verfassungsfeindliche Bestrebung in Deutschland mit bundesweit ungefähr 6.000 Anhängerinnen und Anhängern.

Auch das ist wichtig: Darunter sind auch Frauen. Auch das müssen wir in die Debatte einbeziehen. Da gibt es andere Bedarfe. Da sind auch andere Ansprachen notwendig. Es sind nicht nur junge Männer. Es sind auch Frauen. In NordrheinWestfalen sind ungefähr 1.800 Personen in dieser salafistischen Szene.

Das betrifft aber nicht nur Deutschland, sondern das ist ein europaweites Phänomen. Die Europäische Kommission hat schon Anfang des Jahres gesagt, dass seit 2012 etwa 2.500 gewaltbereite Salafisten nach Syrien ausgereist sind, um dort zu kämpfen, davon ungefähr 130 Personen aus Nordrhein-Westfalen.

Was auch noch wichtig für die Diskussion ist: Mittlerweile reisen diese gewaltbereiten Salafisten ja nicht nur nach Syrien aus, sondern auch weiter in den Irak. Was das heißt und welche Anziehungskraft dieser Irakkonflikt wiederum auf die salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland und in Europa hat, können wir, meine ich, zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wirklich beurteilen und noch gar nicht wirklich absehen. Deshalb ist diese Auseinandersetzung darüber hier auch so wichtig.

Viele Rückkehrer sind geschult im Umgang mit Waffen, haben Kriegshandlungen miterlebt, sind traumatisiert und verroht. Wichtig ist: Das sind ja nicht nur die Kampfhandlungen, sondern das ist verbunden mit einer Ideologie, die von Menschenverach

tung geprägt ist, die antidemokratisch ist und deshalb auch eine Gefahr für unsere Sicherheit in Europa und in Deutschland darstellt.

Aber schon heute gibt es ja auch die Versuche und Möglichkeiten, Ausreisen zu verhindern, zum Beispiel durch den Entzug des Reisepasses. Die IMK hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet zur Erarbeitung von weiteren Maßnahmen unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen. Soviel auch dazu, wir würden hier in NRW das Problem nicht sehen. Das stimmt einfach nicht. Auch bundesweit sind wir hier, meine ich, führend, was die Maßnahmen sowohl in der Repression als auch in der Prävention angeht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir über den Entzug von Reisepässen reden, finde ich, muss man hier aber auch klar sagen: Es gibt hier hohe Hürden. Es gibt zu Recht hohe Hürden, weil das natürlich Grundrechte einschränkt, weil es verhindert, dass Menschen ausreisen können. Insofern sind diese hohen Hürden richtig.