Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

Gestatten Sie mir eine Abschlussbemerkung: Solange wir gegenüber Jungen nicht deutlich machen, dass hierzulande Familienverantwortung auch im Haushalt zu wenig von Männern übernommen wird, ist Jungenförderung noch nicht komplett. – In diesem Sinne: Schöne Weihnachten!

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Paul.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kopp-Herr hat die vorweihnachtliche Harmonie bereits angesprochen. Ich finde es auch sehr schön, dass wir uns mit allen fünf Fraktionen auf diesen Antrag verständigen konnten. Es wäre natürlich bei einem so wichtigen Thema auch schön, wenn wir das nächste Mal die Beteiligung erhöhen könnten;

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

denn immerhin sprechen wir über ein Feld, das im Grunde genommen zu den entscheidenden innerhalb der Gesellschaft gehört. Kaum etwas anderes hat eine solch hohe Ordnungsfunktion innerhalb der Gesellschaft wie Geschlechterzugehörigkeit. Dementsprechend ist Geschlechtersensibilität eine entscheidende Schlüsselkompetenz bei der Begleitung von Jugendlichen im Übergang von Schule und Beruf.

Es geht nicht nur darum, Nachteile abzubauen, es geht auch darum, Möglichkeiten zu eröffnen und Potenziale zu heben. Bislang müssen wir leider feststellen, dass das Berufswahlverhalten von Mädchen und Jungen nach wie vor von Stereotypen geprägt ist.

Mädchen suchen immer noch aus einem relativ kleinen Spektrum aus, zum Beispiel Verkäuferin, Kauffrau im Einzelhandel, Bürokauffrau, medizinische Fachangestellte, zahnmedizinische Fachangestellte.

Gleiches gilt für Jungs, bei denen in der Hitliste KfzMechatroniker weiterhin ganz vorne liegt vor Indust

riemechaniker, Kaufmann im Einzelhandel, Elektroniker oder Anlagenmechaniker.

Das bedeutet, mehr als die Hälfte der jungen Frauen tritt eine Ausbildung in einem Spektrum von nur zehn Berufen an. Das ist aus meiner Sicht zu wenig. Die Jungs sind da ein bisschen breiter aufgestellt. „Nur“ ein Drittel ergreift einen Beruf aus den Top Ten.

Nichtsdestotrotz gibt es so viele Berufe, aus denen man auswählen kann. Ich glaube, wir alle miteinander hoffen, dass wir es über die Maßnahmen wie beispielsweise den Boys‘Day, aber auch den Girls‘Day erreichen können, dass Mädchen und Jungs ihr Berufswahlspektrum erweitern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rollenzuschreibungen und Rollenerwartungen bestimmen auch weiterhin das Berufswahlverhalten von Jungen und Mädchen. Klassischerweise gehen Jungen – ich habe es gerade erwähnt – in den gewerblichtechnischen Bereich, während Mädchen in den Dienstleistungsbereich gehen.

Herr Kern, ich stimme Ihnen völlig zu, dass gerade die pflegerischen und die sozialen Berufe aufgewertet werden müssen, aber – das möchte ich nur noch einmal unterstreichen; das ist gar kein Gegensatz oder Widerspruch zu Ihnen – nicht nur, um diese Berufsfelder auch attraktiver für Männer zu machen, sondern auch einfach deshalb, weil es diese Berufsfelder verdienen und weil es auch die Frauen, die in diesen Berufsfeldern arbeiten, verdienen, anständig bezahlt zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Denn für Mädchen bedeutet es, in diesen sogenannten Frauenberufsfeldern unterwegs zu sein, oftmals eine schlechte Bezahlung und mangelnde Aufstiegschancen, aber eben auch Jungen sollen hier neue Chancen und Möglichkeiten für sich entdecken. Deshalb gibt es neben dem Girls‘Day seit vier Jahren auch den Boys‘Day.

Und der Jungen-Zukunftstag wird sich genau mit diesen Berufsfeldern 2015 auseinandersetzen,

nämlich mit „Zukunftsberuf Erzieher“, „Zukunftsberuf Pfleger“. Ich denke, das ist ein wichtiger Impuls, um dort den Jungen die Zugänge zu erklären und ihnen Vorbilder zu zeigen. Auf der Homepage vom Jungen-Zukunftstag gibt es sehr schöne Clicks mit Vorbildern, was Erzieher und Pfleger angeht.

Allerdings – das trifft für den Boys‘Day genauso zu wie für den Girls‘Day – darf das keine Eintagsfliege sein. Es geht nicht darum, einmal kurz irgendwo reinzuschnuppern, ein bisschen was anderes zu machen als normal in der Schule zu sitzen, sondern das muss in ein ganzheitliches Konzept zur geschlechtersensiblen Berufswahlorientierung eingebettet sein.

Unser gemeinsamer Antrag gibt dafür einige Ansätze vor. Es geht darum, in den Praxisphasen in der

Berufswahlorientierung in sozialen und pflegerischen Berufen vermehrt um Jungen und junge Männer zu werben und diese Berufsfelder für sie attraktiver darzustellen. Es geht darum, dass der Boy’sDay ein guter Aufhänger ist, aber in den Unterricht eingebettet sein muss. Es muss auch darum gehen, im Unterricht Geschlechterstereotypen zu thematisieren und sie darüber auch ein Stück weit zu dekonstruieren.

Mit dem Projekt Genderkompetent.NRW unterstützt die Landesregierung ein Trägerkonsortium aus unterschiedlichen Organisationen wie FUMA Fachstelle Gender NRW, Handwerkerinnenhaus Köln e. V., FrauenForum e.V. und das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. mit dem Ziel, das nicht nur in der Schule zu thematisieren, sondern, was sehr richtig und wichtig ist, auch die Gendersensibilität und die Genderkompetenzen bei Beraterinnen und Beratern in den Arbeitsagenturen zu erhöhen, bei den Kammern und anderen im Prozess Beteiligten.

Wir sind uns doch wohl alle einig – das haben wir auch mit diesem Antrag zum Ausdruck gebracht –, dass geschlechtersensible Berufswahlorientierung und Begleitung von jungen Menschen Kompetenz und Qualität braucht. Ich freue mich sehr, dass wir so kurz vor Weihnachten in diesem Bereich eine so große Harmonie haben herstellen können, nachdem wir uns noch bei der letzten Sitzung über die Frage von Männern und Frauen ein bisschen gestritten haben. Heute ist uns das aber, glaube ich, sehr gut gelungen. – Vielen Dank und frohe Feiertage!

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Paul. – Die FDP-Fraktion wird nun vertreten von Frau Kollegin Freimuth.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen Plenarwoche hatten wir Gelegenheit, uns schon einmal zu einem ähnlichen Thema auszutauschen. Da konnten wir hören, dass in der Jungen- und Männerpolitik „alles in Butter“ sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass mit Blick auf die gesetzliche Gleichstellung doch schon alles ausgefüllt sei, insbesondere im Schulwesen.

Aber „alles in Butter“ ist es definitiv nicht. Das sehen nicht nur die Liberalen so, sondern auch andere Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause und viele Praktiker.

Mit unserer Initiative wollten wir einen Anstoß in die Richtung geben, dass Gleichstellungspolitik nicht dadurch erschöpfend behandelt wird, dass Quotenregelungen festgeschrieben werden, von denen

bundesweit zum Beispiel 170 Frauen in Aufsichtsratspositionen profitieren.

Wir glauben, dass eine Gleichstellungspolitik ganzheitlich und innovativ ausgestaltet sein muss. In der vorweihnachtlichen Zeit sind wir sehr optimistisch, dass wir gemeinsam auf diesem Gebiet sehr viel erreichen können, weil uns in der Zielbeschreibung vieles eint. Das ist zum Beispiel mit dem vorliegenden Antrag gelungen, der auch auf eine Initiative meiner Kollegin Susanne Schneider und der FDPFraktion zurückgegangen ist, wo wir eben um eine adäquate Aufwertung des Boy’sDay im Vergleich zum sehr erfolgreichen Girls‘Day geworben haben.

Mit diesem Antrag insgesamt können wir einen Impuls in der Geschlechterdiskussion und beim Aufbruch der klassischen Rollenbilder setzen. Jungen und junge Männer sollen sich genau wie Mädchen und junge Frauen für Berufsfelder interessieren, die ihren Fähigkeiten und ihren Neigungen entsprechen. Sie sollen aus dem engen Rollenkorsett befreit werden und eine echte und umfassende Wahlmöglichkeit für ihren Traumberuf, ihren Neigungsberuf erhalten.

Für das Durchbrechen dieser verkrusteten Vorstellungen über das Berufswahlverhalten brauchen wir einen langen Atem und Durchhaltevermögen. Ich habe im Jahr 1985 eine Ausbildung als Werkzeugmacherin begonnen, die ich 1988 abgeschlossen habe. Deshalb kann ich durchaus einiges aus eigenem Erleben dazu beitragen, was bis heute für uns noch mit Blick auf das verkrustete Berufswahlverhalten eine Herausforderung darstellt.

Getreu dem Motto „gemeinsam sind wir stark“ setzen wir hier und heute im Landtag von NordrheinWestfalen das richtige Signal, dass wir auch Jungen und junge Männer unter anderem für erzieherische, pflegerische und soziale Berufe begeistern und interessieren wollen und ihnen auch den Eindruck vermitteln, dass sie in der Tat diesen Interessen auch nachgehen können, dass das in Ordnung ist, um tatsächlich diese Verkrustungen einmal zu durchbrechen.

Diese Impulse werden nach wie vor dringend gebraucht, denn es ist unbedingt erforderlich, dass die Berufe aus dem Bereich Soziales, Erziehung und Pflege anerkannt und auch aufgewertet werden, auch bei den Männern.

Wenn wir es künftig schaffen, mehr männliche Erzieher in den Kindertageseinrichtungen antreffen zu können, hätten wir die Weichen gestellt, dass wir für ein verändertes gesellschaftliches Miteinander wichtige Schritte gehen können. Wir wissen doch, dass nach wie vor viele Kinder von alleinerziehenden Müttern vielfach erst in der weiterführenden Schule Kontakt zu männlichen Personen bekommen, die eine Vorbildfunktion haben und prägend für eine Berufsneigung sein können. Das ist aus unserer

Sicht – ich glaube, aus unser aller Sicht – definitiv zu spät.

Meine Damen und Herren, unser gemeinsamer Antrag wird Bewegung auf dem Weg zu einer chancengerechten Gleichstellungspolitik bringen. Davon bin ich überzeugt.

Ich möchte mich stellvertretend für meine leider erkrankte Kollegin Susanne Schneider an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Fraktionen und den Mitarbeitern für eine sehr konstruktive Zusammenarbeit bei der Erarbeitung dieses gemeinsamen Antrages und dieses gemeinsamen Impulses bedanken. Ich bin davon überzeugt, dass sich das Ergebnis sehen lassen kann, und wünsche Ihnen allen frohe Weihnachtstage und für das nächste Jahr uns allen gemeinsam viel erfolgreiches Gestalten. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Frau Freimuth. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Olejak.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Mädchen und in diesem Falle liebe Jungs! Schönen Gruß an die Tribüne; ich bin sehr erfreut, hier eine hauptsächlich maskuline Schulklasse zu sehen. – Es wurde bereits von allen alles gesagt, definitiv alles gelobt. Großartig!

Im Bereich der Pflege ist es definitiv sehr problematisch, die alten Klischees, die alten Muster, die wir alle in den Köpfen haben, zu durchbrechen. Wir hatten gerade hier die Werkzeugmacherin aus den 80ern. Ich selber habe in den 90ern meinen Zivildienst im Bereich der Pflege, in der Kinderbetreuung, absolviert. Meine Frau ist eine Goldschmiedin, also im Handwerk. Die Durchbrechung der Muster tut der Gesellschaft insgesamt sehr gut. Ich kann allen nur empfehlen, nachzuschauen.

Wir haben keinen Zivildienst mehr. Wir haben das Freiwillige Soziale Jahr. Auch da kann ich allen nur empfehlen, in diese Bereiche hineinzugehen. Überlegt, wie ihr euch zukünftig entscheiden möchtet, wie ihr eure Familie ausgestalten möchtet, wie offen ihr das machen wollt. Der Boys‘Day und der Girls‘Day sind weitere Werkzeuge. Es sind Möglichkeiten, wie wir für die Jugendlichen die Zukunft besser gestalten können.

Wir werden den bisher halben Antrag der FDP im kommenden Jahr vielleicht noch weiter vernünftig befüllen können. Von daher bleibt mir nur zu sagen: Ich wünsche allen faule Tage, egal welcher Gesinnung Sie folgen, und verabschiede mich hiermit vom Plenum. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Olejak. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Kutschaty in Vertretung für Herrn Minister Schneider.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die Landesregierung begrüßt es ausdrücklich, dass in diesem Hause zu diesem wichtigen Thema ein partei- und fraktionsübergreifender Konsens herrscht. Es ist ein wichtiges Thema, auch aus Sicht der Landesregierung.

Es ist ganz entscheidend, dass jedes Mädchen, jede junge Frau und jeder Junge, jeder junge Mann die Chance hat, sich begründet für den einen oder anderen Berufsweg zu entscheiden. Dazu gibt es eine ganze Menge Hilfestellungen, die man diesen jungen Menschen mit an die Hand geben kann, beispielsweise die Berücksichtigung und das Werben für Praxisphasen in den Bereichen Erziehung, Pflege und Soziales. Aber auch im Unterricht und bei der Berufsberatung muss und sollte das Berufswahlverhalten der Jugendlichen thematisiert werden. Die Lehrkräfte in unserem Lande können entsprechende Fortbildungsangebote im Rahmen des Projektes „GenderKompetent.NRW“ wahrnehmen und die dort erworbenen Kenntnisse sinnvoll nutzen.

Selbstverständlich gehören auch solche Praxistage wie Girls‘Day oder Boys‘Day dazu, einen Einblick in Berufe zu gewinnen, an die man vielleicht vorher noch nicht gedacht hat. Sie wissen, dass ich nicht der zuständige Fachminister in diesem Bereich bin, aber meine Fachkompetenz liegt in meiner Familie. Lassen Sie mich kurz von der Aktion Boys‘Day in meiner Familie berichten.

Wir haben drei Kinder, davon zwei Jungs. Vor zwei bzw. drei Jahren stand damals der Boys‘Day auf der Tagesordnung. Dieser Boys‘Day sorgte zunächst unter den Jungs in der Klasse für große Aufregung und Irritationen: Was mache ich denn da? Wo gehe ich da hin? Aber ich kann Ihnen berichten: Alle Jungs – das war in der Klasse übergreifend – haben aus dem Boys‘Day – meine Kinder waren in einer Kindertagesstätte bzw. in einer Senioreneinrichtung – sehr positive Erfahrungen mitgenommen und gesagt: An diese Berufsfelder habe ich vorher noch nicht gedacht. Es könnte durchaus etwas sein, dem weiter nachzugehen.