Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Es ist ein, wie die „taz“ geschrieben hat, Sammelsurium von Projekten. Man könnte meinen, so schreibt die „taz“, Sie hätten erst vor Weihnachten von der Existenz des Internets erfahren.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das war Frau Merkel!)

Frau Ministerpräsidentin, hat Sie das eigentlich gewundert, wie die Presse auf Ihre Pressekonferenz reagiert hat? Die Menschen, die da vor Ihnen saßen, erleben seit zehn bis 15 Jahren existenziell für ihren Berufsstand, was das bedeutet: technologischer Wandel, Digitalisierung. Die Leute aus der Content Wirtschaft sind die Ersten, die das fühlen: Filme, Musik, Bücher, Presse – sie alle kämpfen seit langer Zeit mit diesen Themen, und wenn Sie denen sagen: „Ich habe mich mal die letzten Wochen mit Digitalisierung beschäftigt, und das ist spannend“ –

(Lachen von der CDU)

also, da haben Sie gerade die falsche Gruppe angesprochen. Denn die muss sich genau mit diesem Thema auseinandersetzen, und zwar in einer Geschwindigkeit, wie das die anderen Berufsgruppen erst in einigen Jahren zu leisten haben.

(Beifall von der CDU)

Deshalb: Wir haben ja gar keinen Dissens in der Einschätzung, dass das ein ausgesprochen wichtiges Thema ist. Wenn man twittert, sieht man, was da an neuen Informationen quasi stündlich kommt.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die „New York Times“ hat in dieser Nacht einen Artikel getweetet über die Frage, was „Uber“ eigentlich als Modell bedeutet. 160.000 Fahrer nutzen das Taxi-Modell. So etwas kann blitzschnell gehen: 40.000 Neuanmeldungen allein im Dezember; ungefähr ein Viertel der Aktivitäten in den USA hat im Dezember stattgefunden.

Das wird uns auch erwischen, und das bekommen wir nicht mit irgendwelchen Regulierungen in den Griff. Dieses Phänomen wird die Welt in vielen Bereichen verändern. Dies wahrzunehmen, sollte kein Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition sein. Die Frage ist nur: Wie bringt man das in die politischen Prozesse, in denen wir um die Wirtschaftskraft unseres Landes kämpfen?

Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg hat auch eine Regierungserklärung gehalten, und zwar zum Thema: „Heimat, Hightech,

Highspeed“. Dieser Dreiklang kommt einem irgendwie bekannt vor, nachdem man Sie gerade gehört hat. Ich würde in Ihrer neuen Sprache sagen: Das kommt einem mega bekannt vor.

(Lachen und Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Aber der Unterschied ist – ich empfehle jedem, zum Kontrast gleich ins Büro zu gehen und das nachzulesen –: Da wird eine Vision für das Land mit einer Strategie verbunden, was man daraus macht. Das ist nicht nur die Addition dessen, was alles stattfindet, worauf eine Landesregierung teilweise gar keinen Einfluss hat – wie Menschen privat mit Smartphones umgehen –, sondern auch die Antwort auf die Frage: Was heißt das für die Landespolitik? – Das hätten wir heute auch von Ihnen erwartet.

(Beifall von der CDU)

Dass Sie das Thema jetzt plötzlich neu entdeckt haben, zeigt sich daran, dass das in den Ministerien noch nicht angekommen ist. Die Wissenschaftsministerin hat am 23. Dezember, also noch vor Weihnachten, die „Planungsgrundsätze für den Landeshochschulentwicklungsplan“ vorgelegt. Darin kommt das Wort „Digitalisierung“ überhaupt nicht vor. Sie geben den Hochschulen etwas vor, denen Sie gerade die Freiheit genommen haben. Alles das, was Sie eben gewürdigt haben, haben die Hochschulen

unter Hochschulfreiheitsbedingungen entwickelt,

wenn Sie die RWTH, Paderborn und andere loben.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Wir in der Mitte des Plenarsaals haben uns ja gefreut, dass fünfmal die RWTH Aachen erwähnt wurde. Ja, die haben das unter diesen Bedingungen entwickelt. Jetzt kommen am 23. Dezember 2014 plötzlich Planungsgrundsätze. Jetzt sitzen da wiederum Beamte, die glauben zu wissen, was gut für die Hochschulen ist, und die reden nicht mal über Digitalisierung. In der Broschüre „Wissen schafft Chancen: Dynamische Entwicklung von Wissenschaft und Forschung seit 2010“ des Ministeriums findet sich kein einziger Spiegelstrich über Digitalisierung.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Also: Lassen Sie die Hochschulen lieber da weiterarbeiten, damit sie so erfolgreich sind, wie Sie es beschrieben haben. Lassen Sie als Staat die Finger weg von diesen Themen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Bei allem, was Sie hier vorgetragen haben, drängt sich auf: Das ist nicht in der Planungsabteilung, sondern in der Kommunikationsabteilung entstanden. Sie denken jetzt: Wir können von den Defiziten, die wir in der Landespolitik haben, ablenken, indem wir über irgendetwas reden, was modern und schick klingt.

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen brauchen diese Erklärungen nicht. Die Wirtschaft braucht erst recht keine Erklärungen, wie sie mit der Digitalisierung umgeht. Das ist kein politischer Prozess, den die Politik angestoßen hat, sondern es ist ein Prozess, der seit vielen Jahren stattfindet. Wir müssen uns die Frage stellen – an ein paar Punkten flammte das auf –: Was muss die Politik tun, um die Bedingungen unseres Wohlstands, unserer Arbeitsplätze in der Zeit neuer Geschäftsmodelle zu sichern? Das betrifft die Infrastruktur, die innere Sicherheit, die Energie, Forschung, Bildung und Medien.

(Marc Herter [SPD]: Genau!)

Deshalb, Frau Ministerpräsidentin, eignet sich das nicht zum Ablenken. Die Digitalisierung wird den Druck erhöhen, mit dem, was Landespolitik macht, auf der Höhe der Zeit zu sein. Genau darum geht es.

(Norbert Römer [SPD]: Da bin ich mal ge- spannt, wie das bei Ihnen wirkt!)

Sie sollten noch einmal nachlesen, wie rund um die Pressekonferenz – „MegaBits. MegaHerz. MegaStark.“, „smart“, „Quartier“, „place to be“ und was Sie alles gesagt haben –, wie darüber in den Netzen diskutiert wird; Sie twittern ja auch so alle sechs Wochen mal.

(Heiterkeit von der CDU und den PIRATEN)

Ich würde da einfach mal nachlesen. Das ist eine größere Schulung als alles, was wir sonst so lesen oder an Briefen bekommen, wie Menschen über bestimmte Prozesse diskutieren. Hierüber hat man sich im Wesentlichen lustig gemacht. Es hat den Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen sicher nicht gestärkt, wenn man mit solchen Sprüchen versucht, Punkte in der digitalisierten Wirtschaft zu machen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wichtig für die „Industrie 4.0“ sind ein Investitionsklima, Wettbewerbsbedingungen und eine gute Infrastruktur. Wir haben hier schon viele Debatten über den Wettbewerb der deutschen Länder geführt, wer da wie stark ist, was wir mehr machen könnten.

Sie sprechen neuerdings immer darüber, dass die Direktinvestitionen in Nordrhein-Westfalen so hoch und wir auf Platz eins seien. – Ja, das stimmt. Wir sind auf Platz eins. Aber wir haben erneut einen Rückgang von 1,4 %. Wir sind bei den Pro-KopfInvestitionen schon hinter Hessen. Bayern lag bei den Direktinvestitionen vor zehn Jahren 35 % hinter uns und steht jetzt knapp davor, uns zu überholen. Das ist die Entwicklung, die man wahrnehmen muss. Es hilft nicht weiter, Statistiken zu lesen und zu sagen: „Das alles ist toll“, sondern man muss an den Defiziten arbeiten, um als Land besser zu werden.

(Beifall von der CDU)

Prognos, das Sie ja gerne zitieren und freundlich begleiten, hat in seiner Studie gesagt: Bayern, Hessen und Baden-Württemberg haben deutlich höhere Wachstumsraten als Nordrhein-Westfalen. Deshalb ist die Frage – auch die Länder haben Schuldenbremsen und demografischen Wandel; sie haben vieles, was wir auch haben –: Was müssen wir anders machen, um hier nicht weiter zurückzufallen, um die Gründerquote, die in Nordrhein-Westfalen unter dem Bundesdurchschnitt liegt, die im Ruhrgebiet noch mal unter dem Landesdurchschnitt liegt, wieder voranzubringen? Welche Entscheidungen brauchen wir da?

Deshalb: Wir brauchen unsere Industrie und unseren Mittelstand nicht für die Digitalisierung zu sensibilisieren. Wir müssen sie mobilisieren. Wir wissen, dass die meisten Industriearbeitsplätze heute in Südwestfalen, in Ostwestfalen und im Münsterland sind. Da ist aber das langsamere Internet. Mit Ihrer Statistik, wenn Sie sagen: „Wir liegen vor Bayern“, wäre ich vorsichtig. Das liegt daran, dass wir viele Städte haben und die Versorger – nicht die Landesregierung – in den Städten viel Geld investiert haben, sodass dort das schnelle Internet weiter ist. In Bayern gibt es mehr ländliche Regionen. Da hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt: Hier wollen wir aufholen. – Sie machen das mit 60 Millionen. Die machen das mit 2 Milliarden. Das ist der Unterschied: Die machen das mit 2 Milliarden!

(Beifall von der CDU – Heiterkeit von Marc Herter [SPD] – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – Hans-Willi Körfges [SPD]: Sprechblase!)

Sie haben dann geschildert, dass es in Wettringen einen besonders intelligenten Bürgermeister gibt. – Stimmt; das ist ja auch ein Christdemokrat.

(Beifall von der CDU)

Der hat vor Ort alle zusammengerufen und Glasfaser dorthin gebracht. Finde ich gut. Bräuchten wir mehr. Aber die Kommunen brauchen dabei Unterstützung. In Bayern bekommt jede Kommune, die das macht, mindestens 500.000 € zusätzlich vom Land, wenn sie solche Initiativen macht. Die werden in den ländlichen Regionen wieder aufholen, die werden die Industriearbeitsplätze in den ländlichen Regionen jetzt für die Zukunft sichern. Wenn wir mithalten wollen, müssen wir hier mehr machen als das, was Sie heute vorgetragen haben. Da müssen Sie einen Schwerpunkt setzen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Natürlich sagen wir Ihnen: Sie machen zu viele Schulden. Sie haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit ja mal gesagt: Schulden sind etwas Gutes, es ist präventive Politik.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

„Ich sage selbstbewusst: Ich mache Schulden.“ An diesem Pult. Können wir gleich heraussuchen. Faktencheck. „Ich mache Schulden. Das ist gut, das ist präventive Politik.“ – Nein, jetzt spüren wir, es ist eben nicht klug. Hätten wir mehr Handlungsspielräume, hätten wir mehr Wirtschaftskraft, hätten wir 3,2 Milliarden € mehr Steuereinnahmen, hätten wir Spielräume im Haushalt, dann könnten wir in die Zukunft investieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist die Schuldenlast der Vergangenheit, die das verhindert. Das sind die Lasten, die wir aus vielen Jahrzehnten haben. Johannes Rau hat auch schon solche Sprüche gemacht: Schulden von heute ist Steuerkraft von morgen. – Nein, die Schulden der damaligen Zeit behindern uns heute, da zu investieren, wo Zukunft ist. Das ist die Botschaft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt haben wir gehört, dass Sie neue runde Tische gründen. Wenn ich richtig mitzähle, haben wir zum Thema „Breitband“ inzwischen drei runde Tische: irgendwo, irgendwie, irgendwann.

(Heiterkeit von der CDU)

Der bisherige „Runde Tisch Breitband“ ist ergebnislos, und wir bringen, ebenso wie die Piraten, Woche für Woche Anträge in diesen Landtag ein, wie bei Breitband mehr geschehen kann, mit sehr konkre