Protokoll der Sitzung vom 30.01.2015

Uns allen ist klar, dass es mit der Videoüberwachung allein nicht getan ist. Das haben die Vorredner an mehreren Stellen schon unterstrichen. Uns allen ist klar, dass wir das Problem an der Wurzel packen müssen. Das ist so einleuchtend, dass Ihr Antrag an dieser Stelle sicherheitspolitisch grenzenlos naiv erscheint.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, Sie weisen in Ihrem Antrag für diese Aktuelle Stunde auf eine Untersuchung des King’s College in London hin. Ich verstehe Ihren Antrag so, dass Sie sagen: Wir dürfen Rückkehrer nicht überwachen, weil die Überwachung selbst diese Rückkehrer eigentlich radikalisiert.

(Zuruf von den PIRATEN: Das ist eine Aktu- elle Stunde!)

Das steht schwarz auf weiß in Ihrem Antrag so.

(Zuruf von den PIRATEN: Falsch verstan- den! – Weiterer Widerspruch von den PIRATEN)

Das habe ich nicht falsch verstanden, das steht da schwarz auf weiß.

(Zuruf von den PIRATEN: Das steht da nicht!)

Sie sagen – ich zitiere –: Erst nach ihrer Rückkehr werden sie radikalisiert, vor allem, wenn sie perspektivlos seien oder sich ausgegrenzt fühlten und „ständig von Sicherheitsbehörden überwacht und verfolgt werden“.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Die Gefahr be- steht!)

Das ist das Gleiche, was ich gerade wiedergegeben habe. Das ist so ähnlich, als würden Sie fordern,

dass wir alle Blitzer im Land abmontieren sollten, weil Raser, sobald sie einen Blitzer sehen, sich dazu verleitet fühlen, noch mehr aufs Gaspedal zu treten. Dieses Beispiel ist genauso absurd.

(Zuruf von Daniel Düngel [PIRATEN])

Das Argument der Perspektivlosigkeit oder der Ausgrenzung ist nicht immer zutreffend, sondern kann eine Erklärung sein. Das sagt auch der Gründungsdirektor des Instituts, Peter Neumann, auf dessen Untersuchung Sie sich beziehen. Darüber sind sich Extremismusexperten insgesamt einig. Die meisten Forscher gehen nämlich mittlerweile davon aus, dass es unmöglich und auch unsinnig ist, nach einem einzigen Radikalisierungsmodell zu suchen.

Aber lassen Sie mich das ein oder andere zum International Centre for the Study of Radicalisation am King’s College in London sagen. Die dort betriebene Forschung wird von privaten Spendern finanziert, von Stiftungen, von der EU und von der kanadischen Regierung. Denn diese Geldgeber, so heißt es, bekämen angeblich keinen besseren Zugriff auf die Daten und Ergebnisse. Das Wissen dieses Instituts ist diesen Geldgebern deshalb viel wert, weil sie sagen: Wenn ein Land vorhersehen kann, wer ein Terrorist wird, können Anschläge verhindert werden.

Das Londoner Institut geht bei seiner Arbeit wie folgt vor: Es überwacht die Aktivitäten der Islamisten in sozialen Netzwerken mit einer Software namens Torch. Vertrieben wird diese Software von einer amerikanischen Firma, zu deren Mitgründern die CIA gehört. Diese Software verknüpft Daten und Profile in gigantische Muster, die wie das Organigramm eines Konzerns aussehen. Wer hat mit wem Kontakt? Wer redet mit wem worüber? So wird sichtbar, wenn sich jemand plötzlich immer öfter mit bekannten Islamisten austauscht. Daraus ziehen die Mitarbeiter des Instituts ihre Schlüsse.

Kurz: Sie beziehen sich bei Ihrer Forderung, die Überwachung einzuschränken, auf eine Studie eines Instituts, die selbst überwacht und dafür Geld von Regierungen bekommt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist eine wissenschaftliche Studie!)

Das ist das eigentlich Absurde an Ihrem Antrag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich finde, dass mit diesem Antrag Ihre linkspolitische Seele hier wieder in ganz besonderer Art und Weise in Erscheinung tritt. Gerade in Bezug auf Radikalisierung ist das besonders fatal. Herr Herrmann, Sie haben uns gerade in Ihrer Rede das eine oder andere vorgeworfen, was alles zu Radikalisierung führen würde.

Dazu möchte ich gern den Leiter des Referats für Internationale Politikanalyse der Friedrich-EbertStiftung, Dr. Ernst Hillebrand, zitieren:

„Denn die bittere Wahrheit ist, dass die europäische Linke viel zu lange die islamistische Gefahr banalisiert hat. Gefangen in einem werterelativierenden Multikulturalismus hat sie passiv zugesehen, wie an den Rändern der Zuwanderungsgesellschaften Westeuropas ein Klima des antiwestlichen Hasses heranwuchs.“

Das sollten Sie sich sehr zu Herzen nehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von Frank Herrmann [PIRATEN])

Meine Fraktion ist der Ansicht – das hat der Kollege Hegemann gerade schon gesagt –, dass das Sofortprogramm der Landesregierung eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann. Dennoch muss sich der Innenminister die Frage gefallen lassen, ob die Maßnahmen, die er vorhin aufgezählt hat, wirklich in ihrer Breite so effektiv sind und ob man sie nicht auch in Nordrhein-Westfalen, sozusagen der Brutstätte des Salafismus – das sind wir ja mittlerweile geworden –,

(Britta Altenkamp [SPD]: Oh!)

weiter und flächendeckender ausbauen muss.

Ich weiß, Sie sind dabei. Das haben Sie gerade erwähnt. Aber ich glaube, was die Arbeit der Landesregierung in diesem Fall betrifft, gibt es noch viel Luft nach oben.

Doch beim Stichwort „Präventionsarbeit“ stehen Sie nicht allein in der Verantwortung, Herr Minister Jäger. Am Wochenende konnten wir in der „FAZ“ nachlesen, dass wenige Tage nach dem Pariser Anschlag der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch an alle Schulleiter seines Landes einen fünfseitigen Brief verschickte. Stoch erinnerte in diesem die Lehrer noch einmal daran, dass auch aus dem Südwesten etwa 30 Schüler in den Dschihad gezogen sind, und er bat die Lehrerschaft, die Schüler über Möglichkeiten der Prävention einer religiösen Radikalisierung und gegebenenfalls der Intervention zu informieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Seit dem Schuljahr 2012/2013 gibt es im grün-roten Baden-Württemberg ein Präventionskonzept, wo auch der Islamismus eine Rolle spielt. Die Zusammenarbeit von Schulen und Polizei soll in BadenWürttemberg intensiviert werden. Polizeiliche Präventionserziehung soll deshalb auch in den neuen Bildungsplan. Hinzu kommt die Präventionsarbeit in der Lehrerfortbildung. Im Südwesten bietet eine Landesakademie Kurse zum Thema „Salafismus“ an. Das alles konnte man diesem Artikel entnehmen.

Doch jetzt wird es richtig spannend. Zitat aus dem Artikel:

„Anders als ihr baden-württembergischer Amtskollege hat sich Löhrmann nach den Anschlägen nicht mit einem Brief an die Schulleiter des Lan

des gewandt. Ihre Sprecherin verweist darauf, dass den Lehrern auf dem Bildungsportal, einem Angebot auf der Internetseite des Ministeriums, umfangreiche Materialien zu den Themen Integration und Radikalisierungsprävention zur Verfügung stehen.“

Ich glaube, die Ministerpräsidentin hat gestern bei ihrer Auflistung zum Thema „Digitalisierung“ dieses Programm vergessen zu erwähnen. Daran sollten Sie sie, Frau Ministerin Löhrmann, doch noch einmal erinnern.

(Beifall von der CDU)

Gemäß der neuen Sprache der Landesregierung wünschte ich, ich könnte hier jetzt „megacool“ sagen, aber eigentlich ist es nur megapeinlich.

(Beifall von der CDU)

Auch mir ist klar, dass der islamische Religionsunterricht an unseren Schulen ein wichtiger Beitrag ist und zur Anerkennung beiträgt. Ja, er kann eine präventive Wirkung haben. Aber damit ist die Verantwortung der Schulministerin nicht erledigt.

Nicht zuletzt sind hier auch die Muslime gefragt, allen voran die islamischen Verbände. Hier hat die Piratenfraktion recht, dass sie die Fragen stellt, ob diese ausreichend in die Präventionsarbeit einbezogen worden sind. Ich meine, nein,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir auch!)

auch wenn Herr Stotko gerade in seiner Rede etwas anderes behauptet hat.

Ich stelle ganz klar, dass ich hier niemanden unter Generalverdacht stelle. Aber ich sehe es auch als Aufgabe der Islamverbände, Fundamentalisten, Extremisten den Nährboden zu entziehen.

Frau Kollegin, Ihre Redezeit.

Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.

Lassen Sie uns dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass laut einer aktuellen Studie 90 % der Muslime in unserem Land Freunde der Demokratie sind. Aber die restlichen 10 % sind es, die mir Sorge machen. Und ich möchte nicht, dass meine Religion zum Spielball dieser Terroristen wird.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Lassen Sie uns, gern auch gemeinsam, nach Wegen suchen, wie wir muslimische Gemeinden stärker in die Präventionsarbeit einbinden können, ohne dass diese sich angegriffen fühlen. Meines Erachtens gibt es dazu keinen Grund. Denn schließlich geht es um die Jugendlichen unserer Gesellschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Güler. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.