Protokoll der Sitzung vom 13.09.2012

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/820 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

6 Gesetz zur Sicherung eines qualitativ hoch

wertigen und wohnungsnahen Grundschulangebots in Nordrhein-Westfalen (8. Schul- rechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/815

erste Lesung

Ich eröffne die Beratung und erteile das Wort Frau Ministerin Löhrmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „Bildung heißt, den Kindern helfen, die Welt zu entschlüsseln“, sagt die Pädagogik. „Bildung ist der Weg aus der Familie, um sich in die soziale Welt hineinzufinden“, sagt die Soziologie. „Bildung heißt, eigene Lebensstrukturen organisieren“, sagt die Psychologie.

Bildung ist Selbstständigkeit. Bildung geschieht von Anfang an. Deshalb sind Grundschulen von zentraler Bedeutung für die nachfolgende Schullaufbahn unserer Kinder und für die Leistungsfähigkeit unserer Schullandschaft insgesamt.

Im Rahmen des Schulkonsenses zwischen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben wir verabredet, dem Prinzip „kurze Beine – kurze Wege“ Rechnung zu tragen. Kleine Grundschulstandorte sollen möglichst erhalten bleiben können.

Im Oktober vergangenen Jahres hatte der Landtag die Landesregierung aufgefordert, ein Konzept zu erarbeiten, welches eine qualitativ hochwertige und wohnungsnahe Versorgung im Grundschulbereich sichern soll – Entschließungsantrag vom 20. Oktober 2011, Drucksache 15/3037.

Mit dem nun vorliegenden Entwurf des 8. Schulrechtsänderungsgesetzes werden die notwendigen schulgesetzlichen Grundlagen geschaffen, damit die neuen Regelungen des Grundschulkonzepts zum Schuljahr 2013/2014 in Kraft treten können. Die notwendigen ergänzenden Regelungen zur Klassenbildung werden im Rahmen einer Verordnung zum Schulgesetz geschaffen.

Meine Damen und Herren, das Konzept, das ich dem Landtag im Dezember 2011 zugeleitet habe, hat viel Zustimmung erfahren. Ich hoffe, dass die anstehenden Beratungen im Gesetzgebungsverfahren ähnlich konstruktiv verlaufen und das Gesetz mit breiter parlamentarischer Zustimmung verabschiedet werden kann.

Ich möchte an dieser Stelle nur drei wesentliche Regelungen des Gesetzentwurfs nennen.

Erstens. Mit der Einführung einer kommunalen Klassenrichtzahl schaffen wir mehr Gerechtigkeit

bei der Klassenbildung und bei der Ressourcenverteilung zwischen den Kommunen, und zwar sowohl zwischen den Kommunen im ländlichen Raum als auch zwischen größeren Städten.

Wir ermöglichen unseren Gemeinden Gestaltungsmöglichkeiten mit Blick auf Inklusion und mit Blick auf sozialräumliche Strukturen, die variieren können. Auch das ist ein Beitrag, der aus unserer Sicht sehr wichtig und auch sehr innovativ ist.

Durch die Intensivierung von Teilstandortlösungen erhalten die Kommunen zudem die nötige Flexibilität für den Erhalt von kleinen Standorten.

Insgesamt wird das Konzept dazu führen, dass die Klassengröße über das Land verteilt deutlich gleichmäßiger ist und auch gerechter wird. In dieses Gesamtkonzept investieren wir 1.700 Lehrerstellen, die nicht abgebaut werden, sondern in das Fundament der schulischen Bildung fließen. Und das ist kein Pappenstiel. Das ist Teil unseres ganzheitlich angelegten Politikansatzes.

Zweiter Punkt: Ja, wir ermöglichen mit dem Gesetzentwurf auch Gesamtschulen in begründeten Fällen Teilstandortbildungen. Damit folgen wir Wünschen aus dem kommunalen Bereich und einzelner Verbände.

Drittens. Lehrerinnen und Lehrern soll für einen auf die Jahre 2013 bis 2018 befristeten Zeitraum die Teilnahme an einer besonderen berufsbegleitenden Qualifizierungsmaßnahme in sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden. Die Qualifizierungsmaßnahme soll übergangsweise dazu beitragen, den Bedarf an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen zeitnah zu decken.

Klammer auf: Dieser Bedarf an Sonderpädagogen besteht unabhängig vom Förderort der Kinder. Das hat also eigentlich nichts mit Inklusion zu tun. Das sage ich hier nur am Rande. Wir gehen hier ein Versäumnis der Vergangenheit an. Klammer zu.

Mit dieser Maßnahme schlägt das in Rede stehende 8. Schulrechtsänderungsgesetz bereits einen Bogen zu einem 9. Schulrechtsänderungsgesetz, mit dem wir den Landtagsbeschluss zur Behindertenrechtskonvention umsetzen wollen. – Ich freue mich auf die Beratungen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Hendricks.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Löhrmann hat gerade sehr deutlich aufgeführt, was wir mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz verändern wollen.

Die Grundschulen legen Grundlagen, Frau Löhrmann, nämlich die Grundlagen, die die Kinder in der schulischen Laufbahn begleiten. Gerade die Grundschulen entscheiden häufig darüber, wie erfolgreich am Ende die Schullaufbahn des Schülers oder der Schülerin verläuft.

Wir haben uns im Rahmen des Schulkonsenses darauf geeinigt, dass wir, weil wir in NordrheinWestfalen mit den Ballungsräumen und mit den ländlichen Räumen so unterschiedliche Situationen haben, schauen wollen, dass alle Kinder in Nordrhein-Westfalen gleich viel wert sind. Und wir wollen, dass auch Kinder in ländlichen Gebieten zukünftig eine wohnortnahe Grundschule vorfinden. Das ist gemeinsam mit der CDU vereinbart worden. Es ist Teil des Schulkonsenses. Ich hoffe sehr, dass dieser Teil des Schulkonsenses mit uns auch weiter getragen wird. Aus unserer Sicht ist der Schulkonsens weiter durchzuführen und nicht zu beenden. Wir möchten mit Ihnen die Strecke bis 2023 gemeinsam gehen.

Die neuen Regelungen geben den Schulträgern Möglichkeiten, über einen kommunalen Klassenfrequenzrichtwert dafür zu sorgen, dass möglichst gleiche Klassengrößen gebildet werden. Damit schaffen wir auf der einen Seite pädagogisch vernünftige Angebote, steuern auf der anderen Seite aber auch die vorhandenen Ressourcen so, dass wir mit ihnen zurechtkommen.

Frau Löhrmann hat darauf hingewiesen, dass das Projekt „kurze Beine – kurze Wege“ im Endausbau auch mit der Absenkung des Klassenfrequenzrichtwertes auf 22,5, den wir stufenweise durchführen wollen, das Land etwa 1.700 Stellen kosten wird. Es ist also nicht ganz wenig, was wir in diese Entwicklung hineinstecken.

Das heißt, Schulen, die selbstständig bleiben wollen, müssen 92 Schülerinnen und Schüler haben. Die letzte Grundschule einer Gemeinde kann mit 46 Schülerinnen und Schülern als selbstständige Schule geführt werden. Falls eine Grundschule von weniger als 92 Schülerinnen und Schülern besucht wird, ist sie verpflichtet, jahrgangsübergreifend mit Hauptstandorten zusammenzuarbeiten. Für diese Umsetzung haben wir im Gesetz eine Frist von fünf Jahren eingeräumt, und wir sehen dies auch als notwendige pädagogische Entwicklung, um die Fachlichkeit vor Ort sicherzustellen.

Mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz haben wir noch weitere Änderungen auf den Weg gebracht, die in der Landschaft übrigens sehr begrüßt werden. Das ist beispielsweise die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern, die eine andere Lehramtsbefähigung haben, zum Sonderpädagogen. Das soll eine Lücke schließen, und wir hoffen sehr, dass wir auf diese Art und Weise auch den Bedarfen in den Schulen gerecht werden können. Wir wissen allerdings auch, dass damit die Notwendigkeit, zusätzliche Studienplätze zu schaffen, nicht vom Tisch ist.

Auch die Frage des Erhalts eines Schulangebots der Sekundarstufe I mithilfe eines Teilstandortes einer Gesamtschule – dieser kann an einigen Standorten pragmatisch durchaus sinnvoll sein – wollen wir mit diesem Gesetzentwurf klären. Es gibt innerhalb der Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen sicherlich Einzellösungen, die eine sinnvolle Möglichkeit darstellen, um eine regionale Schulplanung damit zu ergänzen.

Meine Damen und Herren, mit dem neuen Steuerungsmechanismus für die Grundschulen werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in allen Teilen des Landes – im ländlichen Raum ebenso wie in den Ballungsräumen – Grundschulen möglichst wohnortnah bestehen bleiben können. Für uns ist klar: Wir setzen den Schulkonsens um.

Ansonsten werden wir sicherlich noch ausreichend Gelegenheit haben, dieses Schulgesetz auch im Schulausschuss und in den Anhörungen gemeinsam zu beraten. Ich wünsche mir, dass wir am Ende eine Mehrheit für diesen Gesetzentwurf zustande bekommen. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hendricks. – Für die CDUFraktion spricht der Abgeordnete Kaiser.

(Klaus Kaiser [CDU] stolpert auf dem Weg zum Rednerpult. – Ministerin Sylvia Löhr- mann: Nicht so hastig, Herr Kollege! – Minis- ter Michael Groschek: Das müsste schwarz- gelb abgesteckt sein!)

– Natürlich wäre es mir persönlich lieb, wenn es schwarz-gelb gestrichen wäre. Aber das hat eher etwas mit Fußball zu tun.

Wir beraten heute den Gesetzentwurf zum zweiten Teil des Schulkonsenses. Es geht hier um den Erhalt der kleinen Grundschulen. Das Prinzip „kurze Beine – kurze Wege“ soll hier umgesetzt werden, weil es für die Kinder – und nebenbei bemerkt: auch für die Entwicklungsperspektiven im gesamten ländlichen Bereich – gut ist.

Für die CDU gilt auch weiterhin: Wir sind daran interessiert, die Zukunft der kleinen Grundschulen durch das 8. Schulrechtsänderungsgesetz sicherzustellen, und wir sind auch weiterhin zu einem Konsens bereit. Das Ziel der CDU bleibt, dass dieses Prinzip auch künftig in Nordrhein-Westfalen gilt, und dazu sind die Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und zahlreiche organisatorische und inhaltliche Maßnahmen erforderlich.

Ich glaube, dass dabei eines wichtig ist: Die pädagogische Qualität darf nicht gefährdet werden, sondern muss vielmehr auf Dauer gesichert werden.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Das heißt, auch auf Dauer muss es guten Unterricht geben, und zwar unabhängig davon, wie groß die Schule ist.

Weiterhin gilt: Die Kommunen vor Ort, die die Probleme der einzelnen Ortsteile, Dörfer und vielleicht auch Sozialräume am besten kennen, haben den besten Überblick. Deshalb ist es richtig, die Kommunen vor Ort mit stärkeren Handlungsmöglichkeiten auszustatten.

In diesem Zusammenhang gilt: Viele dieser Positionen sind wie vereinbart im Gesetzentwurf umgesetzt. Auch dafür – das gebietet die Fairness, und das räume ich gerne ein – danke ich der Ministerin und dem Ministerium. Denn das, was wir in den Eckpunkten besprochen haben, ist weitgehend umgesetzt worden.

Das gilt für die Mindestzahl von 92 Schülerinnen und Schülern für eine selbstständige Grundschule. Das gibt vielen Grundschulen auf Dauer Sicherheit.

Das gilt für die kommunale Klassenrichtzahl, weil sie zum einen – Frau Löhrmann hat es angesprochen – innerhalb einer Kommune und zum anderen auch landesweit ein Stück weit mehr Gerechtigkeit schaffen kann. Das macht insgesamt Sinn, und daher tragen wir das natürlich mit.

Wir müssen auch feststellen, dass sich die Landesregierung in Bezug auf die Frage der Teilstandorte ein bisschen bewegt hat. Wir hatten in den Eckpunkten eigentlich nicht die Mindestzahl von 46 Schülerinnen und Schülern festgelegt; diese Zahl ist jetzt als Untergrenze genannt worden. Wie bekannt ist, haben wir – Frau Beer kennt die einzelnen Fälle genauso gut wie ich – Ausnahmetatbestände vorgesehen. Beispielsweise dürfen Schulen in begründeten Einzelfällen die Untergrenze von 46 Schülerinnen und Schüler unterschreiten. Ich glaube, hier zeichnet sich eine Lösung ab, die ein Stück weit Flexibilität bietet.

Für uns ist in den anstehenden Beratungen allerdings ein Punkt von besonderer Bedeutung, den wir nach wie vor streitig stellen. Seitens der CDUFraktion haben wir immer betont, dass nicht nur politisch, sondern auch gesetzlich abgesichert werden muss, dass die Dependancen auf Dauer Bestand haben können. Deshalb legen wir in besonderer Weise Wert darauf, dass der Teilstandort immer jahrgangsübergreifend arbeiten kann, während die Stammschule auf Dauer oder eben nur fünf Jahre jahrgangsbezogen arbeiten kann. Denn die Praxis wird sonst so aussehen, dass in einigen Jahren allein aufgrund der Demografie in vielen Teilstandorten nur noch jahrgangsübergreifend gearbeitet werden kann, da dann die Schule jeweils nur aus zwei jahrgangsübergreifenden Klassen bestehen wird. Dieses Modell ist im Übrigen in vielen anderen Ländern Europas sehr erfolgreich.

Der Gesetzentwurf hat hier allerdings einen fundamentalen Pferdefuß, der aus meiner Sicht das poli