Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

Rechtsstaatlichkeit brauchen wir in unserem Land. Darauf sind wir stolz. Das ist übrigens ein wesentlicher Standortvorteil für Unternehmen, die uns immer wieder sagen: Wir haben hier eine verlässliche Rechtsstaatlichkeit. Wenn wir eine Genehmigung für eine Betriebsstätte haben, können wir diese im Rahmen dessen betreiben, was genehmigt ist; das kann uns hier niemand kaputt machen. – Das ist übrigens in anderen Ländern nicht so üblich. Deshalb muss man mit der Begrifflichkeit „Bürokratieabbau“ sehr sorgfältig umgehen und genau überlegen, was man damit eigentlich meint.

Ich glaube, dass wir in Nordrhein-Westfalen im Zusammenspiel zwischen Landesregierung, Landesverwaltung und Kommunalverwaltungen eine geübte Praxis haben. Diese geübte Praxis lautet: Wenn

gute Ideen da sind, wie man Verwaltungsverfahren optimieren kann, wie man sie verkürzen kann, dann sind wir für jede dieser guten Ideen immer offen.

Deshalb haben wir in der Gemeindeordnung umfangreiche Experimentierklauseln etabliert. Wenn eine gute Idee vorhanden ist und eine Kommune glaubt, die Aufgabenerledigung dadurch besser, kürzer, effizienter, effektiver vornehmen zu können, wird dies durch die Gemeindeordnung ausdrücklich gestattet – unabhängig von dem, was Sie vorschlagen, nämlich einen Antrag zu stellen, ein Genehmigungsverfahren durchzuführen etc. Teile Ihres Gesetzentwurfs klingen nicht nach Bürokratieabbau, sondern eher nach Bürokratieaufbau.

Bei der Frage nach dem Standardabbau gilt das Gleiche, was ich hier schon zu der Diskussion um die Begrifflichkeit „Bürokratie“ bemerkt habe: Keiner sagt genau, was eigentlich konkret gemeint ist. Das gilt ebenso für die Standards. Ich habe viele dieser Prozesse im Rahmen meiner kommunalpolitischen Tätigkeit und meiner landespolitischen Tätigkeit in den letzten Jahren miterleben können. Zwar wird immer gesagt: Wir müssen Standards abbauen. – Aber wenn man dann in die Konkretisierungsphase kommt, in der es darum geht, was es eigentlich heißt, einen Standard abzubauen, gibt es nicht nur Interessenwiderstände, sondern auch den gesunden Menschenverstand, der einem sagt: So etwas kann man gar nicht abbauen.

Ich nenne Ihnen Beispiele: Wollen wir zum Beispiel ernsthaft darüber diskutieren, ob wir Standards im Brandschutz abbauen? Das geht von der Verfügbarkeit von Feuerwehren in den Kommunen bis hin zu der kleinen Frage, ob man einen Klemmschutz an den Türen innerhalb einer Kita vorschreiben muss. Daran kann man sehen: Für viele dieser Standards gibt es sehr vernünftige Begründungen. Es dürfen nicht Gesundheit, Leib und Leben gefährdet werden, weil man Standards abbauen will, um Geld zu sparen. Das ist und darf kein Selbstzweck sein.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die weitere Diskussion wird unter anderem im Haushalts- und Finanzausschuss geführt. Was mir ebenfalls wichtig ist – Frau Thönnissen, da muss ich Sie auch korrigieren –, ist die Frage, wie wir eigentlich als Land, als Landesparlament, als Landesregierung mit unseren Kommunen umgehen. Verordnen wir etwas par ordre du mufti – das und das ist zu tun, auch wenn es kostenträchtig ist –, oder beziehen wir insbesondere die kommunale Sichtweise und die Kostenwirkung mit in unsere Entscheidungsprozesse ein?

Ich glaube, dass wir da mit dem Konnexitätsausführungsgesetz in Nordrhein-Westfalen an der Spitze der Bewegung in Deutschland stehen. Da herrscht nicht Fehlanzeige, wie Sie es formuliert haben.

Ganz im Gegenteil: Es gibt ein klares Konsultationsverfahren der kommunalen Spitzenverbände und der Kommunen bei allen Vorhaben des Landes, die in Gesetzform gegossen werden sollen, insbesondere was die Auswirkungen auf die Kostensituation vor Ort in den Kommunen angeht. Darauf sollten wir ein Stück weit stolz sein. Übrigens haben wir diese Konnexität gemeinsam miteinander vereinbart und in der Verfassung verankert. Eine höhere Stelle als die Verfassung, um so etwas zu verankern, kann es gar nicht geben.

Wir gehen mit unseren Kommunen ordentlich um. Für jede gute Idee sind wir aufgeschlossen. Frau Thönnissen, auch ich freue mich auf die Beratung im Fachausschuss. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dahm.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Glückwunsch auch von meiner Seite, Frau Thönnissen, zu Ihrer ersten Rede hier im Hohen Haus! Ich sage ganz ehrlich: Ich hätte Ihnen ein anderes Thema gewünscht, und zwar ein Thema, bei dem man einen Geländegewinn erzielen kann. Ich glaube nicht, dass das beim Thema „Bürokratieabbau“ gelingen kann.

Wenn wir über dieses Thema sprechen, eint uns sicher, dass wir alle Bürokratie abbauen wollen. Aber auf welchem Weg? Welchen Weg schlagen wir ein? Ich habe ernsthafte Zweifel, dass der Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt und ins Parlament eingebracht haben, der richtige Weg ist. An dieser Stelle hätte ich mir gewünscht, dass Sie das mit konkreten Beispielen unterlegen.

Insofern bin ich dem Abgeordneten Sommer sehr dankbar, der hier einige Beispiele aus seiner Heimatstadt und seiner politischen Erfahrung angeführt hat. Ich meine jetzt nicht das, was Sie zum Schluss Ihrer Rede gesagt haben, Herr Sommer. Ansonsten fand ich das, was Sie in Ihrer Rede dargestellt haben, nämlich sehr gut.

Frau Thönnissen, ich hätte mir gewünscht, dass Sie uns Beispiele genannt hätten, wie Sie sich den Abbau von Bürokratie in den Städten und Gemeinden konkret vorstellen.

Sie haben hier die Eingliederungshilfe angesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie da keinen Standardabbau wollen. Davor würde ich auch eindringlich warnen. Ich glaube, dass wir alle in diesem Hohen Haus das nicht wollen.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Wir haben die Standards angesprochen. Ich will reflektierend noch einmal auf die gestrige Debatte zurückblicken, in der auch vonseiten Ihres Fraktionsvizes, Herrn Kuper, zur Flüchtlingshilfe gesprochen worden ist. Es war Herr Kuper, der in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Unterstützung unserer Städte und Gemeinden bei der Flüchtlingshilfe und der Unterbringung immer wieder über Standards gesprochen hat. Über welche Standards reden wir dort? Da bin ich auf die weiteren Debatten gespannt. Diese Debatten können wir in unserem Ausschuss dann sicherlich schön verbinden. Auf Ihre Definition der Standards bin ich einmal sehr gespannt.

In Ihrem hier vorliegenden Gesetzentwurf sehen Sie vor, dass Kommunen „auf Antrag im Einzelfall von landesrechtlichen Standards befreit werden“ können. Ich frage Sie ganz offen: Wer soll das definieren? Wollen wir im Land Nordrhein-Westfalen zukünftig unterschiedliche Definitionen, unterschiedliche Auslegungen oder möglicherweise eine unterschiedliche Aufgabenwahrnehmung haben? – Das kann doch nicht in unserem Interesse als Landesgesetzgeber sein.

Ich glaube, wir wollen alle nicht, dass die Aufgaben in unseren Städten und Gemeinden unterschiedlich wahrgenommen werden; denn das würde einen Keil in die kommunale Familie treiben. So etwas fördert, wie ich glaube, nicht unbedingt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kommunen, sondern treibt einen Keil zwischen reiche und arme Kommunen. Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist wahrlich nicht in unserem Interesse.

In Ihrem Gesetzentwurf sehen Sie in § 2, Antrags- und Genehmigungsverfahren, vor, dass das Ministerium dann binnen drei Monaten über die Anträge aus den Kommunen entscheiden soll. Da setzen Sie also selbst Fristen.

Ich glaube, damit bauen Sie keine Bürokratie ab, sondern eher auf. Ich habe da jedenfalls meine ernsthaften Zweifel.

Das Ministerium soll darauf hinwirken, dass ein Einvernehmen zwischen den Kommunen und der Ministerialverwaltung erzielt wird. Das bedeutet: erhöhter Abstimmungsbedarf, erhöhter Koordinierungsaufwand, größerer Verwaltungsaufwand. – Mit diesem Gesetz erzielen Sie, glaube ich, genau das Gegenteil von Bürokratieabbau.

Trotz und alledem bin ich auf die Beratungen in unseren Ausschüssen, dem Kommunalausschuss sowie dem Haushalts- und Finanzausschuss gespannt. Warten wir ab, wohin die Reise gehen wird. Wir hören uns einmal an, was die Vertreter der Städte und Gemeinden dazu zu sagen haben. Insbesondere bin ich sehr gespannt auf das, was die kommunalen Spitzenverbände dazu sagen werden.

Ich darf Ihnen verraten: Die ersten Rückmeldungen, die wir bekommen haben, waren nicht gerade posi

tiv. Ich freue mich dennoch auf die gemeinsame Debatte, auch mit Ihnen, Frau Thönnissen. – In diesem Sinne: Herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dahm. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Nettelstroth.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Bürokratieabbau“ ist es wert, dass wir uns intensiv damit befassen. Kollegin Thönnissen, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie uns heute mit Ihrer Jungfernrede noch einmal umfassend dargestellt haben, wie die Rahmenbedingungen aussehen, in welchem kommunalen Umfeld wir uns bewegen und vor welchem Hintergrund dieser Gesetzentwurf zu betrachten ist.

Wer von Ihnen perfekt ist, der kann unseren Gesetzentwurf ablehnen. Wer aber den Mut hat, die Frage zu stellen, wie wir uns das Know-how der 396 Kommunen unseres Landes nutzbar machen können, um vielleicht eine bessere Lösung als nur eine gute Lösung zu finden, der sollte sich mit diesem Gesetzentwurf eingehender befassen und den Kommunen die Gelegenheit geben, diesen Akt der Selbstreflektion einzuleiten.

(Beifall von der CDU)

In der Tat haben wir uns in unserem Gesetzentwurf auf unsere Zuständigkeit beschränkt; deshalb haben wir ihn auf die Landesgesetze bezogen. Ich bin aber sehr auf der Seite meines Kollegen Abruszat: In der Tat wäre es auch sinnvoll, sich über Bundes- und Europagesetze zu unterhalten. Nur fallen diese nicht in unsere Zuständigkeit. Es wäre aber insgesamt gut, wenn man den bürokratischen Aufwand, der entstanden ist – mit einer durchaus vorzüglichen Absicht und einem Durchdenken verschiedenster Möglichkeiten, die sich dort ergeben könnten –, noch einmal reflektiert. Vor diesem Hintergrund wären wir gut beraten, diesen Gesetzentwurf im Fachausschuss möglichst eingehend zu diskutieren.

Herr Sommer, Sie fragen, welche Standards gemeint sind. Eine Antwort auf diese Frage haben wir bewusst offen gelassen. Alle Standards sind angesprochen. Aber Sie brauchen keine Sorge zu haben: Es geht nicht um Lohndumping. Wir haben ein Vergaberecht,

(Michael Hübner [SPD]: Vergaberecht ist doch kein Landesrecht!)

wo derartige Fragen geklärt sind, wo es um Auskömmlichkeit und andere Aspekte geht.

Nein, wir sollten kein Denkverbot auferlegen, sondern nicht nur den Kommunen, Herr Kollege Hübner, sondern übrigens auch den Spitzenverbän

den – das ist das Neue an dem Gesetz – Gelegenheit geben, diese Punkte in Form eines Antrags bei der Landesregierung – in diesem Fall bei den zuständigen Ministerien – vorzulegen, und dann könnten wir zu einer Bewertung gelangen.

(Beifall von der CDU und Kai Abruszat [FDP])

Lieber Herr Innenminister, Seien Sie nicht der Abfangjäger guter Ideen,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

sondern stellen Sie sich den Möglichkeiten, die sich ergeben.

(Beifall von der CDU)

Von daher wäre es sehr wünschenswert, wenn gerade auch Sie offen wären für eine solche Diskussion und für eine Selbstreflektion der Arbeit Ihres Hauses.

Ich glaube, dass gerade das Thema „Flüchtlinge“, das wir gestern sehr intensiv diskutiert haben, deutlich gemacht hat, dass es eine Vielzahl von Facetten zu betrachten gilt. Man täte gut daran, auch einmal über den Tellerrand hinauszuschauen.

Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Wir sind mit unseren Gedanken zum Bürokratieabbau nicht alleine. Es gibt eine Vielzahl von Ländern, die sich zu diesem Thema Gedanken gemacht haben. Ich darf einige Länder nennen: das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und in einigen Bereichen sogar Bayern. Diese Länder haben entsprechende Gesetze zur Standardflexibilisierung, Standardbefreiung oder Standarderprobung auf den Weg gebracht.

Herr Hübner hat es bereits angesprochen: Wir haben selber schon in eigenen Gesetzen Hinweise darauf gegeben, dass wir über eine Experimentierklausel, GMG usw. nachdenken. Hier aber haben wir deutlich gemacht, dass solche Bereiche von dieser Betrachtung ausgenommen sind.

Ich glaube, wir tun gut daran, diesen Gesetzentwurf intensiv zu diskutieren. Ich freue mich auf die Beratungen im Fachausschuss, Herr Dahm, und glaube, dass dieses Gesetz hinterher mit einer großen Mehrheit im Hause verabschiedet werden wird. – Vielen Dank!

(Beifall von der CDU und Kai Abruszat [FDP])

Vielen Dank, Herr Nettelstroth. – Nun hat für die Piratenfraktion noch einmal Herr Herrmann das Wort.