Protokoll der Sitzung vom 03.09.2015

(Michele Marsching [PIRATEN]: Deezer! iTu- nes!)

Es gibt zwar Alternativen, doch können sie eben nicht mit Zero Rating punkten und sind damit für viele Mobilfunknutzer unattraktiv. Wenn sich nun also Spotify-Kunden mit zweifelhaften Geschäfts- und Datenschutzbestimmungen einverstanden erklären,

hat das auch mit dem Fehlen von Netzneutralität an genau dieser Stelle zu tun.

Doch leider fürchte ich, dass die Befassung mit dem Zero Rating nicht zum aktuellen Mandat des Europäischen Parlaments gehörte. Das ist ein Umstand, den sich die Befürworter des Zero Ratings selbstverständlich zunutze gemacht haben. Nach Auffassung zahlreicher Beobachter war ein Verbot vor diesem Hintergrund nicht durchzusetzen. Auch das ist sehr bedauerlich.

Meine Damen und Herren – damit schaue ich insbesondere zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten –, eine verlorene Schlacht bedeutet für mich persönlich aber keinen verlorenen Krieg. Lassen Sie uns insofern bitte weiter gemeinsam für die Sache kämpfen. Lassen Sie uns hier klar Position beziehen und uns weiterhin für eine Lobby für netzpolitische Themen einsetzen – durch Aufklärung und durch Beharrlichkeit.

Wir in Nordrhein-Westfalen stehen weiter gemeinsam für Netzneutralität, auch wenn wir heute unterschiedlich abstimmen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit und ein herzliches Glückauf!

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und im Stream! Netzneutralität ist ein wichtiges Gut, das Freiheitsrechte sichert und Innovationen – gerade auch für Start-ups und mittelständische Unternehmen – ermöglicht.

Ohne ungehinderte und diskriminierungsfreie

Übermittlung aller Datenpakete würde es Start-ups deutlich erschwert, ihre Geschäftsideen gegenüber Wettbewerbern, die finanzkräftiger sind, etablieren zu können. Netzneutralität verhindert eben, dass sich finanzkräftige Konzerne Wettbewerbsvorteile durch bevorzugten Zugang erkaufen können.

Eine differenzierte Datenübertragung kann allerdings auch helfen, die Erbringung qualitätssensitiver Dienste sicherzustellen, etwa bei vorübergehender Überlastung von Teilen des Netzes. So bedarf es zum Beispiel für telemedizinische Anwendungen in intelligenten Gesundheitsnetzen zum Teil garantierter Übertragungsraten.

Wie wir zukünftig Netzneutralität gestalten, hat zum einen Auswirkungen auf das Preissetzungsverhalten und zum anderen auf die Investitions- und Innovationsprozesse der Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette von Inhaltsproduzenten über Gerätehersteller und Netzbetreiber bis hin zum Endnutzer. Gleichzeitig ist hiermit die Frage verbunden, welche Maßnahmen der Datenverkehrs

steuerung in den Netzen möglich und rechtlich zulässig sind, um ansteigende Datenmengen in Telekommunikationsnetzen bewältigen zu können.

Auch im Mutterland des Internets und der Start-upKultur sind daher Einschränkungen des Netzes in bestimmten Situationen für Spezialdienste möglich. Innerhalb der Bundesregierung hat man, wie ich finde, einen guten Kompromiss gefunden: Grundsätzlich müssen alle im offenen Internet übertragenen Datenpakete ohne Berücksichtigung des Absenders, des Empfängers, der Art des Inhalts, des Dienstes oder der Anwendung durch die Anbieter gleich behandelt werden.

Zwar können mit sogenannten Spezialdiensten besondere Anforderungen zeitkritischer Dienste mit hoher Übertragungsqualität erfüllt werden, aber das Angebot von Spezialdiensten darf dabei nicht zu einer ungerechtfertigten Verschlechterung, Behinderung, Blockierung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten oder Anwendungen führen. Spezialdienste sollen also nicht als Substitut des Internetzugangsdienstes angeboten werden und dürfen das Best-Effort-Internet und dessen Entwicklung infolge des technischen Fortschritts eben nicht beeinträchtigen.

Die Positionierung der Bundesregierung wird den Anforderungen an ein leistungsfähiges Internet gerecht; denn eine differenzierte Datenübertragung kann helfen, zukünftige qualitätssensitive Dienste sicherzustellen.

Dem Antrag werden wir heute nicht zustimmen. Zum einen sind wir, wie dargestellt, davon überzeugt, dass es Ausnahmen für Spezialdienste – gerade auch hinsichtlich unbekannter zukünftiger Entwicklungen – geben muss,

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Du hast ja keine Ahnung!)

sodass es nicht notwendig ist, sich frühzeitig festzulegen. Diese müssen dann auch so gestaltet werden können, dass dies nicht zulasten eines freien Internets gehen muss. Hier sehen wir also überhaupt keinen Widerspruch.

Zum anderen noch eine abschließende Bemerkung zu dem Punkt II.5: Wir halten eine grundsätzliche Ablehnung von Netzsperren für falsch. Seiten mit gewaltverherrlichendem oder stark verfassungsfeindlichem Inhalt müssen auch gesperrt oder gelöscht werden können.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Herr Bolte, wir hätten uns gefreut, wenn wir die Ideen im Antrag der Piraten in den Ausschüssen ausführlich hätten beraten können. Dort hätten wir uns dann auch entsprechend austauschen können. Aber leider haben Sie auf eine Überweisung und damit auf weitere Beratungen verzichtet und direkte Abstimmung beantragt. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Kern, ich habe bei Ihrem Einstieg eben gedacht: Vielleicht sollten wir nicht herbeireden, dass sich niemand für Netzneutralität interessiert. Denn das ist beileibe nicht so.

Ich kann mich noch gut an die Diskussion um die Tarifreform bei der Telekom vor zwei Jahren erinnern. Kollege Schneider hat es eben angesprochen: Dort konnten wir gemeinsame politische Initiativen entwickeln. Da war das Thema Netzneutralität sehr schnell in einer breiten Öffentlichkeit in aller Munde. Die Leute haben sich sehr wohl dafür interessiert und wussten auch, was es damit auf sich hat. Deswegen muss man nicht unbedingt fragen, was das eigentlich ist. Ich glaube, das wissen sehr viele Leute.

Wir sollten uns auch nicht darüber beklagen, dass es jetzt 19:05 Uhr ist, während wir über dieses Thema sprechen, sondern wir sollten einfach gemeinsam die Relevanz des Themas herausstreichen.

Ich möchte gerne mit dem einsteigen, was uns eint:

In den letzten Jahren haben wir hier in diesem Hohen Haus schon mehrere Beschlüsse in unterschiedlichen Konstellationen gefasst. Ich kann mich an Rot-Grün plus Piratenfraktion – an einigen Stellen auch mit der FDP – erinnern. Dabei haben wir festgestellt, wie wichtig die Sicherung der Netzneutralität im fortschreitenden digitalen Zeitalter ist. Die Vielfalt, das enorme Wachstum und die Reichhaltigkeit des heutigen Internetangebotes wurden durch die relativ geringen Hürden beim Zugang zum Netz ermöglicht, gerade auch für neue und innovative Anbieter.

Wir haben auch gemeinsam festgestellt, dass der Verzicht auf eine nachhaltige Sicherung der Netzneutralität dazu führen könnte, dass etablierte Anbieter aufgrund ihrer Finanzkraft und ihrer Marktstellung letzten Endes Start-ups ausgrenzen könnten. Das würde zu einer Marktabschottung führen, und das wollen wir alle nicht, weil dies die Hürden für die Entwicklung der Netzökonomie höher legen würde.

Wir haben hier im Haus schon verschiedene Beschlüsse gefasst. Ich erinnere zum Beispiel an den Beschluss von Ende 2013, und auch im letzten Sommer haben wir im Kontext der TelekomBinnenmarktverordnung einen Beschluss gefasst. Es ist mir wichtig, diese Einigung festzuhalten; denn wir brauchen die Gewährleistung der Netzneutralität in Deutschland und in Europa.

Wir haben auch auf der regionalen Ebene unseren Beitrag dazu geleistet, letztes Jahr mit der Änderung am Landesmediengesetz. Wir waren das zweite Land, das die Sicherung der Netzneutralität als Auftrag für die Medienaufsicht festgeschrieben hat. Auch das haben wir in dieser Konstellation gemeinsam hinbekommen. Ich fand es damals eine bemerkenswerte Debatte. Da war sogar die FDP plötzlich für Netzneutralität. Das war spannend, es war aber auch das Ergebnis verschiedener intensiver Diskussionen.

Herr Kollege Bolte, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Kollege Kern würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Inhaltlich sind wir sicherlich nah beieinander. Es ist aber doch so – ich hoffe, Sie stimmen mir da zu –, dass wir auf Landesebene Regelungen zur Netzneutralität treffen können, aber dann, wenn auf EU-Ebene eine andere Regelung getroffen worden ist, das EURecht das Landesrecht brechen würde.

Wir wissen noch nicht, wie die Beratung auf EU-Ebene ausgeht. Wir haben im Landesmediengesetz klar festgeschrieben, dass die Sicherung der Netzneutralität im Sinne der Vielfaltssicherung gedacht und da wiederum in der Aufsichtsfunktion der LfM die Vielfalt über Netzneutralitätssicherung abzusichern ist.

Das war ein bisschen von hinten durch die Brust ins Auge, wie man rückblickend durchaus zugeben kann. Aber ich glaube, wir haben im letzten Jahr eine ganz gute Regelung im Landesmediengesetz gefunden. Wie gesagt, es war auch das Ergebnis der Diskussionen, wie wir sie hier geführt haben, gerade vor dem Hintergrund der Debatten auf der europäischen Ebene.

Es ist nicht so, dass wir in den letzten Jahren im völlig luftleeren Raum diskutiert haben, um zu diesem Ergebnis zu kommen, was ich gerade umrissen habe, sondern wir haben letztes Jahr einen intensiven Diskussionsprozess gehabt, gerade vor dem Hintergrund, dass das Europäische Parlament eine sehr gute Definition von dem gefasst hat, was es unter Netzneutralität versteht, nämlich weite Garantien für das offene Internet nach den Best-EffortGrundsätzen.

Das Thema „stark beschränkte Spezialdienste“ war in dem Antrag enthalten, den SPD, Grüne, Piratenfraktion und FDP gemeinsam gefasst haben. Da haben wir uns genau an dieser engen Definition des Europäischen Parlaments orientiert. Damals war der Begriff „Spezialdienste“, an dem Sie sich – so

habe ich es in Ihren Beiträgen verstanden – sehr stark stören, in diesem Beschluss schon enthalten und sehr eng umrissen.

Wir haben gesagt: Ja, es gibt durchaus – das haben wir in den Debatten vorher auch schon gesagt – bestimmte Bedingungen, unter denen es etwaige technische Notwendigkeiten gibt, echtzeitkritische Anwendungen abzuwickeln, sodass dort dann eine gewisse Priorisierung unter sehr eng gefassten Bedingungen durchaus möglich sein kann. Das haben wir gemeinsam hier beschlossen. Aber wir haben immer gesagt, eine Priorisierung von Inhalten darf es niemals aus rein wirtschaftlichen Eigeninteressen von Anbietern geben. Ich glaube, das eint uns nach wie vor.

Der Antrag der Piratenfraktion liegt uns heute vor. Kurz nachdem die Landesanstalt für Medien – da schaue ich zum Kollegen Schwerd, der maßgeblichen Anteil daran hatte – am Freitag ein Positionspapier verabschiedet hat, will ich dem Kollegen auf dieser Ebene danken. Ich fand es schade, dass Sie sich heute nicht in der Debatte einbringen konnten. Ich glaube, es hätte uns gut getan, weil es doch ein bisschen differenzierter war als dieses SchwarzWeiß-Denken, das beim Kollegen Kern durchschien.

Es ist nicht so, dass wir komplett untätig gewesen wären und angesichts der Debatte in den letzten Jahren wie das Kaninchen vor der Schlange gesessen hätten, sondern Landtag und Landesregierung haben sehr wohl eine gute Debatte organisiert. Ich glaube, wir haben auch sehr gute Positionen gefunden. Wir haben auch immer gesagt: So, wie das Europäische Parlament die einzelnen Definitionen vorgenommen hat – das ist es, woran wir unsere Aktivitäten ausrichten.

Wir haben in den letzten Jahren vielfältige Aktivitäten hier im Parlament übernommen, so, wie es auch die Landesregierung über den Bundesrat getan hat, zuletzt im Juni. Da gestalten wir gemeinsam die Debatte für einen zukunftsfähigen digitalen Binnenmarkt.

Ich habe Ihnen die Inhalte für diese Tätigkeit umrissen, und ich glaube, da brauchen an dieser Stelle weder die Landesregierung noch die sie tragenden Fraktionen noch eine Aufforderung aus der Opposition.

Die Redezeit.

Wir werden dafür sorgen, dass es auch mit Digitalkommissar Oettinger einen zukunftsfähigen Netzzugang in Europa geben wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP spricht jetzt Herr Kollege Nückel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, in der politischen Debatte im Land nimmt das Thema Netzneutralität keinen breiten Raum mehr ein. Das liegt aber vielleicht daran, weil nur wenige Fälle möglicher Verstöße bekannt sind. Die „Drosselkom“ ist schon wieder viel zu lange her. Emotionen kommen vielleicht noch bei den Roaming-Gebühren hoch.