Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

Ich habe Ihnen in meiner Rede vorhin ausdrücklich zugestanden, dass Sie bereits mit dem Wiederaufbau von Polizeikräften entsprechend der demografischen Entwicklung begonnen haben. Das ist unbestritten. Diese Zahlen werde ich niemals kritisieren. Dafür sind wir dankbar.

Das, was wir kritisieren, ist schlicht und ergreifend, dass diese Erkenntnisse des Demografieberichtes jahrelang in einer Schublade gelegen haben und erst zu spät umgesetzt wurden. Das ist das, was ich entsprechend kritisiere. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Bialas. – Die CDU-Fraktion wird nun durch Herrn Kollegen Lohn vertreten.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Polizistinnen und Polizisten in Nordrhein-Westfalen leisten trotz Personalmangels und trotz eines riesigen Berges an Überstunden immer noch sehr gute Arbeit. Trotz dramatischer Kriminalitätsbelastung, trotz immer mehr Gewalt gegen sie und trotz massiver Bedrohungen durch Salafisten, Hooligans und andere Extremisten bis hin zu selbsternannten aggressiven Weltverbesserern gehen sie jedes Wochenende hoch motiviert an die Arbeit. Ich glaube, an dieser Stelle ist das den Dank von allen Fraktionen wert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Dank ist aber nicht alles. Da muss noch ein bisschen mehr kommen. Trotzdem sind Dank, Respekt und Anerkennung wichtig. Deswegen hat die CDU in NordrheinWestfalen bereits vor einigen Monaten eine Initiative mit der Überschrift „Respekt & Anerkennung für unsere Polizei!“ ins Leben gerufen.

Auch Ministerpräsidentin Kraft, die jetzt aus sicherlich guten Gründen nicht anwesend ist, hat bereits 2012 vollmundig eine jährliche „Woche des Respekts“ angekündigt. Auf diese jährliche „Woche des Respekts“, die 2012 angekündigt wurde, warten wir jetzt seit über drei Jahren. Das ist bezeichnend für die Regierung – eine große Ankündigung und kleine oder gar keine Taten. Letztendlich ist es auch beschämend. Man kann nicht Respekt und Anerkennung ankündigen, und dann kommt nichts hinterher.

Unsere Polizei ächzt derzeit unter 3,8 Millionen Überstunden. Sie geht Wochenende für Wochenende bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – leider ganz oft auch darüber hinaus, was die Krankenstände und die vielen Verletzten zeigen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Wesentlichen gibt es drei Gründe für den Personalnotstand bei der Polizei. Der erste Grund ist die überwiegend falsche Personalpolitik seit Ende der 90er-Jahre. Der zweite Grund sind die ständig neuen Aufgabenzuweisungen für die Polizei ohne neues Personal. Der dritte Grund ist eine falsche Prioritätensetzung beim Personaleinsatz durch Innenminister Jäger.

Dazu möchte ich einige Fakten nennen und einen kleinen Blick zurückwerfen, den auch die Kollegen Bialas und Witzel schon gewagt haben. Vor 2005

haben SPD und Grüne zunächst die vorhandenen Polizeischulen im Land Nordrhein-Westfalen verkommen lassen oder gar ganz geschlossen. Das war die Vorbereitung darauf, dass man 2004 die Einstellungszahlen von damals 1.063 auf völlig unzureichende 480 Einstellungen pro Jahr mehr als halbiert hat. So steht es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage. In Drucksache 16/2522 können Sie das gerne nachlesen.

Insgesamt hat die polizei- und sicherheitsfeindliche rot-grüne Polizeipersonalpolitik von 1998 bis 2005 dazu geführt, dass unglaubliche – ich betone: unglaubliche – 3.490 Personalstellen bei der Polizei gestrichen wurden. Dann heute hier zu sagen, wie der Minister das gerne macht, die Ursache für die Personalmisere bei der Polizei sei in den Jahren 2005 bis 2010 gelegt worden, ist nicht nur unwahr, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sondern auch unredlich und eines Ministers nicht würdig.

Man sollte die Fakten so zur Kenntnis nehmen, wie sie sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn die Wahrheit ist, dass CDU und FDP in ihrer Regierungszeit zunächst die Polizeischulen wieder aufrüsten mussten. Nachdem die Schulen wieder funktionstüchtig waren, haben wir dann die Einstellungszahlen von 480 auf 1.100 mehr als verdoppelt.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Einen kleinen Moment. Nach meinen Ausführungen.

Bitte.

Erst nach der Ertüchtigung der Polizeischulen konnten wir die Einstellungszahlen verdoppeln. Das war die erste zukunftsweisende Entscheidung in Richtung Personalpolitik, weil man nämlich erstmals viel mehr Einstellungen vorgenommen hat, als Beamte in den Ruhestand gegangen sind. Daraufhin war es folgerichtig, dass SPD und Grüne in mehreren Entscheidungen die Einstellungszahlen auf 1.500 erhöht haben. Allerdings reicht das nicht, um die Pensionierungszahlen, die sich bald irgendwo bei 2.000 einpendeln werden, wieder auszugleichen.

Auch die Einmalaktion – so nenne ich es einmal – aus diesem Jahr, zunächst 360 und dann noch einmal 250 Polizeibeamte zusätzlich einzustellen, können ein schlüssiges, auf Dauer angelegtes Personalkonzept bei der Polizei nicht ersetzen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Theo Kruse [CDU]: So ist es!)

Die Landesregierung hat kein Gesamtkonzept. Das möchte ich einmal an zwei Beispielen belegen.

Erstens. Minister Jäger hat trotz der großen Personalnot bei der Polizei vor Kurzem eine Hundertschaft eingesetzt, um Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Dortmund zu erfassen. Die Erfassung von Flüchtlingen ist nicht Kernaufgabe der Polizei. Die Polizei hat genug anderes zu tun. Deswegen muss diese Erfassung durch Polizeihundertschaften schnellstens beendet werden.

Zweitens. Herr Jäger, vielleicht sprechen Sie einmal mit Frau Kraft, damit einmal ein Gespräch mit Herrn Remmel geführt wird. Wie wäre es denn, wenn aus dem Umweltressort, das mit über 750 Stellen sicher reichlich besetzt ist, einmal eine Hundertschaft der Blümchen- und Vogelzähler zusammengestellt werden würde? Von denen gibt es wohl genug. Sie wären an dieser Stelle mit Sicherheit besser eingesetzt als die Polizei, die Dringenderes zu tun hat.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Herr Minister Jäger, ich möchte einen letzten Satz dazu sagen; dann ist meine Redezeit zu Ende. Sie haben angekündigt, dass Sie auf die Blitzmarathons verzichten wollen. Die Blitzmarathons, die auf Ihre Erfindung zurückgehen, waren eine große Fehlentscheidung. Die Innenministerkonferenz hat das Scheitern der Blitzmarathons festgestellt. Ich erwarte heute von Ihnen, dass Sie hier das sofortige Aus der Blitzmarathons erklären und sie endgültig und für immer abblasen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Tun Sie Ihre Arbeit. Hangeln Sie sich nicht nur von einer Maßnahme zur anderen, sondern erstellen Sie ein Gesamtkonzept, das Sie bis zum Jahr 2020 auch mit Schuldenbremse erreichen können. Dann haben Sie Ihr Geld verdient. Leider ist das bis heute bisher nicht der Fall. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Als nächste Rednerin hat für die grüne Fraktion Frau Kollegin Düker das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Witzel, ich nehme an – schließlich ist Herr Lürbke heute nicht da –, dass Sie für Ihren Fachpolitiker den Antrag eingebracht haben. Ihrem Kollegen Herrn Lürbke glaube ich tatsächlich seinen durchaus ehrenhaften Anspruch, sich hier im Landtag für mehr Sicherheit einsetzen zu wollen. Aber bei Ihnen, Herr Witzel, wirkt das – freundlich formuliert – doch etwas unglaubwürdig. Denn Sie waren 2005 bis 2010 Mitglied des Landtags, als die FDP den Innenminister gestellt hat.

(Ralf Witzel [FDP]: Unverschämt!)

Ich zitiere hierzu – es handelt sich um keinen Grünen; er ist ganz unverdächtig – den damaligen Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft NRW, Rainer Wendt. Er gehört bekanntermaßen nicht zur grünen Kernklientel und sagte während der Regierungszeit Ihres Innenministers, die Polizei in NRW funktioniere nicht wegen, sondern trotz dieses Innenministers gut. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Witzel, in Ihrer Regierungszeit wurden unter Ihrem Innenminister – Herr Lohn, das gehört zur Wahrheit dazu; Sie vergessen immer mindestens die Hälfte der Wahrheit – in 2006 500 – in Worten: fünfhundert – Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter eingestellt. Versprochen wurden damals im Wahlkampf 1.000. 2007 wurde dieses Wahlversprechen erneut gebrochen. Das ist noch keine zehn Jahre her, Herr Lohn, und die demografische Entwicklung war auch damals schon bekannt. Das wissen Sie ganz genau.

(Ralf Witzel [FDP]: Abbauplan!)

2007 waren es noch einmal 500 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter. Diese Zahl lag aber deutlich unterhalb des erforderlichen Nachersatzes, damit die Polizeistärke überhaupt hätte erhalten werden können.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Ich möchte gar nicht davon sprechen, dass Sie eigentlich damals schon über Bedarf hätten einstellen müssen. Denn, wie gesagt, schon damals war die demografische Entwicklung bekannt, auch wenn Herr Wolf sie immer in den Schubladen gelassen hat.

(Beifall von Matthi Bolte [GRÜNE])

Also lautet das Fazit: Am Ende Ihrer Regierungszeit steht bei der Polizei ein Minus.

Ich sagte es bereits: 2006 haben Sie 500 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter eingestellt. Das ist knapp zehn Jahre her.

Wo stehen wir jetzt? – Im Jahr 2015 stellt die rotgrüne Landesregierung nachweislich der Ergänzungsvorlage zum Haushalt 2015 1.892 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter ein. Ganz grob betrachtet ist das fast eine Vervierfachung der Einstellungszahl in Ihrer Regierungszeit, Herr Lohn und Herr Witzel.

Insofern ist Ihr Antrag, Herr Witzel – freundlich formuliert –, unglaubwürdig. Ich könnte auch sagen, es ist ziemlich dreist,

(Beifall von den GRÜNEN)

dass Sie meinen, Ihnen würde hier jemand abnehmen, dass Sie sich ehrlich und ernsthaft dafür einsetzen, dass das Personal bei der Polizei aufgestockt wird. Nein, das glaubt Ihnen hier niemand. Herrn Lürbke, wie gesagt, nehme ich das ab.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist eine bodenlose Unverschämtheit, was Sie hier vortragen!)

Denn er hat die Gnade der späten Geburt und kann nicht genau wissen, was hier damals tatsächlich passiert ist. – So weit die Zahlen.

Ich will es mir aber nicht zu einfach machen, will Ihnen nicht nur die Zahlen um die Ohren hauen und sagen: Das reicht jetzt. Jetzt brauchen wir nichts mehr zu machen. – Das gehört nämlich auch zur Klarheit und Wahrheit dazu, Herr Lohn: Selbst die Einstellungszahlen, die wir jetzt beschlossen haben, werden nicht reichen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohn?