Protokoll der Sitzung vom 01.10.2015

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kufen. Während Herr Kollege Kufen das Redepult erklimmt, darf ich ihm im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich zu seiner Wahl als Oberbürgermeister in Essen gratulieren.

(Beifall von allen Fraktionen – Thomas Kufen [CDU]: Vielen Dank!)

Es gibt noch mehr Kollegen, die zu Bürgermeistern und Oberbürgermeistern gewählt worden sind. Ich glaube, wir sollten allen gratulieren: Herrn Kollegen Breuer, Herrn Kollegen Eiskirch, Herrn Kollegen Abruszat. Ihnen allen unser herzlicher Glückwunsch. – Bei Ihnen ist es jetzt die letzte Rede vor dem Hohen Haus, Herr Kollege Kufen – aller Voraussicht nach. Sie haben das Mikrofon.

Wenn ich nicht provoziert werde, ist es die letzte Rede, ja.

(Heiterkeit)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für die freundliche Anmoderation! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat wird dies meine letzte Rede sein, und das genau zum Thema RWE. Wer hätte das gedacht?

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Das passt ja in Es- sen!)

Insofern ist es passend. Ich glaube auch, dass das wahrscheinlich doppelt auf die Goldwaage gelegt wird. Ich danke Ihnen schon zu Beginn sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.

Mit der jetzigen Leitentscheidung setzt sich im Kabinett das fort, was schon am Anfang stand: nämlich dass sich im Zusammenhang mit dem vierten Abschnitt und der Zukunft der Braunkohle in Nordrhein-Westfalen Rot-Grün von Kuhhandel zu Kuhhandel hangelt. Das ist so. Oder wie sagt man so schön: Von so was kommt so was.

Sie sind den ersten Schritt falsch gegangen und versuchen jetzt, im Stolperschritt die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. So erklären wir uns übrigens, sehr geehrter Herr Minister, dass Sie die Informationen im Zusammenhang damit, dass tatsächlich eine Kabinettsentscheidung getroffen wurde, dem Parlament nur so spärlich und sparsam zugänglich machen. Es hat ja Tage gedauert, bis die Kabinettsentscheidung öffentlich gemacht wurde.

Es hätte die Gelegenheit gegeben, Herr Minister, am Tag nach der Kabinettsentscheidung im Wirtschaftsausschuss zeitnah darüber zu informieren. Mir erscheint es gelegentlich so, als ob es Ihnen selber unangenehm ist, dass das Verfahren, das wir – mit Blick auf die Betroffenen vor Ort, mit Blick auf die Arbeitsplätze, mit Blick auf den Wirtschaftsstandort und Energiestandort Nordrhein-West

falen – bisher vorgeführt bekommen haben, im Zusammenhang mit der Leitentscheidung im vierten Abschnitt so abgelaufen ist, weil Sie wissen: Ordentliches Regierungshandeln sieht anders aus.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will die Entscheidung im Detail noch einmal skizzieren. Die Tagebaue Inden und Hambach werden nicht angetastet. Der Braunkohletagebau wird auch von Rot-Grün für die Zeit nach 2030 als notwendig erachtet. Das erkenne ich ausdrücklich an. Durch die Entscheidung entsteht die Chance, zu einem Kompromiss zwischen allen Beteiligten zu gelangen, der die Interessen der Anwohner, aber auch des Unternehmens berücksichtigt. So weit, so gut. Ich glaube, das ist anzuerkennen.

Aber Sie wissen genauso: Sie haben sich auf einen Verfahrensweg begeben, auf dem jede beantwortete Frage in der Region und bei den Unternehmen automatisch weitere Fragen auslöst. Deshalb ist klar: Nach den Klarstellungen folgen jeweils immer dicke „Aber“. Was heißt denn die prinzipielle Festlegung der Abstandszahl, der Abbaugrenze, die zu begrüßen ist und die wir im März 2005 gefordert haben? Was heißt es denn, dass wir 400 m Abstandsfläche ausschließlich für Holzweiler garantiert haben? Was heißt das für die anderen, die an der Abbaukante leben werden?

(Beifall von der CDU)

Insofern ist deutlich zu machen, wieso es eigentlich 400 m sind. War das am Ende der Kompromiss zwischen Rot-Grün? Die einen wollten 100 m und die anderen 700 m – dann schneidet man es in der Mitte durch und nimmt 400 m? Was heißt das für die Landesstraße L 19? Was heißt das für den Restsee? Alles das sind Fragen, die Sie nach wie vor nicht geklärt haben und bei denen Sie weiter Getriebener Ihrer eigenen, am Beginn stehenden Fehlentscheidungen sind.

(Beifall von der CDU)

Von daher dürfen wir uns nichts vormachen: Auch diese Entscheidung, Frau Ministerpräsidentin, Herr Minister Duin, der Landesregierung wird am Ende zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in der Region führen, und zwar beschleunigt und schneller – nicht nur bei dem betroffenen Unternehmen selbst, sondern auch bei der Zulieferindustrie und den Zulieferfirmen in der Region.

Deshalb finde ich, dass es ein guter Stil und ein guter Umgang – nicht nur mit dem Parlament, sondern auch mit der Öffentlichkeit – gewesen wäre, wenn Sie von Beginn an – auch an dem Tag nach der Kabinettsentscheidung – eine andere, transparentere Öffentlichkeitsarbeit betrieben hätten. Wir haben gelegentlich den Eindruck, dass nur durch Intervention des örtlichen Abgeordneten am Ende die Abgeordneten aus der Region zur Anhörung am vergangenen Dienstag eingeladen wurden. Das heißt: Das Thema „Garzweiler“ wird uns weiter beschäftigen.

Übrigens genauso, meine Damen und Herren, wie die Zukunft des RWE-Konzerns. Wer glaubt, er könne mit weiteren staatlichen Eingriffen im Unternehmen selber die Arbeit erleichtern, dem muss ich

sagen: Ganz im Gegenteil, wir erschweren für den Wirtschaftsstandort und den Energiestandort Nordrhein-Westfalen – gerade auch mit Blick auf die RWE AG – die wichtigen Entscheidungen und notwendigen Umbaumaßnahmen.

Ich glaube, das ist das, was Ihnen immer wieder sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben wird, dass auch die Industrie, die energieintensiven und gerade auch die Energieunternehmen in NordrheinWestfalen eine Planungssicherheit brauchen. Das haben Sie heute nicht einlösen können.

(Beifall von der CDU)

Denn jedem muss bewusst sein: Wir werden die Energiewende am Ende nur zentral und dezentral mit leistungsstarken Bürgergenossenschaften genauso wie mit den großen Energieunternehmen stemmen. Sie treiben mit Ihren Entscheidungen gelegentlich genau dort den Keil dazwischen – koalitionsgetrieben. Sie wechseln Ihre Sprechzettel je nach Publikum. Ich glaube, das hilft uns am Ende nicht.

Wir brauchen aber ein klares Bekenntnis. So habe ich übrigens auch die Intervention von meinem Fraktionsvorsitzenden Armin Laschet verstanden, der deutlich machte, dass die Energiewende ohne die RWE AG nicht leichter zu stemmen sein wird. Das ist das, was uns einen muss.

(Beifall von der CDU)

Man muss nicht Oberbürgermeister von Essen sein, um das zu verstehen,...

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

… aber, Frau Ministerpräsidentin, es hilft.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich sehr, sehr herzlich für die Zusammenarbeit hier – nicht nur im Feld der Energiepolitik, denn meine politische Vita, meine politische Biografie in diesem Haus in dieser Landeshauptstadt ist länger. Ob in der Integrationspolitik oder im Ministerium oder zuletzt als Abgeordneter in der Opposition: Ich habe das freundschaftliche Verhältnis, die kollegiale Art, das kollektive Verständnis, dass wir alle gemeinsam dafür arbeiten – egal, auf welcher Seite des Tisches wir sitzen –, dieses Land jeden Tag Stück für Stück menschlicher und gerechter, leistungsfähiger, stärker und zukunftsfähiger zu machen, schätzen gelernt.

Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass das die Bürgerinnen und Bürger so gar nicht wissen, was jeder einzelne Abgeordnete als Abgeordneter für die Menschen im Wahlkreis in dem jeweiligen Fachbereich eigentlich leistet. Es sind nämlich die kleinen Dinge, die angeschoben werden. Das geht vom aufmunternden Gespräch bis hin zur wichtigen Gestaltung von Rahmenbedingungen, damit Arbeitsplätze gesichert werden oder diese Welt ein Stück

menschenwürdiger gestaltet wird. Insofern weiß ich: Dieses Land hat ein großes, starkes Herz. Das Herz dieses Landes schlägt in den Städten – nicht nur in den großen Städten. Deshalb freue ich mich auch auf die neue Aufgabe. Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Nochmals vielen Dank, Herr Kufen, für Ihre voraussichtlich letzte Rede hier im Parlament und noch einmal alles Gute für Sie und Ihre Heimatstadt Essen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Auch von meiner Seite persönlich und für meine Fraktion Herrn Kufen, Herrn Abruszat, Herrn Breuer und Thomas Eiskirch alles Gute für die neue Tätigkeit. Das wird eine anstrengende Herausforderung. Das wird noch einmal ganz anders als im Landtag. Man kann Ihnen dabei nur Erfolg wünschen für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten, in denen Sie das machen. Dafür jedenfalls auch von uns aus alles Gute!

(Beifall von allen Fraktionen)

Dann muss ich aber etwas zu dem eigentlichen Kernpunkt der Debatte sagen:

Herr Brockes, Sie haben angefangen und das Wort „erbärmlich“ in den Mund genommen. Ich mache jetzt im Landtag 15 Jahre politische Arbeit auch in Bezug auf dieses Thema. Eine schlechtere Rede als die, die Sie zu dem Thema gehalten haben, kann man nicht halten. Das Adjektiv fällt völlig auf Sie zurück!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das hat nichts mit dem zu tun, was wir da an notwendiger Arbeit geleistet haben.

Herr Kollege Ellerbrock, Sie sind erfahren. Sie verfügen über Fachkunde in der Landesplanung. Sie wissen doch, dass man so nicht an ein solches Problem herangehen kann. Wie können Sie es zulassen, dass aus Ihrer Fraktion heraus in einer derartigen Art mit einer solchen Fragestellung umgegangen wird? Ich verstehe es nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen einmal ganz klar sagen, um was es eigentlich geht: Es geht doch darum, dass wir wegen der Braunkohle weit mehr als 40.000 Menschen umgesiedelt haben. Die Braunkohle ist der Energieträger, der das größte Opfer von denjenigen verlangt, die auf diesen Flächen wohnen. Die müssen ihre Heimat aufgeben. Deren Häuser werden abgerissen. Sie müssen umziehen. Das verlangen wir. Und wenn man das von diesen Menschen verlangt, dann muss man sehr gute Argumente haben, warum sie dieses Opfer bringen sollen. Es waren in

den letzten 50 Jahren über 40.000 Menschen betroffen!

Diese Regierung hat bei den letzten beiden Umsiedlungsabschnitten, die bei den Tagebauen anstanden – in Garzweiler beim dritten Abschnitt, in Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Beverath – vor der Frage gestanden: Lassen wir diese Menschen gehen oder nicht? Der Umsiedlungsprozess bei der Braunkohle fängt mehr als 20 Jahre vor dem Weggang der Ortschaften an. Die Entscheidung für Garzweiler ist 1994/95 getroffen worden. Da wussten die Menschen: Irgendwann ist es vorbei. Ab da geht in diesen Dörfern das Sterben auf Raten los, weil klar ist, dass man keine Perspektive hat.

Der Prozess kam näher. Dann bot die Kommune Erkelenz denjenigen, die umgesiedelt werden müssen, Standorte an. Die Menschen suchen sich den Umsiedlungsstandort aus. Sie fahren herum, und man einigt sich. Auf der Strecke bis zur Umsiedlung gehen 35 bis 40 % der Leute der Dorfgemeinschaft verloren. Es geht nicht das ganze Dorf mit. Dort ändert sich alles.

Wenn es dann wirklich soweit ist, fordern die Umsiedler Klarheit. Denn laut Regularien dürfen die Häuser nicht vom Bergbautreibenden aufgekauft werden. Von daher können die betroffenen Menschen die neuen Grundstücke nicht kaufen, bevor nicht feststeht, dass sie den Umsiedlerstatus erhalten. Denn diejenigen, die zusammen gehen wollen, sollen dann auch möglichst geschlossen gehen.

Die Entscheidung hatten wir für den dritten Abschnitt zu treffen. Da sind Menschen zu uns gekommen mit der Frage: „Muss das denn wirklich noch sein? Hat sich die Energiewelt nicht total geändert? Müssen wir das Opfer noch bringen?“ Andere sind gekommen und haben gesagt: „Lasst uns endlich gehen. Wir haben seit zehn Jahren abgeschlossen, wir wollen an den neuen Standort. Wir haben uns entschieden. Fällt eine Entscheidung.“