Protokoll der Sitzung vom 01.10.2015

Ich darf den neuen Mitgliedern der Landesregierung im Namen des gesamten Parlaments noch einmal ganz offiziell herzlich gratulieren. Wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand bei den vor Ihnen liegenden verantwortungsvollen Aufgaben zum Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger und zum Wohl unseres Landes Nordrhein-Westfalen. Dass Sie alle das Parlament schätzen und um seine Bedeutung wissen, setzen wir schlichtweg voraus. Herzlichen Glückwunsch!

Jetzt dürfen die anderen ihre Glückwünsche aussprechen, und die Kameras dürfen blitzen. Gleich geht es weiter.

(Beifall von allen Fraktionen – Die Abgeord- neten nehmen ihre Plätze wieder ein. – Minis- ter Rainer Schmeltzer, Ministerin Christina Kampmann und Minister Franz-Josef Lersch- Mense nehmen Glückwünsche entgegen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit dem Aufruf von Tagesordnungspunkt 2 die Abarbeitung unserer Tagesordnung fortsetzen, will ich – damit es alle wissen – sagen, dass die Ministerin und die Minister im Laufe des Plenartages zum Teil einmal kurz den Landtag verlassen werden, um in ihre neuen Häuser zu fahren. Ich gehe davon aus, dass wir alle dafür Verständnis haben. Das werden die Ministerin und die Minister aber vom Verlauf der heutigen Plenardebatte abhängig machen.

Ich rufe auf:

2 Rot-Grün beschleunigt den Ausstieg aus der

Braunkohle – Leitentscheidung schadet dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/9862

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 28. September 2015 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Brockes das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut Geschäftsordnung des Landtages hat die Landesregierung die Möglichkeit, bei Entscheidungen von landespolitischer Bedeutung hier in diesem Hohen Hause eine Unterrichtung vorzunehmen. Davon hat die Landesregierung gestern zweimal Gebrauch gemacht. Und ich erin

nere daran: In der letzten Legislaturperiode, als es um den Erhalt von 3.300 Arbeitsplätzen bei Opel ging, wurde sogar eine Sondersitzung einberufen, um diese Unterrichtung vorzunehmen.

Bei der neuen Leitentscheidung zu Garzweiler II, bei der es um betroffene Anwohner geht, aber eben auch um 10.000 Arbeitsplätze im Tagebau und 40.000 bei den Zulieferern, bei dieser Entscheidung, die energiepolitisch und wirtschaftspolitisch von enormer Bedeutung für dieses Land ist, weil es um bezahlbare, sichere Energieversorgung geht – da macht die Landesregierung von dieser Unterrichtungsmöglichkeit keinen Gebrauch. Das ist beschämend, und das ist erbärmlich!

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerpräsidentin, Johannes Rau hätte sich hier hingestellt und hätte die Traute gehabt, den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Betroffenen zu sagen, was Sache ist.

Diese Landesregierung jedoch hat vorhin erst die Leitentscheidung online veröffentlicht. Bis gestern Abend hatten wir die Information nur über eine läppische Pressemitteilung dieser Landesregierung, in der das Ganze auf drei Seiten zusammengefasst wurde. Dieses Verfahren, Frau Ministerpräsidentin, ist absolut undemokratisch.

Wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten ja die Bürger informiert und in Erkelenz eine Informationsveranstaltung durchgeführt, dann entgegne ich: Es ist sicherlich richtig, die Bürger zu informieren. Es ist wichtig, so etwas zu machen; aber das darf auf keinen Fall die Debatte hier in diesem Hohen Hause ersetzen. Hier gehört die Diskussion hin. Hier müssen wir uns mit diesen Punkten auseinandersetzen,

(Beifall von der FDP)

weil es das ganze Land betrifft und nicht nur einen Ort!

Bei dem, was bisher bekannt ist, gibt es viele offene Fragen. Es geht darum, warum zum Beispiel der Erhalt einer Landesstraße, der L 19 – man könnte sie ja auch verlegen –, wichtiger ist als der Erhalt von Tausenden Arbeitsplätzen in diesem Land.

Oder nehmen wir einen anderen Punkt: die neue Abstandsregelung. Im Gegensatz zu allen bisherigen Abbaubereichen soll nun eine Abstandsregelung von 400 m festgelegt werden. Ich habe Verständnis dafür, dass die Anwohner dies fordern und dass das auch vor Ort von der Kommunalpolitik parteiübergreifend gefordert wird.

Aber wir müssen hier doch den Blick aufs Ganze haben! Wie ist es denn den Anwohnern in Wanlo, die am selben Tagebau leben, zu erklären, dass für sie nur eine Abstandsregelung von 100 m gilt? Und wie wollen Sie es denen erklären, die in anderen Bereichen bei anderen Tagebauen leben? Das ist

nicht fair. Das ist nicht richtig. Deshalb müssen wir in diesem Hohen Hause darüber entscheiden.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, Sie sehen anhand dieser Punkten, dass die Entscheidung weder fachlich noch energiepolitisch oder wirtschaftspolitisch

nachvollziehbar ist. Nein – sie ist rein willkürlich politisch getroffen worden. Herr Minister Remmel, man merkt – um es mit den Worten des SPD-Kollegen Müller zu sagen –: Da hat die grüne Blutgrätsche mal wieder zugeschlagen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Die Grünen haben ja nur ein Ziel: Sie wollen die Braunkohle in Nordrhein-Westfalen zunichtemachen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie wollten 300 Millionen t rausnehmen, und sie haben es jetzt geschafft, 400 Millionen t Braunkohle rauszunehmen. Braunkohle ist ein wertvoller Energieträger, der auch langfristig in unserem Land für sichere und bezahlbare Energie sorgen soll.

Sie haben Ihr Ziel wieder einmal gegen den Koalitionspartner durchgedrückt. Das, Frau Ministerpräsidentin, ist ein Armutszeugnis für die Arbeiterpartei SPD. Dies ist traurig und schlecht für das Land und für die Bürgerinnen und Bürger, die hier auf eine verlässliche und vernünftige Politik warten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD spricht jetzt Herr Kollege Sundermann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brockes, Sie haben eben sehr lautstark – vielleicht inhaltsleer, aber zumindest lautstark – gefordert, dass dieses Thema im Landtag debattiert werden soll. Ihren Beitrag kann man sicherlich nicht als Grund dafür heranziehen, warum wir hier darüber debattieren sollen. Trotzdem sind wir sehr froh und dankbar, dass Sie uns die Möglichkeit geben, im Rahmen dieser Aktuellen Stunde auch unsere Sicht der Dinge darzustellen, Herr Brockes.

Vielleicht am Anfang noch ein Satz zu dem Kollegen Hans-Peter Müller: Sie können ja mal probieren, ihm die Ehrenmitgliedschaft in der FDP anzubieten. Dann werden Sie die entsprechende Antwort bekommen.

(Beifall von Marc Herter [SPD] – Zurufe von der CDU und FDP: Oho!)

Immerhin, wunderbar! Vielleicht geht das ja.

Es ist nicht zu leugnen, dass es in den letzten Jahren wesentliche Änderungen in den energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben hat. Vor diesem Hintergrund ist die neue Leitentscheidung zu Garzweiler II sicherlich notwendig.

Wichtig ist uns vor dem Hintergrund der aufgeregten und öffentlich geführten Diskussion – Herr Brockes hat gerade noch einen weiteren Beitrag dazu geleistet –, dass es hier nicht um die Braunkohleförderung als Ganzes geht, sondern ausschließlich um einen der drei aktuell betriebenen Tagebaue, nämlich Ganzweiler II. Inden und Hambach sind von dieser Leitentscheidung nicht direkt betroffen.

Gerne wird in geneigten Öffentlichkeit der Eindruck erweckt – auch das wurde gerade wieder probiert –, dass mit der Leitentscheidung ein konkretes Enddatum – das wird schon in der Überschrift der Großen Anfrage so suggeriert – der Braunkohleförderung in unserem Bundesland festgelegt würde. Auch das ist nicht der Fall. Hier werden lediglich räumliche, aber keine zeitlichen Vorgaben gemacht.

Betrachten wir nun einmal rational den Gegenstand „Leitentscheidung“, über den wir hier sprechen. Wie kam es inhaltlich zu dieser Leitentscheidung? Wie wurde sie entwickelt? Welche Schwerpunkte und Vorgaben hat sie, und wie geht der Prozess weiter? Hier wird noch einmal deutlich, dass der Vorwurf eines „undemokratischen Verfahrens“ – ich finde es übrigens recht kritisch, wenn so etwas hier im Parlament gebracht wird – eindeutig nicht zutrifft. Vielmehr führen wir ein sehr offenes und transparentes Verfahren durch.

In einem ersten Schritt wurden nämlich in Expertengesprächen die entsprechenden Fragestellungen herausgearbeitet, die für das nachfolgende Planverfahren primär erforderlich sind. Der wichtigste Punkt – deswegen nenne ich ihn am Anfang – ist die langfristige Energieversorgung von NordrheinWestfalen. Die Braunkohle leistet aktuell einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung unseres Landes. Das wird sie auch in Zukunft leisten können und müssen. Dies sicherzustellen und die planungsrechtliche Absicherung zu ermöglichen, das ist die Kernaufgabe dieser Leitentscheidung.

Weiter zu klären war – darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen – der Erhalt der Ortschaft Holzweiler, der Siedlung Dackweiler und des Hauerhofes. Den dort lebenden Menschen ein klares Signal zu geben, dass sie nicht mehr von Umsiedlung bedroht sind und damit eine sichere und lebenswerte Perspektive für sich und ihre Familien bekommen – das ist ein zentraler Punkt. Die besondere Abstandsregelung von 400 m für diese Orte ist aus unserer Sicht daher folgerichtig.

Weitere wesentliche Fragen sind die nach der Wasser- und Umweltwirtschaft, wie zum Beispiel die

Ausgestaltung der Restseen, sowie die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven des gesamten Reviers.

Aus unserer Sicht ist festzuhalten und zu berücksichtigen – darauf sind Sie auch nicht eingegangen, Herr Brockes; Sie stellen es hier so dar, als wenn es einen Riesenaufschrei gegeben hätte –, dass die Betroffenen – hier sind zu nennen der Bergbaubetreiber, die betroffenen Kommunen, auch die Gewerkschaft IG BCE – die Leitentscheidung in ihrem Grundtenor sehr positiv bewertet haben und dass wir – das haben Sie am Anfang anders suggeriert – am Anfang bzw. mitten in einem sehr langen Prozess stehen.

Nach umfassender, fachlich begleiteter Aufstellung haben wir jetzt diesen ersten Entwurf vorliegen; das haben Sie ja auch gesagt. Vorgestern gab es die erste Veranstaltung in Erkelenz, in der schon darüber diskutiert wurde. Am Ende des Prozesses wird im Frühjahr die endgültige Leitentscheidung stehen, und dann können wir weiter darüber diskutieren.

Fußend auf dieser endgültigen Leitentscheidung, werden wir dann ein mehrjähriges Planungsverfahren im Braunkohlenausschuss vor uns haben. Das mag für Sie als FDP und als Opposition allgemein positiv sein – Sie haben dann sicherlich noch viele Gelegenheiten, Aktuelle Stunden zu beantragen oder Anträge und Anfragen zu stellen. Ich kann für meine Fraktion sagen: Darauf freuen wir uns schon sehr, weil wir da sicherlich die deutlich besseren Argumente haben als Sie.

Wir halten für uns fest: Die Leitentscheidung schafft die Voraussetzungen für die weitere Nutzung der Braunkohle. Sie sorgt dafür, dass sichere Rahmenbedingungen für den Bergbaubetreiber und für die Bewältigung der durch die Energiewende ausgelösten Veränderungen geschaffen werden. Weiterhin werden damit Tausende von Arbeitsplätzen im rheinischen Revier langfristig gesichert. Das ist auch ein Ziel dieser Leitentscheidung.

Außerdem schafft sie Versorgungssicherheit für die Industrie und – das muss sicherlich auch noch einmal deutlich erwähnt werden – sorgt dafür, dass die Bewohner der nicht mehr von Umsiedlung betroffenen Ortschaften eine klare Zukunftsperspektive für sich haben. Sie schafft damit das, was ihr Titel verspricht: eine nachhaltige Perspektive für das rheinische Revier. – In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)