Protokoll der Sitzung vom 01.10.2015

Die Entscheidung hatten wir für den dritten Abschnitt zu treffen. Da sind Menschen zu uns gekommen mit der Frage: „Muss das denn wirklich noch sein? Hat sich die Energiewelt nicht total geändert? Müssen wir das Opfer noch bringen?“ Andere sind gekommen und haben gesagt: „Lasst uns endlich gehen. Wir haben seit zehn Jahren abgeschlossen, wir wollen an den neuen Standort. Wir haben uns entschieden. Fällt eine Entscheidung.“

Wir wussten, dass die gleiche Frage beziehungsweise der gleiche Prozess zwei Jahre später für Holzweiler ansteht. Der Prozess ist es auch, der die Menschen mürbemacht.

Wir haben dann nicht aus Willkür oder Daffke, sondern in einem vernünftigen Diskurs – so, wie man das macht, wenn man Verantwortung trägt – entschieden: Wenn das so ist, dann müssen wir das auch zusammen betrachten, weil wir den Menschen diesen Prozess sonst nicht zumuten können.

Jetzt möchte ich hier einmal einen erleben, der mir sagt: Die energiepolitischen Bedingungen haben sich von 1995 bis 2015 nicht grundlegend weiterentwickelt beziehungsweise verändert. – Das kann doch allen Ernstes kein Mensch behaupten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zur Arbeit gehört Folgendes dazu: Wenn ich von Menschen dieses Opfer verlange und es begründe, dann muss ich die Grundannahmen überprüfen und anschließend abwägen.

Wir sind daraufhin zu dem Ergebnis gekommen: Wir lassen den einen Abschnitt der Umsiedlung planungsgemäß laufen. – Darauf hat auch die Kommune gedrängt, weil sie Klarheit haben wollte. – Wir haben gesagt: Ein Teil der Menschen muss gehen, und die anderen können gehen. Wir gucken uns aber auch den vierten Abschnitt an und schauen darauf, ob die ganze Tonnage noch gebraucht wird. – Wir haben dann entschieden: Aufgrund der veränderten Bedingungen brauchen wir weniger Tonnage. Das ist die Erforderlichkeit, die Notwendigkeit.

Es hat Unterrichtungen und Aktuelle Stunden dazu gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin 15 Jahre Mitglied im Landtag. Einen Mangel an Diskussionsgelegenheiten zu Garzweiler und einen Mangel an Möglichkeiten, von den Entscheidungen des Kabinetts zu erfahren, hat es nie gegeben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Natürlich hat doch der frühere Chef der Staatskanzlei – Entschuldigung, das ist er ja immer noch; ich freue mich natürlich auf dessen erste Rede gleich, er soll ja auch Lampenfieber haben, wenn er einmal hier nach vorne geht – …

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

… den Termin in Erkelenz dem Bürgermeister langfristig zugesagt, da dieser auf Klarheit gedrängt hatte. Das ist doch kein Komplott oder keine Verschwörung Abgeordneten gegenüber, dass diese das nicht hätten erfahren sollen. Es bedurfte auch keines Kollegen aus der CDU – der Bürgermeister von Erkelenz ist da offen; er ist Ihrer Couleur – und auch nicht des Chefs der Staatskanzlei, um damit da hingehen zu dürfen. – Das alles ist möglich, und wir haben es immer diskutieren können.

In der Koalition beziehungsweise in der Regierung mussten wir dann abwägen, was das für Holzweiler heißt, einen Ort, der über 20 Jahre lang wusste, dass er nach 2030 wegkommt? Von daher sind in Holzweiler natürlich bestimmte Entwicklungen nicht vollzogen worden. Bekommt er eine bestimmte Räumlichkeit, damit dort auch noch Ansiedlung und Wohnungsbau beziehungsweise eine gewisse Entwicklung möglich ist? Oder wird er rundum „abgeschält“, wie das einige wollen? Die FDP wollte ihn weghaben. Andere wollen ihm maximal 100 Meter oder weniger geben. Von daher ist es auch vernünftig – das ist kein Kuhhandel –, zu sagen: Dieser Ort braucht auch ein gewisses Gelände.

Die Vorredner haben in Bezug auf eine bestimmte Landstraße Spekulationen angestellt. Es ist ja immer wieder toll, zu lernen, dass sich die Opposition mangels eigener Themen an irgendetwas – in die

sem Fall war es die L 19 – festklammert. Wenn man nur ein bisschen Ahnung hat, weiß man, dass vom Ort Holzweiler aus zu den Nachbarorten Beziehungen bestehen. Die verlieren mit Borschemich, Immerath und anderen Ortsteilen Hinterland. Deren Grundschule befindet sich aber in Kückhoven. Und natürlich ist es für die, die aus dem Hauptort nach Kückhoven kommen, wichtig, dass sie nicht Riesenumleitungen fahren müssen bzw. dass die notwendigen Flächen vorhanden sind. Das bringt ja auch ein Gefühl dafür, dass man noch einen Heimatort hat.

Wenn das alles so ist, dann ist es vernünftig, genau diese Beziehungen zu erhalten. Und das ist auch in der Leitentscheidung so hinterlegt worden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sprechen, weil Sie es nicht anders wollen, vom „Kuhhandel“. Ich dagegen sage: Wenn man in der Verantwortung steht, ist man in der Verantwortung für alle, die davon betroffen sind, Entscheidungen zu treffen.

Die Redezeit.

Diejenigen, die 800 m Abstand wollen, und auch die, die fragen, ob das überhaupt noch sein muss, bekommen nicht alles, was sie wollen. Die Bürgermeister haben sich an die Ministerpräsidentin gewandt mit der Forderung nach 500 m Abstand.

Die Redezeit.

Das Unternehmen hat 100 m zugestanden. Insofern sind 400 m, Frau Präsidentin, ein vernünftiger Kompromiss. – Von mir aus hätten wir auch eine Stunde darüber reden können; aber herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit von allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Vor der Stunde steht aber die Verabredung zur Redezeit. – Herr Kollege Rohwedder hat jetzt für die Piraten das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer drinnen und draußen! Die heutige Aktuelle Stunde nimmt Bezug auf die Leitenscheidung zu Garzweiler, von der seit mehr als einem Jahr bekannt war, dass sie in etwa in dieser Form kommen würde. Also ist das gar nicht so aktuell. Und doch: Als Dauerthema ist die Braunkohle immer aktuell.

RWE hat spätestens vor einem Jahr begonnen einzusehen, dass die Zeit der Braunkohle abgelaufen ist, und mitgeteilt, dass sie nicht den gesamten reservierten Bereich zerstören müssen. Die Landesregierung versucht das als ihren Erfolg zu verkaufen. Die FDP sieht in einer Leitentscheidung, die faktisch von RWE getroffen wurde, eine Gefahr. Ist das Ihr Ernst? Wen wollen Sie mit dieser Aktuellen Stunde jetzt eigentlich noch veräppeln? Das erschließt sich überhaupt nicht.

Heuchlerisch werden der Erhalt von Arbeitsplätzen und Investitionssicherheit angeführt. Wo waren denn die anderen Oppositionsparteien und die Landesregierung, als im letzten Jahr 90.000 zukunftsträchtige Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland verloren gingen, weil die Energiewende aus Berlin auf Betreiben der dreckigen Vier sabotiert wurde und immer noch wird? Wo ist beim Zerschießen des EEG die Investitionssicherheit für die vielen an der Energiewende interessierten Bürger geblieben?

(Beifall von den PIRATEN)

Wir erleben hier zum ersten Mal eine Reaktion auf den Strukturwandel, der längst im Gange ist und längst vorausschauend hätte begleitet und geformt werden müssen. Strategisch wichtig sind Umweltschutz, Klimaschutz, Flächenschutz, Immissionsschutz, Vermeidung weiterer Ewigkeitsschäden. Dekarbonisierung ist das Gebot der Stunde!

Das genaue Gegenteil der Behauptung der FDP in ihrer Begründung dieser Aktuellen Stunde ist richtig. Wer den stinkenden Kadaver Braunkohleverstromung künstlich am Leben erhalten will, setzt die Sicherheit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung in Deutschland aufs Spiel.

Vor dem Hintergrund der sich rasant ändernden energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen will die FDP mit dem Festhalten an der Braunkohle energiepolitische Optionen für die Zukunft verbauen. Das hätte gravierende Auswirkungen auf den Industriestandort NRW und würde unsere Zukunftsfähigkeit gefährden – genau das Gegenteil von dem, was in Ihrer Begründung steht.

Um den Strukturwandel sozialverträglich durchzuführen und gezielt zu begleiten und zu beschleunigen, fordern wir hier zum wiederholten Male ein Braunkohleausstiegsgesetz. Kommt das nicht, dann werden wir überrollt wie weiland vom Strukturwandel im Ruhrgebiet, als sich Steinkohle und Stahl verabschiedeten und alle sehenden Auges mit den Händen in den Taschen danebenstanden und Krokodilstränen weinten.

Dass die Energiewende und die Dekarbonisierung unvermeidlich sind, das ist der großen Mehrheit der Menschen klar. Immer mehr Menschen setzen sich aktiv ein, sei es in der Antiatombewegung, der Antifrackingbewegung, der Antikohlebewegung. Sie beteiligen sich finanziell an der Energiewende in Bür

gergenossenschaften oder als Einzelpersonen, und sie nehmen an Demonstrationen und Aktionen teil.

Die Menschenkette im Braunkohlerevier im Frühjahr, das Sommercamp, die Degrowth School, und „Ende Gelände“ in diesem Sommer hatten mehr Teilnehmer und damit mediale Aufmerksamkeit als je zuvor, und das ist gut so. Es ist eigentlich eine Schande, dass so etwas nötig ist.

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

Aber solange so viel in der Politik verkehrt läuft, wird der Widerstand weiter wachsen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten unterstützen ganz klar weiterhin alle legalen Mittel gegen die Tagebaue, darunter ausdrücklich zivilen Ungehorsam wie die Besetzungsaktion „Ende Gelände“, verwahren uns in diesem Zusammenhang gegen die Kriminalisierung der Aktivisten und Versuche,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Rechtsbruch!)

die Pressefreiheit durch Polizeiknüppel oder politischen Druck auf den WDR einzuschränken.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Die Behandlung der Themenbereiche „Ende Gelände“, „Polizeieinsatz auch gegen Journalisten“, „Zusammenarbeit zwischen Polizei und RWE

Werksschutz“ in der letzten Innenausschusssitzung war peinlich und blamabel. Unsere Fragen wurden nicht beantwortet. Der Innenminister schwieg, weil er bei diesem Thema sein Markenzeichen, den billigen Populismus, nicht anbringen konnte; stattdessen ließ er seine Polizeikader die Fragen nicht beantworten.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

SPD und CDU trugen Angriffe auf den WDR und andere Journalisten und damit die Pressefreiheit vor. Die FDP verteidigte Pressefreiheit und Bürgerrechte, indem sie sich den Ausführungen der SPD anschloss und nach der Reiterstaffel quengelte. Da fehlte nur noch die Forderung nach Pickelhaube und Säbel.

(Zuruf von der FDP: Rechtsstaatlichkeit!)

Der erste Preis für perfide Propaganda allerdings steht dem Kollegen van den Berg zu für seine Gleichsetzung von Klimaschützern und PEGIDA.

(Beifall von den PIRATEN)

Polizeiknüppel, Pfefferspray und Reiterstaffeln gegen Bürger und Medien werden Ihnen nicht helfen, genauso wenig die dumm-plumpe Propaganda in der Begründung für diese Aktuelle Stunde. Nehmen Sie endlich den Strukturwandel wahr! Wehren Sie sich gegen die Sabotage der Energiewende aus Berlin! Lassen Sie uns endlich gemeinsam die Versprechen zum Klimaschutz, Umweltschutz, Immis

sionsschutz und Flächenschutz auch im Rheinischen Revier einlösen! Wir müssen endlich gemeinsam mit der Dekarbonisierung beginnen. Wir brauchen das Braunkohleausstiegsgesetz. – Vielen Dank.