Protokoll der Sitzung vom 08.10.2020

„Der Veränderung in Richtung einer digitalisierten Arbeitswelt wird aktuell bei Teilen der Belegschaften aber eher mit Sorge und Ängsten begegnet. Obwohl die Netto-Beschäftigungseffekte im Zuge der digitalen Transformation der Arbeitswelt voraussichtlich neutral bis positiv ausfallen werden, besteht auf individueller Ebene die Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren. Mit wachsender Unsicherheit sinkt die Zufriedenheit der Beschäftigten und damit auch die Akzeptanz von Veränderungen in den Belegschaften. Diese Akzeptanz des Strukturwandels ist aber eine wichtige Vorbedingung für eine erfolgreiche Digitalisierung der Unternehmen. Dafür ist die Verdeutlichung der Humanisierungspotenziale notwendig, die die Digitalisierung eröffnet.

Die Sozialpartner können die Akzeptanz des Wandels erhöhen, indem sie vorhandene Ängste der Beschäftigten aufgreifen und mildern. Durch das Einbeziehen in den Transformations- und Entstehungsprozess und die entsprechende Gestaltungskraft der Beschäftigten können Ängste genommen und die Veränderungsbereitschaft erhöht werden. Auch können die Sozialpartner durch Maßnahmen (bspw. Betriebsvereinbarun- gen) helfen, die gelebte Betriebspraxis rechtlich zu sichern, um Klarheit für die Beschäftigten zu schaffen.“

Damit besteht die Chance, den Prozess der Transformation zu nutzen, um zu einer Revitalisierung der

Sozialpartnerschaft zu kommen. Wir wissen allerdings, dass diese in den letzten Jahren in den Betrieben vielseitiger und bunter geworden ist. Deswegen plädiert der Bericht ausdrücklich dafür, auch alternative Teilhabe- und Beteiligungsmodelle zu erproben und zu evaluieren.

Der fünfte und letzte Punkt, den ich vortragen möchte, betrifft einen wesentlichen Kern des Gutachtens, nämlich die Frage des lebenslangen Lernens und der veränderten Kompetenzanforderungen. Die Digitalisierung schafft neue Kompetenzanforderungen, die in diesem Bericht detailliert beschrieben sind. Diese werden im deutschen Bildungssystem noch nicht hinreichend abgebildet, sodass derzeit ein größeres Bewusstsein für die Bedarfe an lebensbegleitendem Lernen und der Entwicklung von Kompetenzen entsteht.

Dabei ist erkennbar, dass diese Kompetenzanforderung alle Qualifizierungsstufen in der betrieblichen Praxis betrifft. Deshalb werden Modelle der Qualifikation notwendig, die die systematische Weiterbildung der Beschäftigten modernisieren. Hier können die Sozialpartner kooperieren, um für Unternehmen und Beschäftigte neue Konzepte auszuarbeiten, um an der Gestaltung des Wandels der Weiterbildungskultur mitzuwirken.

Diese Entwicklung in Richtung einer Weiterbildungskultur ist derzeit auf beiden Seiten oftmals nicht besonders weit fortgeschritten und zum Beispiel vom Digitalisierungsgrad des jeweiligen Unternehmens abhängig. Zudem ist die systematische Beteiligung an Weiterbildung innerhalb der Betriebe häufig zwischen den Hierarchie- und Qualifikationsebenen ungleich verteilt. Aufgabe von Politik, also von uns, ist es deshalb, die Betriebe in ihren Bemühungen um die Qualifikationsgewinne systematisch zu unterstützen.

Zudem muss die Bildungs- und Weiterbildungslandschaft so ausgestaltet werden, dass sie in der Lage ist, konzeptionell kompetent die Qualifikationserfordernisse zu befriedigen und den hohen quantitativen Qualifizierungsbedarf zu erfüllen. Hierzu enthält der Bericht umfangreiche Vorschläge, deren inhaltliche Diskussion hoffentlich in den nächsten Jahren breiten Raum einnehmen wird.

Wie groß das Bemühen war, auch inhaltlich aufeinander zuzugehen, zeigt der Kompromiss zur Frage der Arbeitszeit, der nach der gemeinsamen Pressekonferenz relativ stark in der Presse rezipiert worden ist. Ich denke, das war ein gutes Beispiel, das zeigt, wie wir gemeinsam als Kommission gearbeitet haben. Jeder hat seine Maximalforderungen an diesen Stellen verlassen müssen. Damit ist das ein klares Signal aus Nordrhein-Westfalen, dass man auch bezüglich der Arbeitszeit zu klugen Lösungen kommen kann, wenn man sich zuhört und gemeinsam nach

Lösungsmöglichkeiten sucht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Dieser Kompromiss ist Teil der 120 gemeinsamen Handlungsempfehlungen, die die Kommission erarbeitet hat und nun dem Parlament zur Kenntnisnahme vorliegt. Die Handlungsempfehlungen decken die inhaltliche Breite der Befassung mit dem Thema ab und sind aus meiner Sicht ein guter Handlungsleitfaden, wie wir das Thema der digitalen Transformation fraktionsübergreifend weiterhin konsensuell in diesem Haus bearbeiten können.

Ich wünsche mir sehr, dass das Hohe Haus und die Landesregierung sich intensiv mit ihnen befassen und hieraus entsprechende Initiativen entwickeln. Das wäre auch ein gutes Stück Wertschätzung für die umfangreiche Arbeit der vielen, die an diesem Bericht mitgearbeitet und zum Gelingen beigetragen haben.

Deshalb möchte ich mich jetzt auch bei denen bedanken, die zum Gelingen intensiv beigetragen haben. Als Erstes möchte ich den Sachverständigen und Gutachterinnen und Gutachtern danken, die uns mit ihrer Expertise sehr geholfen und bereichert haben. Ein großer Dank gilt auch den Referentinnen und Referenten der Fraktionen, denen in einer Enquetekommission nicht unerhebliche Arbeit aufgetragen wird. Sehr herzlich möchte ich mich beim Sitzungsdokumentarischen Dienst für die viele verlässliche Arbeit bedanken. Ein ganz großer Dank geht an die Landtagsverwaltung, nämlich Frau Meyer mit ihrem Team. Sie haben das wirklich großartig gemacht und uns jederzeit unterstützt.

Ganz wichtig für die Arbeit in der Kommission war die Mitarbeit der sachverständigen Mitglieder der Kommission. Frau Dr. Voss, Herr Professor Dr. Haipeter, Herr Dr. Klös und Herr Professor Dr. Schneider haben viel Zeit investiert und im besten Sinne Politik mit ihrer Kompetenz in den vergangenen zweieinhalb Jahren beraten und begleitet.

Last, but not least gilt mein herzlicher Dank allen parlamentarischen Mitgliedern der Enquetekommission. Hervorheben möchte ich meine Stellvertreterin, Frau Oellers, und die Sprecher der Fraktionen, die gleich nach mir reden werden. Sie haben mir die Arbeit als Vorsitzendem meistens leicht gemacht.

Es hat Spaß gemacht, mit Ihnen zu arbeiten. Auch für mich war es eine spannende und erkenntnisreiche Zeit. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bell. Jetzt sind es doch fast 20 Minuten

geworden. Auch von unserer Seite herzlichen Dank an Sie und die Kolleginnen und Kollegen der Enquetekommission. – Nun kommen wir zu der Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat Herr Kollege Marco Schmitz das Wort. Die Zeiten sind aktualisiert eingespielt. Insofern sollte das jetzt auch mit der Uhr klappen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Es funktioniert mit der Digitalisierung. Die Uhr läuft, und ich kann die Zeit herunterlaufen sehen.

In den insgesamt 26 Sitzungen und Anhörungen der Enquetekommission haben wir nicht nur das heutige Ziel, die Erarbeitung und Fertigstellung des Berichtes, erreicht, sondern wir haben uns auch – das freut mich besonders; Herr Kollege Bell hat schon darauf hingewiesen – fraktionsübergreifend auf insgesamt 120 Handlungsempfehlungen einigen können. Diese richten sich an Bund, Land, Sozialpartner und Unternehmen, also an alle, die an dem Arbeitsmarkt beteiligt sind.

Zwei aufschlussreiche Jahre, in denen zum Ende hin die gegenwärtige Coronapandemie natürlich weitreichenden Einfluss auf die Arbeitswelt hatte und immer noch hat, liegen jetzt hinter uns; zwei Jahre, in denen wir uns mit vielen Fragestellungen beschäftigen konnten: Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen? Wie kann eine humane, sozial ausgewogene und zukunftsfähige Gestaltung der Arbeitswelt gelingen? Wie funktioniert Soziale Marktwirtschaft in einer digitalen Welt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Bundesland hat einiges zu bieten. Es hat wie jedes andere Bundesland im Hinblick auf das wirtschaftliche Profil spezifische Stärken und Schwächen. Bei uns in Nordrhein-Westfalen trifft eine stark ausgeprägte Dienstleistungsbranche auf ein produzierendes Gewerbe, welches noch einer stärkeren Zukunftsorientierung bedarf.

Die Arbeitswelt wird sich verändern. Daran können wir auch nichts ändern. Das hat sie im Verlaufe der Geschichte schon immer getan. Was wir machen können, ist, diese Veränderung zu begleiten.

Aktuell stehen wir vor einer Entwicklung, in der die Digitalisierung fast alle Arbeitsbereiche durchdringt. Für uns als NRW-Koalition, aber auch für das Haus insgesamt gilt es, die Chancen dieser Entwicklung zu erkennen und zielgerichtet für die Gestaltung der Arbeitswelt zu nutzen.

Die Enquetekommission hat im Hinblick auf die Arbeitsmarktpolitik einen Bedarf für die Anpassung der individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten an die betriebliche Notwendigkeit erkannt. Hierbei spielt die Flexibilisierung der tariflichen Wochenarbeitszeit eine zentrale Rolle. Auch wenn die Förderung

mobilen Arbeitens grundsätzlich eine betriebliche Angelegenheit ist, so können wir doch vonseiten des Landes das Ganze durch Maßnahmen unterstützen, beispielsweise durch die Förderung von Coworking Spaces. Wir können auch andere zusätzliche Anreize schaffen.

Um die Vorteile, die der digitale Wandel mit sich bringt, zielorientiert zu nutzen, bedarf es unter anderem auch arbeitszeitpolitischer Neuerungen. Ich bin – genauso wie es der Kollege Bell eben auch schon beschrieben hat – sehr dankbar, dass wir es geschafft haben, uns im Rahmen der Enquetekommission auf eine Handlungsempfehlung zu einigen, mit der wir Experimentierräume schaffen wollen, mit der wir probieren, von der täglichen Höchstarbeitszeit auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umzusteigen, um den Unternehmen, aber auch den Beschäftigten die Möglichkeit zu geben, sich zukunftsfähig an die Arbeitswelt anzupassen.

Die Digitalisierung hat auch große Auswirkungen auf die öffentliche Verwaltung. Ich nenne explizit die EGovernment-Lösungen. Im Bericht wurde sich mit den dafür erforderlichen Änderungsprozessen sowie den eingeleiteten landespolitischen Maßnahmen und rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt. Im Hinblick auf das qualitative und quantitative Angebot ist Nordrhein-Westfalen bereits Vorreiter. Hier hat die NRW-Koalition in den ersten Jahren bereits geliefert.

Dennoch haben wir den noch existierenden Ausbaubedarf erkannt. Beim Ausbau von Open-Data-Angeboten ist die noch erforderliche Vertrauensbasis in die sachgemäße Verwertung der Daten in Wirtschaft und Gesellschaft nicht außer Acht zu lassen.

Der digitale Wandel der Arbeitswelt in NordrheinWestfalen bringt große Chancen für unser Land mit sich. Deshalb – auch das wurde eben beschrieben; am Anfang war es so – sollten wir uns nicht zu sehr von den Risiken leiten lassen. Nordrhein-Westfalen als Digitalstandort hat enormes Potenzial. Das haben auch die Beratungen in den letzten zwei Jahren gezeigt. Dieses Potenzial wurde von der NRW-Koalition in den letzten Jahren schon mit vielen Initiativen gefördert und steht auch weiterhin ganz oben auf unserer Prioritätenliste. Wir waren es daher auch, die das erste Digitalministerium und den ersten Digitalisierungsausschuss in Nordrhein-Westfalen eingerichtet haben.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Herr Bell, ich möchte mich auch ganz besonders bei Ihnen für die konstruktive Zusammenarbeit in den letzten zwei Jahren bedanken. Sie haben es mit Ihrer immer besonnenen und ausgleichenden Art geschafft, uns im Hinblick auf die Handlungsempfehlungen zum großen Teil zu einen. Wir haben nur ganz wenige Sondervoten in unserem Bericht. Das zeigt ja

auch, dass die Möglichkeit bestand, hier eine Einigung zu erzielen. Daher – ich glaube, das kann ich auch für den Rest des Hauses sagen – Ihnen einen ganz herzlichen Dank für die Arbeit als Vorsitzender.

(Beifall von allen Fraktionen)

Ebenso gilt mein Dank aber natürlich auch den Sachverständigen, die uns mit ihrer Expertise tatkräftig unterstützt haben, wie auch den jeweiligen Fraktionsreferenten, die auf Arbeitsebene viel, viel Arbeit geleistet haben, uns entlastet und vieles schon abgeräumt haben.

Zuletzt möchte ich mich aber auch bei Frau Meyer und ihrem Team bedanken. Wir konnten mit allen Fragen und Problemen auf Sie zukommen. Das hat immer funktioniert. Dafür ein herzliches Dankeschön.

Ich hoffe, dass wir mit diesem Bericht für unser Haus und unsere Landesregierung die notwendigen Empfehlungen erarbeitet haben, mit denen wir NordrheinWestfalen noch weiter fit für die Zukunft machen können. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz für die Fraktion der CDU. – Für die Fraktion der SPD hat Herr Kollege Schneider das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kennen Sie eigentlich Herrn Tur-Tur? Herr Tur-Tur ist ein Scheinriese. Von Weitem wirkt ein Scheinriese riesengroß. Doch je näher man Herrn Tur-Tur aus der Geschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ kommt, desto kleiner wird er, bis er schließlich menschengroß vor einem steht.

Ähnlich scheint es sich mit Cloud- und Clickwork in der digitalen Arbeitswelt zu verhalten. Von Weitem scheinen die Probleme, die dieser Bereich für die Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer mit sich bringt, riesig zu sein. Der Bereich der Foodora-Fahrer, der soloselbstständigen Grafiker und der via Plattform vermittelten Dienstleister scheint riesengroß zu sein und immer größer zu werden und die damit einhergehenden Probleme auch: schlechte Bezahlung, keine Mitbestimmung, wenig soziale Absicherung – Digitalisierung sei Dank.

Auf diesem weitestgehend unregulierten Bereich der sogenannten atypischen Beschäftigungen liegt deshalb der Fokus vieler Diskussionen, die sich um die digitale Transformation der Arbeitswelt drehen.

Doch je näher wir diesem scheinriesigen Problem während unserer Arbeit in der Enquetekommission gekommen sind, desto deutlicher wurde, dass es sich hier nur um ein kleines Phänomen handelt, von

dem nur wenige Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sind, wie es der Vorsitzende der Enquete gerade schon detailliert beschrieben hat.

Diese Konzentration auf den Scheinriesen – so scheint mir – verstellt unter Umständen den Blick auf das Große und auf das Ganze. Denn tatsächlich ist die Zahl der realexistierenden Arbeitsplätze, die in Zukunft von der Digitalisierung – ja, ich nenne es so – erfasst werden, weil sie schlicht entbehrlich sind, nicht so riesig.

Die gute Nachricht ist: Im Gegenzug werden viele neue Arbeitsplätze entstehen. Die schlechte Nachricht ist: Das wird nicht unbedingt im selben Betrieb sein und ganz bestimmt nicht in den gleichen Berufen.

Darum liegt ein Schwergewicht unserer Empfehlungen auf dem Bereich Aus- und Weiterbildung. Lebensbegleitendes – auch das habe ich während dieser Zeit lernen dürfen –, nicht lebenslanges Lernen, weil sich das dann doch sehr nach Gefängnisstrafe anhört, schützt schlicht vor Arbeitslosigkeit.

Betrüblich ist dagegen der Befund, dass die Bereitschaft zur Weiterbildung dort am geringsten ist, wo sie am nötigsten wäre. Deshalb braucht es zusätzliche auch finanzielle Anreize, aus unserer Sicht ein Transformationskurzarbeitergeld sowie eine gute nationale Weiterbildungsstrategie.

Neben Risiken, die ich gerade problematisiert habe, bietet die Digitalisierung natürlich jede Menge Chancen, zum Beispiel im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Stichwort: Homeoffice. Während der Coronapandemie konnte man sehen, welches Potenzial in der Arbeit von zu Hause steckt. Unsere Empfehlung ist deshalb, Homeoffice wo möglich und gewünscht zu ermöglichen. Sollte der Arbeitgeber dies ablehnen, muss er das begründen. Damit aber die Heimarbeiter oder die mobilen Arbeiter am Ende nicht mit Rückenschäden und schlechten Augen in Rente gehen, bedarf es einer vernünftigen technischen Ausstattung. Im Sinne des Arbeitsschutzes muss man auch dafür sorgen. Das hat aus meiner Sicht überhaupt nichts mit Überregulierung, sondern schlicht mit Vernunft und Vorsorge zu tun.