Was wollen wir? Das für die Versammlung geltende Recht stammt aus dem Jahr 1953. Wesentliche Veränderungen gab es im Bund nicht. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich aber die Anforderungen an das Versammlungsrecht deutlich geändert. Das muss hinreichender und auch besser werden. Deswegen wollen wir Lücken schließen.
Erstens. Wir interpretieren die Versammlung als Ausdruck unserer Freiheit. Unser Gesetz soll Versammlungen ermöglichen und nicht verhindern. Es geht also nicht vorrangig um die Gefahrenabwehr, sondern darum, Grundrechte zu gewähren.
Zweitens. Wir wollen mit den Regelungen mehr Rechtsklarheit schaffen, denn viele Begriffe und Abläufe müssen heute klarer gefasst werden. Davon profitieren die Bürgerinnen und Bürger, die eine Versammlung durchführen wollen, aber auch die Behörden, die das prüfen und kontrollieren müssen.
Drittens. Wir regen an, alle Formen von Versammlungen in einem Gesetz zu regeln, öffentliche, nichtöffentliche, unter freiem Himmel oder im geschlossenen Raum.
§ 3 unseres Entwurfs formuliert ein klares Kooperationsgebot zwischen der Versammlungsbehörde und den Veranstaltern. Die Versammlungsbehörde ist grundsätzlich zu einer Zusammenarbeit mit der Veranstalterin oder dem Veranstalter verpflichtet – ein Dialog, der im Vorfeld helfen soll, Konflikte zu vermeiden. Ganz im Sinne des Brokdorf-Urteils des Bundesverfassungsgerichts wollen wir eine versammlungsfreundliche Verfahrensgestaltung. Das wird auch ganz konkret einer Behörde zugeordnet. Wir schlagen vor, dies den Kreispolizeibehörden zuzuordnen, damit eine Behörde für alle gegebenenfalls notwendigen Genehmigungen zuständig ist.
Wir wollen versuchen, den Versammlungsbegriff in § 2 sehr umfassend gesetzlich zu definieren, um insbesondere klarzumachen, was unter den Schutz der Versammlungsfreiheit des Art. 8 fällt und was eben nicht, weil es kommerzielle Veranstaltungen oder reine Unterhaltungsveranstaltungen sind. Die Abgrenzung ist, glaube ich, wichtig.
Wir legen uns auch fest und orientieren uns an der Rechtsprechung: Ab drei Personen handelt es sich um anzeigepflichtige Versammlungen.
In den §§ 9 und 10 wollen wir noch einmal klar festlegen, wie das Verhältnis des Versammlungsrechts zum allgemeinen Polizeirecht ist.
Meine Damen und Herren, am 9. November 1938 begannen die systematische Diffamierung, Ausgrenzung, Verfolgung und auch die Tötung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger während der NS-Zeit. Daran haben wir uns am vergangenen Montag erinnert. Stellvertretend hat der Landtagspräsident hier in Düsseldorf mit Vertretern der jüdischen Kultusgemeinde einen Kranz niedergelegt.
Ebenso erinnern wir am Tag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar an die Millionen Opfer der Schoah. Wegen des unvorstellbaren Leids, seines Ausmaßes, aber auch der verbrecherischen Systematik dieser Morde durch staatliche Organe geben
Wie verstörend und provozierend für Angehörige der Opfer sind dann Versammlungen an diesen Tagen, die nur einem dienen, nämlich die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft zu billigen, zu verherrlichen oder im schlimmsten Fall sogar zu rechtfertigen?
Einige stehen dann ratlos daneben. Andere ergreifen sehr mutig in Gegendemonstrationen das Wort. Und manche fragen: Darf denn nicht wenigstens dann eine solche Versammlung verboten werden?
Die Antwort unserer Verfassung ist klar: ja, sie darf. – Denn auch wenn der Staat und seine Organe bei der Bewertung von Versammlungen neutral sein müssen und neutral sind, um Art. 5 und Art. 8 zu gewähren, so wurde das Grundgesetz vor 70 Jahren doch in Erinnerung eines Terrorregimes und der Verletzlichkeit einer Republik geschrieben. Die Mütter und Väter unserer Verfassung entschieden sich daher für eine sehr zentrale Mahnung, die unsere Verfassung durchzieht, die Mahnung: nie wieder.
Heute noch rufen sie uns zu: Wahret die Würde des Menschen, stellt sie allen euren Entscheidungen voran, denn sie ist unantastbar. – Dieses Gebot des Art. 1 des Grundgesetzes gilt ohne Abstriche auch und gerade für die Millionen Opfer des Holocaust.
Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner Wunsiedel-Entscheidung sehr beeindruckend herausgearbeitet: Die propagandistische Gutheißung der NS-Gewalt und -Willkürherrschaft mit all dem schrecklichen tatsächlichen Geschehen ginge weit über den üblichen Meinungskampf hinaus und wäre von den Grenzen der Meinungsfreiheit nicht erfasst.
„Die Befürwortung dieser Herrschaft ist in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potenzial.“
Oder mit meinen eigenen Worten: Solche Aussagen gehen über die Meinungsäußerung hinaus, weil sie den Kern unserer Identität, der Identität der Bundesrepublik Deutschland, treffen und erschüttern. Oder noch kürzer gesagt: bis hierhin und nicht weiter.
Treffe es diesen Kern, so heißt es aus Karlsruhe, dürften auch die hohen Güter der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschränkt und durchbrochen werden. – Das gilt gerade in Zeiten, in denen viele unserer jüdischen Nachbarn immer wieder mit steigendem Antisemitismus im Alltag zu tun haben und in denen uns die Berichte der Antisemitismusbeauftragten Frau Leutheusser-Schnarrenberger erschüttern und besorgen. Darum haben wir uns – wie auch andere Bundesländer – dafür entschieden, in § 13
Abs. 4 ein Verbot von Versammlungen vorzuschlagen, wenn diese die Erinnerung an die Opfer mit Füßen treten wollen.
Diese Mahnung und Erfahrung einer fragilen Demokratie haben wir 1949 auf unserem Weg in unsere Demokratie mitbekommen. Carlo Schmid hat es mit einem häufig zitierten Satz auf den Punkt gebracht:
„Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“
Im Gegensatz zur Weimarer Republik müssen und wollen wir wehrhaft sein. Wir wollen unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat verteidigen. Lassen Sie uns heute diesen Mut zur Intoleranz aufbringen. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Wolf, wir haben in einigen Punkten 100 % Übereinstimmung.
Ich fange mal mit dem ersten Punkt an. Bezüglich dessen, was Sie gerade im Hinblick auf Art. 8 Grundgesetz – Versammlungsfreiheit – beschrieben haben – konstituierend; hohes Gut unserer Demokratie, unseres Rechtsstaats –, haben wir 100 % Übereinstimmung.
Ich bin froh, dass die Allgemeinverfügung der Stadt Köln, Versammlungen auf 100 Personen zu begrenzen, durch das OVG Münster für rechtswidrig erklärt worden ist. Das zeigt sehr deutlich, dass man so etwas nicht pauschal in einer Satzung regeln darf, kann und soll. Diesbezüglich haben wir eine völlige Übereinstimmung.
Wir haben zweitens eine völlige Übereinstimmung, was den Rechtsextremismus, die Verfolgung und die Diskriminierung angeht. Auch da teile ich alles, was Sie eben gesagt haben, zu 100 %.
Keine Übereinstimmungen haben wir bei dem, was Sie ansonsten zu Ihrem Gesetzentwurf gesagt haben. Darüber werden wir auch im Ausschuss sicherlich noch mal diskutieren müssen.
Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie als SPD-Fraktion im Landtag einen umfangreichen Gesetzentwurf vorgelegt hätten. Sie haben gesagt, dass das Versammlungsrecht klarer gefasst und vor allen Dingen auf einen modernen Stand gebracht werden müsse.
Darauf möchte ich gerne eingehen. Ich will aber insgesamt bei der Frage des Gesetzentwurfs Ihrer eigenen Fraktion anfangen. Sie haben eben – auch im Dialog mit dem Kollegen Lürbke – dargelegt, dass Sie einige Passagen aus anderen Bereichen übernommen hätten. – Ich würde ein bisschen weitergehen. Es ist gar nicht Ihr Gesetzentwurf. Sie haben den Entwurf für das Versammlungsfreiheitsgesetz in Schleswig-Holstein komplett übernommen. Sie haben eins zu eins abgeschrieben und nur an ein paar Stellen verändert, nicht umgekehrt. Es ist nicht Ihr Gesetzentwurf.
Sie haben den Gesetzentwurf an genau drei Stellen geändert: In § 9 haben Sie eine Begrifflichkeit geändert. In § 21 haben Sie das Hausrecht weggelassen. In § 29 – Ersetzung von Bundesrecht, Übergangsregelung – haben Sie einen Paragrafen hinzugefügt.
Vielmehr haben Sie ein anderes Gesetz eins zu eins übernommen, auch die Begründung, und nur an einigen Passagen etwas geändert. So viel sollte zur Wahrheit dazugehören.
Gestatten Sie mir an der Stelle einen Hinweis: Sie haben wahrscheinlich die Not gehabt, recht schnell einen Gesetzentwurf ins parlamentarische Verfahren bringen zu wollen, weil Herr Minister Reul diesbezüglich schon eine Ankündigung gemacht hat.
Wenn Sie mal in unseren Koalitionsvertrag hineinschauen, werden Sie auf Seite 58 lesen – ich zitiere –:
„Wir werden die Gesetzgebungskompetenz des Landes zu Schaffung eines modernen Versammlungsgesetzes nutzen.“