Protokoll der Sitzung vom 13.11.2020

Das sind nur ein paar Beispiele für viele Männer und Frauen, auf die ich nicht verzichten möchte, die unsere Gesellschaft vielfältiger, bunter und stärker machen. Ihnen und ihren Großeltern und Eltern gelten unser Respekt und unsere Anerkennung.

Zum Schluss möchte ich noch ganz kurz auf den Entschließungsantrag von SPD und Grünen eingehen. Es handelt sich um die gebündelten Wunschvorstellungen von Rot-Grün: vom kommunalen Wahlrecht für Drittstaatler bis zur Antidiskriminierungsstelle. Wir hätten uns ein bisschen mehr Zeit für die Debatte nehmen sollen. Ich finde es mehr als schwierig, das jetzt so mitzunehmen.

Ich werbe noch einmal für die Zustimmung zu unserem Antrag. Ich glaube, bei vier der fünf Fraktionen besteht ein Konsens darüber, dass wir das entsprechend würdigen und das Thema der Anwerbeabkommen noch einmal in den Vordergrund stellen. Das eint uns. Deswegen bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. – Danke schön.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Yetim das Wort.

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! 1961 wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei das Anwerbeabkommen unterzeichnet, das sich im nächsten Jahr zum 60. Mal jährt.

Ein solches Jubiläum bietet die Chance, zurückzuschauen und darauf zu blicken, was das Leben der vielen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus der Türkei, aber auch aus vielen anderen Ländern geprägt hat.

Es bietet die Chance, zu schauen, was die Menschen, die hier ihren Lebensabend verbringen, brauchen

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

und was sich diese erste Generation der Menschen mit Einwanderungsgeschichte für die Zukunft ihrer Kinder, Enkelkinder und Urenkel wünscht.

Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, all das tun Sie in Ihrem Antrag nicht, sondern Sie blicken lediglich zurück. Sie fordern die Würdigung eines Vertrags, eines Papiers. Ich empfinde Ihren Antrag nicht nur als peinlich, sondern sage Ihnen ganz deutlich: Wenn ich darüber noch mit meinen Eltern hätte sprechen können, die beide hier verstorben sind, hätten

sie gesagt: Was Sie an der Stelle tun, ist entwürdigend.

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Denn Sie sprechen mit keinem Wort die Lebenserfahrungen und Lebensleistungen der vielen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter an.

(Heike Wermer [CDU]: Haben Sie mir nicht zu- gehört?)

Der Antrag enthält lediglich Ihre Aufforderung, dass der Ministerpräsident im Jahr der Bundestagswahl und im Jahr vor der Landtagswahl – ich bin gespannt, welchen Termin er sich in seinem Kalender rot markiert – Selfies mit Menschen mit Einwanderungsgeschichte machen soll.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)

Ich habe den Verdacht, dass dieser Antrag lediglich dazu dienen soll, der Landesregierung und dem Ministerpräsidenten die Gelegenheit zu geben, den Boden für eine Roadshow zu bereiten.

(Zuruf von Heike Wermer [CDU])

Frau Wermer, das ist in einem Land wie NordrheinWestfalen nicht angemessen. Das wird der Geschichte vieler Menschen in diesem Land nicht gerecht,

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

denn die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter haben mit körperlich schweren Arbeiten und als billige Arbeitskräfte zum Wohlstand unseres Landes beigetragen. Sie bereichern unsere Gesellschaft.

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Die Wertschätzung und den Respekt für diese Menschen auszudrücken, muss im Vordergrund stehen – und nicht die Würdigung eines Abkommens.

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Ob aus der Türkei, aus Spanien, Italien, Griechenland, Marokko oder dem ehemaligen Jugoslawien: All diese Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter

wünschten sich eine bessere Zukunft vor allem für ihre Kinder.

Dafür haben sie zum Teil sehr harte körperliche Arbeit in Kauf genommen. Dafür ließen sich die meisten Einwanderer mit gerade einmal 20 Jahren auf ein Leben in einer für sie völlig fremden Kultur ein.

Sie haben oft umgeplant, mehr als zwei Drittel ihres Lebens hier verbracht und mit an der Entwicklung unseres Landes gearbeitet. Eigentlich wollten sie alle nur ein paar Jahre bleiben und dann wieder in die Heimat zurückkehren.

Aus einigen Jahren ist ein ganzes Leben geworden, aus der Fremde wurde die zweite Heimat, und aus der Heimat der Urlaubsort, denn hier leben ihre Nachkommen und auch ihre Freunde.

Deswegen haben sie hier auch einen würdevollen Lebensabend verdient. Um nur einige Punkte zu nennen: Das muss sich zum Beispiel daran festmachen, dass wir eine flächendeckende kultursensible Altenpflege und Altenhilfe sowie Bestattungsmöglichkeiten für Muslime und Menschen anderer Religionen ermöglichen.

Wir brauchen zudem politische Beteiligungschancen. Das kommunale Wahlrecht für Staatsbürger aus Drittstaaten, das Sie gerade angesprochen haben, Herr Lenzen, wäre ein starkes Signal an diejenigen, die hier seit Jahrzehnten leben,

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

die hier ihre Steuern bezahlen, die Teil unserer Gesellschaft sind, die aber wie auch meine Eltern in den 50 Jahren, die sie hier verbracht haben, nicht ein einziges Mal wenigstens ihren Ratsvertreter oder ihren Bürgermeister bzw. ihre Bürgermeisterin wählen konnten. Das wäre ein starkes Signal im Jubiläumsjahr.

Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie uns gemeinsam und parteiübergreifend an einer Initiative für dieses Jubiläumsjahr arbeiten. Wir hätten dabei die Gelegenheit, den Integrationskonsens zwischen den Parteien in Nordrhein-Westfalen zu beleben und ein starkes Signal des Respekts und der Anerkennung an diese Menschen zu senden.

Rassismus und Diskriminierung treibt viele dieser Menschen um, insbesondere in diesen Zeiten, und zwar in allen Lebensbereichen: ob das der Ausbildungsmarkt, der Arbeitsmarkt oder auch der Wohnungsmarkt ist.

Für echte Chancengleichheit einzutreten, würden viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte für richtig halten, denn damit würden wir auch ein Stück Anerkennung zeigen, denn selbst nach teilweise über 50 Jahren, in denen sie hier leben, erleben sie gegen sich, ihre Kinder, ihre Enkel und ihre Urenkel immer noch Diskriminierung und Rassismus,

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

und zwar unabhängig davon, welchen Bildungsstand sie haben oder welchen sozialen Aufstieg sie geschafft haben.

Wenn wir über echte Chancengleichheit reden, wird es für uns in einigen Jahren hoffentlich selbstverständlich sein, dass Forscherinnen und Forscher, die einen Impfstoff erfinden, Uğur Şahin oder Özlem Türeci heißen. Sie haben sich noch nicht einmal die

Mühe gemacht – das ist auch ein Signal –, die Namen richtig auszusprechen.

(Beifall von der SPD)

Dann wäre es selbstverständlich, alleine die medizinische Kompetenz und nicht ihre Einwanderungsgeschichte in den Vordergrund zu stellen.

Die Redezeit.

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Unsere Forderungen im Antrag sind nicht neu; wir diskutieren diese Themen schon sehr lange. Ich möchte sie aber noch einmal in Erinnerung gerufen haben und mit einem dringen Appell verbinden: Würdigen Sie nicht die Verträge! Würdigen Sie die Lebensleistung dieser Menschen! Lassen Sie uns das gemeinsam tun!

Stimmen Sie unserem Antrag zu, oder lassen Sie uns Ihren Antrag in den Integrationsausschuss überweisen, sodass wir da vielleicht zu einer gemeinsamen Initiative kommen. Denn damit können wir den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken und die Lebensleistung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger entsprechend würdigen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen spricht die Abgeordnete Frau Aymaz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Geschichte der sogenannten Gastarbeiter hier ist fast so alt wie die Bundesrepublik selbst. Man kann also sagen: Die Bundesrepublik ist auch eine Republik der Gastarbeiter.

Meine Vorrednerinnen, meine Vorredner haben schon skizziert, welchen wertvollen Beitrag die sogenannten Gastarbeiter für den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Aufschwung geleistet haben und mit welcher Kraftanstrengung es ihnen gelungen ist, Deutschland und auch NRW in den Nachkriegsjahren wieder auf die Beine zu bringen.

Es kamen Männer und, was leider viel zu selten erwähnt wird, auch Frauen, meistens zunächst alleine und ohne Familienangehörige, voller Schaffenskraft in jungen Jahren. Das, was diese Menschen geleistet haben, kann gar nicht genügend gewürdigt werden. Wir alle profitieren auch heute noch von den Leistungen dieser Menschen. Und ich als Kölnerin frage natürlich: Was wären die Kölner Ford Werke ohne die Gastarbeiter, die dort Tag und Nacht am Fließband gestanden haben?