Das war, ist und bleibt richtig und notwendig. Es ist gut, es ist richtig, es ist wichtig; aber wir konzentrieren damit unser Verständnis von jüdischem Leben manchmal zu stark auf die Shoah, den Gegenwartsantisemitismus und rechtsextreme und antisemitische Straftaten und Terrorakte.
Deshalb ist es ausgesprochen schön und für uns als Gesellschaft auch wichtig, dass wir mit dem Jubiläum „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ eine Chance haben, uns mit der langen Geschichte des Judentums in Deutschland, mit der jüdischen Kultur und Literatur, mit jüdischem Leben, mit der Religion, mit den Festen, mit den Gebräuchen und mit den Ritualen auseinanderzusetzen, also mit dem, von dem wir eigentlich viel zu wenig wissen.
Im 21. Jahrhundert reden wir aber auch über die Wünsche und Hoffnungen, die Erwartungen und Lebensrealität der Jüdinnen und Juden in unserer Zeit. Das Jubiläum „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ weitet damit unseren Blick und unser Verständnis und macht deutlich, dass wir im kommenden Jahr das lebendige, vielfältige und facettenreiche jüdische Leben feiern können.
Die wechselvolle und lange Geschichte der Jüdinnen und Juden in Deutschland macht zudem deutlich: Unsere eigenen Wurzeln, unsere eigene Geschichte,
unsere Kultur und auch unsere Religion sind untrennbar mit dem jüdischen Leben in Deutschland verbunden. Vielfach gründen sie auch darauf.
Deshalb hat der Verein „321“ ja auch sehr selbstbewusst in seinem Aufruf formuliert, dass Menschen jüdischen Glaubens länger in Deutschland leben als Christinnen und Christen und dass sie wesentlich dazu beigetragen haben, dieses Land aufzubauen und zum Blühen zu bringen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein paar der vielfältigen Aktionen und Aktivitäten, die der Verein bündelt, koordiniert und initiiert hat, aufführen. Ein Jahr und über 1.000 Events – so lautet das Motto. Da ist die Kölner Stadtbahn „Schalömchen“ oder „Deduschka“, ein Song von Ben Salomo, ein Podcast, den Sie vielleicht kennen, die Onlineausstellung „7 Places“, und viele Veranstaltungen von Volkshochschulen über Kirchengemeinden bis hin natürlich zu den jüdischen Religionsgemeinschaften.
Es gibt ein großes Kulturfest, und es wird den ökumenischen Kirchentag bestimmen. Es gibt eine Sonderbriefmarke. Man kann noch vieles aufzählen, das deutlich macht: Das Festjahr wird bunt. Es wird vielfältig. Es wird wertschätzend. Es wird vor allen Dingen begegnungsreich.
Auch wir in Nordrhein-Westfalen beteiligen uns daran. Es ist auch gut, dass der Bund, die Länder und auch unser Bundesland sich finanziell daran beteiligen.
Meine Fraktion verbindet mit dem heutigen Antrag die Erwartung, dass sich aus den Projekten des Jubiläumsjahres eine langfristige und nachhaltige Zusammenarbeit und Kooperation entwickeln, so wie es auch im Erläuterungsband zum Einzelplan 02 zu finden ist.
Es tut gut, und es ist gut, dass wir heute, zum Ende des Jahres 2020, gemeinsam mit dem Verein „321“ feststellen können: Wir vergessen nicht. Wir dulden nicht. Wir sind dankbar. Wir fordern eine aktive, zukunftsgerichtete Erinnerungskultur, und wir werden gemeinsam 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiern.
Mit diesem wichtigen Antrag sage ich unseren jüdischen Freundinnen und Freunden: Chanukka sameach. – Danke schön.
Danke schön. – Die Kollegin Gödecke hat in ihrer Rede gerade mehrfach den Verein „321-2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ angesprochen. Wir haben heute auf der Besuchertribüne die Generalsekretärin, Frau Sylvia Löhrmann, und den 1. Vorsitzenden, Herrn Dr. Matthias Schreiber, sitzen und begrüßen beide sehr
Als nächste Rednerin darf ich für die Fraktion der Grünen die Fraktionsvorsitzende Frau Schäffer hier vorne begrüßen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Oktober dieses Jahres präsentierten die Stadt Köln, die Jüdische Gemeinde und die KVB eine Straßenbahn mit dem Aufdruck „Schalömchen Köln“. Ich finde, dass das eine sehr coole, sehr schöne Idee ist.
Eine solche Straßenbahn, die auf den zentralen Linien der KVB durch die Stadt Köln fährt, ist auch ein Statement. Es ist ein Statement dafür, dass jüdisches Leben mittendrin und ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft ist, und das seit mindestens 1.700 Jahren.
Diese 1.700 Jahre sind eine wechselvolle gemeinsame Geschichte – eine Geschichte, in der Menschen jüdischen Glaubens diese Gesellschaft maßgeblich gestaltet, geprägt und auch verändert haben, aber auch eine Geschichte, in der Jüdinnen und Juden immer wieder gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt waren.
Ich erinnere hier unter anderem an die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung während der Zeit der Kreuzzüge. Der Hass der Kreuzfahrer gegen Nichtchristen richtete sich ganz maßgeblich gegen Jüdinnen und Juden im eigenen Land. Daran hatte auch die Kirche einen Anteil. Als die Pest in Europa grassierte, wurde der Mythos der Brunnenvergiftung gesponnen. Das sind übrigens antisemitische Bilder, die bis heute in verschiedenen Abwandlungen genutzt werden; ganz aktuell bei den derzeitigen Demonstrationen gegen die Coronaschutzmaßnahmen.
Judenhass und Antisemitismus ziehen sich durch die deutsche Geschichte. Sie führten zu den menschenverachtenden, furchtbaren Gräueltaten und der Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes. Dass so viele Bürgerinnen und Bürger bei diesem Fanatismus mitgemacht oder zumindest diesem Hass nichts entgegengesetzt haben, erschüttert uns immer wieder.
Das Festjahr 2021 ist deshalb auch ein Jahr der Mahnung. Dieser menschenverachtenden und tödlichen Ideologie des Antisemitismus muss immer und an jeder Stelle widersprochen werden, und antisemitische Straftaten müssen geahndet werden.
Das Festjahr 2021 ist aber vor allem auch ein Jahr, in dem wir das vielfältige und reiche jüdische Leben in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen feiern wollen. Wir alle wissen, dass unsere Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte ohne den Beitrag von
Jüdinnen und Juden anders aussehen würde. Menschen wie Hannah Arendt oder Albert Einstein haben unser Denken und unsere Gesellschaft nachhaltig geprägt. Ich bin mir auch sehr sicher, dass die heutigen Kunst- und Kulturschaffenden jüdischen Glaubens unverwischbare Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen werden.
Jüdinnen und Juden bringen als Teil dieser Gesellschaft ihre vielfältigen Perspektiven und Ideen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein. Damit legen sie auch immer wieder den sprichwörtlichen Stachel in die Wunde. Es ist ja auch kein Zufall, dass die Beratungsstelle zu Antisemitismus und Rassismus in Düsseldorf SABRA heißt; „Sabra“ ist das hebräische Wort für „Kaktus“.
Bei dem Festjahr 2021 geht es darum, den Beitrag von Jüdinnen und Juden in unserer Geschichte und Gegenwart zu würdigen und deutlich zu machen, dass unsere gesamte Gesellschaft ein Interesse an dem pulsierenden jüdischen Leben hat. Es geht darum, jüdisches Leben sichtbar zu machen.
Meines Erachtens muss es auch darum gehen, einer breiteren Bevölkerung jüdische Tradition, Kultur und Religion näherzubringen und sie für sie erfahrbar zu machen.
Das Festjahr wird außerdem davon leben, dass aus der Zivilgesellschaft sehr viele Beiträge kommen werden. Das ist ebenfalls wichtig.
Die demokratischen Fraktionen haben einen gemeinsamen Neudruck des Ursprungsantrags und einen gemeinsamen Änderungsantrag eingebracht. Mit dem Änderungsantrag wird die Landesregierung beauftragt, einen Kooperationsvertrag mit dem Verein „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e. V.“, der schon mehrfach hier genannt wurde, zu schließen. Damit machen wir nicht nur die Unterstützung für diesen Verein noch einmal sehr deutlich und sichtbar, sondern schließen auch einen Vertrag bezüglich der Aktivitäten im kommenden Jahr.
Ich bin froh, dass wir das gemeinsam machen konnten, und möchte mich den guten Wünschen für die Chanukka-Festtage, die noch bis Freitag andauern, sehr gerne anschließen. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass zur Weihnachtszeit ein Antrag debattiert wird, in dem die über Jahrhunderte währende Anwesenheit von Ju
den in Deutschland gefeiert und ihre Leistung gebührend gewürdigt wird, ist mehr als sinnfällig. Denn das Christentum schöpft seine Erlösungsgewissheit, die frohe Botschaft, einzig und allein aus der Messiashoffnung der Juden und aus der Vorstellung, dass mit dem Knaben Jesus in der Regierungszeit des römischen Kaisers Augustus im Staate Israel ebendieser Messias, der Heiland der Welt, geboren wurde. Ohne jüdische Geschichte, ohne jüdische Theologie und ohne die jüdische Heilssehnsucht und Erlösungshoffnung durch einen Messias sind das Christentum und seine Heilslehre undenkbar.
Trotz der scheinbar unüberwindlichen Grenzen, die das Staatskirchentum der christlichen Kirche im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zum Judentum unerbittlich zog, gab es weiterhin das geistige Band zwischen den beiden Religionen. Theologen lernten auf jeden Fall die hebräische Sprache und studierten eifrig das Alte Testament. Sie waren also mit einem Teil der jüdischen Denkweise vertraut. So konnte das geistige Band zwischen den Vertretern des Christentums zum Judentum schnell wieder aufgenommen werden, als sich im 18. Jahrhundert durch die Aufklärungsbewegung und den Neuhumanismus die Wiederentdeckung weiterer geistiger Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Judentum immer neue Räume in der Öffentlichkeit eroberte.
Mit dem Drama „Nathan der Weise“ erschloss Lessing einem breiteren Publikum den geistig-religiösen Raum, den Christentum und Judentum gleichermaßen bewohnen. Seinem Freund Moses Mendelssohn setzte er damit ein herausragendes Denkmal zu einer Zeit, in der Juden in der Regel noch in diskriminierenden Verhältnissen leben mussten.
Deutlich wurde den Zuschauern des Dramas bei seiner Uraufführung 1783 in Berlin vor Augen geführt, dass Juden und Christen durch das gemeinsame Gottesbild miteinander verbunden sind und dass sie aus diesem gemeinsamen Gottesbild heraus ähnliche oder gleiche Vorstellungen über das Wesen des Menschen und über den Bau einer gerechten Gesellschaft entwickeln.
Gottesbild, Menschenbild und Gesellschaftsbild beider Religionen sind so ähnlich oder im Grunde genommen gleich, dass sich in den Berliner Salons wie dem der Jüdin Varnhagen von Ense am Ende des 18. Jahrhunderts Dichter, Naturforscher, Politiker, Gesellschaftsgrößen und Aristokraten auf einer Ebene begegneten und sich miteinander über Religion, Philosophie, Politik und Gesellschaft austauschen konnten.
Herder betonte 1803 – Zitat –: Wer denkt bei Spinozas und Moses Mendelssohns philosophischen Schriften daran, dass sie von Juden geschrieben wurden? Die Juden arbeiten mit am Bau der Wissenschaften und der Gesamtkultur der Menschheit. Nicht auf den nackten Bergen Palästinas stünde da
Durch verschiedene Gesetzesänderungen aus den Fesseln diskriminierender Lebenshaltungen immer mehr befreit, wirkten Juden im 19. Jahrhundert auf allen Feldern von Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft sowie beim Aufbau eines modernen Deutschlands – erst in den Ländern und dann im 1871 vereinigten Deutschland – mit.
Beispielhaft zu nennen wäre Lessings jüdischer Freund Simson Alexander David, der mit seiner „Deutschen Reichs- und Staats-Zeitung für den Geschäfts- und Weltmann“ ab Januar 1797 im Sinne der Aufklärung wirkte und enger Berater des späteren Staatsministers Preußens Karl August von Hardenberg war, der dann die preußischen Reformgesetze eingeleitet hat.
Zu nennen wäre Johann Jacoby aus Königsberg, der 1840 mit seiner Schrift über die moderne Verfassung einer konstitutionellen Monarchie in Preußen auf einen Schlag in Deutschland berühmt wurde und über den 30 Jahre später geschrieben wurde – ich zitiere –:
„Als wir alle noch in politischer Finsternis lebten, trat J. J. aus dem Dunklen hervor, fertig, klar, glänzend, kühn und ward der Schöpfer des politischen Lebens in Preußen.“
Das wurde 1870 über den Juden Johann Jacoby aus Königsberg geschrieben, der zwar ein erbitterter Gegner Bismarcks, aber hoch anerkannt in Deutschland war.
Unbedingt zu nennen ist auch Gerson von Bleichröder, ohne den die Politik Bismarcks wohl so überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Das vergessen die meisten; auch die meisten Bismarck-Verehrer vergessen das. Mit ihm konnte sich Deutschland auf unzählige patriotische Juden verlassen, die auch noch da, wo sie wie Johann Jacoby die Regierenden kritisierten, glühende Verfechter eines demokratischen Deutschlands waren.
Es war die Geisteskraft des Neuhumanismus, welche die Brüder und Schwestern im Geiste, Christen und Juden, zusammenführte zum Aufbau einer modernen, fortschrittlichen Gesellschaft, und es war der Ungeist barbarischer Gewalt, der dieses Band brutal zerriss.
Wenn Sie also Weihnachten das Knie beugen vor dem göttlichen Kind – entweder innerlich oder äußerlich –, dem Spross aus der Wurzel Jesse, dann beugen Sie stellvertretend auch das Knie vor den Leistungen der zahllosen Juden, die mitgeholfen haben, dass Deutschland seinerzeit zu den größten Hoffnungen berechtigt war.