Entscheidend ist jetzt, dass wir heute nicht nur debattieren und so tun, als hätten wir mit dieser Unterrichtung die Kinder- und Jugendpolitik zur Chefsache gemacht. Was wir jetzt brauchen, ist beste Betreuung, beste Bildung und eine Entlastung für Familien. Lassen Sie uns gemeinsam solidarisch sein. Wir können aus dieser Pandemie auch etwas Positives gewinnen, wenn es endlich Verbesserungen in diesem Bereich gibt. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Als nächster Redner hat nun für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Kollege Löttgen das Wort. Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir zum eigentlichen Thema kommen, sehr geehrter Herr Kutschaty, muss ich Ihnen zustimmen. Nach den Personalentscheidungen, die heute in Berlin getroffen wurden, ist eine Wende in der Familienpolitik möglich. Ich finde es klasse, dass Sie das hier angesprochen haben. Wir kommen gern darauf zurück.
Im Übrigen muss ich Ihnen sagen: Die pauschalen Vorwürfe, die Sie in Richtung Landesregierung jedes Mal gebetsmühlenartig abspulen, waren heute vor dem Hintergrund der Ernsthaftigkeit des Themas der Unterrichtung schlicht und einfach eine Unverschämtheit.
Diese Unverschämtheit wurde lediglich noch überboten von dem wirklich plumpen Versuch, Ihren Kanzlerkandidaten aus seiner Lethargie heraus zum Supermann und Retter der Welt aufzupumpen. Das war schlicht und einfach nichts anderes als skurril.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurück zum Ernst des Themas. Von den 16.313 Todesfällen, die diese Pandemie in unserem Land Nordrhein-Westfalen bisher verursacht hat, sind drei Mädchen unter vier Jahren, ein Junge zwischen fünf und neun Jahren, zwei zwischen zehn und 14 Jahren und ein Jugendlicher zwischen 15 und 19 Jahren. Die Zahlen mögen gegenüber den Todesfällen in anderen Altersgruppen gering sein; aber das familiäre Leid, das der Tod immer auslöst, kennt keine Zahl.
0,3 % oder in absoluten Zahlen ausgedrückt zwölf der gestern gemeldeten 3.938 gemeldeten Covid-19Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen sind unter 18 Jahren. Aber die Angst der Eltern, ihre Tochter oder ihren Sohn plötzlich dort auf einer Intensivstation zu finden, kennt keine Zahl. Seit Beginn der Pandemie sind in unserem Land 135.421 unter 19-Jährige an Corona erkrankt. 17,2 % der Infektionen wurden in dieser Altersgruppe festgestellt.
10 % der ambulant behandelten Patientinnen und Patienten klagen sechs Monate nach der Infektion immer noch über Langzeitsymptome. Dazu gehören Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Geruchs- und Geschmacksverlust, Konzentrationsschwäche, Gedächtnisprobleme; einige können nicht mehr lesen und sind schnell erschöpft. Diese Long-Covid-Symptome sind bislang alles andere als gut untersucht. Wie auch, nach 15 Monaten Pandemie?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Fortschritt beim Impfen insbesondere der lebensälteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Auflösung der Prioritätengruppen zusammen mit der Einbeziehung der Betriebsärzte lenkt unsere Aufmerksamkeit völlig zu Recht auf diejenigen, die während der Pandemie eine große Last zu schultern hatten und oft bewältigt haben: auf Familien, Kinder und Jugendliche.
Die Sensibilität und Verwundbarkeit dieser Lebenszeit in jungen Jahren wird in der nachfolgenden Aussage aus einer Studie besonders unterstrichen:
„Alles was Spaß gemacht hat (Sport, mit Freun- den treffen, feiern gehen, entspannt in der Schule mit netten Leuten sein), wurde mir verboten, und auch wenn ich verstehe, dass das nötig ist, fühle ich mich dadurch sehr einsam. Es ist einfach nicht das Gleiche wie vorher.“
Daher ist es gut, notwendig und richtig, dass der Ministerpräsident und die Schulministerin heute zu diesem Themenkomplex nicht nur den Landtag unterrichten, sondern ganz konkret nachvollziehbare Maßnahmen und Punkte in fast jedem Bereich, der notwendig ist, bereits genannt haben.
Wohlgemerkt, wir reden hier über rund 20 % der Menschen in unserem Land, die keine 19 Jahre alt sind. Sie haben sich immer wieder mit veränderten Notwendigkeiten in Schulen und Kitas beschäftigen müssen, und sie haben sie gemeistert. Sie standen mit und in ihren Familien oft vor der Doppelbelastung – Homeoffice, Studium, Schule, Kita – und vor der belastenden Entscheidung: verzichten und schützen oder weitermachen und Risiko. Und auch diese Herausforderung haben sie gemeistert.
Durch den verantwortungsvollen Umgang der allermeisten Kinder und Jugendlichen, Mütter und Väter, Opas und Omas, Onkel und Tanten mit den Herausforderungen dieser Pandemie haben Familien einen unschätzbaren Beitrag zur Bekämpfung geleistet, für den ich heute im Namen der CDU-Fraktion ein schlichtes Danke sage, welches den Wert dieser Leistung allerdings nur unzureichend wiedergibt.
Der Ministerpräsident hat es bereits beschrieben und ich möchte das unterstützen: Wertschätzung für diese Leistung ist wichtig, aber – und das hat er konkret gemacht – es bleibt nicht bei Wertschätzung. Perspektive zu bieten und Zukunftschancen zu eröffnen heißt nicht nur zu bilanzieren, dass die Haltung der Landesregierung: „Schulen schließen zuletzt und öffnen als Erste“ jederzeit richtig war. Das Lernen auf Distanz funktioniert, weil sich die Digitalisierung in den letzten zwölf Monaten erheblich verbessert hat, sodass weder 2020 noch 2021 ein „Notabitur“ für Irritationen bei zukünftigen Einstellungsgesprächen führt.
Diese eben noch einmal hervorragend vorgetragene Kritik der Opposition – „zu schnell, zu langsam, zu viel, zu wenig, zu früh, zu spät“ –, meine Damen und Herren, ist einfach viel zu dürftig, um sich ernsthaft damit zu befassen. Im Nachhinein zu bewerten, was zum damaligen Zeitpunkt korrekt und aus heutiger Sicht richtig gewesen wäre, ist nicht mehr als wohlfeiles Wortgeklingel.
Um das in aller Klarheit zu sagen: Wäre ich ohne das Wissen von heute erneut in der Situation von gestern, die Sie jetzt beurteilt haben, würde ich die Entscheidungen von damals heute genauso wieder treffen, weil diese Entscheidungen in der Notsituation nicht nur nötig waren, weil sie eingefordert wurden, sondern weil sie Menschen tatsächlich geholfen haben.
Das war zum damaligen Zeitpunkt unser Maßstab und er ist es auch heute. Insofern gibt es da nichts zurückzunehmen.
Es ist nicht nur fahrlässig, sich wie Sie jetzt mit oppositioneller Vergangenheitsbewältigung zu befassen, es ist auch gefährlich. Denn erneut steht die Politik, stehen wir vor schwierigen insbesondere die Kinder und Jugendlichen und damit ihre Familien betreffenden Abwägungsentscheidungen. Die Partizipation am gesellschaftlichen Leben, das wir bis zum 26. Februar 2020 in unserem Land als Normalität kannten, liegt mir am Herzen. Deshalb haben die Grundrechtseinschränkungen insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche besondere Beachtung verdient.
Die Klarheit, dass Eltern transparent und für alle zugänglich über Schutz und Risiken der Impfung ihrer Kinder aufgeklärt werden, und die Sicherheit, dass sie alleine darüber entscheiden werden, ist mir wichtig.
Wenn der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, warnt – Zitat –: „Je länger die Beschränkungen andauern und wir Kindern die Teilhabe verweigern, desto problematischer ist es für ihre Entwicklung“, dann bedarf es der besonderen Beachtung dieser Aussage bei allen zukünftigen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung, weil die Gruppe derer, die sich noch infizieren kann, immer kleiner wird.
Eine Bertelsmann-Studie aus März dieses Jahres ergab, dass 65 % der befragten Jugendlichen während des zweiten Lockdowns im November 2020 die Wahrnehmung hatten, dass ihre Sorgen, ihre Nöte eher nicht oder gar nicht gehört werden, dass ihre psychischen Probleme, ihre Vereinsamung, ihre
Zukunftsängste und die damit verbundenen Folgen in den Familien keinen Platz auf der politischen Agenda haben. Die Kenntnisnahme, so wie Sie es gemacht haben, Herr Kutschaty, dieser besorgniserregenden Analyse ist politische Normalität, bringt uns der Lösung des Problems jedoch keinen einzigen Schritt näher.
Daher müssen die beiden Befragungen „Jugend und Corona“, die von den Universitäten Hildesheim und Frankfurt/Main in Kooperation mit der BertelsmannStiftung durchgeführt wurden, für uns Politiker hier im Land mit Blick auf Perspektive und Zukunftschancen ab jetzt handlungsleitend sein.
„Zuhören, Entscheiden, Handeln“, diesem Grundsatz ist die CDU-Fraktion in der Vergangenheit gefolgt und wird ihm auch in Zukunft folgen. Daher an die 65 % der Jugendlichen: Wir haben zugehört, unsere Entscheidungen werden durch eure Sorgen beeinflusst, und wir werden mehr als bisher unser Handeln danach ausrichten. – Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Löttgen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Kollegin Paul das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Junge Menschen tragen seit Monaten eine große Last in dieser Pandemie, und sie tragen auch die Coronamaßnahmen sehr solidarisch und verantwortungsbewusst mit.
Wie viel Vernunft spricht aus Kindern, wenn der kleine Ole in einem Bericht bei „Westpol“ sich nur wünscht, ob es denn nicht möglich sein könnte, noch vor den Sommerferien irgendwie ein Wiedersehen mit seinen Freundinnen und Freunden aus der Grundschule zu organisieren – wenn es Corona zulässt, wie er gleich schnell ergänzt. Wie viel Traurigkeit spricht gleichzeitig aus solchen Sätzen, wenn man seine Freunde seit Wochen nicht sehen kann, wenn das Fußballtraining nicht regelmäßig stattfindet, wenn Geburtstage nicht gefeiert werden können?
Kinder und Jugendliche leisten in dieser Pandemie Außergewöhnliches. Sie stellen sich irgendwie immer wieder auf die neuen Herausforderungen, auf die neue Situation ein, und sie ertragen Einschränkungen, weil es natürlich auch um ihre Gesundheit geht, aber vor allem, weil sie einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Ich finde, dafür können wir alle gemeinsam einfach mal Danke sagen.
Aber auch hier gilt natürlich: Applaus alleine reicht nicht. Wir brauchen wirkliche Perspektiven für Kinder und Jugendliche. Wir werden in dieser Woche noch mehrfach über dieses Thema diskutieren, und es ist gut und richtig so, dass wir an vielen verschiedenen Stellen über die unterschiedlichen Perspektiven für Kinder und Jugendliche, aber auch über ihre Lebenswelten sprechen. Denn die Zahlen sind alarmierend: Jedes dritte Kind zeigt psychische Auffälligkeiten, der Bewegungsmangel mit den damit einhergehenden gesundheitlichen Folgen nimmt zu, und die Pandemie hinterlässt bereits deutliche Spuren bei der Sprach- oder auch motorischen Entwicklung von Kindern.
Und – das müssen wir auch konstatieren – Corona hat die Schere der sozialen Ungleichheit noch deutlicher auseinandergetrieben. Gerade im Bildungsbereich haben sich Ungleichheiten verschärft: bei den Voraussetzungen, um die schwierige Situation innerfamiliär kompensieren zu können, aber auch ganz handfest bei der Frage, wie häufig Schülerinnen und Schüler eigentlich in Quarantäne sind.
Überproportional häufig mussten gerade die Schülerinnen und Schüler in den Distanzunterricht während des angepassten Regelbetriebs zurückkehren, deren soziale, familiäre, wohnliche und technische Voraussetzungen dafür gerade besonders schlecht geeignet waren. Das darf sich in dieser Art und Weise nicht wiederholen. Wir müssen alles daransetzen, dass insbesondere diejenigen, die nicht die besten Voraussetzungen im privaten und familiären Umfeld haben, jetzt nicht zurückgelassen werden, sondern wir müssen insbesondere ihnen Angebote machen und sie stärken und unterstützen.
Die Coronakrise ist auch eine soziale Krise, und die Perspektiven müssen, wie im Titel der Unterrichtung angekündigt wurde, genau dort ansetzen. Wir brauchen jetzt gezielte Unterstützung in den Quartieren mit hohen Belastungen und prekären Lebensverhältnissen. Diese Perspektiven dürfen nicht nur kurzfristig zusammengeschusterte Ferienprogramme sein, sondern müssen mittel- und langfristig gedacht werden. Diese Krise wird für viele tiefere Spuren hinterlassen, als sie durch Öffnungen der Schulen einfach so zu beheben sein werden.
Programme, deren Mittel nicht abfließen, Frau Schulministerin, wie im vergangenen Sommer, sind dann leider nicht mehr als ein Feigenblatt. Das muss in diesem Sommer deutlich besser werden. Ich habe den Ministerpräsidenten gerade vernommen, und es ist deutlich geworden, dass auch er der Meinung ist, dass es Perspektiven jenseits von schulischen Programmen braucht, es braucht Perspektiven für diesen Sommer für junge Menschen, es braucht aber vor allem jetzt Planungssicherheit, damit Kinder-, Jugend- und Familienfreizeiten stattfinden können.
Ich habe die Appelle, Herr Ministerpräsident, und die Zusagen wohl gehört – Herr Bothe sitzt dort stellvertretend für das Familienministerium –, es braucht aber jetzt auch die konkrete Umsetzung. Wir haben jetzt Mitte Mai, die Ferien beginnen Anfang Juli, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.
Ich habe auch gehört, dass es eine Perspektive für Kinder- und Jugendeinrichtungen geben soll. Das Absurde im Frühjahr war ja, dass wir über Möbelhäuser diskutiert haben, während Kinderspielplätze noch geschlossen waren. Nein, Herr Ministerpräsident, das ist kein Quatsch. Das war im letzten Frühjahr wahr, und es ist leider jetzt immer noch wahr, dass nach Auffassung der Landesregierung Möbelhäuser eine höhere Priorität haben als Kinderspielplätze. Das darf nicht noch einmal passieren.