Es gibt nur wenige Momente im politischen Leben, in denen man wirklich fassungslos im Ausschuss sitzt. Letzte Woche im Verkehrsausschuss war das der Fall. Herr Minister Wüst brachte den Einzelplan ein und sagte beiläufig – er nuschelte es ein bisschen in seinen nicht vorhandenen Bart –, dass das Sozialticket 2021 auslaufen werde. Da auch mein SPDKollege es nicht ganz verstanden hatte, habe ich eine Nachfrage gestellt und den Minister gebeten, noch einmal darzulegen, wie es denn mit dem Sozialticket aussieht.
Daraufhin haben Sie uns mit schonungsloser Offenheit erklärt, dass im nächsten Jahr die erste Kürzung erfolgen und 2020 überhaupt keine Finanzierung mehr erfolgen wird.
Dabei geht es – so gut die Rede der Kollegin Philipp eben auch war – nicht um Haushaltskonsolidierung. Nein, es geht um ein Umswitchen im Haushalt. Das Geld soll in den Straßenbau investiert werden. Das war die Aussage des Ministers im Ausschuss.
Letztlich setzen Sie auch nur das fort, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, was Sie in der Oppositionszeit immer angekündigt haben. Da blieb es allerdings folgenlos. Damals haben Sie immer gesagt, das Sozialticket solle eingekürzt werden.
Jetzt sind Sie in der Regierung und stellen fest, was die Folgen sind, wenn man eine solche Ankündigung auch umsetzt: Massenproteste in Nordrhein-Westfalen; eine unglaublich schlechte Presse; 50.000 Menschen, die eine Petition unterschrieben haben, Proteste, die heute vor dem Landtag stattfinden werden. Das sind die Folgen Ihrer Politik und Ihrer Ankündigung aus der letzten Woche.
Natürlich kann man darüber reden, auf welche Weise das Ticket zukunftsfest gemacht werden soll. Ich muss dem Kollegen Deppe übrigens widersprechen, der auf die Linke verwiesen hat. Es mag sein, dass die Linke – so gut kenne ich mich mit deren Wahlprogrammen nicht aus – dieses Thema im Jahr 2010 auch in ihrem Wahlprogramm stehen hatte. Insbesondere war es aber Bestandteil des Wahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen, und die SPD hat es in den Koalitionsverhandlungen mitgetragen. Wir sind der Urheber dieses Sozialtickets. Das ist die politische Wahrheit. Sie können das natürlich gerne bei der Linken abladen.
Es war aber eine gemeinsame Vereinbarung von SPD und Grünen, die sich auch durchgetragen hat. Im Übrigen haben wir die entsprechende Kritik der
Verkehrsverbünde umgesetzt und das Sozialticket in diesen Jahren einmal höher finanziert und die Förderung um 10 Millionen € angehoben.
Natürlich kann man darüber diskutieren, ob die Finanzierung zukunftsfähig aufgestellt ist. Ich fand ja die Bemerkung des Ministerpräsidenten höchst spannend, …
… der am Wochenende gesagt hat, eigentlich müsse der Bund einen solchen Mobilitätssatz in die Regelsätze aufnehmen. Das ist völlig richtig.
Wenn Sie aber schon eine solche Forderung erheben, stellt sich doch die Frage: Wer ist seit zwölf Jahren in der Bundesregierung und hätte das somit längst umsetzen können?
Lieber Herr Löttgen, Sie regieren bereits seit zwölf Jahren in Berlin. Außerdem haben wochenlange Sondierungsgespräche in Berlin stattgefunden. Ich habe den Ministerpräsidenten in der Öffentlichkeit allerdings nur in der Form wahrgenommen, dass er sich um die Zukunft der heimischen Braunkohle kümmert. Wo ist denn die Forderung nach der Umgestaltung der Hartz-IV-Regelsätze und der Einführung des Mobilitätsatzes geblieben?
Damit hätte Herr Laschet schon viel früher in die Öffentlichkeit gehen können – und nicht erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Thema bereits verbrannt war.
Wir sind gespannt, wie sich das in den nächsten Wochen weiterentwickeln wird. Sie sind ja weiterhin in der Rolle, dort verhandeln zu können. Wir sind sehr gespannt, ob der Ministerpräsident es in die Verhandlungen einbringen wird. Wir würden das jedenfalls unterstützen.
Es wäre eine sinnvolle Finanzierung, über die Regelsätze zu gehen. Aber solange es eine solche Finanzierung nicht gibt, hat das Land …
Nein, die gibt es eben nicht. Wir haben 27 € im Hartz-IV-Regelsatz, und das ist nicht kostendeckend für ein Sozialticket. Deswegen müsste das angehoben werden.
Der zweite Punkt betrifft die Offenlegung der Finanzierung der Verkehrsverbünde. Auch das ist im Laufe der Debatte kritisch angesprochen worden. Auch da hätten Sie unsere Unterstützung. Natürlich wäre es
dringend an der Zeit, dass unsere nordrhein-westfälischen Verkehrsverbünde ihre Finanzierung komplett offenlegen. Das ist uns in den Gesprächen zum ÖPNV-Gesetz nicht gelungen.
Wir haben vor drei Wochen ein Urteil aus Karlsruhe dazu bekommen, was das Auskunftsrecht gegenüber Abgeordneten und Parlament bedeutet. Die Bahn wird ihre Bilanzen offenlegen müssen. Ich bin gespannt, was das für unsere Verkehrsverbünde heißt. Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn die Bilanzen der Verkehrsverbünde transparenter und offener gestaltet werden sollen, sehr geehrte Damen und Herren.
Aber all das ist doch nicht der Hintergrund der Debatte. Sie setzen – das hat Minister Wüst in ruhiger und trockener Offenheit im Ausschuss bekannt gegeben – Wahlversprechen um. Sie setzen das um, was Sie in der Oppositionszeit angekündigt haben. Damals haben Sie gesagt: Mit uns braucht es kein Sozialticket, es wird entsprechend gekürzt.
Der Ministerpräsident hat am Wochenende in der „WAZ“ angekündigt, er würde in den nächsten Wochen die Gespräche mit den Verbünden und den Gewerkschaften führen. Wer führt denn nun die Gespräche? Hat Minister Wüst noch das Heft des Handelns in der Hand, oder hat der Ministerpräsident das zur Chefsache gemacht? Auch das sollten Sie uns hier in der Debatte deutlich machen.
(Beifall von den GRÜNEN – Horst Becker [GRÜNE]: Wann kommen die Änderungsan- träge für den Haushalt?)
Ich bin gespannt, was uns der Minister gleich zu sagen hat. Es ist die Chance, heute in diesem Hohen Haus vor vielen anwesenden Abgeordneten, vor der Öffentlichkeit und der Presse Farbe zu bekennen. – Herr Minister Wüst, schaffen Sie Klarheit, was das Sozialticket angeht. Hunderttausende von Menschen in Nordrhein-Westfalen warten auf ein klares Signal.
Dabei geht es nicht nur darum, ob 5 Millionen € im nächsten Jahr doch weiterfinanziert werden, wie Herr Deppe es eben angekündigt hat, sondern es geht um die Zukunft des Sozialtickets. Es geht um die Weiterfinanzierung auch nach 2019. Das alles haben Sie in Ihrer Pressemitteilung gestern offengelassen. Die Fragen, wie es mit dem Ticket weitergeht, stehen im Raum. Sorgen Sie hier für Klarheit! Das ist Ihre Chance. Sie haben gleich das Wort. Berichten Sie uns über Ihre Pläne. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn ganz klar sagen: Die Ermöglichung individueller Mobilität ist eines der wichtigsten Ziele der NRWKoalition und der schwarz-gelben Landesregierung.
Mobilität ist elementarer Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe. Das gilt selbstverständlich auch für die Menschen in unserem Land, die auf Transferleistungen angewiesen sind oder ein geringes Einkommen haben.
(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Das klingt aber sehr überzeugend aus Ihrem Mund! Sehr überzeugend! – Weitere Zurufe von der SPD)
Das steht außer Frage. Fraglich ist aber sehr wohl, ob das Sozialticket in seiner jetzigen Form den Ansprüchen an ein zielgruppenbezogenes und vor allen Dingen an ein sozial ausgewogenes System gerecht wird.
Das bezweifeln wir aus vielfachen Gründen. Das Sozialticket grenzt nämlich in einer heutigen Form in den allermeisten Fällen Personen aus, die geringfügig über den Einkommensgrenzen liegen.
(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann erhöhen Sie doch den Zuschuss! Dann erweitern Sie doch! – Zuruf von der SPD: Ah!)
Der Auszubildende, die alleinerziehende Mutter mit Teilzeitstelle, der Familienvater mit Minijob – Sie alle bleiben weitgehend unberücksichtigt.
Das gilt selbst für den Kreis, der im engeren Sinne Anspruchsberechtigten. Wenn wir eine Nutzerzahl von 300.000 unterstellen, wie Sie es tun, dann haben wir gerade einmal einen 20%igen Zuspruch. Das heißt, 80 % der potenziell Berechtigten erreichen wir erst gar nicht.
Das Ziel, dieser Bevölkerungsgruppe Mobilität zu ermöglichen, wird durch Ihr System in weiten Teilen vollkommen verfehlt.