Meine Damen und Herren, die amerikanische Ankündigung, die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen, wirkte provokativ und löste weltweit, auch in Deutschland, Proteste aus. Ein Déjà-vu von Bildern, die wir sonst nur aus der Berichterstattung des Nahostkonflikts kennen, zeigt auch in deutschen Städten Verbrennungen von Israel-Flaggen und Davidsternen.
Wir haben uns darauf einzustellen, dass in der einen Weltgesellschaft die regionalen Konflikte unmittelbare globale Dimensionen haben. Manche fragen sich, ob es durch die Anwesenheit vieler aus dem Nahen Osten Geflüchteter auch einen Import des Nahostkonflikts nach Deutschland gegeben habe.
Interessant ist hierzu die anderslautende Einschätzung des Geschäftsführers der Jüdischen Gemeinde dieser Stadt Düsseldorf, dass die neu zu uns Gekommenen immer noch damit beschäftigt seien, einen Platz zu finden und sich zu integrieren, und die Protestaktionen eher von muslimischen Gemeinden ausgingen, die vorher schon da waren und sich jetzt bestärkt fühlten.
Unbestreitbar ist aber die Angst jüdischer Mitbürger, die sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, die um ihr Leben fürchten. Ich finde es eine Schande, dass jüdische Institutionen heute immer noch nicht ohne Polizeischutz bestehen können.
Ich bin entsetzt, wenn jüdische Schüler in öffentlichen Schulen von ihren Mitschülern beleidigt, gemobbt oder sogar tätlich angegriffen werden. Es macht mich fassungslos, wenn öffentliche Chanukka-Feiern wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden müssen, wie das jüngst in Mülheim geschehen ist.
Der im April dieses Jahres vorgestellte und im Deutschen Bundestag debattierte Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus betont zu Recht den in der politischen Kultur der Bundesrepublik vorherrschenden Grundkonsens eines Anti-Antisemitismus. Dabei werden alle Einstellungen und Verhaltensweisen geächtet, die als jüdisch wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Einstellungen unterstellen. Es gehört zur geübten politischen Kultur der Bundesrepublik, die Feindschaft gegen Juden als Juden zu ächten – gleich, mit welcher Motivation sie vorgebracht wird; seien es religiöse, soziale, politische, nationale oder rassistische Argumentationen.
Dennoch ist Antisemitismus – so stellen wir aktuell wieder fest – leider eine vielschichtige Realität auch
in Deutschland. Es gibt Verschwörungstheorien, Täter-Opfer-Umkehrung sowie einen israelbezogenen antizionistischen Antisemitismus.
Als mögliche Erklärungsmodelle für antisemitische Einstellungen listet der genannte Bericht auf: gefühlte Benachteiligung, das Gefühl politischer Machtlosigkeit, allgemeine Orientierungslosigkeit, ein auf bloße Nützlichkeit gerichtetes Menschenbild, autoritäre Persönlichkeitsstrukturen sowie das Streben nach sozialer Dominanz.
Hauptquelle für den islamischen Antisemitismus sei neben Antiamerikanismus und Verschwörungstheorien der Nahostkonflikt – so der Bericht des Expertenkreises. Hier wird auch ein politischer Missbrauch von Religion aufgezeigt, wenn festgestellt wird, dass der Koran zunehmend antijüdisch ausgelegt werde, um den Kampf gegen Israel ideologisch zu unterfüttern. Darüber hinaus sei auffällig, dass bei Katholiken und Protestanten die Religiosität keine Rolle spiele, während bei Muslimen das Ausmaß antisemitischer Einstellungen mit dem Grad der Religiosität ansteige.
Wir müssen den muslimischen Antisemitismus weiter beobachten und verstärkt Präventionsanstrengungen unternehmen. Gleichzeitig sollten aber auch Diskriminierungserfahrungen durch antimuslimi
schen Rassismus in den Blick genommen werden – und dies, ohne den extremistischen Antisemitismus und den Antisemitismus aus einer vermeintlichen politischen Mitte zu vernachlässigen.
Meine Damen und Herren, festzuhalten ist, dass zur Staatsräson in Deutschland unbedingt die Sicherheit unserer jüdischen Mitbürger gehört –
Bei ihrer Rede in der Knesset zum 60. Jahrestag der Gründung Israels betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel unsere Solidarität mit Israel – und, dass Deutschland entschieden für die Vision von zwei Staaten für das jüdische Volk in Israel und für das palästinensische Volk in Palästina in sicheren Grenzen und in Frieden eintrete.
Für unsere politische Kultur ist es beschämend, dass manche Kreise nicht in der Lage sind – oder es nicht wollen –, sich von revisionistischen Äußerungen zu distanzieren wie, es brauche eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad oder die Deutschen seien das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande ins Herz der Hauptstadt gepflanzt habe.
Spätestens der Historikerstreit Ende der 1980erJahre hat für die Bundesrepublik die Singularität von Auschwitz verdeutlicht. Der Holocaust ist und bleibt für uns nicht relativierbar. Aufgrund unserer Geschichte gehört eine entsprechende Erinnerungskultur zur Staatsräson –
sowie eine besondere Verantwortung, gegen den Antisemitismus vorzugehen und für die Würde und die Rechte aller Menschen einzutreten. Ich empfinde dies auch nicht als Schwäche, sondern als normalen Teil moralischer und historischer Aufgeklärtheit.
Ich könnte jetzt noch viel weiter ausführen. Meine Redezeit neigt sich aber dem Ende zu. Deshalb weise ich nur noch darauf hin, dass wir Prävention insbesondere auf Landesebene im Bereich der politischen Bildung und der Erwachsenenbildung machen können und dass diese Debatte eine gute Gelegenheit ist, uns gemeinsam zu einem Wertekonsens zu bekennen, nämlich gegen den Antisemitismus in Deutschland und für eine demokratische und pluralistische Kultur. – Danke schön.
Guten Morgen! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutschlandfunk kommentierte vor wenigen Tagen, als einmal mehr Bilder von brennenden israelischen Flaggen und anderen Hassbotschaften die Nachrichten bestimmten – ich zitiere –: „An Judenhass dürfen wir uns einfach nicht gewöhnen.“
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir dürfen uns nicht nur nicht daran gewöhnen; wir alle müssen Antisemitismus aktiv bekämpfen.
Denn Bilder und Vorfälle dieser Art, aber auch immer wiederkehrende Gewalttaten etwa gegen Menschen, die ihren jüdischen Glauben in unseren Städten offen zeigen, oder grassierende antisemitische Ausfälle im Internet, von denen nicht nur der „SPIEGEL ONLINE“-Kolumnist Sascha Lobo jüngst berichtete, sind in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland leider an der Tagesordnung. Für uns als Gesellschaft ist das beschämend; da sind wir uns alle einig.
Die Absage der Chanukka-Feier in Mülheim an der Ruhr aufgrund von Sicherheitsbedenken ist vor diesem Hintergrund zu meinem großen Bedauern keine Ausnahmeerscheinung. Das Eingeständnis, dass Menschen aller Kulturen und Religionen gerade ein
mal 30 km von den Türen unseres Landtages entfernt nicht zusammenkommen können, um gemeinsam und friedfertig ein Fest zu begehen, zeigt doch: Wir müssen uns mit den Hintergründen, den Ausprägungen und der notwendigen Bekämpfung von Antisemitismus auch als Landtag sehr intensiv beschäftigen.
Deshalb halten wir es für sehr wichtig und begrüßenswert, dass heute diese Aktuelle Stunde stattfinden kann.
Wir setzen damit als Landtag Nordrhein-Westfalen nicht zuletzt auch ein Zeichen für alle Menschen jüdischen Glaubens, für ihre Freunde, für ihre Familien, für alle Menschen, die friedfertig, tolerant und freiheitlich miteinander leben wollen.
Wir setzen damit auch ein Zeichen des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Denn uns allen ist bewusst: Jüdisches Leben ist und bleibt Teil unserer deutschen Kultur, unserer Geschichte, unserer Gesellschaft. Wir lassen uns durch hasserfüllte Antisemiten nicht spalten.
Antisemitismus kommt in zahlreichen Erscheinungsformen daher. Er muss auch in all diesen Erscheinungsformen bekämpft werden. Wir stehen deshalb fortgesetzt vor Herausforderungen beim Kampf gegen Links- und Rechtsextremismus. Denn antisemitischer Menschenhass wird an den linken und an den rechten politischen Rändern gleichermaßen gepflegt.
Wir stehen fortgesetzt vor Herausforderungen beim Kampf gegen kleinkarierte Amateurhistoriker, die mit Debatten über einen Schlussstrich unter das monströse Verbrechen an der gesamten Menschheit namens Holocaust ihre eigene unbedeutende Existenz aufwerten wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich spreche vom Massenmord an den Juden Europas.
Wir stehen fortgesetzt – auch das gehört zur Wahrheit – vor Herausforderungen bei der Integration von Menschen, die in muslimischen Gesellschaften sozialisiert worden sind, die Antisemitismus und Hass auf alles Jüdische von klein auf antrainiert bekommen haben.
Diese Herausforderungen erfordern eine breit aufgestellte Herangehensweise. Wie so häufig liegt der Schlüssel in der Bildung. Dass die NRW-Koalition in dem Bereich einen klaren und erkennbaren Schwerpunkt legt und weiter legen wird, ist deshalb auch vor
diesem Hintergrund genau richtig. Wir müssen außerdem die jüdischen Gemeinden und ihre Zusammenschlüsse weiter unterstützen und stärken.
Aber klar ist auch: Prävention und Solidarität allein werden leider nicht ausreichen. Das zeigen die Bilder der vergangenen Wochen. Auf Hass, Schikane, Gewalt oder eine Einschränkung jüdischen Lebens muss auch mit aller Härte und Konsequenz unseres Rechtsstaates reagiert werden.
Denn wir dürfen nicht akzeptieren, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland wieder in Angst leben müssen.
Viele wichtige Schritte hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen bereits unternommen oder eingeleitet: von einer höheren Prioritätensetzung für unsere Schulen über Verstärkungen bei der politischen Bildungsarbeit bis zur größeren Unterstützung der jüdischen Gemeinden durch das Land. Wir müssen und werden nicht zuletzt diese Aktuelle Stunde zum Anlass nehmen, über weitere erforderliche Maßnahmen zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, gestern ist das jüdische Lichterfest 2017 zu Ende gegangen. Heute setzen wir mit dieser Aktuellen Stunde ein Zeichen der Verbundenheit und des Zusammenhalts. Jüdisches Leben, jüdische Kultur und die jüdische Religion sind ein Teil unserer Geschichte, unserer Tradition und unserer deutschen Kultur. Setzen wir alles dafür in Bewegung, dass das auch so bleibt.