Protokoll der Sitzung vom 22.03.2018

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Das ist der Sprachstil der neuen alten Rechten: Menschen, Politiker sollen ausgerottet werden. Ist das die deutsche Kultur? Ist das migrierte Gewalt, von der Sie schwadronieren und philosophieren? – Ich wundere mich eher darüber, dass wir noch immer in einer der gewaltfreiesten Zeiten überhaupt leben. Noch

hält die offene Gesellschaft an den zivilisierten Umgangsformen fest. Und das ist gut so!

Damit will ich ausdrücklich nicht sagen, dass wir in einer idealen oder in einer uns nicht fordernden Welt leben. Das beileibe nicht. Wir leben nicht in idealen und idyllischen Zuständen. Wir leben nicht im Paradies. Das werden wir auch nie, jedenfalls nicht in dieser Welt.

Es gibt Ungerechtigkeit, Ungleichheit, natürlich auch Kriminalität und Gewalt. Es ist unsere ständige Aufgabe, sich dem zu stellen und immer dagegen zu kämpfen. Das wird nie enden, das werden wir immer machen! Alles andere zu versprechen, wäre eine Lüge.

Natürlich ist eine offene Gemeinschaft eine Wertegemeinschaft, die klare rechtliche Grenzen setzt, diese überwacht und durchsetzt. Gerade sie ist dazu aufgerufen, um ihre Legitimität immer nachzuweisen. Obwohl sich sehr viele nach dieser freiheitlichen Gesellschaftsform sehnen, ist es eine, die stets auch misstrauisch beäugt wird und bei der – gerade bei der Kriminalität – gefragt wird: Schaffst du es denn auch?

Daher muss eine offene Gesellschaft auch unbequeme und unangenehme Realitäten wahrnehmen und sie untersuchen. Wenn es Probleme gibt – und die gibt es offensichtlich im Hinblick auf Gewalt gegenüber Ordnungs- und Rettungskräften –,

(Lautes Lachen und Zurufe von Christian Loose [AfD])

dann müssen wir auch überall hinblicken. Dann darf es keine blinden Flecken geben, und die gibt es auch nicht.

Es wäre falsch, wenn wir zum Zwecke des Schutzes unserer Kräfte nicht alle Möglichkeiten – auch in der Erforschung der situativen Bedingungen und möglicher weiterer Ursachen – in Betracht ziehen würden, selbstverständlich auch Ursachen, die in der Tätertypologie begründet sein könnten.

Wir sehen in den Untersuchungen über die Gewalt gegenüber Rettungskräften – und ich fokussiere hier einmal auf das Kriterium der Gewalt gegen die körperliche Integrität, die ca. 15 % der Gesamtgewalt ausmacht – im Hinblick auf die Tätermerkmale Folgendes: Zu 85 % sind es Männer, zu 73 % sind es die Patienten selbst, zu ca. 90 % liegt eine Intoxikation vor, in der Regel Alkohol. Häufig passiert es abends, häufig in der Innenstadt, häufig auch in den wärmeren Monaten.

Und ja: Bei einer Messgröße von 93 Personen im Rahmen der Studie der Ruhr-Universität und einer in der Untersuchung angegebenen Zahl von 58 % wird ein Migrationshintergrund vermutet. Vermutet – da es keine klaren Feststellungen gab, also zum Beispiel Personalienfeststellungen. Vielmehr sollten die

Probanden aus der Erinnerung heraus rückwirkend eine Einschätzung abgeben, orientiert an dem Aussehen, der Sprache und dem Namen. Die Zahlen der polizeilichen Feststellung für das Jahr 2017 sehen da übrigens anders aus. Wissenschaftlich valide? – Na ja.

Dennoch nehmen wir diese Sache ernst. Wir nehmen sie ernst. Das ist notwendig; es geht schließlich um die Minimierung von Schädigungen unserer Rettungskräfte.

Fraglich bleibt laut Ihres Antrags, ob es sich hierbei um signifikante ethnische und kulturelle Unterschiede handelt. Möglich ist das. Möglich ist durchaus, dass hier ein Männlichkeitsgebaren zutage tritt – sogenannter Machismo –, welches uns mittlerweile etwas fremder geworden scheint. Die Vorstellung, als Mann könne man tun und lassen, was man will, und dies notfalls auch mittels Gewalt durchsetzen, ist leider so fremd nicht.

Anscheinend sind diese Männer noch nicht mit der sozialisierenden Beruhigung durch die Erfolge der Frauenbewegung in Kontakt gekommen.

(Zuruf von der AfD)

Auch das ist in der Tat Teil unserer sehr jungen Geschichte. Ich erinnere dabei gern an die tapferen Frauen, vorrangig von Bündnis 90/Die Grünen, die angemessene Umgangsrechte und Selbstbestimmungsrechte für Frauen eingefordert und durchgekämpft haben.

Schauen Sie sich einmal frühere Debatten aus dem Bundestag an. Die Frauen wurden verlacht, und sie haben trotzdem mutig weitergesprochen – alles gar nicht so lange her. Da merken Sie schnell, dass das Denken des Machismo leider nicht ein ethnologisches, sondern ein soziologisches Problem ist, dessen Grenze nicht national, sondern oftmals geschlechterspezifisch verläuft.

Dieses Phänomen sollten wir auch bei der Tätertypologie berücksichtigen. Möglicherweise sehen wir auch dann wieder sehr schnell, dass – das ist der zweite Treppenwitz – dieses Verhalten den Fantasien und Umgangsformen der neuen alten Rechten zumindest im Netz sehr nahekommt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD –Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bialas. Bleiben Sie mal am Pult, es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Wagner, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD-Fraktion. – Bitte schön, Herr Wagner, 1 Minute 30 Sekunden für Ihre Kurzintervention.

Herr Bialas, vorhin haben wir gehört, was man alles noch nicht erlebt hat. Ich habe tatsächlich in den paar Monaten hier noch nie eine Rede erlebt, die so sehr am Thema vorbeigegangen ist wie Ihre.

Sie haben sich ganze zwei Mal mit dem eigentlichen Antrag befasst. Man konnte schon bei Ihren eigenen Genossen den Eindruck haben, dass denen Ihre Rede peinlich ist. Sie haben sich also zweimal mit dem Antrag befasst, beim ersten Mal schon gleich fälschlicherweise. Sie haben nämlich gesagt, dass wir uns mit Migrationshintergründen bei Gewalttaten gegen Einsatzkräfte befassen würden.

Nein, die Ruhr-Universität Bochum und die dortige Studie befassen sich damit. Genau darauf bezieht sich unser Antrag. Sie drehen einem natürlich mal wieder das Wort im Munde herum. Das passt zu Ihrer ganzen Rede.

Des Weiteren haben Sie gesagt: Wir müssen uns damit befassen, wenn es Probleme gibt. – Auch das steht in unserem Antrag: Es soll wissenschaftlich untersucht werden, was letztlich bei dieser Studie herausgekommen ist und was es wirklich damit auf sich hat.

Darüber hinaus sprachen Sie von Gewalt und haben in dem Zusammenhang 12 % oder 18 % genannt. Sagen Sie mal, Herr Bialas, glauben Sie eigentlich, dass die Krankenschwestern in den Krankenhäusern, die verbaler Gewalt ausgesetzt sind, und zwar tagtäglich, die angespuckt und beschimpft werden, die als Nutten, Schlampen und Huren bezeichnet werden, keiner Gewalt ausgesetzt sind? Es bedarf nicht unbedingt einer Körperlichkeit, um Gewalt ausgesetzt zu sein! Das schreiben Sie sich mal hinter die Ohren!

(Beifall von der AfD)

Herr Bialas, Sie haben 1 Minute 30 Sekunden, um zu reagieren. Bitte schön.

Die Studie beschäftigt sich in der Tat damit; sie kommt aber zu einer völlig anderen Schlussfolgerung, nämlich dass es keine signifikanten Auffälligkeiten in diesem Bereich gibt.

Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass seit 2011 kein Anwachsen der Situation zu verzeichnen ist. Das ist auf der einen Seite nicht gut, weil es nicht weniger geworden ist. Es ist aber auf der anderen Seite auch nicht das Horrorszenario, dass auf einmal die Zahlen durch die Decke gegangen wären.

Die Zahlen, die hier genannt worden sind, beziehen sich auf 4.500 Leute. Von denen hat nur eine geringe

Prozentzahl überhaupt geantwortet, und von denjenigen, die geantwortet haben, kamen auch keine verlässlichen Daten,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

sondern Erinnerungen. Wir haben also keinerlei Personalienfeststellung, wir haben keinerlei exakte Angaben über die Täter.

(Markus Wagner [AfD]: Der Innenminister hat Zahlen genannt!)

Daher sage ich: Ob hier tatsächlich eine Validität vorliegt, ist fraglich. Es gibt aber eine Tendenz. Ich habe auch sehr deutlich gesagt: Eine offene Gesellschaft muss bereit sein, in alle Ecken und Winkel zu schauen. Genau das tut sie auch. Das ist das Erste.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Das Zweite: Herr Golland hat vorhin genau das Richtige gesagt, als er davon gesprochen hat, wie wir hinter den Leuten stehen. Tun Sie mir bitte einen Gefallen: Instrumentalisieren Sie nicht permanent die Opfer für irgendwelche komischen und kruden Sachen.

Das Dritte: Wenn Sie glauben …

(Zurufe von Markus Wagner [AfD] – Weitere Zurufe von der AfD)

Wenn Sie glauben, dass meine Rede am Thema vorbei gewesen wäre, empfehle ich Ihnen: Drucken Sie sie sich noch einmal aus und lesen Sie sie durch – das bildet auch Sie. – Tschüs!

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Bialas. – Für die FDP-Fraktion hat das Wort nun Herr Dr. Pfeil.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte der Rettungsdienste und der Feuerwehren – und der Polizei, möchte ich hinzufügen – ist eine ernste Thematik, mit der sich die Politik unbedingt beschäftigen muss, und mit der sie sich auch schon seit Jahren beschäftigt.

Seit einigen Jahren zeichnet sich hier eine Entwicklung ab, die uns allen Sorge bereitet. Dass Retter im Einsatz – insbesondere Sanitäter, Notärzte, Feuerwehrkameraden oder Polizistinnen und Polizisten – selber zu Opfern werden, dürfen wir als Abgeordnete des Landtags nicht hinnehmen. Und das nehmen wir auch nicht hin!

Wer täglich für das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit der Menschen unterwegs ist, verdient den Dank der Politik und unsere uneingeschränkte Soli

darität. Aber neben Solidarität ist ein weiteres Merkmal für diese Debatte entscheidend – und hier meine ich: Respekt. Dieser notwendige Respekt ist verloren gegangen. Da stellt sich die Frage, wie wir diesen wiederherstellen können.

Im Antrag der AfD geht man einen besonderen Weg. Die AfD hat eine einfache und schnelle Antwort parat, nämlich: Die Migranten sind schuld. Man fordert mit dem Antrag in geschulten, wissenschaftlich formulierten Sätzen, den Phänomenbereich tiefgreifend empirisch zu erschließen und Migrantengewalt selbstbewusst zu bekämpfen.

Da stellt sich doch die Frage, ob dies tatsächlich den geforderten Respekt, den ich oben als fehlendes Verhaltensmerkmal aufgeführt habe, zurückbringt. Und: Ist die Antwort darauf wirklich so einfach? – Nein, das ist nicht der Fall. Im Übrigen ist die Forderung der AfD aus den nachfolgenden drei Gründen nicht korrekt und unzutreffend:

Erstens. Die AfD geht von falschen Voraussetzungen aus, indem sie Folgendes übersieht, bewusst ausblendet oder unterschlägt: Bereits 2013, also vor fünf Jahren, wurde eine NRW-Studie unter dem Titel „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte“ der Universität Kiel vorgelegt. 18.443 Polizisten hatten sich an der Studie beteiligt; das war fast die Hälfte aller Polizisten in NRW.