Protokoll der Sitzung vom 24.05.2016

Die europäische Harmonisierung des Datenschutzrechts ist sinnvoll, ganz ohne jeden Zweifel. Insbesondere unterstützen wir Freien Demokraten uneingeschränkt den Ansatz, den Menschen die Kontrolle über ihre Daten wieder zurückzugeben.

Das Internet hat zu umfassenden Veränderungen in fast allen Lebensbereichen geführt. Die kulturelle Bedeutung wird manchmal mit der Erfindung des Buchdrucks verglichen. Daten entwickeln sich zunehmend zum Rohstoff, zum Wertstoff, manchmal zur Währung unseres Jahrhunderts. Wenn wir den einzelnen Menschen und sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stärken wollen, brauchen wir klare Regeln zum Umgang mit den Daten und zum Schutz der persönlichen Daten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Wochen wurden wir alle wahrscheinlich von zahlreichen Anrufen und Zuschriften von Vereinen, Handwerkern und Mittelständlern auf die Konsequenzen für Wirtschaft und Ehrenamt aufmerksam gemacht. In Zeitungen und sozialen Netzwerken werden die neuen Datenschutzregelungen sehr engagiert diskutiert. Sehr deutlich werden die Sorgen der Unternehmer, ob sie zukünftig noch ihre Kunden über neue Angebote informieren dürfen, oder der Vereine, ob sie zukünftig für ihre Mitgliederverwaltung extra einen gesicherten Raum anmieten müssen. All diese Sorgen werden in den Zuschriften mehr als deutlich, und sie sind auch nachvollziehbar.

Ab dem 25. Mai muss jede für private Zwecke genutzte Website an die datenschutzrechtlichen Regelungen angepasst werden. Der Umgang mit Kontaktdaten, Adressen und Newslettern wird sich massiv verändern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Idee der Datenschutz-Grundverordnung war und ist, die Privatsphäre von Internetnutzern besser zu schützen und ein nicht autorisiertes Abfischen von Daten zu unterbinden. Datenschutz schützt nicht nur die Daten, sondern insbesondere den Menschen in seiner Freiheit. Wenn alle Daten allgemein zugänglich sind,

wenn alle Daten zum Wirtschaftsgut erklärt werden, meine Damen und Herren, und es keine private Sphäre mehr für den Einzelnen gibt, dann gibt es auch keine Freiheit des Einzelnen mehr.

Das kann man alles – wenn auch in einer Fiktion – im Roman „The Circle“ von Dave Eggers gut nachlesen. Es ist dort, wie ich finde, sehr abschreckend beschrieben, weshalb es uns ein Anliegen sein muss, die Privatsphäre und den Datenschutz in besonderer Weise in den Blick zu nehmen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Datenschutzregeln dürfen aber nicht als Schikane empfunden werden. Datenschutzregeln sollen idealerweise als Verbesserung und nicht als Zumutung empfunden werden, und sie dürfen die Chancen einer modernen Datenverarbeitung nicht ersticken und Innovation und Fortschritt nicht verhindern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das Ehrenamt und die mittelständische Wirtschaft fühlen sich zum Teil nicht richtig vorbereitet und fürchten, falls sie bei der datenschutzrechtlichen Umsetzung etwas vergessen, datenschutzrechtliche Schadenersatzforderungen und Bußgelder in nahezu existenzgefährdender Art und Weise. Wenn die Datenschutz-Grundverordnung Bußgelder in Höhe von 4 % des globalen Jahresumsatzes vorsieht, kann ich auch diese Existenzsorgen mehr als nachvollziehen.

Die vorgesehenen Dokumentationspflichten sind umfassend und insofern mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Gleichzeitig kann man jedem nur raten, diese Dokumentation zu führen, um sich gegebenenfalls auch gegen drohende Klagen wehren zu können. Auch Verletzungen der Melde- und Benachrichtigungs- sowie der Löschverpflichtung sind als Schadenersatzgründe vorgesehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bisher galten für Datenschutzverletzungen die deutschen Beweislastregeln, wodurch der Anspruchsteller einen Verstoß beweisen musste. Das war mitunter für den Einzelnen sehr schwierig.

Mit der Datenschutz-Grundverordnung wird nunmehr aber das Rechenschaftsprinzip eingeführt. Dieses führt zu einer erheblichen Veränderung für den Datenverarbeitenden, denn er bzw. sie muss nun nachweisen, die Vorgaben der Verordnung und der entsprechenden Ausführungsgesetze eingehalten zu haben.

Ob und wie diese Beweislastregel dann im Zivilverfahren gegebenenfalls angewandt und ausgelegt wird, ist eine Frage, bei der wir sehr sorgsam nachschauen müssen, wie dies gehandhabt werden soll.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann die Sorgen beim Ehrenamt und in den Unternehmen nachvollziehen. Nicht alle Regelungen erschließen sich mir persönlich in der Verhältnismäßigkeit.

Leider können wir aber als Landesgesetzgeber keine unmittelbaren Entlastungen für die Vereine und das Ehrenamt vornehmen. Wir können informieren und unterstützen, aber wir können als Gesetzgeber keine Entlastung vorsehen, denn die Datenschutz-Grundverordnung lässt uns als Mitgliedsstaaten nur an einigen Stellen Handlungsspielräume durch Öffnungsklauseln, und im Übrigen sind die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung abschließend. Der Umgang mit personenbezogenen Daten für nichtöffentliche Stellen wird zudem im Bundesdatenschutzgesetz geregelt. Für den Bereich des Ehrenamtes, für die Vereine, die Freiberufler, die Unternehmen und die Handwerker ist eben die bundesgesetzliche Regelung entscheidend.

Deshalb kann ich nur sagen: Wir unterstützen als NRW-Koalition auch die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag als Bundesgesetzgeber und die Bundesregierung. Die Äußerungen der Frau Bundeskanzlerin lassen darauf schließen, dass dort die Unverhältnismäßigkeit bereits gesehen wird, dass wir unser engagiertes Ehrenamt im Land sowie unsere erfolgreiche Wirtschaft erhalten müssen und sie nicht durch findige Abmahnvereine und deren Geschäftsmodelle ersetzen dürfen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen das Ehrenamt und unsere mittelständische Wirtschaft nicht im Stich lassen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD hat nun der Abgeordnetenkollege Hübner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lehne, Sie stellen die Frage in den Raum: Warum bedarf es einer Aktuellen Stunde zu diesem Thema? – Ich stimme Ihnen zu und will das später auch begründen: Warum bedarf es dieser Aktuellen Stunde?

Die Datenschutz-Grundverordnung – das haben Sie, Herr Kollege Lehne, und auch Frau Freimuth dankenswerterweise ausgeführt – steht zwei Jahre lang auf unserer Agenda. In der Tat haben wir nicht ausreichend darauf geachtet, die kleinen Unternehmen, die mittelständischen Unternehmen, die ehrenamtlichen Vereine, die Vereine, auch die Parteien – das will ich hier durchaus einflechten – darauf vorzubereiten, wie damit umzugehen ist.

Ganz viele von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, bekommen auch gerade E-Mails von Verteilern, von denen man wahrscheinlich gar nicht wusste, dass man noch in dem Verteiler ist, und wird vor dem Hintergrund der Datenschutz-Grundverordnung gefragt: Willst du weiter dabeibleiben? Wollen Sie weiter dabeibleiben? – Dieser Frage muss man zustimmen, wenn man es will. Das ist eine der Folgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir Ihren Antrag auf Durchführung der Aktuellen Stunde angeschaut. Darin geht es ganz wesentlich darum, dass die NRW-Koalition die Einschätzung der Bundeskanzlerin teilt, dass es noch zu Veränderungen kommen soll. Das ist auch der Grund dieser Aktuellen Stunde, weil Sie sagen: Die kleinen Unternehmen, die mittelständischen Unternehmen – das ist übrigens auch das, was ich zuletzt im Digitalausschuss mit Minister Pinkwart diskutiert habe – sind darauf nicht ausreichend vorbereitet.

Ja, Sie haben recht. Ich glaube auch, dass der Handwerkerbetrieb um die Ecke – um einmal das Bild zu zeichnen – aus seinen Daten, die er beispielsweise für Rechnungen gespeichert hat, nicht automatisch Grußkarten zu Weihnachten oder zum Geburtstag schicken kann, weil ihm keine automatische Zustimmung des Betroffenen vorliegt, aber das weiß der Handwerksbetrieb um die Ecke nicht einmal.

Sie kündigen an, dass die Bundeskanzlerin Veränderungen auf den Weg bringen will. Ich habe mir das auch angesehen. Sie führen die „Berliner Zeitung“ an: „Merkel will Datenschutzverordnung in letzter Sekunde lockern!“ Sie hat auch angekündigt, was gerade auch Frau Freimuth gesagt hat: Entscheidend sei nicht zuletzt das deutsche Recht; und da gebe es entsprechende Öffnungsklauseln; und sie verweist auf Österreich.

Das hat sie in der letzten Woche gemacht. Am Montag stellt der Regierungssprecher Steffen Seibert fest: Wir planen als Bundesregierung keine kurzfristigen Änderungen – das ist ja schon im allgemeinen Datenschutzrecht beschlossen – und auch keine EUInitiative.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz ehrlich, man kann Frau Merkel da ja unterstützen, und man kann versuchen, es über eine Aktuelle Stunde auf den Weg zu bringen. Aber dann hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie wenigstens seit der letzten Woche Aktivität in Richtung der Frau Bundeskanzlerin auf den Weg gebracht hätten,

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

so, wie wir es auf den Weg gebracht haben, und sich nicht darauf beschränken, hier aus fadenscheinigen Gründen eine Aktuelle Stunde zu beantragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich schofelig, was Sie hier betreiben. Die Aktuelle Stunde ist

es, ehrlich gesagt, nicht wert, dass wir darüber diskutieren.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Ein zweiter Punkt, warum es der Aktuellen Stunde nicht bedurft hätte – das will ich Ihnen von der CDU, insbesondere der Geschäftsführung, deutlich sagen –: Wir haben das Thema im späteren Verlauf heute auf der Tagesordnung.

(Bodo Löttgen [CDU]: Nein!)

Da hätten Sie die Chance gehabt, einen Änderungsantrag zu stellen.

(Dr. Marcus Optendrenk [CDU]: Nein!)

Hätten Sie gehabt, haben Sie aber bis Stand heute zehn Uhr nicht vorgelegt, weshalb es – ich wiederhole es – mehr als schofelig ist, das heute Morgen über eine Aktuelle Stunde in der entsprechenden Intonation hier auf den Weg zu bringen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht, ehrlich gesagt, nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zwei Jahre Vorlauf. Seit letzter Woche haben Sie die Chance gehabt, bei Frau Bundeskanzlerin Ihre Interessen auf den Weg zu bringen. Sie haben all das nicht getan.

Ich muss noch etwas ansprechen, und das betrifft auch den Präsidenten. Sie kennen mich dafür – ich habe das am 18. Dezember schon einmal gemacht, als es um die Industriepolitik in diesem Lande ging, um die Industriepolitik bei thyssenkrupp –: Heute findet eine Betriebsversammlung bei ZF in Gelsenkirchen statt, und das war das Thema unseres Antrag auf eine Aktuelle Stunde.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Dieses Thema und die Frage, liebe NRW-Koalition oder liebe Mitte-rechts-Koalition, warum Sie sich nicht entsprechend industriepolitisch positionieren wollen, hatte natürlich Relevanz in einer Art und Weise, die landesweit von Interesse ist. Das hat landesweite Relevanz. Dem sind Sie nicht nachgekommen – mit Hilfe Ihres Präsidenten.

(Bodo Löttgen [CDU]: Wir? – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das betrifft auch die Firma GHH RAND in Oberhausen. Das betrifft die Firma thyssenkrupp, wo Sie sich nicht engagiert haben. Das betrifft die Firmen Siemens General Electric in Mönchengladbach, Dura und viele andere Unternehmen mehr.

Eines macht Ihre Aktuelle Stunde deutlich: Sie wollen sich nicht mit den wesentlichen Themen dieses Landes auseinandersetzen,

(Beifall von der SPD)

sondern hier nur mit altbekannten Phrasendreschereien antreten.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])