Protokoll der Sitzung vom 30.06.2017

Um gleich irgendwelchen Missverständnissen vorzubeugen, sagen wir es am Anfang noch einmal: Jeder Mensch ist wichtig; jeder Mensch wird gebraucht; jeder Mensch kann etwas. Das gilt natürlich auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt.

Drittens. Mit diesem Punkt möchte ich schließen. Wir sind ganz klar der Meinung, dass das Arbeitszeitgesetz an eine moderne Arbeitswelt angepasst gehört.

Die Redezeit.

Angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt, die wir allein durch die Digitalisierung erleben, werden wir den Menschen und ihren Anforderungen viel stärker gerecht werden müssen. Lassen Sie mich ein einziges Beispiel nennen, und damit schließe ich dann, Frau Präsidentin.

Arbeitnehmer müssen laut Gesetz nach der täglichen Arbeitsphase eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden einhalten. Wenn also jemand aus dem Büro nach Hause geht, um zunächst die Kinder ins Bett zu bringen und danach zu Hause weiterzuarbeiten, dann dürfte dieser Arbeitnehmer am nächsten Morgen streng genommen gar nicht ins Büro, weil er die ununterbrochene Ruhezeit nicht einhält. Hier brauchen wir Updates. Hier müssen wir die Chance der Digitalisierung im Sinne der Menschen nutzen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir sollten keine Rezepte aus der Vergangenheit neu auflegen, wir sollten uns vielmehr für die Herausforderungen der Zukunft wappnen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Wir sollten in NRW besser werden und nicht an Rezepten von gestern festhalten. Genau das werden wir tun, meine Damen und Herren. – Vielen Dank!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. Nur für Ihre persönliche Statistik: Sie haben jetzt die Redezeit um eine Minute überzogen.

Der nächste Redner ist Herr Dr. Vincentz von der AfD-Fraktion. Zu seiner ersten Rede hat er jetzt das Wort.

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir wirklich eine sehr große Ehre, gleich so früh in der Legislaturperiode zu Ihnen sprechen zu dürfen, wenngleich zu einem so traurigen Anlass wie der Arbeitsmarktsituation in NordrheinWestfalen.

Warum traurig? – Nun, würde ich den zu behandelnden Antrag in meiner Heimatstadt Krefeld öffentlich verlesen, dann würde man kurz trocken lachen und sich dann wieder in die lange Schlange vor dem Arbeitsamt einreihen. Natürlich ist das jetzt überspitzt formuliert.

Die nackten Zahlen zeigen tatsächlich eine positive Entwicklung. Es gibt jedoch drei große Punkte – ich werde sie Ihnen im Folgenden aufzeigen –, die einen mitnichten in eine Feierstimmung versetzen.

Erstens. Die Entwicklung, die die SPD für sich und ihr Wirken in Anspruch nimmt, folgt einem bundesweiten Trend. In der gesamten Republik sind Erfolgsmeldungen vergleichbar denen aus dem Antrag zu lesen, und jede Regierung proklamiert diese für sich. NRW jedoch liegt in der Gesamtentwicklung einmal mehr hinten.

Ich greife gerne die Punkte auf, die Sie selber in diesem Papier nennen:

Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse: NRW bessert sich um 2,2 %, der bundesweite Schnitt liegt bei 2,5 %. Dem steht auf der anderen Seite das Absinken der Arbeitslosenquote entgegen. In NRW sinkt sie von 8,7 % auf 7,4 % – das ist eine Veränderung in Höhe von 15 % – und im Bundesdurchschnitt von 7,7 % auf 6 %, was eine Veränderung in Höhe von 22 % bedeutet.

Wenn wir das nun wertschätzen sollen, könnte Herr Laschet demnächst auch darum bitten, dass wir uns bei ihm für den schönen Sommer bedanken, und wer weiß – bei dem Zustand des Bildungssystems in NRW würde das der eine oder andere vielleicht sogar tun.

(Beifall von der AfD)

Zweitens. Die Menschen kommen in Lohn und Brot. Aber: Ist Arbeit heute überhaupt noch Lohn und Brot? Die Kinderarmut ist in der Legislaturperiode unter Rot-Grün um 1,6 % auf nunmehr 18,1 % gestiegen. Im Vergleich: In Bayern liegt die Quote aktuell bei 6,5 %.

Laut Berechnungen des WDR droht ab 2030 mehr als 20 % der Neurentnern eine Rente maximal auf Grundsicherungsniveau. Das heißt doch im Klartext: Was auch immer dort für Jobs geschaffen wurden – in diesen Beschäftigungen bleiben die Menschen auf Dauer arm.

Die Zahlen zeigen, dass insbesondere Migrantinnen und Migranten sowie alleinerziehende Mütter – also gerade diejenigen, die auf besondere Hilfe angewiesen sind; und das ist ja die Politik, die Sie für sich proklamieren – nicht profitieren.

In dem Antrag stehen sicher auch einige sinnvolle und absolut unterstützenswerte Sätze, zum Beispiel: Die prekäre Beschäftigung muss weiter bekämpft werden. – Ja, richtig. Einer solch allgemeinen These kann natürlich jeder zustimmen. Auch die Kritik der SPD am Koalitionsvertrag ist berechtigt: CDU und FDP formulieren nebulös und wenig konkret und damit an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.

(Beifall von der AfD)

Die Zahlen zeigen jedoch, dass die rot-grüne Politik nicht zu Lösungen beiträgt.

Drittens. Kommen wir nun zu dem alten Spruch: Arbeit muss sich auch lohnen. – Hierzu habe ich unter meinem zweiten Punkt schon etwas gesagt; ich möchte aber noch konkreter werden. Ein Minijobber kostet seinen Arbeitgeber zuzüglich aller pauschalen Abgaben ca. 600 € im Monat. Dadurch bleiben dem Hartz-IV-Empfänger letztlich 170 € mehr in der Tasche; der Rest wird mit den Leistungen verrechnet. Das macht im Endeffekt 3,33 € netto pro Stunde. Frau Kollegin, das ist doch nicht sozial!

(Beifall von der AfD)

Arbeit muss sich lohnen – das ist bei einem Minijob schon jetzt nicht mehr der Fall.

Das gilt aber genauso wenig bei einem Vollzeitjob im Mindestlohnbereich. Ein Mindestlöhner kostet seinen Arbeitgeber im Monat 1.800 €; netto bekommt er 1.100 €. In NRW sind das Abzüge von fast 40 %.

Ein Hartz-IV-Empfänger erhält Leistungen in Höhe von etwa 700 €, und er darf 100 € sanktionsfrei hinzuverdienen. Wenn er stattdessen eine Vollzeitstelle zum Mindestlohn annimmt, bleibt ihm ein Plus von 250 €, von dem er aber Fahrtkosten, zusätzliche Ernährungsaufwendungen, Berufsbekleidung etc. begleichen muss. Unter dem Strich bleiben ihm weniger als 10 € pro Tag. Diese Zustände fördern allenfalls die Schwarzarbeit, nicht aber die Integration in den Arbeitsmarkt.

(Beifall von der AfD)

Der Ansatz der SPD, Zuverdienstmöglichkeiten für Empfänger von Leistungen nach SGB II nicht zu erweitern, ist falsch; denn eine dauerhafte Beschäftigung muss in der Privatwirtschaft geschaffen werden und nicht, wie von der SPD gewünscht, in einem staatlich subventionierten regulierten sozialen Arbeitsmarkt.

Nicht umsonst wurde Rot-Grün abgewählt. Es gibt nun eine schwarz-gelbe Regierung und eine AfD im Parlament. Die Menschen wollen einen Wechsel. Sie verlangen nach neuen Ideen. Die sind wir den Wählern nachhaltig schuldig, damit in Zeiten von Industrialisierung 4.0 auf dem Arbeitsmarkt nicht das Digitalste – mit Verlaub – die Wahlwerbespots von Christian Lindner bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir die Debatte mit großem Interesse angehört; denn ich war auch etwas überrascht, dass die SPD so sehr früh mit einem derart umfassenden Antrag ins Plenum gegangen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese Bemerkung sei mir erlaubt: Dass ihr die Arbeitsmarktpolitik jetzt komplett für euch reklamiert, finde ich schon etwas sportlich. Immerhin gab es eine Koalition. Vielleicht schauen wir zukünftig mal genau hin, wer dabei für was verantwortlich war.

Ich war außerdem sehr gespannt darauf, wie FDP und CDU auf diesen Antrag reagieren würden. Da kamen schon sehr deutliche Unterschiede zum Tragen.

Herr Kollege Preuß hat, wie ich finde, an einigen Punkten sehr gut deutlich gemacht, dass es natürlich wichtig ist, die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Gleichzeitig hat er die SchlusslichtDebatte vom letzten Mal wieder ins Feld geführt.

Die Zahlen, die Sie vorgetragen haben, liegen jetzt auf dem Tisch. Wir werden die CDU-Fraktion und die CDU-Regierung an diesen Zahlen messen. Ich kann nur davon abraten, die Diskussion auf diese Weise weiterzuführen. Irgendwann sind es auch Ihre Zahlen, und Sie können sie zum Teil nicht beeinflussen. Diese Debatten müssen Sie sich dann schon gefallen lassen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir Grünen sehr wohl der Auffassung sind, dass es einer aktiven Arbeitsmarktpolitik gerade in Nordrhein-Westfalen bedarf. Wir haben mehr als 300.000 Langzeitarbeitslose – der DGB hat in der letzten Woche noch einmal darauf hingewiesen –, von denen ein Teil in den letzten fünf Jahren für einen Großteil der Zeit nicht arbeiten konnte. Sie haben keinen sozialversicherungspflichten Job gefunden und haben auch ansonsten strukturelle Arbeitshemmnisse.

Das ist der Punkt, in dem wir uns am weitesten von der FDP unterscheiden. Ich bin ein bisschen überrascht, wie hier die CDU aufgetreten ist.

Meine Fraktion spricht sich sehr klar dafür aus, dass wir den Menschen, die diese Hemmnisse haben, helfen, damit sie Jobs im ersten Arbeitsmarkt finden können. Sie werden eben nicht im sozialen Arbeitsmarkt gefangen gehalten. Das ist schon eine infame Unterstellung, die Herr Bombis vorhin ins Spiel gebracht hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bei dem zweiten Punkt, den Sie vorgetragen haben, habe ich mich aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen schon ein bisschen geärgert, da Sie damit sehr hemdsärmelig umgegangen sind. Es geht um die Arbeitszeitregelung. Ich gestehe zu, dass die Arbeitszeitregelungen von damals nicht mehr die von heute sein können und dass wir über Flexibilisierung nachdenken müssen. Sie haben jedoch genau das Beispiel angeführt, das nach meiner Sicht viele Berufsbereiche überhaupt nicht beinhaltet.

Ich habe viele Jahre in der Pflege gearbeitet. In diesem Bereich ist es so – ich glaube, da kennen Sie sich auch aus –, dass gerade dadurch, dass zu niedrige Löhne vorherrschen, der Arbeitsdruck sehr hoch ist. Die Arbeitnehmerinnen sind dort aufgrund der Erwartungshaltung der Arbeitgeber oftmals dazu gezwungen, länger zu arbeiten und oft den Schichtdienst zu wechseln. Noch prekärer ist die Tatsache, dass sich, eben weil die Verdienste so niedrig sind, gerade jüngere Arbeitnehmer für Sonntags- und Zusatzdienste eintragen lassen. Das geht natürlich auf deren Knochen. Da müssen wir, glaube ich, die Menschen tatsächlich vor sich selbst schützen.

Das sind Probleme, die Sie nicht einfach wegreden können. Ich hoffe, dass Sie da eine Entwicklung vollziehen und dass auch die CDU-Fraktion hier im

Landtag dafür sorgt, dass die Aufweichung von Arbeitsmarktgesetzen auf diese Weise nicht erfolgt; denn das ist zum Schaden der Menschen in Nordrhein-Westfalen, und das wollen wir verhindern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. – Die meisten Punkte im Antrag der SPD-Fraktion können wir so unterschreiben. Viele davon haben wir schließlich gemeinsam erarbeitet. Was die Hinzuverdienstgrenzen im SGB II angeht, muss man sicherlich auf Bundesebene prüfen, was davon hilfreich ist. Insgesamt glaube ich, dass dieser Antrag verfrüht ist.