Wer das nicht sieht und wer nicht sieht, dass es in solch großen Fragen nur gemeinsam geht, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Deshalb bitte ich Sie bei allem Streit in der Sache von Herzen: Lassen Sie uns in diesen wichtigen Fragen einen gemeinsamen Weg finden, damit die Volksverhetzer nicht am Ende vorne liegen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Das war die letzte Wortmeldung zum Tagesordnungspunkt 1. Damit kann ich die Aussprache zur Aktuellen Stunde schließen.
Württemberg ziehen: Pläne zur Einführung von Studiengebühren für Studierende aus Drittstaaten stoppen
Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der SPD Herr Kollege Bell das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit über einem Jahr versuchen wir, mit den Fraktionen der Regierungskoalition eine inhaltliche Debatte über die Einführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger zu führen.
Wir haben unmittelbar nach der Landtagswahl den von Schwarz-Gelb beschlossenen Koalitionsvertrag ernst genommen und darauf basierend einen Gesetzentwurf eingebracht, das sogenannte Gebührenfreiheitsgesetz. Auf dieser Grundlage wollten wir in eine Diskussion mit Ihnen darüber eintreten, dass die Einführung von Studiengebühren nach dem badenwürttembergischen Modell aus jedenfalls unserer Sicht unverantwortlich und schlichtweg unsinnig ist. Dieser Debatte sind Sie bis jetzt komplett aus dem Weg gegangen.
In der Aussprache zu unserem Gesetzentwurf haben Sie, Herr Dr. Berger, zur Frage „Studiengebühren für EU-Ausländer?“ gesagt, die Debatte werde zu einem anderen Zeitpunkt zu führen sein, und deswegen lehne die CDU-Fraktion den Gesetzentwurf ab.
Herr Körner hat laut Protokoll gesagt, er wisse, dass dieses Thema häufig genutzt werde – also das Gesetz –, um eine Debatte über Studiengebühren für Ausländer zu führen. Man werde diese Debatte aber sachlich führen und sich zeitlich nicht von der Opposition unter Druck setzen lassen.
Es gelte, die Ergebnisse aus Baden-Württemberg abzuwarten und dann etwas auszugestalten. – So der O-Ton.
Jetzt liegen diese Zahlen vor, und ich will sie Ihnen gerne vortragen. Die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger aus Nicht-EU-Staaten in Baden-Württemberg ist vom Wintersemester 2016/17 zum Wintersemester 2017/18 um 21 % gesunken.
Gleichzeitig haben die Ausnahmeregelungen, die Vorbild für Nordrhein-Westfalen sein sollen, zu einer Quote der international Studierenden aus NichtEU/EWR-Staaten, die von der Gebührenpflicht ausgenommen bzw. befreit waren, oder bei denen die Zahlung gestundet oder erlassen wurde, von insgesamt ca. 50 % geführt.
Nun wollen wir sachlich in die Debatte einsteigen und fragen: Was bedeutet das, gerechnet mit den nordrhein-westfälischen Zahlen?
In Nordrhein-Westfalen hat es nach Auskunft des Wissenschaftsministeriums im Wintersemester des letzten Jahres insgesamt 92.127 Studierende mit ausländischem Pass gegeben, davon 43.981 Bildungsausländer, die nicht aus EU-Ländern kommen. Für alle anderen soll ja die Gebührenfreiheit gelten.
Wenn wir von 43.981 Bewerbern einen Rückgang von 20 % abziehen, erhalten wir 35.185. Davon 50 % Ausnahmen ergibt 17.592 Studierende, die potenziell Gebühren zahlen würden. 17.592 multipliziert mit der Zahl 3.000 – den Studiengebühren pro Jahr – ergibt die Einnahmesumme von 52,777 Millionen €, wenn man die Erfahrungen aus Baden-Württemberg zugrunde legen will.
In Nordrhein-Westfalen gibt es 37 staatliche Hochschulen. Jetzt mache ich es mir einfach und sage: Wir verteilen diese stattliche Summe auf 37 Hochschulen. Dann bleiben durchschnittlich 1,426 Millionen € pro Hochschule hängen.
Gegenzurechnen ist aber, dass wir insgesamt 43.981 ausländische Studierende beraten müssen. Sie sind Praktiker – wir reden öfter über die Praxis –, und Sie können gerne vorschlagen, wie viel Bürokratiekosten wir in Ansatz bringen müssen. Ich sage: Ihr Ansatz, dieses Programm zugrunde zu legen, um die Quote von Betreuenden und Studierenden zu verbessern – das war Ihre Argumentation –, ist an Lächerlichkeit wirklich nicht zu überbieten!
Deswegen bieten wir Ihnen heute mit unserem Antrag die Gelegenheit, sich endlich von diesem Unsinn zu verabschieden.
Werte Frau Ministerin, vor dem Landtagsgebäude haben die Pflegekräfte der Universitätskliniken, die dort demonstriert haben, einen Flyer verteilt, auf dem steht: Wo ist diese Frau? – Darunter ist Ihr Bild zu sehen.
Nach einem Jahr Regierung ist es jetzt an der Zeit, endlich Farbe zu bekennen. Sie haben heute die Möglichkeit, dem Parlament zu erklären: Wir stampfen diesen Unsinn im Sinne der Hochschulen ein. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bell, der Antrag der SPD spiegelt genau das wider, was die SPD-Politik in den letzten sieben Jahren vor unserer Regierungsübernahme ausgemacht hat: hektisches Agieren ohne Substanz.
Das Ziel der NRW-Koalition ist es, das Profil der europaweit einzigartigen Hochschul- und Forschungslandschaft in Nordrhein-Westfalen weiter zu schärfen. Dazu gehört naturgemäß immer auch eine Weiterentwicklung des Systems. Wir wollen unsere Hochschulen in den erfolgreichen Strategien zur Internationalisierung bestärken. Keinesfalls wollen wir diese Maßnahmen konterkarieren, wie Sie es in Ihrem Antrag suggerieren. Ganz im Gegenteil – wir wollen eine Verbesserung der Qualität der Lehre und der Studienbedingungen an den Hochschulen unseres Landes.
Allerdings haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt – das haben wir auch stets betont –, zur Finanzierung unserer Hochschulen auf die Einführung allgemeiner Studiengebühren zu verzichten. Wir werden uns deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht darauf festlegen und auch nicht dazu drängen lassen, lieber Herr Bell, die Erhebung von anderweitigen Studienbeiträgen durch das Land kategorisch auszuschließen.
Wir tun etwas anderes. Zur weiteren Verbesserung der Studienbedingungen verstetigen wir beispielsweise den Landesanteil zur Kofinanzierung des bisherigen Hochschulpaktes im Umfang von 250 Millionen €.
Es bedarf aber noch weiterer Überlegungen. Wir halten wir es für richtig und wichtig, alle möglichen Optionen gründlich und zuverlässig zu prüfen. Eine solche Option sind auch Studienbeiträge von Studierenden aus Drittstaaten nach dem sogenannten BadenWürttemberger Modell oder nach der Art und Weise, wie es in anderen europäischen Ländern üblich ist.
Dieses Ansinnen kommt nicht überall so schlecht an, wie es Ihr Antrag vermuten lässt. Der Deutsche Hochschulverband schreibt in seiner Stellungnahme zur Anhörung zum Gebührenfreiheitsgesetz, dass man solchen Überlegungen grundsätzlich positiv gegenüberstehe.
Auch die Landesrektorenkonferenz würdigt in ihrer Stellungnahme zum SPD-Antrag den grundsätzlich offenen und breiten Diskurs, da es immer auf die konkrete Ausgestaltung ankomme und man sich Details erst einmal ansehen müsse.
Die von Ihnen im Antrag ausgemachte generell negative Grundstimmung gegen eine solche Überprüfung mit allen Möglichkeiten und Optionen ist daher nicht ganz zutreffend.
Die hier und heute diskutierte Umsetzung der Studienbeiträge für Nicht-EU-Ausländer nach dem sogenannten Baden-Württemberger Modell wird aktuell noch überprüft. Erst in den nächsten Wochen können wir mit einer Entscheidung rechnen, da die Ergebnisse der ersten Evaluation aus Baden-Württemberg zunächst offiziell vorliegen und ausgewertet werden müssen. Es genügt nicht, Zahlen aus der Presse zu zitieren, wie Sie es getan haben.
Wenn man Ihren Antrag liest, könnte man auch den Eindruck gewinnen, dass die Ergebnisse bereits vollumfänglich vorlägen, detailreich aufgeschlüsselt und verfügbar seien und ein auf Nordrhein-Westfalen übertragbares Szenario zuließen. Das ist aus unserer Sicht nicht der Fall. Die vorliegenden Zahlen sind meines Wissens noch nicht belastbar; denn ein finaler Bericht aus dem Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg liegt dazu noch nicht vor. Insbesondere die Fragen nach den Ausnahmetatbeständen sind daher im Detail nicht belastbar zu beantworten.
Um es noch einmal deutlich zu machen, Herr Bell: Für uns war es immer klar, dass es nicht um eine Eins-zu-eins-Umsetzung des Baden-Württemberger Modells geht, sondern dass dies uns eine Orientierung geben soll.
Wir haben für uns dabei definiert, sogenannte Bildungsinländer bei der Erhebung von Studiengebühren auszuklammern und Ausnahmen für Studierende aus Entwicklungsländern, anerkannte Flüchtlinge und für Studierende mit besonderen sozialen Härten zu schaffen. Vor allem sollten die zusätzlichen Einnahmen des Landes, die aus den Studienbeiträgen generiert werden, den Hochschulen zur Verbesserung der Studienbedingungen ungeschmälert zur Verfügung gestellt werden.
Daher halten wir uns mit voreiligen Schlüssen zurück, denn so, wie wir gesagt haben, dass wir dieses Modell prüfen wollen, wollen wir uns nun auch gewissenhaft – das scheint nicht Ihre Stärke zu sein – mit der Auswertung beschäftigen.
Wenn die Auswertung am Ende des Tages, Herr Bell, in Abgleich mit unserer Zielsetzung ein Bild zeichnet, das keinen Mehrwert für unser System und
nicht die erwarteten bzw. gewünschten Effekte mit sich bringt, dann werden wir sicherlich auch die Konsequenzen daraus ziehen. Insofern vielen Dank! Wir warten es ab.