Protokoll der Sitzung vom 12.07.2017

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! So wie viele Eltern, Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte des Gymnasiums haben wir in der AfD-Fraktion mit Genugtuung vernommen, dass die schwarz-gelbe Koalition die gymnasiale Schullaufbahn von acht wieder auf

neun Jahre verlängern will, wenn auch erst im Schuljahr 2019/20. Damit haben Sie, die ursächlichen Betreiber dieses undurchdachten und vollkommen dilettantisch angelegten Experimentes G8, endlich klein beigegeben, sich offenbar dem Willen der Elterninitiative „G9 jetzt in NRW“ gebeugt und wieder einmal eine Position der AfD übernommen.

(Beifall von der AfD)

Die AfD-Fraktion gratuliert Ihnen zu Ihrer Lernfähigkeit und hofft natürlich darauf, dass Sie weitere politische Ziele der AfD umsetzen, damit es unserem Land besser geht.

Dass Sie allerdings 27 Jahre dafür gebraucht haben, von einer Sache Abstand zu nehmen, von der Ihnen die Fachleute aus Schule und Bildungsforschung bereits in den 90er-Jahren dringend abgeraten haben, spricht nicht gerade für Ihre große Lernbereitschaft.

(Beifall von der AfD)

Seit Ihrem Antrag vom 14. Dezember 1990 haben Sie nicht abgelassen von Ihrem Ziel, die Schullaufbahn des Gymnasiums auf acht Jahre zu verkürzen, und dies mit fadenscheinigen Argumenten immer wieder vertreten. Es ging Ihnen um ein fröhliches Experiment zugunsten der Wirtschaft ohne Rücksicht auf das Wohl der jungen Menschen, die von diesem Experiment betroffen sind. Sie hätten sich lieber an dem Wahlspruch Konrad Adenauers orientieren sollen: „Keine Experimente!“

So ist zu vermuten, dass Ihre Entscheidung zu G9 nicht Ihrer inneren Überzeugung entspringt, sondern ausschließlich dem Druck der Elterninitiative „G9 jetzt in NRW“ und den Verwerfungen, die Sie mit diesem Experiment angerichtet haben.

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Diese waren zu groß, als dass Sie wieder darüber hinwegbügeln können, wie es Frau Löhrmann noch mit ihrem runden Tisch versucht hat. G8 ließ dem Einzelnen keine Muße, sich die geistigen Sachverhalte anzueignen, verhinderte vor allem das gründliche Lernen und ließ so manche gymnasiale Laufbahn frühzeitig scheitern.

Die als Entlastung vorgesehenen Maßnahmen der letzten Landesregierung führten zu noch mehr Lernstress, wenn die Schüler den Anforderungen der zentralen Prüfungen gerecht werden wollten.

Kinder sind keine Leistungsmaschinen. Sie sind Heranwachsende, deren Aufnahmefähigkeit von der jeweiligen altersspezifischen Entwicklungsstufe abhängt, sodass sie Zeit brauchen, um ihre intellektuellen Fähigkeiten entfalten, ihre sozialen Kompetenzen ausbilden und ihre charakterlichen Stärken formen zu können.

Deshalb fordert die AfD-Fraktion Sie mit ihrem Antrag auf: Leiten Sie im kommenden Schuljahr

2017/18 die Rückkehr zu G9 ein, damit im Sommer 2018 der nächste Jahrgang 5 der neunjährigen Schullaufbahn starten kann. Unterbinden Sie damit die Abwanderung der Schüler aus den Grenzgebieten von Nordrhein-Westfalen hin zu Niedersachsen. Nehmen Sie dann auch die jetzigen Fünftklässler als Schüler der Jahrgangsstufe 6 mit in diese Laufbahn hinein. Lassen Sie für die jetzigen fünften Klassen die zweite Fremdsprache in der Jahrgangsstufe 7 und die Differenzierungskurse in der Jahrgangsstufe 9 beginnen.

Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern haben Ihnen vorgemacht, wie man die Schullaufbahn sofort umstellen kann. Wie ich vernommen habe, Herr Laschet, möchten Sie doch dem bayerischen Vorbild, Herrn Seehofer, nachstreben. Das wäre jetzt eine sehr gute Gelegenheit.

(Beifall von der AfD)

Ich sprach gerade schon von Lernfähigkeit und Lernbereitschaft. Insofern sollte das an dieser Stelle nicht so schwierig sein.

Das nächste Jahr bietet genügend Zeit, die früheren G9-Lehrpläne auf den gegenwärtigen Stand zu bringen und geeignete Lehrbücher zu beschaffen. Man muss das Rad nicht ständig neu erfinden. Vor allem: Lassen Sie endlich die Idee fallen, Gymnasien verschiedener Geschwindigkeiten zu schaffen.

(Beifall von der AfD)

Die G8-Gymnasien werden keinen Bestand haben, erschweren den Schülerinnen und Schülern den Übergang auf andere Schulen und ziehen einen organisatorischen Mehraufwand nach sich, der in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Bieten Sie den überdurchschnittlich begabten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, am Ende der Jahrgangsstufe 10.1 gleich in die Jahrgangsstufe 11.2 zu springen. Das erfordert fast keinen zusätzlichen organisatorischen Aufwand und ermöglicht einen passgenauen Zuschnitt der Schullaufbahn auf den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin.

Machen Sie sich glaubwürdig bei den Eltern und Schülern, indem Sie die Umstellung auf G9 zügig umsetzen. Besinnen Sie sich endlich wieder auf den Satz von Konrad Adenauer: „Keine Experimente!“ – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Danke schön. – Für die CDU-Fraktion erteile ich der Kollegin Vogt das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und FDP ganz klar dazu bekannt, dem Wunsch

der großen Mehrheit der Menschen in unserem Bundesland zu entsprechen und G9 an Gymnasien wieder als Regelfall einzuführen.

Die Entwicklungen in vielen anderen Bundesländern sind ähnlich. Dort, wo es Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 gibt, zeigt sich, dass ein Großteil der Schulen zu G9 zurückgekehrt ist. Allerdings gibt es auch Beispiele in Nordrhein-Westfalen, wo G8 gut funktioniert und von allen Beteiligten akzeptiert wird.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Wo denn?)

Diesen Schulen wollen wir die Möglichkeit eröffnen, ihren erfolgreichen Weg weiterzugehen, und nicht von oben verordnen …

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kollegen Dr. Blex?

Ja, gerne.

Seien Sie doch bitte so nett und sagen uns, wo G8 in Nordrhein-Westfalen gut funktioniert. An welcher Schule funktioniert G8 gut? – Danke schön.

Da ich in den letzten Jahren an sehr vielen Schulen war, kann ich Ihnen zahlreiche Beispiele nennen, wo es gut funktioniert. Das können Sie auch der Presse entnehmen. Es gibt auch Schulleiter, die sich entsprechend äußern. Teilweise ist es wirklich die Frage: Wie ist es an der Schule organisiert worden? Ganz konkret auch: Wie sieht der Stundenplan aus?

Ich kann Ihnen ein sehr interessantes Beispiel aus dem ländlichen Raum nennen. Dort hat man dem Ministerpräsidenten gesagt: Weil der letzte Schulbus um 14:30 Uhr fährt, haben wir G8 so organisiert, dass die Schule um 14 Uhr endet. Damit sind dann vor Ort tatsächlich alle zufrieden.

Wir wollen das den Schulen, die sagen: „Es funktioniert, wir sind zufrieden“ nicht einfach von oben verordnen, wir wollen nicht wieder einen Systemwechsel. Denn in ganz vielen Gesprächen, die wir zu diesem Thema in den vergangenen Monaten geführt haben, kam neben dem starken Wunsch nach Rückkehr zu G9 auch immer wieder der Ruf nach Ruhe im System vor.

Jemand, der Schule von innen kennt, weiß, wie schwer es ist und wie viel Zeit es auch bindet, ein System gänzlich zu erneuern. Das wollen wir gewährleisten, indem wir den Schulen die nötige Zeit lassen, über den für sie richtigen Weg zu diskutieren und zu entscheiden.

Bei einer derartigen Entscheidung gilt es, viele Facetten abzuwägen, und das geht nicht in ganz kurzer Zeit. Deswegen möchten wir den Schulen keine übereilte Entscheidung abverlangen und vermeiden, dass jetzt wieder überhastet ein Systemwechsel eingeführt wird, bei dem hinterher alle vor Ort sagen: Das ging viel zu schnell. Wir mussten uns wieder umstellen. Wir brauchen doch eine bestimmte Zeit, um einfach zu schauen, wie das an der eigenen Schule konkret funktioniert.

Wir haben uns vorgenommen, den Schulen diese Zeit zu geben. Wir wollen sie sehr intensiv auf diesen Prozess vorbereiten und ihn dann entsprechend umsetzen. Daher werden wir bei dem von uns vorgestellten Zeitplan bleiben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herzlichen Dank. – Als Nächstem erteile ich dem Abgeordneten Ott für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Yvonne, an dieser Stelle von mir persönlich noch einmal alles Gute für dein Amt. Wir wissen, es ist kein leichtes. Ich bin sicher: Da Du in der Kölner Schulpolitik zu Hause gewesen bist, kennst Du dich insbesondere mit den Herausforderungen der großstädtischen Schulpolitik aus. Deshalb setze ich darauf, dass dieser Punkt mit dir jetzt noch größere Bedeutung erfahren wird. Ich werde jedenfalls mit darauf achten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon ein einmaliger Vorgang, wenn zwei Regierungsparteien nach der Wahl das Gegenteil dessen tun, was sie hier in den parlamentarischen Reden über Jahre erzählt haben.

(Beifall von der SPD und der AfD)

Wir haben hier im Plenum immer wieder die Diskussion gehabt. Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass diejenigen, die G8 in der Turboform – mit der Verkürzung der Sekundarstufe I – eingeleitet haben, jetzt das Ganze wieder auf Vordermann bringen, zu G9 zurückkehren und G9 zur Leitentscheidung machen wollen.

Aber richtig ist auch: Wir hatten nicht die Kraft dafür, umzusteuern, früher umzusteuern. Es war der Versuch, bis zum Schluss am runden Tisch weiche Lösungen zu finden, wo längst harte Schnitte nötig gewesen wären. Wir haben zu lange auf den Konsens gesetzt und auch auf den scheinbaren Konsens – der ja dem Schulkonsens mehr oder weniger zugrunde lag –, das gemeinsam hinzubekommen.

Richtig ist auch: Alle Experten wissen, dass die eigentliche Frage nicht ist: G8 oder G9? Die eigentliche

Frage ist: Wie entwickeln wir Schule? Die eigentliche Frage ist: Wie helfen wir, dazu beizutragen, guten Unterricht zu gewährleisten? Wie sorgen wir für individuelle Förderung der Kinder, die den Namen auch verdient?

Wir brauchen Schulen, wo jeder nach seinen Fähigkeiten gefordert und gefördert wird. Leider spielen aber in der Schulpolitik Symbole allzu oft die größere Rolle. Insbesondere in Medienberichterstattungen und kurzen Zeitungsartikeln schaut man kaum hinter die Kulissen, sondern es bleibt bei Plattitüden.

Die Bildungsforscher dieses Landes können jedenfalls keinen signifikanten Unterschied zwischen den Ergebnissen von G8 und G9 feststellen, und doch spüren wir Eltern, worum es wirklich geht. Denn: „Wir brauchen mehr Zeit für Kinder. Wir brauchen mehr Zeit für Lebensqualität.“ Das haben die meisten Eltern in diesen Debatten immer wieder eingebracht. Damit ist übrigens nicht gemeint, dass wir zu Halbtagsschulen zurück wollen oder müssen, sondern wir brauchen ein verlässliches, ein rhythmisiertes Ganztagsangebot. Das ist das, was die Mehrheit der Menschen in diesem Land heute nämlich auch möchte.

(Beifall von der SPD)

Ganztag muss dabei eben auch die Lebensqualität berücksichtigen, muss Sport, Musik, Kultur und all das, was dazugehört, um das Leben in der Schule auch angenehm zu gestalten, im Blick haben. Deshalb müssen sich Angebote abwechseln.

Herr Abgeordneter Ott, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Blex?