Protokoll der Sitzung vom 16.11.2018

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Grünen erteile ich nun der Abgeordneten Frau Düker das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der CDU, lieber Kollege Frieling, Demokratie ist manchmal schwer auszuhalten. Das gestehe ich Ihnen zu; denn bei Ihnen war die Bilanz bei den Stichwahlen besonders bitter – sowohl vor der Abschaffung der Stichwahl durch Sie als auch nach Wiedereinführung der Stichwahl durch uns im Jahr 2015.

Denn – das sieht man in den Statistiken gut – die allermeisten CDU-Kandidaten, die in die Stichwahl mussten und im ersten Wahlgang oft eine relative Mehrheit hatten, haben dann in der Stichwahl verloren. Beispiele wurden vom Kollegen Dahm genannt: Düsseldorf, Wuppertal. Besonders bitter war es im Kreis Lippe; das kann ich verstehen. Ihr Kandidat hatte dort im ersten Wahlgang knapp unter 50 % der Stimmen erreicht und hat dann im zweiten Wahlgang, in der Stichwahl, verloren.

(Beifall von Christian Dahm [SPD] und Michael Hübner [SPD])

Als Konsequenz daraus zu sagen: „Dann schaffen wir die Stichwahl ab“, ist aber doch absurd, Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Sie sollten sich vielleicht einmal fragen, warum Sie denn Ihre Wählerinnen und Wähler im Kreis Lippe nicht für die Stichwahl mobilisieren konnten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das wäre doch die richtige Überlegung für eine Partei.

Deswegen ist Ihre Begründung von der niedrigen Wahlbeteiligung durchschaubar. Das ist ein missglückter Versuch, Ihren rein interessengeleiteten Demokratieabbau hier zu verschleiern.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist auch ein untauglicher Fehlschluss. Sie haben die geringe Wahlbeteiligung aufgrund eines fehlenden Interesses an der Kommunalpolitik als Problem identifiziert. Mit der Abschaffung der Stichwahl wird dieses Problem aber doch nicht beseitigt, sondern nur verdeckt.

(Beifall von den GRÜNEN)

An der Ursache, dem offenbar fehlenden Interesse an der Kommunalwahl, ändert das nichts. Sehen Sie lieber zu, dass Sie Ihre Wähler an die Urne kriegen und die Kommunalpolitik dort attraktiver machen, wo die Wahlbeteiligung gering ist.

Die Auswirkungen der Abschaffung der Stichwahl sind hinlänglich bekannt. Die Erfahrungen aus 2009

will ich noch einmal in Erinnerung rufen. Über 30 Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte sind damals mit relativen Mehrheiten von unter 40 % in die Ämter gekommen: Wülfrath 27 %, Marl 32,4 %, Grevenbroich 33,7 %, Monheim 30,4 % usw. usf.

Der Verein „Mehr Demokratie“ sprach damals von „Minderheitenbürgermeistern“ mit schwacher demokratischer Legitimierung. Genau diese Problematik, dass Kandidaten mit einer schwachen demokratischen Legitimierung in Ämter kommen, wird durch die aktuelle Entwicklung der sich weiter zersplitterten Parteienlandschaft noch verschärft. Stichwahlen hingegen stellen im Ergebnis mit einer absoluten Mehrheit der Gewählten sicher, dass sich diejenigen, die ins Amt kommen, auf eine breite demokratische Legitimierung stützen können. Damit sind sie auch denjenigen verpflichtet, die nicht zu ihrer originären Parteienwählerschaft gehören.

Das weit größere Demokratiedefizit sehe ich in den zwangsläufigen Reaktionen der Parteien. Das konnten wir 2009 auch beobachten. Denn klar ist, dass es wieder mehr taktische, strategische Bündnisse im Vorfeld der Wahlen geben wird. Das wird selbstverständlich genauso wie in der Vergangenheit passieren. Kleinere Parteien werden sich künftig genau überlegen, ob sie eigene Kandidatinnen oder Kandidaten aufstellen. Dann kommt es zu Deals in den Hinterzimmern.

Damit erhalten die Parteien größeren und die Wählerinnen und Wähler geringeren Einfluss auf das Wahlergebnis. Das Wort „Wahl“ kommt nämlich von „Auswahl“. Die Auswahl wird eingeschränkt. Damit nehmen Sie einen klaren Abbau von Demokratie vor.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Hier wende ich mich an den Kollegen Höne, der gleich reden wird. Mit genau dieser Argumentation, die ich gerade vorgetragen habe, hat auch mein geschätzter ehemaliger Kollege Horst Engel von der FDP im Jahr 2011 der Wiedereinführung der Stichwahl zugestimmt. Denn auch er hat anerkannt, dass diese Entwicklung 2009 demokratieschädlich war. Deswegen hat die FDP die Wiedereinführung nicht nur ins Wahlprogramm übernommen, sondern ihr damals auch zugestimmt. Ich weiß nicht, was sich inzwischen an diesen Argumenten geändert hat. Da höre ich Ihnen gerne gleich zu.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Daher komme ich zu der Analyse: Was Sie hier machen, ist – das ist offenkundig – interessengeleitete Politik, die unsere kommunale Demokratie demontiert.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Denn nach meinem Demokratieverständnis darf man sich das Wahlrecht nicht so zurechtbiegen, dass man

am Ende den größten Profit daraus zieht. Genau das tun Sie aber.

Wir wollen nicht, dass mit Kungeleien in Hinterzimmern vor Wahlen die Auswahlmöglichkeiten der Wählerinnen und Wähler eingeschränkt werden, sondern wir wollen die größtmögliche Auswahl für die Wählerinnen und Wähler bei ihrer Entscheidung. Wir wollen starke, demokratisch legitimierte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte. Die werden Sie hiermit schwächen und verhindern. Deswegen werden wir diese Politik nicht mittragen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Danke, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP spricht unser Abgeordnetenkollege Höne.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann grundsätzlich – insbesondere nach den ersten knapp 25 Minuten Debatte am heutigen Plenartag – nur darauf hinweisen, dass ich es für richtig halte, Fragen des Wahlrechts mit großer Vorsicht und mit angemessener Tonalität zu diskutieren, weil man sonst das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in unser System riskiert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dazu gehören eine angemessene Lautstärke und Ruhe.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich wusste, dass der Kollege Mostofizadeh der Erste ist, der sich meldet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich habe Sie quasi schon auf dem Zettel stehen. Lassen Sie sich einmal von Frau Düker erklären, Herr Kollege Mostofizadeh, was mit gebotener Lautstärke, Ruhe und Zurückhaltung gemeint ist.

Man muss die Fragen doch inhaltlich neutral mit einem starken fachlichen Bezug diskutieren – und eben nicht, wie wir es bei dem Kollegen Dahm und bei der Kollegin Düker gehört haben, mit der strategischen Frage obendrüber.

Genau das passiert jetzt. Hier wird strategisch diskutiert und argumentiert. Die SPD spricht in ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde von einem Angriff auf die Demokratie. Herr Kutschaty, Sie haben sich mit dem Satz zitieren lassen, das sei weniger Demokratie, um schwarze Bürgermeister zu retten.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja auch so!)

Ich frage mich, ob Sie gar nicht merken, wie entlarvend ein solches Argumentationsmuster ist. Denn es lässt nur den Umkehrschluss zu, dass Sie an der Stichwahl festhalten wollen, um rote Bürgermeister zu retten. Das ist der einzig mögliche Umkehrschluss.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

Insofern kann ich uns allen nur zu verbaler Abrüstung raten.

Meine Damen und Herren, die Wahlsysteme in Deutschland stehen immer auch im Kontext zur politischen Kultur. Wenn man sich das ganz nüchtern anschaut, kann man feststellen – unabhängig von der Ebene –: Die Stichwahl ist im deutschen Wahlsystem die Ausnahme und nicht die Regel.

Wir haben hier im Landtag 199 Kolleginnen und Kollegen; 128 sind in den Wahlkreisen direkt gewählt. Wir haben 64 Bundestagswahlkreise in NordrheinWestfalen. Wir haben – ich habe es heute Morgen noch einmal nachgeschaut – 14.954 gewählte Vertreter in den Räten und Kreistagen. Das heißt, dass – lassen wir Überhang- und Ausgleichsmandate einmal außen vor –

(Zurufe von der SPD)

7.477 Vertreter in den kommunalen Wahlkreisen gewählt wurden.

Das heißt: Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 7.669 Vertreter, die mit relativer Mehrheitswahl gewählt wurden – ohne eine Stichwahl.

Eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang brauchten hingegen 373 Bürgermeister, 30 Landräte, 23 Oberbürgermeister und übrigens auch – ganz aktuell – ein Städteregionsrat.

(Zuruf von der SPD)

Das Verhältnis von 7.669 zu 427 bestätigt erstens, dass es sich um Ausnahme und Regel handelt.

Ich meine darüber hinaus übrigens, dass alle Mandatsträger, die darunterfallen, demokratisch legitimiert sind und dass die Demokratie auf keiner dieser Ebenen deshalb abgeschafft wurde oder in Gefahr ist.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD)