Protokoll der Sitzung vom 22.02.2019

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 52. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 13 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert hier und heute unsere Kollegin Sigrid Beer von der Fraktion der Grünen. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute im Namen aller Kolleginnen und Kollegen!

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich darauf hinweisen, dass der Landtag bereits am Mittwoch einstimmig beschlossen hat, die von der Fraktion der SPD beantragte Aktuelle Stunde, die ursprünglich für Mittwoch unter Tagesordnungspunkt 2 vorgesehen war, heute als Tagesordnungspunkt 1 aufzurufen.

Dementsprechend treten wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1 Hände weg vom Arbeitszeitgesetz! – Die

schwarz-gelbe Landesregierung darf das Arbeitszeitgesetz nicht aufweichen!

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/5162

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 18. Februar gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Neumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

CDU/FDP-geführte Landesregierung hat am vergangenen Freitag den Antrag „Arbeitszeiten an die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt anpassen“ des Landes Nordrhein-Westfalen in den Bundesrat eingebracht.

Worum geht es dabei? Mit der Entschließung soll die Bundesregierung aufgefordert werden, einen Gesetzentwurf zur Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes vorzulegen. Ich frage mich schon, warum CDU und FDP keine eigenen Vorschläge vorlegen. Haben

Sie keine Ideen? Scheuen Sie den internen Konflikt? Haben Sie etwas zu verheimlichen, oder wollen Sie etwa die bösen Botschaften den Berlinern in die Schuhe schieben?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir sind nicht die SPD! Sie verwechseln da was!)

Jedenfalls wird mit der Bundesratsinitiative gefordert, die vorhandenen Spielräume der EU-Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung besser zu nutzen. Indem den Tarifpartnern erlaubt wird, innerhalb dieses Rahmens eigene Regelungen zu treffen, sollen tarifvertragliche Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz möglich sein.

Laut dem Entwurf der Entschließung soll es zukünftig möglich sein, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit anstelle der werktäglichen Höchstarbeitszeit vorzusehen. Ich wiederhole: Es soll möglich sein, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit anstelle der werktäglichen Höchstarbeitszeit vorzusehen.

Zudem will die schwarz-gelbe Landesregierung erreichen, dass die vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen verkürzt werden kann.

Kolleginnen und Kollegen, wenn CDU und FDP Hand an das Arbeitszeitgesetz legen, dann schaltet die SPD-Fraktion sofort auf Alarmstufe Rot.

(Beifall von der SPD)

Genau deswegen haben wir heute diese Aktuelle Stunde beantragt. Der Vorschlag von CDU und FDP zielt auf eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes ab.

Begründet wird der Ansatz nicht nur mit den vermeintlichen Bedürfnissen der Arbeitsvertragsparteien, sondern auch mit den angeblichen Anforderungen der digitalisierten Arbeitswelt. Laut der Begründung geht es um den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit und damit um den Schutz der Arbeitsplätze, um mehr Selbstbestimmung, um bessere Work-Life-Balance, insbesondere bei mobiler Arbeit oder bei der Arbeit im Homeoffice. Der Schutz der Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftigten sollen im Interesse der Arbeitsvertragsparteien in Einklang gebracht werden.

Kolleginnen und Kollegen, ich sage ganz klar, dass es überzeugende Argumente gegen die Behauptung von CDU und FDP gibt, das Arbeitszeitgesetz sei zu starr und zu unflexibel.

Argument 1: Der geltende gesetzliche Rahmen ist flexibel genug. Die heute bereits vorhandenen Gestaltungsspielräume sind völlig ausreichend, um weitgehende und nötige Flexibilität für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses zu sichern.

Das belegen unter anderem die aktuellen Tarifabschlüsse der DGB-Gewerkschaften, die im Rahmen

22.02.2019

des geltenden Rechts vielfältige Bedürfnisse der Beschäftigten und der Arbeitgeber bei der Ausgestaltung der Arbeitszeit berücksichtigen. Für diese Aushandlungsprozesse bietet das geltende Arbeitszeitgesetz auch unter den Bedingungen der Digitalisierung einen adäquaten Rahmen.

Bei den Forderungen nach einer Öffnung des Arbeitszeitgesetzes geht es im Übrigen mitnichten nur um die sogenannte Digitalisierung. Vielmehr wird eine aus Gründen des Gesundheitsschutzes unzumutbare Lockerung des gesetzlichen Schutzrahmens für alle Branchen gefordert.

Gleichlautende Forderungen werden auch von der DEHOGA eingebracht. Die Frage der Arbeitszeit im Gastgewerbe ist allerdings keine Frage der Digitalisierung.

Argument 2: Die tariflichen Abweichungsmöglichkeiten sind ausreichend. Der schon heute grundsätzlich weit gesteckte gesetzliche Arbeitszeitrahmen wird durch die ebenfalls heute schon geltenden Abweichungsmöglichkeiten für die tarifvertragliche Ausgestaltung der Arbeitszeit noch zusätzlich erweitert. Über Tarifverträge können die täglichen Arbeitszeiten heute schon verlängert und die tägliche Ruhezeit verkürzt werden.

Argument 3: keine Tariföffnung zur Unterschreitung des Gesundheitsschutzes. Tarifverträge dürfen grundsätzlich kein Instrument zur Unterschreitung gesetzlicher Mindeststandards sein, bei der die Gefahr besteht, dass den jeweiligen Schutzfunktionen nicht mehr Rechnung getragen werden kann.

Der von der schwarz-gelben Regierung vorgeschlagene erweiterte Verhandlungsrahmen kommt vor allem der Arbeitgeberseite zugute. Die Gestaltungspflicht wird auf die Gewerkschaften bzw. Betriebsräte verlagert, ohne dass sie sich dabei auf gesetzliche Rahmenbedingungen als unterste Haltelinie stützen können. Während die Arbeitgeber dieses Mehr an Verhandlungsspielraum gerne nutzen, droht den Gewerkschaften durch ihre Beteiligung an der Unterschreitung der gesetzlichen Standards letztendlich eine Glaubwürdigkeits- und Ansehensfalle.

Argument 4: Die ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden ist für die Gesundheit der Beschäftigten von zentraler Bedeutung. Das bestätigen zahlreiche Studien, die durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags ausgewertet wurden. Laut arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen hat die Mindestruhezeit von elf Stunden einen sehr hohen Stellenwert für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten. Zudem sinkt die Produktivität nach der achten Arbeitsstunde am Tag nachweisbar, und die Arbeitsunfallquote nimmt signifikant zu.

Wer vor dem Hintergrund des jetzt schon vorhandenen erheblichen Flexibilisierungsspielraums die existierenden gesetzlichen Arbeitszeitregelungen für zu

starr hält, einer wöchentlichen Arbeitszeit das Wort redet und gleichzeitig die Kürzung

(Unruhe – Glocke)

der ununterbrochenen Ruhezeiten fordert, setzt sich faktisch für die Aufhebung des gesetzlichen Schutzrahmens ein.

Kolleginnen und Kollegen, wohin das führen kann und wie der Ungeist zu diesem Thema aktuell durch Europa zieht, können wir in Ländern wie Ungarn und Österreich nachvollziehen. Schutzrechte im Arbeitszeitbereich werden unterhöhlt. Insbesondere in Ungarn kommt ein Sklavengesetz auf den Markt, durch das Arbeitnehmer aufgefordert und veranlasst werden, bis zu 450 Überstunden zu leisten.

Herr Minister, lassen Sie sich nicht zum Getriebenen machen, auch nicht zum Getriebenen Ihres Koalitionspartners. Lassen Sie uns das bewährte Arbeitszeitgesetz in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen verteidigen. Hände weg von der Lockerung des Arbeitszeitgesetzes! Hände weg von Schutzrechten, die den Arbeitnehmern zustehen! – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Schmitz das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Neumann, Sie bauen hier ein Bild auf von kapitalistischen Arbeitgebern und geknechteten Arbeitnehmern, von Sklavenarbeit. Ich habe Angst um die SPD, wenn sie so weiter in die Zukunft geht.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich möchte einmal darauf eingehen, was mit der Bundesratsinitiative geplant ist.

Wir möchten die wöchentliche Arbeitszeit anstelle einer werktäglichen Höchstarbeitszeit als Rahmen. Das bedeutet für uns, 40 Stunden sind gesetzt. Wie diese aber auf die tägliche Arbeitszeit verteilt werden, soll vor Ort entschieden werden.

Das Gleiche gilt bei der Verkürzung der vorgegebenen Ruhezeiten. Wir reden nicht davon, dass wir im Schichtdienst Ruhezeiten verkürzen wollen. Aber wenn jemand die Möglichkeit hat, von zu Hause zu arbeiten, dann verweigern Sie ihm, dass er abends am Computer noch seine E-Mails bearbeitet und am nächsten Morgen um 8 Uhr wieder im Büro ist. Das kann nicht gehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der dritte und wichtigste Punkt, den die Landesregierung bei der Bundesratsinitiative eingebracht hat: Wir sprechen von tarifgebundenen Partnerschaften. Wir