Protokoll der Sitzung vom 21.03.2019

Das Parlamentsverständnis ist: Eine Landesregierung legt sich erst dann fest, wenn die Ausschussberatungen im Bundesrat gelaufen sind.

(Nadja Lüders [SPD]: Unabhängig vom eige- nen Parlament! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich habe Ihnen mit dem Zitat aus der Kabinettsvorlage klar gesagt, wie wir in dieser Frage vorgehen werden.

(Unruhe – Glocke – Rainer Schmeltzer [SPD]: Willst du dem Parlament den Mund verbie- ten?)

Ich habe den Eindruck, dass der getroffene Hund in diesem Parlament bellt. Diesen Eindruck habe ich ganz stark.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Stimmt! Der steht gerade am Red- nerpult!)

Machen Sie sich da einmal keine Sorgen. Wir werden mit dieser Bundesratsinitiative verantwortungsbewusst umgehen. Wir haben im Kabinett darüber gesprochen. Wir halten es für einen gangbaren Weg, mit dieser Problematik fertigzuwerden. Warten Sie einmal in Ruhe ab, wie die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in dieser Frage entscheidet.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Ganz in Ruhe!)

Eines ist völlig klar:

(Jochen Ott [SPD]: Am Ende hat er nichts da- fürgekonnt!)

Man wird diese Problematik nur lösen können, wenn es eine Nachunternehmerhaftung für die Sozialversicherungsbeiträge gibt, wie es in der Fleischindustrie der Fall ist. Dort haben wir für eine Branche, die schwierig handhabbar ist, ein Instrument der Nachunternehmerhaftung geschaffen. Das kann auch ein gutes Beispiel für die Paketdienste sein. Insofern sind wir uns wohl doch wieder relativ einig, wie wir mit dieser Problematik umgehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister.

Bevor ich der Kollegin Kapteinat von der SPDFraktion das Wort erteile, möchte ich die Gelegenheit nutzen und auf Gäste auf der Zuschauertribüne hinweisen. Wir haben Besuch aus unserem Nachbarland. Ich darf den Präsidenten des Flämischen Parlaments, Jan Peumans, mit einer Delegation von Abgeordneten des Flämischen Parlaments, den Generaldelegierten der Regierung Flanderns, Koen Haverbeke, und die Vize-Ministerpräsidentin der flämischen Regierung, Liesbeth Homans, begrüßen. Herzlich willkommen hier im Parlament von Nordrhein-Westfalen!

(Allgemeiner Beifall)

Nun hat Frau Abgeordnete Kapteinat das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte hat tief blicken lassen. Tatsächlich hatte man bei den allermeisten Redebeiträgen den Eindruck – mal mehr, mal weniger –, dass es in dieser Branche große Probleme gibt. 91 % Missstände finde ich schon dramatisch.

Da fällt es mir sehr schwer, lieber Herr Kollege Schmitz, lieber Herr Kollege Lenzen, Chancen für Geringqualifizierte zu sehen. Sie müssen mir noch einmal erklären, wo Chancen für Geringqualifizierte liegen. Geht es darum, dass kein Mindestlohn gezahlt wird, dass man 15 Stunden am Tag arbeitet, dass keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden? Wo sind da die Chancen? Aus dieser Situation heraus kann sich doch niemand eine Perspektive aufbauen.

(Beifall von der SPD)

Es ist doch nicht möglich, dass es jemand aus dieser Situation heraus irgendwie schafft, auf einen grünen Zweig zu kommen und sich zu qualifizieren, damit es ihm zukünftig besser geht. Im Gegenteil!

Der Hinweis auf die Kontrollen ist ja richtig. Es ist aber doch nicht so, als würde es diese Kontrollen nicht schon längst geben und als hätten sie nicht schon längst ans Licht gebracht, wie dramatisch die Umstände sind.

Es wurde deutlich, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden, dass es einen großen Anteil von illegaler Beschäftigung gibt, dass gegen den Mindestlohn verstoßen wird und dass einige Fahrer sogar ohne Führerschein tätig sind – um von den wohnungslosen Fahrern, die sicherlich noch berücksichtigt werden müssen, gar nicht zu sprechen.

Das ist doch keine Situation, in der wir sagen können: Hey, Junge, mach was aus deinen Chancen! – Vielmehr müssen wir uns dafür schämen, dass so etwas in unserem Land überhaupt möglich ist.

(Beifall von der SPD)

Dann wurde der Zeitpunkt unseres Antrags kritisiert. Ich glaube, auch in dieser Debatte ist sehr deutlich geworden, dass es genau der richtige Zeitpunkt ist.

Denn zum einen haben wir diesen Antrag gestellt, bevor das Ganze im Bundesrat behandelt wurde. Dieses Verfahren sollte auch allen bekannt gewesen sein.

(Unruhe – Glocke)

Zum anderen stimmt zwar, dass der Wandel aus dem zunehmenden Onlinehandel resultiert. Was bedeutet das aber?

Es ist ja schön, dass das gesagt worden ist. Aber wir müssen doch überlegen, wie wir damit umgehen. Wir können doch nicht sagen: Das ist eine unternehmerische Entscheidung – und das muss reichen. Wir können doch nicht sagen, dass wir den armen großen Unternehmen – es sind fünf Unternehmen, die fast 50 % des Marktes ausmachen – die Bürokratie nicht zumuten könnten. Schließlich tun wir das in allen anderen Bereichen auch und sagen, dass es zumutbar ist, festzustellen, wann jemand mit seiner Arbeit beginnt und wann er aufhört.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass es Menschen sind, die sich mit ihren Autos auf unseren Straßen bewegen. Daher müssen wir doch ein Interesse daran haben, dass sie wach sind, dass sie klar sind und dass sie in der Lage sind, ihren Job gut zu machen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dass die Angst vor der Bürokratie vielleicht doch nicht so groß sein kann, zeigt sich allein daran, dass das bisherige System insbesondere den großen Unternehmen ermöglicht, sich über diese Kette hinaus bei Verstößen freizeichnen zu können. Dieses System der Subunternehmerbeauftragung gäbe es doch gar nicht, wenn es sich für die großen Unternehmen

nicht finanziell lohnen würde. Dann haben sie diese Verantwortung eben auch zu tragen.

Herr Minister Laumann, als Sie anfingen, zu sprechen, war ich eigentlich froh und dachte, Ihre Ausführungen würden in die richtige Richtung gehen. Mir wurde auch berichtet, dass Sie sich letzte Woche bei ver.di in Duisburg sehr positiv dazu geäußert haben. Ich dachte, das sei genau der richtige Ansatz, nämlich zu zeigen: Ja, wir stehen in dieser Sache im Bundesrat an der Seite von Niedersachsen,

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Das tun wir auch!)

und wir erkennen, dass wir dort gemeinsam eine Chance haben. – Ich würde mir wünschen, dass Sie das auch Ihrer regierungstragenden Koalition deutlich machten.

Abschließend möchte ich noch Folgendes sagen: Wir haben ganz viel über Chancen gesprochen – die ich wirklich nicht sehe –, aber auch über Missstände. Jetzt geht es aber tatsächlich darum, eine Nachunternehmerhaftung zu schaffen, also etwas, was es in der Bauwirtschaft, aber auch in der Fleischbranche bereits gibt. Es ist damit schon Realität und hat auch nicht zum Zusammenbruch geführt, weder der Bauwirtschaft noch der Fleischbranche.

Wir müssen uns auch Folgendes klarmachen: Wenn die eigentlichen Auftraggeber die Verantwortung für die Sozialversicherungsbeiträge tragen, stellt das einen Schutz der Solidargemeinschaft dar. Denn dann müssen nicht alle anderen, die brav ihre Aufgaben erledigen, für das aufkommen, was die schwarzen Schafe falsch machen.

Darüber hinaus gibt es im Bereich des Mindestlohns schon lange die Nachunternehmerhaftung. Auch dadurch ist die Welt nicht zusammengebrochen.

Der zweite wichtige Punkt, der aus der Initiative hervorgeht und aus meiner Sicht heute ein bisschen zu kurz gekommen ist, ist der Schutz von allgemeinen Arbeitsmaßnahmen. Hier müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Arbeitsbedingungen verbessern können; denn das ist dringend notwendig. Eine verstärkte Dokumentationspflicht ist dabei hilfreich und richtig. Denn was bringen uns alle Kontrollen, wenn daraus nichts folgt? – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Unterstützung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen hat Herr Mostofizadeh das Wort.

(Gordan Dudas [SPD]: Jetzt gib ihnen den Rest!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Arbeitsminister Laumann, Sie haben hier am Pult ausgeführt, nach Ihrer Auffassung müssten die gesetzlichen Regelungen für diesen Bereich den für die Fleischbranche geltenden Bestimmungen angeglichen werden. Da kann ich Ihnen nur sagen: Dann muss das Parlament diesem Antrag zustimmen; denn genau das ist der Gegenstand der heutigen Auseinandersetzung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der zweite Punkt ist allerdings – ich habe bei der Debatte nämlich sehr genau zugehört –, dass Kollege Lenzen von der FDP etwas anderes vorgetragen hat. Er hat nämlich gesagt, wir bräuchten keine gesetzlichen Änderungen, sondern nur mehr Kontrolle.

(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

Am Ende eines Bundesratsverfahrens kann also stehen, dass Herr Laumann eine aus meiner Sicht nachvollziehbare Meinung hat, diese Landesregierung sich im Bundesrat aber enthält. Das ist doch der Punkt, über den wir hier heute reden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Gordan Dudas [SPD]: Das isoliert den Minis- ter!)

Eines will ich noch einmal sehr deutlich machen, Herr Minister Laumann. Wir brauchen nicht nur Empathie für die Branche, sondern wir brauchen sehr klare Spielregeln. Angesichts der Zahlen, die Sie selbst vorgetragen haben – Sie erwähnten 91 % Beanstandungen –, brauchen wir eine sehr klare Kante gesetzlicher Art und bei der Kontrolle. Sie können sich doch nicht dahinter verstecken, dass im Antrag die Kontrolle nicht angesprochen wird.

Sorgen Sie also bei Ihren Kolleginnen und Kollegen dafür, dass es zu mehr Kontrolle kommt, dass die Landesregierung entsprechenden Druck im Bundesrat ausübt und dass diesem Antrag hier heute zugestimmt wird. Dann hätten wir eine klare Linie und nicht die Herumeierei, die Sie hier präsentiert haben. – Vielen Dank.