Protokoll der Sitzung vom 23.05.2019

Es ist gut so, dass jetzt Mittel für die Steinkohlekraftwerkstandorte zur Verfügung stehen. Insgesamt 1 Milliarde Euro steckt in dem Bundestopf; das steht so in dem Eckpunktepapier, das haben Sie gerade so verkündet. In Nordrhein-Westfalen haben Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm, Herne und der Kreis Unna einen Anspruch auf diese Fördermittel, auf diese Strukturhilfen. Das ist auch vernünftig so.

Damit unsere Städte hier in Nordrhein-Westfalen das ihnen zustehende Geld auch tatsächlich erhalten, brauchen wir jetzt dringend eine Strategie, die zwischen den Kommunen, dem RVR und dem Land abgestimmt sein muss. Ich bitte Sie herzlich: Nehmen Sie den RVR ernst, bauen Sie den RVR in diese Beratungen bitte ganz intensiv mit ein!

(Beifall von der SPD)

Ihre Ruhr-Konferenz, Herr Laschet, wie Sie das gerade angekündigt haben, kann, so wie sie angelegt ist, das Ganze aus meiner Sicht nicht leisten. Im Augenblick ist das ein Ausflugsprogramm für Ministerialbürokratie und Verbände. Das ist zu wenig, um hier den Strukturwandel in den Steinkohlestandortstädten aktiv begleiten zu können.

(Beifall von der SPD)

Machen Sie also bitte Ihre Arbeit, bringen Sie die Akteure in beiden Reviere zusammen, klären Sie die Förderzugänge und setzen Sie sich dafür ein, dass von der 1 Milliarde Euro möglichst viel nach Nordrhein-Westfalen kommt.

Wir wissen nicht, was mit den Kraftwerkstandorten, auch den Steinkohlekraftwerkstandorten, alles geschehen kann. Das eine oder andere Kraftwerk kann sicherlich mit einem anderen Energieträger umgenutzt werden, aber es werden bestimmt auch Standorte komplett verschwinden müssen.

Zwölf Kohlekraftwerke gibt es im Ruhrgebiet. Insgesamt sprechen wir über 600 ha Grund. Die Umwandlung bzw. der Rückbau eines einzigen Kraftwerks verursacht enorme Kosten. Schätzungen gehen von 50 Millionen Euro bis 60 Millionen Euro für den Rückbau eines Standortes aus.

Die gesamte Hektarfläche der Kraftwerksstandorte im Ruhrgebiet macht genau die Fläche aus, die der Regionalverband Ruhrgebiet und die Wirtschaftsförderung des RVR berechnet haben, die dringend benötigt wird, um zusätzliche Gewerbeflächen im Ruhrgebiet tatsächlich generieren zu können.

Uns allen muss aber klar sein: Die von mir gerade genannten Städte werden finanziell nie in der Lage sein, für 50 Millionen Euro bis 60 Millionen Euro einen Kraftwerkstandort zurückzubauen. Das ist illusorisch. Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass sich der Betreiber des Kraftwerks verabschiedet, um das Gelände einen Bauzaun baut, das Gelände verrotten lässt, maximal noch den Parkplatz an einen Discounter verscherbelt, dann dort ein Aldi-, Lidl- oder PennyMarkt entsteht und ansonsten nichts geschieht. Das darf nicht passieren. Da müssen Sie sich einsetzen, Herr Ministerpräsident!

(Beifall von der SPD)

Die vierte und vielleicht sogar wichtigste Aufgabe der Landesregierung besteht darin, jetzt endlich eine belastbare Energiestrategie für Nordrhein-Westfalen

vorzulegen. Dazu habe ich heute gar nichts von Ihnen gehört.

Die im WSB-Bericht noch einmal bekräftigten Ausbauziele für die erneuerbaren Energien müssen jetzt in eine belastbare, glaubwürdige Energiestrategie auch für Nordrhein-Westfalen umgesetzt werden. Doch da sind Sie bislang völlig blank. Schlimmer noch, Ihre Energiepolitik hier in Nordrhein-Westfalen ist ein einziges Chaos. Die Energiewende bei Ihnen ist noch nicht einmal eine Luftnummer; denn Sie bekämpfen sogar die Windenergie, Herr Laschet. Ihr ideologischer Zermürbungskrieg gegen die Windkraft gefährdet nicht nur die Ziele der Energiewende, sondern wird irgendwann auch Arbeitsplätze kosten.

Aber beantworten Sie erst einmal eine ganz entscheidende Frage: Wie wollen Sie die Ausbauziele der erneuerbaren Energien denn erreichen, ohne auf einen Ausbau der Windkraft zu setzen? Wie soll das geschehen? Geben Sie endlich mal konkrete Antworten.

(Beifall von der SPD)

Vielleicht wird der Wirtschaftsminister gleich etwas dazu sagen.

Erklären Sie uns doch bitte auch einmal: Welchen Anteil sollen welche Energieformen zukünftig am Energiemix hier in Nordrhein-Westfalen haben? Wie groß soll der Anteil der Geothermie in Zukunft sein? Bundesweit reden wir gerade einmal von einem Anteil von 0,9 % an einem Wärmemix und 0,03 % am Strommix.

Wie wollen Sie das steigern? Wie soll das passieren? Die gleichen Fragen stellen sich bei Fotovoltaik, bei Biomasse, bei Wasserkraft. Das Problem ist: Sie haben keine Antworten auf diese Fragen, und deshalb ist die Energie- und Industriepolitik in NordrheinWestfalen derzeit ein einziger Blindflug.

Legen Sie ehrliche Zahlen hinsichtlich Leistung, Anteile, Flächenbedarf und Netzanbindung vor. Machen Sie deutlich, dass die entsprechenden Potenziale realisiert werden können. Die Wahrheit aber lautet: Mit der Vollbremsung bei der Windkraft, wie sie die Landesregierung betreibt, werden Sie die Ziele der Energiewende nie schaffen, Herr Ministerpräsident. Das wissen Sie auch; das sagen Ihnen die Handwerkskammern, die Industrieverbände, und das sagen Ihnen auch die Umweltverbände – die sowieso. Beenden Sie Ihren chaotischen Blindflug! Nordrhein-Westfalen braucht eine neue Energiepolitik, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD)

Mit den Beschlüssen der Strukturwandelkommission und den gestern verabschiedeten Eckpunkten im Bundeskabinett haben wir bedeutende Zwischenziele erreicht. Das ist das Basislager, aus dem wir nun weiter in die Höhe steigen können, um die Ziele

der Energiewende auch erklimmen zu können. Jetzt kann eine aktive Strukturpolitik für die betroffenen Regionen beginnen. Eine neue Energiepolitik für Nordrhein-Westfalen muss endlich ihren Anfang nehmen.

Jetzt ist aber auch die Landesregierung gefragt. Geben Sie den betroffenen Kommunen endlich Mitspracherechte, stellen Sie die Kofinanzierung der Struktur- und Förderprogramme sicher, entwickeln Sie auch für die Steinkohlestandorte einen Plan und legen Sie endlich eine neue Energiestrategie für Nordrhein-Westfalen vor. Machen Sie Ihre Arbeit! Es wird höchste Zeit. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD )

Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Löttgen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn erst der übernächste Tagesordnungspunkt dafür vorgesehen ist, erlaube ich mir, an diesem 23. Mai 2019 zu Beginn auch für die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion unserem Grundgesetz einen herzlichen Glückwunsch auszusprechen.

1.396 g schwer, 35 cm lang, 24 cm breit, 4 Mütter, 61 Väter – das ist die Urschrift des Grundgesetzes, die heute vor 70 Jahren zwischen 16 und 17 Uhr in der Pädagogischen Akademie Bonn, dem späteren Bundestagsgebäude, feierlich unterzeichnet wurde.

Dass wir heute in diesem Landesparlament, das aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist, unsere unterschiedlichen Meinungen frei äußern und die Medien uneingeschränkt darüber berichten können – all das gewährleistet unser Grundgesetz. Deshalb: herzlichen Glückwunsch!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Stichwort „Meinungsfreiheit“: Es wird den einen oder anderen sicherlich nicht verwundern, dass ich bei der Beurteilung des Sachverhalts, der heute Gegenstand der Unterrichtung ist, in einigen Punkten anderer Meinung als mein Vorredner bin.

Herr Kutschaty, als Erstes will ich anmerken: Dass Sie sich den Erfolg beim Thema „Steinkohle“ auf die Fahne schreiben wollen,

(Thomas Kutschaty [SPD]: Zu Recht!)

schlägt dem Fass wirklich den Boden aus.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich will Ihnen sagen, wem wir diesen Erfolg zu verdanken haben.

(Sarah Philipp [SPD]: Ich bin ganz gespannt!)

Ich werde Ihnen das danach noch einmal – auch wenn Sie es nicht hören wollen – aufs Butterbrot schmieren. Dieser Erfolg ist dem unnachgiebigen Einsatz dieses Ministerpräsidenten, des Wirtschaftsministers und allen, die in den Ministerien daran mitgearbeitet haben, zu verdanken – und nicht Ihnen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Marc Herter [SPD]: Wenn dem so wäre, müssten Sie es nicht erwähnen, Herr Löttgen! Dann wüssten es ja alle!)

Ihre Schwarzseherei und Ihr Herummäkeln haben nicht zu diesem Erfolg geführt.

Ein Zweites zu Ihrer Kritik: Sie sagten, Sie wollten nicht, dass mit dem Geld irgendjemand Müllverbrennungsanlagen in Bolivien kaufe. Erinnern Sie sich an eine Diskussion, die wir im Zusammenhang mit dem Gemeindewirtschaftsrecht geführt haben? – Da standen Sie an diesem Rednerpult und haben auf Teufel komm raus verteidigt, dass Anlagen von gemeinde- und stadteigenen Betrieben Investitionen in Brasilien tätigen. Das war seinerzeit die Verteidigungshaltung der SPD.

(Beifall von der CDU und Dietmar Brockes [FDP] – Marc Herter [SPD]: Das haben Sie aus Steuersubventionen getan! Ich bin irritiert, Herr Löttgen!)

Natürlich ist das mit Steuergeldern passiert. STEAG, Herr Kollege. Erinnern Sie sich daran?

(Marc Herter [SPD]: Erwischt, Herr Löttgen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Aber so ist das mit der SPD – an einem Tag in die eine, am nächsten Tag in die andere Richtung. Zuverlässigkeit ist nicht gerade das Markenzeichen dieser Fraktion.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Sven Wolf [SPD]: Oh! Das war unter die Gürtellinie! – Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, das gilt auch für die Redewendung, die Sie geprägt haben: „Geist der Zusammenarbeit“. Herr Kutschaty, das würde ich gerne gelten lassen. Aber mit Blick auf Ihre Äußerungen in der Debatte am 20. Februar dieses Jahres und auf das, was Sie seit Februar zum Teil veröffentlicht haben, werden wir darüber im Rahmen dieser Debatte noch einmal sprechen müssen.

Ich jedenfalls bin dem Ministerpräsidenten und dem Minister für Wirtschaft, Energie und Landesplanung Professor Dr. Andreas Pinkwart dankbar dafür, dass Sie zum zweiten Mal nach dem 20. Februar dieses Jahres die erste sich bietende Gelegenheit genutzt

haben, um in diesem Parlament über wichtige Entscheidungen zu unterrichten.

Nur 117 Tage, nachdem die Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung am 26. Januar dieses Jahres ihren Abschlussbericht vorgelegt hat, nimmt das größte Einzelstrukturprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen seit 1989, seit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, Gestalt an.

Es gilt, vorab festzustellen, dass Nordrhein-Westfalen hervorragend verhandelt hat. Das Ergebnis – die gestern vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunkte zur Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der WSB-Kommission für ein Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen – hat Substanz und übertrifft die Erwartungen, jedenfalls die der Opposition.