Protokoll der Sitzung vom 09.10.2019

Wenn man dann allen Ernstes hergeht, die heutige Bundesrepublik und unsere demokratische Streitkultur mit der damaligen DDR zu vergleichen, ist das ein Zeugnis historischer und politischer Defizite. Deswegen ist es auch völlig nachvollziehbar und völlig zu Recht von den Bürgerrechtlern der DDR als Missbrauch der friedlichen Revolution bezeichnet worden, der wir heute mit dem Antrag der Kollegen der Sozialdemokratie, mit unserem Entschließungsantrag auch gedenken. Deswegen haben die DDRBürgerrechtler diesen Ansatz zu Recht zurückgewiesen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Sie haben sicherlich bemerkt, dass es von Herrn Abgeordneten Tritschler von der AfD-Fraktion die Anmeldung einer Kurzintervention gegeben hat. Ich schalte das Mikrofon frei.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte noch mal ganz kurz darauf eingehen, dass jetzt auch die FDP an der Legende vom heiligen Johannes strickt, der angeblich schon immer für die Wiedervereinigung war. Es gibt ein schönes Zitat von ihm selbst vom Februar 1990. Er sagte in der Leipziger Nikolaikirche mit Bezug auf die Haltung der SPD zur DDR – ich zitiere –:

„Wir haben uns bei den Mächtigen wohlgefühlt. Wir waren nicht bei denen, die die Revolution vorbereiteten. Wir waren bei denen, die nichts ändern wollten.“

Nichts spiegelt die Haltung der Parteien im Westen, insbesondere der SPD und von Johannes Rau, besser wider als er selbst mit seinen eigenen Worten vom Februar 1990.

(Sven Wolf [SPD]: Bodenlos! – Sven Werner Tritschler [AfD]: Es ist ein Zitat! Entschuldi- gung!)

Bitte schön.

Frau Präsidentin! Herr Tritschler, nur ganz kurz zu diesem Hinweis: Diese Methode, irgendwelche Zitate zu bringen, von denen ich jedenfalls nicht sagen kann, ob das überhaupt zutrifft – ich war nicht dabei, es würde mich jedenfalls in der Sache überraschen –, und immer wieder Sätze im Zweifel aus dem Kontext zu reißen und damit

zweckzuentfremden, ist ein Niveau, auf dem ich mich nicht auseinandersetzen möchte.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich finde, Kollege Rudolph hat dazu alles gesagt.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Paul von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist das Erbe der friedlichen Revolution? – Menschen gingen für Freiheit und Demokratie auf die Straße. Herr Minister Stamp hat es vorhin in der Debatte noch mal sehr deutlich gemacht und darauf hingewiesen: Nicht Rache, sondern runde Tische, Veränderung durch Gespräch statt gewalttätiger Umwälzungen, das waren die Botschaften der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler. Deshalb sind die Menschen auf die Straße gegangen; das wollten sie erreichen.

Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Verweise darauf in Ihrem Antrag so gut wie gar nicht vorkommen. Sie ergehen sich in Hinweisen darauf, dass eigentlich alle Menschen in der DDR Opfer gewesen sind. Es kommt kaum etwas über die Demokratiebewegung darin vor. Und in Ihren Vorträgen und Vorstellungen hier ergehen Sie sich darin, wie eigentlich der Westen zum Osten stand.

Das ist paternalistisch. Das ist nicht das, wofür Sie vorgeben zu stehen. Sie geben vor, für die Menschen in Ostdeutschland zu stehen, zu sprechen und ihre Wende vollenden zu wollen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Ich glaube, darauf können die Menschen dort verzichten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Denn wenn Populisten mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ für Spaltung und Abgrenzung auf die Straße gehen, ist genau das nicht die Botschaft der friedlichen Revolution.

Ein unscharfer Erinnerungsort wie die friedliche Revolution eröffnet Interpretationsspielräume und offensichtlich auch sehr große Spielräume für Fehlinterpretationen.

Sicher haben sich auch nicht alle Hoffnungen der Menschen aus dem Sommer und Herbst 1989 erfüllt. Damit wird sich die Politik auch weiter auseinandersetzen müssen. Damit wird sich auch die Geschichtswissenschaft weiter auseinandersetzen müssen.

Aber zu suggerieren, es gelte, die Wende jetzt zu vollenden, und dies könnten nur die Rechtspopulisten, ist schlicht Geschichtsklitterung. Das spottet den mutigen Menschen, die sich unter Gefahr für Leib und Leben gegen die Diktatur gestellt haben, Hohn.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der AfD verweist auf die Opfer von Unrecht und Diktatur. Gleichzeitig behaupten Sie in den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, dass in der Bundesrepublik heute ähnliche Verhältnisse wie in der DDR herrschten.

Herr Loose hat ja auch gerade noch einmal die Mär von der DDR 2.0 in der Klimaschutzdebatte aufgerufen.

(Helmut Seifen [AfD]: Planwirtschaft!)

Das relativiert das Unrechtsregime der DDR. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer der zweiten deutschen Diktatur.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Frau Freimuth hat ja gerade schon darauf hingewiesen, dass sich frühere Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler und Prominente des öffentlichen Lebens der Bundesländer im Osten Deutschlands mit einem Aufruf gegen derartige Geschichtsverdrehungen gewandt haben.

Dass Sie überhaupt solche Slogans wie „Vollendet die Wende“ vortragen können, beweist doch, dass es keiner Vollendung der Wende bedarf.

Dass Sie so etwas absondern und damit in den Wahlkampf ziehen können, zeigt doch, dass die friedliche Revolution für Demokratie und Meinungsfreiheit erfolgreich gewesen ist – auch wenn ich Ihre Sicht der Dinge aus meiner politischen Sicht entschieden ablehne.

Auch die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler aus der ehemaligen DDR schreiben dies in ihrem Aufruf, wenn sie klarstellen: „Für die Demagogen der AfD sind wir 1989 nicht auf die Straße gegangen.“

(Zurufe von Helmut Seifen [AfD] und Sven Werner Tritschler [AfD])

Sie können den Aufruf ja lesen und sehen, wer unterschrieben hat.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das war Frau Bohley, die bei Ihnen ausgetreten ist!)

Was hat das denn damit zu tun? Wenn man keine Argumente mehr hat, kommt es so.

Herr Tritschler, es wird doch nicht besser, wie Sie hier versuchen, die friedliche Revolution zu instrumentalisieren. Wohin Sie die AfD hier im Landtag von

Nordrhein-Westfalen positionieren wollen und worauf Ihre Redebeiträge, Ihr Antrag und Ihre Einlassungen zielen, ist doch mehr als deutlich geworden – nicht zuletzt im Redebeitrag, den Sie hier gerade gehalten haben.

Sie stehen für Spaltung, und Sie stehen für eine dunkle Vision von Deutschland. Wenn überhaupt von einem Dunkeldeutschland die Rede sein kann, dann ist es Ihre Vorstellung von diesem Land.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Das werden wir Ihnen so nicht durchgehen lassen.

Der Aufruf der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler endet mit dem Satz: „Spaltung hatten wir in Deutschland lange genug!“ – Ich glaube, das ist ein deutlicher Aufruf an uns, diese Spaltung, die Sie in diesem Land weiter vorantreiben wollen, so nicht durchgehen zu lassen, sondern ihr konsequent und immer entgegenzutreten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Zu den Ereignissen der Wende und zur deutschen Einheit hat mein Kollege Stamp für die Landesregierung heute bereits unter Tagesordnungspunkt 3 zum Antrag der SPD-Fraktion sehr grundsätzlich Stellung genommen.

Zu dem in dieser Resolution, über die wir jetzt debattieren, vorhandenen Text haben die Abgeordneten vor mir bereits sehr ausführlich Stellung genommen. Sie haben die Vorlage kommentiert und vor allen Dingen ihre Qualität eingeordnet.

Deswegen habe ich mir vorgenommen, nur zu den Aspekten in der Resolution der Fraktion der AfD Stellung zu nehmen, die sich ausdrücklich an die Landesregierung wenden.

Der 9. November kann aufgrund seiner vielschichtigen historischen Bedeutung – auch das wurde hier immer wieder angesprochen – kein Feiertag sein. Mit der besonderen Würdigung des Mauerfalls an diesem Tag würde man die Bedeutung anderer Ereignisse in der Geschichte unseres Landes in den Hintergrund stellen.

Nicht ohne Grund hat man daher den 3. Oktober als Feiertag gewählt, an dem wir im nächsten Jahr die 30. Wiederkehr der Wiedervereinigung feiern und damit auch den Mauerfall als ihre Grundlage würdigen.